Glaube, Liebe, Hoffnung (2): Heldengeschichten des Fußballs
Das große Spiel und das Lied der Straße: Gleich mehrere Filme widmen sich zum Start der EM den großen Künstlern und Narrativen des Rasensports.
wie nur philoktet den bogen/ spannte kehl seine sehne und/ schoss den ball kaum dass er/ den boden berührte pfeilschnell/ ins netz die fahrt der gefährten/ ging weiter das tor zu öffnen/
Albert Ostermaier
Jedes Fußball-Turnier erzählt immer auch Geschichten von Helden, den neu geborenen und den gefallenen. Oder von jenen, die fast welche geworden wären, denen aber im entscheidenden Moment die Götter ihre Gunst versagen, so dass sie nur den Pfosten treffen, oder um Zentimeter zu spät kommen, oder den entscheidenden Elfer versieben. Vor genau 40 Jahren, im Sommer 1976 war es, als jene Szene passierte, die Uli Hoeneß‘ aktives Fußballer-Dasein mehr als alle Erfolge markierte: als er den entscheidenden Elfmeter gegen die CSSR vergeigte. Oder noch schlimmer: Man ist erst gar nicht dabei, wie jetzt Marco Reus.
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Echte Fußball-Helden kommen, so dachte man mal, von der Straße. Längst ist die Idee des Straßenfußballers ein reichlich angestaubter Mythos, der weder mit den Lebensverhältnissen in der „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ (wie Horst Schelsky unsere westliche Wohlstands-Welt bereits in den 50er Jahren charakterisierte) etwas zu tun haben, noch mit Fußballern die bereits im Alter von sechs Jahren mit Ablösesummen abgeworben, mit zehn in Fußball-Akademien gedrillt und mit 14 von Bundesligisten unter Vertrag genommen werden. Fußballer, die kommen heute mindestens aus dem Reihenhaus, oder sind Professorensöhne wie Mario Götze, jedenfalls bürgerlich-wohlanständig und so spielen sie auch. Aber woanders, das zählt sie noch, die Straße: In Rumänien bestimmt, in Kroatien wohl auch, vielleicht aber sogar in Italien, Spanien und Portugal.
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Auch der Argentinier Lionel Messi ist so ein unterprivilegierter Bub aus nicht gerade guten Verhältnissen. Aber er ist eben das Genie des Gegenwartsfußballs schlechthin, und da er von Jugend auf beim FC Barcelona trainiert wurde, passt die jetzt erschienene DVD-Ausgabe des Films „Messi“ auch ganz gut für die ersten EM-Tage, um sich einzugrooven, sich daran zu erinnern, auf welchem Niveau Fußball stattfinden kann. Der Spanier Álex de la Iglesia erzählt Messis Geschichte, ausschließlich aus der Perspektive der Anderen: Kollegen, Freunde und Familie unterhalten sich über den Werdegang des Ballkünstlers. Eingestreut werden daneben Reenactment-Sequezen aus Messis Kindheit und ein paar tolle Ausschnitte aus Spielen. Alles in allem ein kurzweiliger Film, und einer der ganz ohne Messis großen Rivalen Cristiano Ronaldo auskommt.
Den werden wir ja im Unterschied zu Messi – der gerade bei der „Copa America“ verletzt auf der Bank sitzt – bald auch in der EM begegnen. Aber auch Ronaldo hat jetzt „seine“ Doku bekommen: Anthony Wonkes „Ronaldo“ entspricht absolut dem Image des portugiesischen Hochglanzfußballers: Der sonderbar aseptische, erkennbar unreife, berechnende, leblose Tom Cruise des Welt-Fußballs. Eine kritiklose Hymne.
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Ganz anders, und viel interessanter ist „Zlatan: Ihr redet – ich spiele“ über den Schweden-Jugo Zlatan Ibrahimović. Der ambitionierte Film der schwedischen Brüder Fredrik und Magnus Gertten zeigt unerwartete Home Movie-Aufnahmen und tiefgehende Interviews mit Wegbegleitern. Im Zentrum stehen die frühen Jahre: Der Karrierestart des Stürmerstars bei seinem Heimatverein Malmö FF und das erstes große internationale Engagement bei Ajax Amsterdam. So entsteht ein Film der Kritik mit Realismus, und den Blick für die Fußball-Wirklichkeit mit Sympathie für den angeblichen Unsympathen Ibrahimović vereint.
Alle drei Filme zeigen auch, wie schwer es ist, Fußball im Kino auch nur zu zeigen, um von inszenieren gar nicht zu reden. Die Bild-Rechte sind ein Hauptproblem, die Mitsprachewünsche des Fußballers oder seines Managements. Hinzu kommt, dass das Gegenwartskino ganz auf „Human Interest“ ausgerichtet ist, nicht auf Kritik und Investigation. So wird der Glamourbetrieb Profifußball schnell verdoppelt, nicht ein Blick hinter seine Fassaden geworfen.
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Etwas ganz anderes, aus vielen Gründen sehr Spannendes ist Robert Adolf Stemmles „Das Große Spiel“, einer der besten Spielfilme über Fußball. Entstanden ist er – kaum zu glauben – im „Dritten Reiche“ und mitten im Zweiten Weltkrieg, 1941/42!
Der visuelle Reiz dieses Films ist, dass er sehr frühe Farbaufnahmen zeigt, und dass diese dokumentarisch sind. Denn die funktionale Rahmenhandlung, die von zwei Fußballern erzählt, die im selben – fiktiven – Club um die Deutsche Meisterschaft kämpfen, die aber aber auch noch auf die gleiche Frau scharf sind, ist eben nur ein Rahmen. Dieser Rahmen bettet das große Final-Spiel ein, in dem geschickt Aufnahmen mit Schauspielern und Spielszenen aus dem tatsächlichen Finale um die Deutsche Meisterschaft 1941 zu sehen sind. Diese Meisterschaft konnte auch der Krieg nicht stoppen, und man glaubt es kaum: Das Finale fand seinerzeit auch noch genau am 21.Juni 1941 statt, jenem Tag also, an dessen Morgen die deutsche Wehrmacht ihren Angriff auf die Sowjetunion begonnen hatte.
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Im Finale standen seinerzeit übrigens Schalke 04 und Rapid Wien (Österreich gehörte nach dem gewaltsamen „Anschluß“ zum Deutschen Reich). Nach 3:0-Führung verloren die Schalker noch 3:4 – davon sind aber nur jeweils zwei Tore zu sehen.
Unter den Zuschauern findet, wer genau hinschaut, aber den damaligen „Reichstrainer“ und späteren Bundestrainer Sepp Herberger, und Schwergewichts-Boxweltmeister Max Schmeling. Unter den Spielern finden sich Fritz Walter, der erste deutsche Fußball-Superstar, und der spätere Bundesligatrainer Hermann Eppenhoff. Das waren echte deutsche Straßenfußballer.