TV-Kritik: „Echo“ – Wonnen der Wertschätzung
Die 25. ECHO-Verleihung: eine nationale Innungsveranstaltung der Musikbranche mit Helene Fischer, Joris, Sarah Connor, den Puhdys und Frei.Wild
Man sieht all die jungen Gesichter, die 1992 bei der ersten ECHO-Verleihung waren, und man erkennt sie: Udo Lindenberg, der damals (er war 46 Jahre alt) den Preis für sein Lebenswerk bekam, Herbert Grönemeyer und Nena, die schon damals nörgelte. Uwe Ochsenknecht nahm damals Platten auf und war auch da. Campino sagt in der Rückschau: Man ging aus Mitleid hin. Bei einer der frühen Preisverleihungen stopften sie die Trophäe in eine große Papiertüte. Punk, nä. Später, als sie weitere ECHO-Stahltrophäen bekamen, machten sie das nicht mehr.
Und das ist der Unterschied: Seit 1999 wird der ECHO im Fernsehen übertragen, er war immer der größte deutsche Musikpreis, denn eigentlich gibt es nur diesen einen deutschen Musikpreis, man kennt keinen anderen, und jetzt wird er WERTGESCHÄTZT. Er wird wertgeschätzt von Helene Fischer, die einen schwarzen Spitzenfummel trägt und die höchsten Schaftstiefel von Berlin und die auch diesmal vier Preise (für ein Weihnachtsalbum) bekommt. Er wird wertgeschätzt von Udo Lindenberg, der seine neue Single vorstellt und einen Alibi-Preis für ein Video erhält, das Kim Frank gedreht hat. Er wird wertgeschätzt von Joris, einem rührseligen Schnulli, der für seine schmalzige Umarmungsmusik zwei Preise bekommt und unwahrscheinlicherweise den Preis der KRITIKER. Er wird wertgeschätzt von den Puhdys, die für ihr Lebenswerk geehrt werden und sich wirklich freuen und umständlich bedanken, weil sie sehr alt sind und unterhopft und bald nicht mehr auftreten werden.
Nicht richtig wertgeschätzt wird der ECHO von Kollegah, der zwei Eumel bekommt und auf dicke Hose macht, weil die Kategorie „HipHop/Urban“ fast am Ende präsentiert wird, was Kollegah nicht wirklich zeitgemäß findet. Danach kommt aber die Bartmütze Mark Forster, die wirklich zeitgemäß ist. Smudo von den Fantastischen Vier, der hier früher Preise bekam und heute den Preis für das beste, vulgo erfolgreichste Album ansagt, erinnert an die Zeit der Wachswalze und an die Schallplatte. Er spricht vom „Worshippen“ des Albums an sich. Die Ironie ist die letzte Bastion der Alten Garde.
Und dann verkündet Smudo, dass nicht Adele, sondern Helene Fischer gewonnen hat. Vielleicht hat Helene Fischer tatsächlich mehr Platten verkauft. Sie verweist in ihrer Rede darauf, dass ihr Weihnachtsalbum ein Ding von „sechs Wochen“ war, nämlich im Weihnachtsgeschäft, aber sie verweist auch darauf, dass sie mit dem Produzenten Alex Christensen (der den Produzentenpreis bekommt und Geburtstag hat) zwei Jahre daran gearbeitet hat, womöglich mit Unterbrechungen. Man sieht die beiden in der Abbey Road, er trägt sie auf dem Rücken über die Straße.
Helene Fischer sitzt vorn im Publikum, Adele ist nicht da. Sarah Connor ist da, sie bekommt den Preis für die „Beste Künstlerin Rock/Pop national“ von ihrer Nachbarin und Freundin Alexandra Maria Lara und bedankt sich bei ihrem Mann dafür, dass er erkannt hat, dass „sowas wie eine Künstlerin“ in ihr ist. Ihre Haare sind eine Art Brezel. Die Moderatorin Barbara Schöneberger nennt Alexandra Maria Lara „Anna Maria Lara“, sie kennen sich schon lange.
Der Mann, der sich The Weeknd nennt, anderswo in der Welt sehr angesagt ist und hier auftritt, wirkt hier wie ein Fremdling. Der ECHO ist etwas Merkwürdiges in der internationalsten, weltoffensten, freiesten, egalitärsten, glamourösesten, flamboyantesten und grenzenlosesten Branche überhaupt: Er ist ein NATIONALER PREIS. Er ist so national, dass die Südtiroler Rabulisten Frei.Wild einen Preis bekommen und auf der Bühne ein Gewölle verlesen dürfen, obwohl sie niemand im Saal hören und sehen will und jedesmal versprochen wird, dass sie nicht erscheinen werden. Und Südtirol gehört weiterhin zu Italien.
Der ECHO ist eine Innungsveranstaltung, die Feier einer größeren mittelständischen Entität. Amy MacDonald hatte mal einen Hit und darf einen Preis überreichen. Enya hatte zwei Hits und darf ihren redundanten Schwulst singen. Die verhaltensauffällige Jugendliche Jamie-Lee, die beim Eurovision Song Contest antritt, singt mit einem Papierblumenbuket auf dem Kopf ihr Lied und weist darauf hin, dass ihre Platte am 29. April erscheint. Barbara Schöneberger trägt jetzt auch ein Papierblumenbuket auf dem Kopf. Sie ist der Trost des Abends, denn sie tut niemals so, als wäre das hier etwas anderes als eine Betriebsfeier, die von einer Betriebsnudel moderiert wird. Sie ist lustig, sie ist gut gelaunt, sie hat eigentlich nichts damit zu tun.
Gegen Ende wird Roland Kaiser nicht für „Dich zu lieben“ geehrt, sondern für sein soziales Engagement. Kaiser humpelt, er ist bucklig, er steht krumm. Er spricht ernst, mit tiefer Stimme. Es ist anrührend. Das Publikum steht auf, das gebietet der Respekt vor dem Alter. Kaiser hat Tränen in den Augen. Er zitiert einen „Philosophen, Arzt und Musiker“, von dem er glaubt, dass er Albert Einstein hieß.
Er hieß Albert Schweitzer, aber wahrscheinlich merkt es nach drei Stunden keiner mehr, und egal ist es ja sowieso.