Investigativ-Journalistin Annie Jacobsen: „Wir müssen mit Kim Jong-un reden“
„72 Minuten bis zur Vernichtung“ konstruiert ein erschreckendes Szenario. Wie dicht sind wir dran am Dritten Weltkrieg?
„72 Minuten bis zur Vernichtung“ (Heyne) heißt das neue Buch von Annie Jacobsen, die anhand von Expertengesprächen und freigegebenen Militärdokumenten die letzten Stunden der Menschheit skizziert. In ihrer Erzählung feuert der nordkoreanische Diktator, bevor er sich in seinen Bunker begibt, drei strategische Bomben auf die USA. Nachdem Russland in den Konflikt hineingezogen wird, ist das Ende der Welt besiegelt. Pulitzerpreis-Finalistin Jacobsen, geboren 1967, stürmt derzeit mit ihrem fiktiven, aber nicht unrealistischen Szenario die „New York Times“-Bestsellerliste.
Mrs. Jacobsen, die „Weltuntergangsuhr“ der Zeitschrift „Bulletin of the Atomic Scientists“ wurde im zweiten Jahr in Folge auf „90 Sekunden bis Mitternacht“ gestellt. So nahe am Armageddon wie noch nie, näher noch als während der Kubakrise 1962 oder dem Annus horribilis 1983, mit dem Alliierten-Militärmanöver Able Archer, den „Reich des Bösen“-Vorhaltungen Ronald Reagans gegen die Sowjets, dem Abschuss einer südkoreanischen Passagiermaschine durch die Sowjets und nicht zuletzt dem nuklearen Fehlalarm, den Oberst Petrow als solchen identifizierte und damit verhinderte, dass Moskau Thermonuklearraketen Richtung Amerika schickt. Sind wir heute also viel schlimmer dran?
Ich liebe das Konzept der Weltuntergangsuhr als eine Art Artefakt, das eine Gefahr versinnbildlicht und damit in den Köpfen der Menschen Präsenz schafft für dieses Thema. Als Erinnerung daran, dass wir alle mit dieser tickenden Uhr leben müssen, die hoffentlich niemals bis Mitternacht anschlägt. Ich weiß nur für mich nicht, ob der Versuch Sinn ergibt, diese eher abstrakten Zeit-Relationen als Anleitung für Verhalten verstehen zu wollen. Die Weltuntergangsuhr und ihre Warnung werden überschattet von einer fundamentalen Wahrheit: Wenn der nukleare Krieg beginnt, endet er in nuklearem Armageddon. Es gibt keine begrenzten Atomkriege. Die Wahrscheinlichkeit eines Atomkriegs beschäftigt mich weniger als die reine Möglichkeit eines Atomkriegs.
In ihrem Szenario zündet der Diktator Nordkoreas, nicht namentlich als Kim Jong-un identifiziert, die Interkontinentalrakete Richtung Washington D.C. Seine irre Logik – als Mann, der die Welt untergehen lassen wird und damit in die Geschichte eingeht – erscheint nicht weit hergeholt. Sein Bunker ist atombombensicher. Noch ist er um die 40, aber wenn er erstmal über 70 ist und vielleicht todkrank, hat er nichts zu verlieren.
Aus der Geschichte wissen wir, dass Staatenlenker, die an Schizophrenie erkrankten, früher oder später stationär behandelt und ihrer Aufgabe entbunden wurden. Die Menschen um sie herum schritten ein und entbanden solche Anführer ihres Jobs. Das kennen wir aus der Weltgeschichte. Aber hier geht es um etwas anderes. Hier geht es um irrationales Verhalten. Auch ein Zeichen unserer Zeit. Narzisstische Anführer, anfällig für Megalomanie, umgeben sich zunehmend mit Sicko Fans, die sie zu ihrem Verhalten ermutigen. Wenn dann noch Kernwaffen im Einflussbereich dieses Anführers liegen, steigt die Gefahr exponentiell. Ich möchte mit meinem Buch zwei Dinge vermitteln. Erstens, es war einmal vor langer Zeit, als man dachte, ein Atomkrieg kann geführt und gewonnen werden. Damals gab es nur zwei Supermächte, die sich gegenüberstanden. Inzwischen gibt es mehr Atommächte auf der Welt, aber die Prinzipien der Abschreckung – Frieden sichern durch Aufrüstung – haben sich nicht geändert. Zweitens: Das Aufkommen des Archetyps „Mad King“ mit seiner „Mad King Logic“ wirkt dieser Architektur der Abschreckung nun entgegen. Es war der Experimentalphysiker Richard Garwin, der mich bei der Ausarbeitung des „Mad King Scenario“ unterstützt hat. Garwin, 96 Jahre alt, war maßgeblich an der Entwicklung der ersten thermonuklearen Bombe beteiligt. Edward Teller war der Vater der thermonuklearen Bombe, das stimmt – aber er wusste nicht, wie man sie entzündet. Garwin war 24 damals, ein Schüler Enrico Fermis, und unterstützte Teller. Und dieser Garwin, 96 Jahre alt, unterstützte mich nun beim „Mad King Scenario“. Garwin sagte, dieses Szenario sei jenes, das ihm am meisten Sorgen bereitet. Er benannte dabei nicht den Anführer Nordkoreas als „Mad King“, aber ich deutete seine Worte so.
Henry Kissinger galt als einer der Architekten der Abschreckung, veröffentlichte in den 1950er-Jahren ein Buch zu Nuklearkriegen, die zu gewinnen sind, weil sie begrenzt seien. Haben Sie mit ihm vor seinem Tod im vergangenen Jahr sprechen können?
Ich hatte eine Anfrage an ihn gestellt, nicht für dieses Buch, sondern ein früheres von mir, über Vietnam. Aber in „72 Minuten“ berichte ich von „Proud Prophet“, jenem von den Vereinigten Staaten gespielten Kriegsspiel, das im Juni 1983 von Ronald Reagan in Auftrag gegeben wurde. Die Simulation wurde während des Kalten Kriegs in Echtzeit gespielt. Es wurde erst 2012 „declassified“, also der Öffentlichkeit preisgegeben, und das auch nur mit unzähligen, den Kontext verstümmelnden Schwärzungen. Der Politikwissenschaftler Paul Bracken hat im Zuge dessen darauf hingewiesen: Egal wie ein Nuklearkrieg beginnt, egal ob die NATO involviert ist, ob China involviert ist, ob zu Beginn nur taktische, statt strategische Atomwaffen angewandt werden – der Konflikt endet stets im Untergang der Menschheit. Bracken sagte: Jeder Teilnehmer des Kriegsspiels „Proud Prophet“ war am Ende deprimiert. Deprimiert, „depressed“, das wurde in der damaligen Zeit zum geflügelten Terminus.
Wie schlug sich Ronald Reagan in der Hochphase des Kalten Kriegs? Er hatte wohl wenig Ahnung von der Technik („Man kann Atomraketen wieder zurückfliegen lassen“), dafür viel Fantasie, wie in seinem „Star Wars“-Programm, mit dem er ICBMs per Weltraumlaser terminieren wollte. Neben Jimmy Carter soll er auch als einziger Präsident zu Protokoll gegeben haben, im Fall einer anfliegenden Rakete im Weißen Haus unterzugehen, statt sich evakuieren zu lassen. Außerdem hielt er klasse Cowboy-Ansprachen an die Nation, wie bei der Bekanntgabe der Bombenangriffe auf Libyen 1986: „Gaddafi counted on the american people to be passive. He counted wrong.“ Nachdem er den Endzeitfilm „The Day After“ von 1983 gesehen hatte, sagte er jedoch: „It left me greatly depressed“. Und er schrieb das in sein Tagebuch.
„Proud Prophet“ verdeutlichte dieses beunruhigende, „deprimierende Konzept“. Als ein großer Denker wie Henry Kissinger seine XYZ-Gedanken postulierte, war ich sehr skeptisch. Er war ein Theoretiker. Und das Prinzip der Abschreckung ist nicht mehr als ein psychologisches Phänomen. Abschreckung basiert auf der reinen Annahme, dass ein Mehr an Waffen mehr Frieden schafft. Dass die Menschen dahinter die Maschinen, die den Krieg auslösen, beherrschen. Es geht hier um ein gewaltiges Vertrauen in dieses psychologische Phänomen, dass Abschreckung funktioniert, weil wir immer bewaffneter werden. Das ist die Kernaussage meines Buchs: Dass der Glaube an Abschreckung unlogisch ist und ein reines Glücksspiel.
Das große Paradoxon: Die Atomkriegsgefahr ist da, aber niemand will sich damit beschäftigen, wir verdrängen sie, obwohl die Auseinandersetzung damit die Welt sicherer machen würde. Doch „The Day After“ wurde in den USA von 150 Millionen TV-Zuschauern gesehen, „Oppenheimer“ spielte in den Kinos eine Milliarde Dollar ein, und „72 Minuten“ ist jetzt schon ein Bestseller. Wie erklären Sie sich diese punktuellen Erfolge?
Vielleicht die wichtigste Frage von allen, denn sie stellt die Frage nach der Popularisierung unangenehmer Themen. Meine persönliche Antwort: Der Erfolg bestimmter Filme, Serien oder Bücher hängt mit der Zugänglichkeit dieser Arbeiten zusammen. Auch von der Art des Storytelling. Mit der Fähigkeit, Rezipienten abzuholen, ihnen das Gefühl zu geben Teilnehmer der Debatte sein zu können, sie nicht zu bevormunden. Wer „Oppenheimer“ sah, empfand Ehrfurcht und Horror zugleich, aber fühlte sich abgeholt. Mein Buch werte ich dann als Erfolg, wenn Menschen sich inspiriert fühlen. Wenn Organisationen sich inspiriert fühlen, die sich für die Nichtverbreitung von Atomwaffen einsetzen. Wenn das Verteidigungsministerium neue Ideen diskutiert. Vor allem aber der normale Bürger. Wenn der normale Bürger weiß, was die Weltuntergangsuhr ist, habe ich etwas erreicht. Nuklearkrieg ist Ausdruck reinen Irrsinns. Ich habe sehr viele Menschen für dieses Buch interviewt, und jeder von ihnen bestätigt das: Nuklearkrieg ist Irrsinn. Abschreckung hat 80 Jahre funktioniert, 80 Jahre gehalten. Aber welche Garantie für was soll uns das geben? Es ist kein Kennzeichen einer Garantie, dass sie mit den Jahren immer besser hält.
In den 1980er-Jahren gab es eine Welle von Atombomben-Filmen. Neben „The Day After“ noch „Testament“, „Threads“, WarGames“, „Miracle Mile“, „Special Bulletin“. Deren Regisseure sagten alle dasselbe: Sie litten unter Finanzierungsproblemen für ihr unangenehmes Filmthema, sie achten natürlich die Arbeiten ihrer Kollegen – aber ihre eigene sei die einzig gelungene.
Mich haben diese Filme durchaus beeinflusst. Ich bin eine ausgebildete Journalistin. Ich bin Autorin und betrachte mich auch als Storyteller. Es ist Platz für alle diese Filme. Es ist immer sehr leicht, kreative Menschen für ihre Ideen zu kritisieren, erst recht, wenn sie wissenschaftliche Themen dramatisieren. Ich kritisiere hier niemanden. Im Gegenteil, ich bin froh, dass diese Regisseure ihren Teil zur Debatte beigetragen haben. Ich bin auch in Hollywood zur Schule gegangen, bin Drehbuchautorin. Ich habe Scripts für die „Jack Ryan“-Serie nach Tom Clancy verfasst. Das Nuklearkriegs-Szenario ist fast wie Shakespeare, es funktioniert in drei Akten. 24 Minuten, 24 Minuten, 24 Minuten – dreimal 24 Minuten. „What’s Past Is Prologue“ – „Die Vergangenheit ist der Prolog“ ist ein Zitat von William Shakespeare. Die Idee, dass die Vergangenheit den Kontext für die Gegenwart vorgibt. Auch ich biete einen Prolog, also die Ausgangssituation. Am Ende die dystopische Auflösung, was nach dem Nuklearkrieg passiert.
Die Befehlskette bis zum Abschuss der Raketen ist streng hierarchisch strukturiert, etwa durch den Permissive Action Link, bei dem zwei Menschen gleichzeitig einen Schlüssel drehen müssen. Woher kann man sicher sein, dass alle Befehlsempfänger gehorchen und das Ende der Welt durch Knopfdruck oder Schlüsseldrehung einleiten – dass keiner stattdessen auf schnellstem Wege versucht, sich und seine Familie in Sicherheit zu bringen?
Ein wichtiger Punkt, der in vielen meiner Interviews für das Buch zur Sprache kam. Ich sprach zum Beispiel mit Dr. Glen McDuff darüber, ein Nuklearwaffen-Ingenieur, der als Historiker am Los Alamos National Laboratory in New Mexico tätig war. Seine Antwort: Die Chance ist größer, beim Powerball zu gewinnen, als im Militär auf jemanden zu setzen, der Befehlen nicht folgen würde.
Powerball, die in den USA beliebte Lotterie: Den Jackpot knackt man mit Chancen von 1 zu gut 292 Millionen.
Jeder wird Befehlen folgen. Die Missileers genannten Offiziere, zuständig für die Zündung, sitzen in unterirdischen Silos und üben in einem fort die Schlüsseldrehung. Die können das im Schlaf. Als Teil einer Befehlskette drohen im Falle einer Befehlsverweigerung schlimme Konsequenzen. Dies ist keine Bewertung von Moral oder Charakter. Vielmehr der Blick auf die Verhaltensweise eines Menschen, und wie er quasi konditioniert wurde. Es gibt nur zwei Szenarien, die die Welt, wie die darauf befindlichen Lebewesen sie kennen, innerhalb weniger Stunden vernichten würden. Eine davon ist der Welt bereits zugestoßen. Das war der Treffer durch einen Asteroiden vor Millionen Jahren. Wir wissen, was danach passiert ist. Die zweite ist der Atomkrieg. Und diese Vergleiche ziehen auch die Veteranen des STRATCOM (United States Strategic Command USSTRATCOM, deutsch Strategisches Kommando der Vereinigten Staaten, zuständig für die Atomstreitkräfte der USA).
Es gab einige dramatische „Nuclear Close Calls“, also Fast-Katastrophen. Die bekanntesten sind der nukleare Fehlalarm von 1983, als Oberst Petrow sich der Berichtslinie widersetzte, eigenständig den Fehlalarm als solchen kategorisierte und keine Maßnahmen ergreifen ließ. Und 1979 urteilte der Stab Jimmy Carters eigenmächtig, dass die Sowjets doch nicht angreifen. Sie ließen Carter weiterschlafen, und sie lagen richtig: Ihr Computer identifizierte ein Test-Szenario fälschlicherweise als Angriff. Tragen solche Beispiele dazu bei, dass bestimmte Meldungen nicht bis ganz nach oben getragen werden müssen?
Der Bericht über den nuklearen Fehlalarm von 1979 wurde jüngst freigegeben. Carters Verteidigungsminister war Harold Brown, seine Aussagen können nun gelesen werden. „Wir haben den Fehlalarm als solchen registriert und wir untersuchen die Schritte, die zum Fehlalarm geführt haben“, heißt es im Report. Es gibt also ein Verständnis dafür, dass aus solchen Fehlern gelernt werden müsse.
Der US-Präsident in Ihrem Szenario verbleibt namenlos. Und er ist hilflos. Er fordert seinen Stab auf: „Sagt mir, was ich tun soll!“. Ein wenig gebildeter Mann, der seine Hilflosigkeit jedoch nicht durch Kaltschnäuzigkeit zu übertünchen versucht. Deshalb dachte ich auch nicht an Donald Trump, sondern sogleich an George W. Bush. Welchen Präsidenten hatten Sie im Sinn?
Alle kursiv geschriebenen Zitate im Buch sind hypothetische Zitate, also nach Script. Keine Fakten. Am Ende des Buchs habe ich alle Quellen im Abschnitt mit den Anmerkungen notiert. Anhand der dort gelisteten Interviews ließen sich Zuordnungen machen zu den Mitgliedern der Administration verschiedener Präsidenten – daran könnte man vielleicht erkennen, an wem ich mich orientierte. Es hätte keinen Sinn ergeben, meine Gesprächspartner nach möglichen Aussagen des Präsidenten in Situationen vor dem Startbefehl von Atomraketen zu befragen. Die Situationen sind bislang ja nicht eingetreten. Aber ich konnte sie nach dem Charakter ihres Präsidenten befragen, in Krisensituationen. Diese intensiveren Gespräche, gerade mit Geheimdienstbeamten, waren Hintergrundgespräche. Sie durften also nicht zitiert werden – waren aber der Charakterisierung für mein Buch dienlich. Zu Ihrer Annahme, es handle sich beim Präsidenten in meiner Geschichte um George W. Bush: Wir kennen das unter anderem auf YouTube zu sehende Video, in dem er über Nine Eleven informiert wird. Er besuchte gerade eine Schulklasse, saß vorne an der Tafel. Einer seiner Mitarbeiter kommt in den Raum und flüstert ihm die Nachricht von den Terroranschlägen ins Ohr. Wir haben noch vor Augen, wie Bush dreingeblickt hat, oder? Mir haben solche Videos das Zutrauen gegeben, in meinem Szenario den US-Präsidenten als ohnmächtig darzustellen.
Die Regierungsbeamten in Ihrem Buch geben zu verstehen: Es gibt nur eine Person, die den Start von Atomraketen befehligt – der Präsident. Nach gängiger Meinung wird über Startbefehle noch immer im Stab abgestimmt, auch, damit Zweifel besprochen werden können.
Es gilt die alleinige Verfügungsgewalt des Präsidenten. Ich führte Gespräche mit Bill Perry, der bald 97 Jahre alt wird, und unter Bill Clinton als Verteidigungsminister diente. Er sagte ganz klar: „Annie, in einer von Dir skizzierten Lage würde ich genau dieses und jenes tun.“ Das ist auch der Grund dafür, weshalb ich in meinem Buch so viele Zitate eines fiktiven Verteidigungsministers anführe. Deshalb hatte ich auch beschlossen, ihn in meiner Geschichte zu einem Entscheidungsträger zu machen, nachdem so viele im Kabinett auf verschiedene Weise sterben. Googlen Sie mal „Darf der Präsident ganz allein über einen Nuklearschlag entscheiden?“. Sie erhalten mehr Antworten, die ein „Nein“ behaupten. Es gibt Diskussionen im Netz, was der Präsident darf oder nicht. Die bringen aber nichts. Tatsache ist: Er entscheidet das ganz allein, er ist der Commander in Chief.
Ist das nicht beunruhigend, unabhängig davon, ob jemand wie Donald Trump Präsident ist?
Der Congressional Research Service (CRS, ein Forschungsinstitut des Kongresses der Vereinigten Staaten) hat einen Bericht veröffentlicht, nachdem Präsident Trump in einer Rede, die nicht nur mich schockierte, seine „Fire and Fury“-Drohung gegenüber Nordkorea offenbarte. Trumps Verhalten stand dem eines Präsidenten nicht gut zu Gesicht. Der Kongress hat die Informationen wohl publik gemacht, damit jeder weiß, was auf dem Spiel steht. Damit die Öffentlichkeit an der Debatte teilhaben kann. Man muss der Öffentlichkeit mitteilen, dass „Launch on Warning“ die Devise ist.
… „Launch on Warning“ gilt, wenn der Start von Interkontinentalraketen sofort nach dem Eintreffen eines Alarmsignals erteilt wird. Das verkürzt die Entscheidungszeit auf einen Gegenschlag auf wenige Minuten – und erhöht die Möglichkeit eines Fehlalarms …
Man muss den Menschen die alleinige Verfügungsgewalt des Präsidenten offenbaren. Und man muss ihnen klarmachen, dass die Interceptor-Raketensysteme, die der Abwehr von Atomraketen dienen sollen, Fantasy sind. Die USA hat nur 44 dieser Interceptor-Raketen, und die meisten würden nicht treffen.
Ein Militärexperte in Ihrem Buch sagt: Der Versuch Atomraketen abzufangen wäre so, als sollte eine fliegende Kugel eine andere fliegende Kugel erwischen.
Und dennoch führen die Leute, gerade in den sozialen Medien, diese Seitenliniendebatten. Was doch nicht alles möglich sei!
Als die USA 1983 in Deutschland das Militärmanöver „Able Archer“ durchführten, hielten die Sowjets dies auch deshalb als Angriffsvorbereitung, weil jenes Datum auf einen sowjetischen Feiertag fiel, was strategisch wichtig ist, weil die eigenen Truppen dann schwerer in voller Stärke zu mobilisieren seien. Warum haben Sie Ihr Szenario auf einen amerikanischen Werktag am Nachmittag in Washington D.C. gesetzt – wäre die Überraschungsattacke zumindest in der Nacht nicht viel effektiver? Man hätte den Präsidenten aufwecken müssen, und dann blieben ihm keine sechs Minuten mehr für „Launch on warning“.
Mein Anliegen war die Schilderung aller Entscheidungsprozesse von Nuclear Command and Control, also die Schritte abzubilden, wie es zum Einsatz der Waffe kommt. Das System dahinter, die sequenziell arbeitenden Einheiten. Ich habe dabei sehr viel gelernt. Unser Satellitensystem etwa informiert das Pentagon über einen Rakentenstart in nur einer Sekunde. Es war mir wichtig darzulegen, wo das Geld der Steuerzahler in den 80 Jahren der Abschreckung eigentlich gelandet ist. Wahrscheinlich nicht Milliarden, sondern Billionen Dollar, keiner kennt die Summe, mit denen Militärtechnik finanziert wird. Und ich wollte die Menschen das Drama spüren lassen, sie verstehen lassen, was eigentlich in diesen letzten Minuten ihres Lebens passiert. Sie sollten hellwach sein. Bei der Arbeit. Im Museum. Und in der Schule. Deshalb das Setting mitten im Arbeitstag.
Nachdem Russland in den bevorstehenden Krieg hineingezogen wird und tausende ICBMs in Richtung USA abfeuert, fordert lediglich ein einziges Kabinettsmitglied des US-Präsidenten, den Gegenschlag zu unterlassen. Es bringe nichts mehr, hunderte Millionen Russen zu töten. Er findet kein Gehör. Glauben Sie, dass die Leser Rachegefühle entwickeln können, sich automatisch auf die Seite der Amerikaner schlagen?
Jeder Mensch hat zwei ihn prägende Eigenschaften: Ignoranz sowie Rache. Wenn Rache sofort auf Ignoranz folgen würde, wäre das ein blitzschneller From-Zero-To-Hero-Prozess. Boom! Das Einzige, was unser Temperament im Zaum hält, ist Zeit. Verstreichende Zeit. Weisheit wird bedingt durch verstreichende Zeit. Wenn genügend Zeit vorhanden ist, können Informationen verarbeitet werden. Man kann „The Day After“ schauen, „Threads“ oder „Oppenheimer“. So entsteht Weisheit. Was meine Gesprächspartner mir offenbarten, war die nahezu vollständige Unkenntnis ihrer jeweiligen Präsidenten über Nuclear Command and Control. Die Präsidenten interessierten sich nicht für die Ablaufprozesse der nuklearen Eskalation. Sie waren ignorant. Und würden auf Rache sinnen, wenn es so weit wäre, wenn der Gegenschlag die Option ist. Das System dafür ist angelegt, technisch sowieso. Menschlich auch. Man spricht von „jamming the president“, wenn die Leute von rechts und links auf ihn einreden, um ihn schnell zu einer bestimmten Entscheidung zu drängen – damit er dem Racheimpuls nachgibt.
In Ihrer Geschichte werden vor allem zwei Fehler gemacht, die zur Katastrophe führen. Die von den USA in Richtung Nordkorea fliegenden Raketen müssen über den Polarkreis fliegen und passieren damit russisches Gebiet, was die Russen fälschlicherweise als Angriff gegen ihre Föderation deuten. Außerdem gelingt es den Amerikanern nicht, die Russen an die Strippe zu kriegen, um sie zu beruhigen. Sie erinnern im Buch an jene Kommunikationspanne, als die Amerikaner die Russen 36 Stunden lang nicht erreichen konnten, nachdem russische Raketen während des Ukrainekriegs in Polen einschlugen. Unlängst hieß es dann, die USA hätten Russland vor dem IS-Anschlag in Moskau vom 24. März mit Geheimdienstinformationen gewarnt. Wovon hängt es ab, ob zwischen den Supermächten die Kommunikation funktioniert?
Der Vereinigte Generalstab der Amerikaner gab erst 36 Stunden nach der Meldung einer Nachrichtenagentur, dass es einen russischen Raketenangriff auf Polen gab, eine Pressekonferenz. Und die Meldung war falsch. Das war kein Angriff auf Polen. Eine Attacke auf Polen hätte Artikel 5 des NATO-Bündnisfalls ausgerufen. Und wir alle wissen, was das bedeutet. Präsident Biden soll seit Ausbruch des Ukrainekriegs mit Präsident Putin noch nicht gesprochen haben. Der Vorsitzende der Joint Chiefs of Staff und der US-Präsident sind die zwei wichtigsten Menschen in einer Krise, die zum Atomkrieg führen kann. Und sie sprechen nicht mit ihren russischen Partnern! Was nun die US-Geheimdienste im Falle des Anschlags in Moskau mit den russischen Geheimdiensten besprochen haben könnten, ist unbekannt. Das hat auch einen Grund. Aber bereits zehn Tage vor dem Anschlag habe ich in amerikanischen Zeitungen darüber gelesen, dass US-Staatsbürgern in Moskau zu größter Vorsicht geraten wird. Die Warnung hatte es also in die Presse geschafft. Warum das passiert ist? Darüber kann man nur spekulieren. Vielleicht hat der CIA-Chef seinen russischen Kollegen nicht erreichen können und teilte seine Erkenntnisse deshalb über Medien mit. Medien konsumieren die Leute ja noch überall. Es besteht dennoch die Möglichkeit, dass beide Geheimdienste kommunizierten.
Warum haben Sie nicht von vornherein einen Krieg zwischen den USA und Russland skizziert, anstatt Nordkorea den Erstschlag ausführen zu lassen?
Ich begann mit meinem Buch während der Pandemie. Da war die Situation noch eine andere. Ich schreibe seit 2009 über Atombomben, seit meinem ersten Buch „Area 51“. Ich sprach damals mit Mitgliedern des Manhattan-Projekts, die die thermonuklearen Bomben bewaffnet, verkabelt und auf den Marshallinseln in den 1950er-Jahren gezündet hatten. Diese Ingenieure pendelten zwischen den Testgeländen und der Area 51 in Nevada hin und her, da an beiden Orten zur Bombe geforscht wurde. Alle Ingenieure bestätigten mir, dass sie nach ihrer Auffassung einen Dienst zur Verhinderung des Dritten Weltkriegs leisteten. Als Präsident Trump 2017 zur „Fire and Fury“-Rhetorik ansetzte, stellte ich mir erstmals die Frage: Was, wenn das Prinzip der Abschreckung versagt? Nach Trumps Rede fiel mir auf, dass Kongressabgeordnete als auch die STRATCOM-Kommandeure immer häufiger öffentlich und dabei immer verständlicher über ihre Arbeit sprachen. Ich dachte mir, dass diese Leute während Covid vielleicht auch mehr Zeit haben könnten, mit mir als Journalistin zu reden. Sie haben mich alle unterstützt. Alle waren der Auffassung, dass die Möglichkeit eines Atomkriegs dringend wieder diskutiert werden müsse. Als der Ukrainekrieg ausbrach und Putin über den möglichen Einsatz thermonuklearer Waffen sprach, floss das natürlich in den Prozess meiner Arbeit mit ein.
Vor Appeasement-Politik gegenüber Putin wird gewarnt. Man solle nicht dieselben Fehler machen wie einst bei Hitler. Aber ergibt dieser fernpsychologische Versuch der Deutung, ergibt der Vergleich dieser beiden überhaupt Sinn?
Wenn der Nuklearkrieg erstmal begonnen hat, kann er nicht mehr gestoppt werden. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, sagte im August 2022: „Die Menschheit ist nur ein Missverständnis, nur eine Fehlkalkulation vom nuklearen Holocaust entfernt.“ Diese rote Linie darf nicht überschritten werden. Nun gibt es solche Anführer, die an ihrer Linie festhalten, wie eben ein bestimmter US-Präsident, der damit drohte, aus einem Bündnisvertrag auszutreten. Oder dessen Kündigung des Atomwaffensperrvertrags INF, den Reagan und Gorbatschow 1987 aufsetzten, nachdem Reagan „The Day After“ sah. Die Einhaltung dieser Verträge, und nur die Einhaltung dieser Verträge, senkt die Wahrscheinlichkeit eines fatalen Missverständnisses dramatisch.
Inwiefern?
Diese Verträge beinhalten die verpflichtende Mitteilung von Raketentests an andere Staaten. Als der Ukrainekrieg begann, stoppten die USA ihre Atomtests. Die Russen auch. Niemand wollte falsche Signale setzen – und aus Versehen den Atomkrieg starten. Was hat Kim Jong-un getan? Er schoss seit Januar 2022 mehr als 100 Raketen ab, zu Testzwecken. Ohne jede Ankündigung. Ich habe Leute interviewt, die sitzen in den Bunkern. Der pensionierte stellvertretende Direktor für globale Operationen des gemeinsamen Stabs, Charles L. Moore Jr., sprach darüber. Diese Leute interpretieren Daten von Satelliten aus dem Weltraum. Innerhalb der ersten 150 Sekunden starren sie alle auf die Karte. Leute vom Nuclear command and control, der NSA, des NRO, sie starren auf die Karte und haben nur eine Frage: Wohin wird diese Rakete fliegen? Wohin wird diese Rakete fliegen! Erst nach 150 Sekunden, zweieinhalb Minuten, kann eine vernünftige Einschätzung gegeben werden. Diese Leute in den Bunkern, sie müssen das bei jedem einzelnen Raketenstart aus Nordkorea bewerten. Dann gibt es ein großes „Phew“, die Entwarnung.
„Man sollte Kim Jong-un als Widersacher betrachten, aber nicht als Feind“
Wie bringt man Nordkorea die Spielregeln bei?
Es kann nur eine Lösung geben: Man muss mit Kim Jong-un reden. Man muss ihn zum Debattenteilnehmer machen. Er muss seine Tests ankündigen. Er ist der einzige Staatschef einer Nuklearmacht, der Tests nicht ankündigt. Dies habe ich erst im Gespräch mit Joseph S. Bermudez, Jr., erfahren, einem US-Experten für nordkoreanische Verteidigungsstrategie. Ich gehe davon aus, dass 99 Prozent der Amerikaner nicht gewusst hatten, dass Nordkorea seine Raketenstarts nicht ankündigt. Wussten Sie das? Ich nicht.
Was sollte der Diktator dann tun?
Die Nuklearmächte könnten Kim Jong-un auffordern, die Tests anzukündigen. Egal, ob er das dann täte – es wäre zumindest der Beginn des Versuchs eines Dialogs. Es ist noch keine zwei Jahre her seit dem letzten Treffen von Biden und Kim Jong-un. Man sollte ihn als Widersacher betrachten, aber nicht als Feind.
Der nukleare Angriff auf ein Kernkraftwerk potenziert die Gefahr der absoluten Nuklearkatastrophe um ein Vielfaches – die Atommächte haben sich sogar verpflichtet, Kernkraftwerke niemals anzugreifen. In Ihrem Szenario tut Nordkorea genau das, mit einer zweiten Rakete.
Im Kino gab es den Film „Das China-Syndrom“. Die Vorstellung, dass sich die Kernschmelze bei einem Reaktorunfall durch das Beton-Fundament und in das Grundwasser zu fressen vermag und auf der entgegengesetzten Seite der Erde, die viele Leute fälschlicherweise in China verorten würden, wieder zum Vorschein kommt. Das ist natürlich eine Hollywood-Vorstellung und nicht möglich. Nun muss diese Kernschmelze sich gar nicht erst bis China durchfressen, um die Welt für tausende Jahre unbewohnbar zu machen. Das haben unter anderem Atomforscher des Militärs in Los Alamos bestätigt.
Im Jahr 1961 würden die USA ihren „Single Integrated Operational Plan (SIOP)“ finalisieren: So viele Nuklearwaffen wie möglich abfeuern und tausende Ziele des sowjetischen Gegners innerhalb weniger Stunden per Erstschlag auszuschalten, ohne dass die MAD-Doktrin der „gegenseitig zugesicherten Zerstörung“ möglich wird. Ein von ihnen interviewter SIOP-Teilnehmer unterstellte der US-Regierung die Planung eines Genozids.
John Rubel war ein alter Mann, über 80 Jahre alt, als er sein Gewissen in seinen Memoiren niederschrieb. Er war im Sterben. Er empfand Scham. Spät im Leben war ihm klargeworden, dass er sich an der Planung eines Genozids, wie er es nannte, beteiligte. Ob Rubel die Menschen auf der anderen Seite der Erde als weniger wertige Menschen empfand, könnte ich nicht beurteilen. Aber er hat nicht den Eindruck erweckt, dass er oder andere SIOP-Planer eine rassistische Ideologie vertraten. Ich glaube, er wurde schlicht Zeuge der Planung einer Wahnsinnstat. Mad logic: sane logic for the insane.
Nach Erstausstrahlung von „The Day After“ 1983 präsentierte ABC in seiner „Viewpoint“-Sendung ein hochrangig besetztes Expertenpanel, mit Henry Kissinger, Elie Wiesel, William Buckley Jr., Brent Scowcroft, Robert McNamara und Carl Sagan, der der Öffentlichkeit erstmals das Konzept des Nuklearen Winters vorstellte: Radikale Veränderungen im Klima, langanhaltende globale Temperaturabfälle – Ernteausfälle, Hungersnöte, Ökosystemstörungen, als Folge der atomaren Detonationen.
Die Debattenkultur war eine andere. Man konnte verschiedener Meinung sein und sich dennoch ausreden lassen. Als Journalistin habe ich gelernt, in meinen Auftritten meinen eigenen politischen Standpunkt außen vor zu lassen. Ich habe sieben politische Bücher geschrieben und kann behaupten, dass meine politischen Standpunkte dennoch nicht zu deuten wären. Ich betrachte mich als Individuum, das innerhalb eines Tages mühelos sowohl bei CNN als auch in der Show von Piers Morgan auftreten kann, ohne einen Widerspruch zu erzeugen. Meine Sicht ist die: Niemand befürwortet einen Atomkrieg, oder besser – niemand sollte einen Atomkrieg befürworten. Ich wünschte, es wäre heute möglich, Menschen wie Carl Sagan und Brent Scowcroft, die sich diametral gegenüberstanden, in einem gemeinsamen Raum debattieren zu lassen. Sie sagen zu hören: „I politely disagree“. Diese Nicht-Übereinstimmungen sind extrem wertvoll. Wir leben nun im Zeitalter der Polemik. Für mich hat ein Präsident eloquent zu sein, und in seiner Eloquenz ein Vorbild zu sein. Gerade aus dem Weißen Haus gekommene Beleidigungen nehmen mich stark mit. Mit dieser Sprache bin ich nicht erzogen worden, und ich glaube, viele andere Amerikanerinnen und Amerikaner auch nicht. Für mein Buch habe ich Brian Toon interviewt, einen von fünf Autoren des ersten Artikels über Nuklearen Winter, und ein Schüler Carl Sagans. Als der „Science“-Artikel erschien, war das US-Verteidigungsministerium sofort zur Stelle. Sie bezeichneten den Report als „sowjetische Propaganda“. Wie wir aus mittlerweile frei gegebenen Dokumenten wissen, war das Verteidigungsministerium wegen des Nuklearen Winters vielmehr in großer Sorge. Sie stellten Untersuchungen an, deren Ergebnis geheim bleiben sollte. Der entstandene Eindruck ist nun, da wir von diesen Bemühungen wissen, doch ein anderer: Die Regierung verheimlicht Erkenntnisse, die sie schlecht dastehen lassen würde.
Lagen Sagan und seine Kollegen richtig?
Die Berechnungen von Klimamodellen haben sich seit 1983 stark verbessert. Wir wissen heute: Der Nukleare Winter würde noch viel, viel schlimmer sein als von Sagan und seinen Kollegen theoretisiert. Der aufgewirbelte Ruß würde 70 Prozent der Sonneneinstrahlung blockieren. Die mittleren Breiten könnten von Eis-Schichten bedeckt werden. Von Iowa bis in die Ukraine würde die Nahrungsmittelproduktion zum Erliegen kommen. Der Tod der Agrarkultur. Milliarden zusätzliche Tote.
In Filmen wie „On the Beach“ wurde schon 1959 fantasiert, dass die ozeanischen Länder wie Australien eine Zuflucht vor dem globalen Fallout bieten könnten.
Brian Toon hat mir dazu in unseren Zoom-Meetings einige Powerpoint-Analysen präsentiert, er und seine Kollegen haben etliche Länder für ihre Klimaberechnungen bereist. Nach seiner Auffassung wären Australien und Neuseeland nicht chancenlos. They could bounce back and thrive. Ebenso wie der südlichste Zipfel Südamerikas.
Warum lassen Sie in ihrem Buch die Reaktionen anderer Atommächte, gerade der Nicht-NATO-Staaten wie Israel, Indien oder Pakistan, aus?
Ich wollte ein Buch schreiben, dass die Leute in zwei Nächten durchhaben, eines, das sie nicht weglegen würden. Und viele der von mir interviewten Menschen sind der Auffassung, dass ein nuklearer Konflikt ihren Ausgangspunkt in der NATO haben könnte. Princeton unterhält das Center for International Security Studies, die haben ein ausführliches Szenario entworfen, in dem der Krieg auf europäischem Boden beginnt. Ich wollte meine eigene Geschichte und habe mich deshalb für ein anderes Szenario entschieden. Viele meiner Quellen entstammen den USA, dem Command and Control meines Landes. Und meine Story könnte nur so gut sein wie meine Quellen, die Leute, die mich mit Informationen versorgten. Dies sind überwiegend amerikanische.
„Wir wissen nicht, was in Göbekli Tepe passierte“
Nach dem Overkill werden alle Monumente der Zivilisation von der Erde getilgt sein. Am Ende ihres Buchs verweisen Sie auf die türkische Göbekli Tepe, die ältesten uns bekannten Großbauten, die auf bis zu 10.000 Jahre vor Christus datieren und erst 1963 entdeckt wurden. Sie schreiben, etwas Ähnliches könnte wieder passieren: Zehntausende Jahre in der Zukunft würden neue Menschen ausgraben, was einst vor dem nuklearen Armageddon da war und erstmals von uns erfahren. Haben die weltweit verstreuten „Doomsday Vaults“ mit Artefakten der Menschheit dagegen keine Chance?
Viele dieser Vaults sind dahingehend konzipiert worden, dass Menschen in ihnen überleben könnten. Was wir vom NEMP wissen, dem mit einer Atombombendetonation einhergehenden Nuklearen Elektromagnetischen Impuls, ist der Ausfall des Stromnetzes. Vaults lassen sich mit Notstrom-Aggregaten betreiben, aber wenn der Treibstoff verbraucht ist, war’s das. Dann müssen die Menschen nach oben. Aber es stimmt, was drinnen unbeschädigt bleibt, bleibt. Seit der Arbeit an meinem Buch betrachte ich Architektur anders. Ich frage mich, was davon bleiben wird, wenn tausende Bomben hochgehen. An Göbekli Tepe hat mich gereizt, dass diese Stätte ihr Geheimnis bewahrt hat. Ihr damaliger Nutzen ist noch nicht geklärt. Wir haben einen Rover auf den Mars geschickt und lassen ihn dort umherfahren. Aber wir wissen nicht, was in Göbekli Tepe passierte. Was unsere eigenen Vorfahren dort taten. Göbekli Tepe stammt noch aus der Ära der Jäger und Sammler. Wie großartig Menschen damals schon waren. Es erinnert mich an den Schritt, den Menschen unternahmen – weg von der Ignoranz, hin zur Weisheit.
Hollywood-Regisseur Denis Villeneuve hat die Rechte an „72 Minuten bis zur Vernichtung“ erworben und will Ihr Buch verfilmen oder verfilmen lassen. Er hat’s mit den Atombomben. Schon in „Dune 2“ wird der Feind nicht durch futuristische Laserwaffen, sondern durch die gute alte Thermonuklearrakete besiegt.
Ich kann Ihnen leider noch nicht mehr zur Verfilmung sagen. Sie sind Journalist, ich bin Journalistin, wir wissen, wie wichtig es ist, Zusagen einzuhalten, Stillschweigen zu bewahren. Denis Villeneuve ist ein besonderer Regisseur und ein besonderer Autor. „Oppenheimer“ hat ihn zutiefst beeindruckt. Vielleicht erinnern Sie sich an die letzte Einstellung dieses Films. Man sieht Atomraketen aufsteigen. Auch in „Dune 2“ werden Atomraketen eingesetzt. Villeneuve hat eine klare Haltung: Wer Atombomben einsetzt, ist wahnsinnig.
„Ich war oft in der Bibliothek“
In Ihren Büchern über Geheimnisse des Militärs untersuchen Sie eine von Männern dominierte Welt. Gab es Männer, die Sie bei Ihrer Recherche nicht ernst nahmen?
Ich begann mein Journalistik-Studium in Princeton im Jahr 1985. Ich war oft in der Bibliothek. Die Bibliothekarin sagte: „Oh Honey, dates can’t take out books.“ Dann fing sie an zu lachen. Ich kann nicht für alle Frauen sprechen. Kenne nur meine eigene Realität. Musste sehr hart Arbeiten für meinen Erfolg. Ich musste hart arbeiten für mein Glück. Ich habe Ausdauer entwickelt.