70 Jahre Stephen King: Lachen mit Obama – Zoffen mit Trump
Von Obama gefeiert, von Trump verdammt: Stephen Kings Einfluss auf Kultur und Politik
Natürlich, die Worte klingen ein wenig gestelzt, an einem Ort wie diesem müssen sie wohl auch gestelzt klingen, inhaltlich ist diese Beschreibung jedenfalls korrekt: „Mr. King vereint eine bemerkenswerte Erzählweise mit scharfsinnigen Analysen der menschlichen Natur.“
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Ein unbezahlbares Motiv: Stephen King steht, ergraut, gebückt, im Smoking und – wann sah man das je zuvor? – mit Krawatte auf einem Podium. Hinter ihm der Star-Spangled Banner. Neben ihm: Barack Obama. Dann lässt die Sprecherin des Weißen Hauses einen Satz folgen, den man mit sehr großer Wahrscheinlichkeit noch nie zuvor auf einer Bühne gehört haben dürfte, auf der sich auch ein US-Präsident befand. „Seine Arbeiten in Horror, Suspense, Science-Fiction und Fantasy haben die Leser auf der ganzen Welt seit Jahrzehnten gleichermaßen entsetzt wie begeistert.“
2015 erhielt King die „National Medal of Arts“, die wichtigste staatliche Auszeichnung, die amerikanischen Kunstschaffenden verliehen werden kann. Übergeben wird die Medaille durch den US-Präsidenten selbst (der für den 1984 ins Leben gerufenen Preis nicht verantwortlich ist, über die Vergabe entscheidet die Kulturfördereinrichtung National Endowment for the Arts, NEA).
Mehr als 40 Jahre nach seinem Debüt „Carrie“ befand sich King, den Kritiker immer wieder als Groschenroman-Autoren bezeichnen, nun in Gesellschaft von Preisträgern wie Saul Bellow, John Updike, Philip Roth und Maurice Sendak.
Die Verleihung an King, Videos davon gibt es u.a. auf YouTube, dauert keine ganze Minute. Aber es steckt alles drin, Ernst, Würde, Humor, Selbstironie. King betritt die Bühne, es ist Barack Obama, der grinst, als sich beide die Hände schütteln. Während der Laudatio blickt King bescheiden zu Boden. Bis es zur Passage kommt, in der die Sprecherin betont, dass er die Menschen seit Jahrzehnten eben nicht nur begeistert, sondern auch entsetzt.
Preis für das „Entsetzen“
Leser zu „entsetzen“, das gehört natürlich zum Job eines Horrorschriftstellers. Aber für die Fähigkeit andere zu erschrecken einen Landespreis zu erhalten, überhaupt, das als Lob zu vernehmen, auf einer Bühne, neben sich der POTUS? Das klingt einfach zu komisch. Auch King erkennt das, er löst sich aus seiner steifen Haltung – und dreht sich zu Obama um. Nun ist King es, der grinst. Wie ein Junge.
Es ist einer dieser Momente, die so grandios gezwungen wirken, wann immer Politik Kultur ehrt.
Beide, King und Obama, erkennen das im gleichen Augenblick.
Der Präsident schaut jetzt ernst drein und hängt dem belustigten Meister des Grauens schnell die Medaille um.
Späte Genugtuung für Stephen King, der seine erste Geschichte 1965 veröffentlichte, in einem Fanzine. Horror habe nichts mit ernster Literatur zu tun, das sagten Kritiker ihm – und vor allem den nicht hören wollenden Lesern – seit Jahrzehnten gebetsmühlenartig. Horror sei „Genre“- Literatur. Zumindest unter den Schriftsteller-Kollegen gibt es einige wenige, die nach und nach ein Coming-out als King-Fans feierten, darunter Stewart O’Nan (der mit King gemeinsam auch Stories schrieb) Lee Child oder Bret Easton Ellis, der seinen Roman „Luna Park“ (2005) als Hommage an sein Vorbild verstanden wissen wollte. Dass Ellis die King-Referenzen erstmals Verrisse einbrachten, scheint ins Bild zu passen. Das Feuilleton vermittelte ihm: Junge, lass die Finger von dem Schmuddelkram.
Geben denn wenigsten die Zahlen King Recht? Natürlich. King weist auf ein Missverständnis hin: Es sei ein Fehler zu glauben, dass Millionen verkaufte Bücher einem Autoren schaden. Dass ein Schriftsteller schlechtere Arbeit abliefere, wenn er viel Geld verdient. Denn der Mann schreibt bis heute Geschichten, die sich kein anderer ausdenken könnte.
„Erfolg soll schlecht sein für die Kreativität?“, fragt King. „Und populäre Bücher sind keine guten Bücher?“. Dann, so schlussfolgert King, müsse er ja korrupt sein – dann schreibe er seine Werke nur des Geldes wegen, so, wie möglichst viele Leser sie haben wollen. „Meine Fans müssten ziemlich blöd sein, wenn sie darauf reinfielen.“ In der Literatur, sagt er, zählt nur eine Unterscheidung: langweilig oder nicht langweilig.
Nicht, dass Stephen King mit sich im Reinen ist. Zwar sagt er: „Ich habe den Ruhm verdient.“ Aber in nahezu jedem Vorwort, in dem er sich und seine Arbeit diskutiert, schreibt er auch: „Ich spüre die Grenzen meines Talents.“ Er stapelt regelmäßig tief: „Ich bin kein Autor für den Intellekt, sondern für die Nervenenden.“
Das ausgelöste Gefühl zählt, also das, was beim Leser etwas freisetzt. Weniger der kluge Gedanke des Autors. Wieder kokettiert King. Wer Nervenenden in Schwingungen versetzt, kann so schlecht nicht sein.
November 2016
„Legen Sie ihre Steuererklärungen offen!“, forderte Stephen King. „Sie sind ein tollwütiger Koyote!“. Er schoss gegen den US-Präsidenten. Allerdings gegen den neuen: Mit der Wahl Donald Trumps zum neuen POTUS brach für den Autoren eine Welt zusammen. „Als hätte ich es beschworen. Trump ist wie Jim Rennie oder Greg Stillson.“ Eine Anspielung auf zwei seiner Romanfiguren, aus „Under The Dome“ bzw. „The Dead Zone“. Der eine ist ein schmieriger Kleinstadtpolitiker, Gebrauchtwagenhändler und Meth-Fabrikant, der über Leichen geht. Der andere ist gar ein schmieriger Präsidentschaftsbewerber, der über Leichen geht.
Mittlerweile zählt Stephen King zu den prominentesten Stimmen der Literaten, die gegen den „Idioten“ Trump zu Felde ziehen, ähnliche Attacken fuhr bislang höchstens die britische Kollegin und „Harry Potter“-Autorin J.K. Rowling auf. King wurde inzwischen von Donald Trump auf Twitter blockiert – anscheinend hat er zu viele spöttische Nachrichten vom Horror-Meister erhalten.
Was könnte Stephen King schon gegen den mächtigsten Mann der Welt anrichten? Vielleicht ihm Angst machen. King kennt sein Geschäft. Und Trump hat Angst, Angst vor seinem Amtsvorgänger Barack Obama. Der habe ihn bespitzeln lassen, im Weißen Haus, orakelte Trump.
King wusste das anscheinend. Er tweetete: „Trump sollte wissen: Obama hat das Weiße Haus nie verlassen. Er sitzt im Schrank. ER HÄLT EINE SCHERE!“
Mindestens drei Jahre noch ist Trump im Amt. Stephen King spitzt sicher schon die Feder, vielleicht wird er den Präsidenten ja in einem neuen Roman verewigen.