Neunte Kunst

60 Jahre Mafalda: „Haltet die Welt an, ich will aussteigen“

Eine sechsjährige, kratzbürstige Philosophin eroberte in den 60er Jahren das Herz der Zeitungsleser. Auch heute noch sind die Comicstrips ein großer Spaß.

Comicstrips richten sich in erster Linie an Männer. Natürlich gibt es bei den „Peanuts“ die wunderbar gehässige Lucy, die einnehmende Sally und die von der Kritik später als queere Figur avant la lettre gefeierte Peppermint Patty. Aber die Stars blieben Charlie Brown, Linus und vor allem Snoopy. Nicht anders ist es bei Garfield, Hägar und Calvin & Hobbes. Alles männliche Figuren.

Doch auf dem Höhepunkt der Berühmtheit der „Peanuts“ wagte sich der argentinische Zeichner Quino 1964 an einen Strip, der von einer vorlauten Göre namens Mafalda handelt, die in einer Tour die gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten anprangert, die eigene Familie mit zynischen Geistesblitzen gegeneinander aufwiegelt und wohl der größte Beatles-Fan der Comicwelt ist. Eine Lisa Simpson, die alles andere als Musterschülerin ist und gerne auch mal ihre Klappe aufreißt.

„Haltet die Welt an, ich will aussteigen“ – das ist dann auch das eskapistische Mantra von Mafalda. Und das Mädchen mit dem Birnengesicht und der auffälligen Schleife im Haar lässt sich von ihrer oft garstigen Umwelt nicht beirren.

Die Comicstrips, die zunächst bis 1967 erst in einer Zeitschrift, später in der Tageszeitung erschienen und bis 1973 produziert wurden, gibt es in 26 verschiedenen Sprachen. Auch auf deutsch. Doch seit Jahren wurden sie nicht mehr neu aufgelegt. Ältere Bände aus dem „B&L“-Verlag und von Krüger gibt es zum Teil in gut erhaltenem Zustand auf ebay und Amazon. Manchmal auch zu etwas überteuerten Preisen.

Joaquin Salvador Lavado, besser bekannt als „Quino“, mit seiner Mafalda
Joaquin Salvador Lavado, besser bekannt als „Quino“, mit seiner Mafalda

Doch Mafalda, die eine zweite Karriere als Merchandisingheldin gemacht hat, bekommt ihr kleines Comeback zum 60. Geburtstag. Bei Carlsen ist ein Jubiläumsband mit ausgewählten Comicstrips erschienen. Schon 2021 brachte der Verlag in seiner „Bibliothek der Comic-Klassiker“ eine kleine Anthologie heraus.

Es ist erstaunlich, wie aktuell und frisch der Strip auch heute noch erscheint, wie mutig soziale Misstände angesprochen werden (mehrere Folgen handeln davon, wie Mafaldas Vater sein Gehalt nicht rechtzeitig ausgezahlt bekommt und wie dadurch der Autokredit der Familie zum Problem wird). Die Nebenfiguren sind dabei zwar ähnlich motiviert wie bei den von psychoanalytischem Witz angetriebenen „Peanuts“, aber sie stehen noch eher für soziologische Stereotypen. Das macht „Mafalda“ auch zu einem historischen Lehrstück für eine Zeit, in der noch viel von Aufbruch die Rede war, doch in der sich viele Hoffnungen schließlich als Seifenblasen entpuppten. Dagegen wirkten Comicblasen als ausgezeichneter Trost.

B&L
ALEJANDRO PAGNI AFP/Getty Images
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