50 Jahre HipHop: Wie ein musikalisches Jubiläum erfunden wird
Musikgeschichte trifft Marketing-Trick. Eine Blockparty mit Kool DJ Herc markiert den Beginn einer Ära.
Das 381 Meter hohe Empire State Building hat schon öfters die Farbe seiner Spitzengeschosse gewechselt. Das ikonische Gebäude in Midtown Manhattan wird bunt illuminiert zu historischen Anlässen oder auch während der Weihnachtstage, um auf Events in New York oder historische Jahrestage aufmerksam zu machen. Auch kommerzielle Marketing-Aktionen sind schon hier spektakulär zelebriert worden.
In der Nacht zu Donnerstag (10. August) erstrahlte das Art-Deco-Hochhaus, auf dem im Kino einst der Monster-Affe King Kong herumturnte, im goldenen Glanz.
Grund: Das weltweit größte Tonträgerlabel Universal Music feiert mit dieser Beleuchtungszeremonie 50 Jahre HipHop. Auftritte von aktuellen New Yorker Rappern wie Ja Rule, Ashanti und Jadakiss, die alle bei Def Jam (der Ex-Heimadresse der Beastie Boys und von Public Enemy) veröffentlichen, haben das Lichtspektakel musikalisch begleitet. Auch das Majorlabel Sony Music ist auf den Jubiläumszug aufgesprungen, veröffentlicht eine Compilation, und in Berlin, in Kooperation mit Ice T, das „Festival of Lights“ im „Hip-Hop 50-Hauptquartiers“ namens HQforty4. Ab dem 06. Oktober und 50 Wochen lang sollen Programme, Partys, Ausstellungen und Workshops angeboten werden. Ice-T: „Trust me, it’s going to be huge!“.
Der Auftakt zu einer ganzen Reihe von Liveshows, Events und Veröffentlichungen, die HipHop nicht nur in den USA das restliche Jahr 2023 über feiern werden. Eine eigens gegründete Stiftung, die auch Szene-affine Modemarken wie FUBU unterstützen, will in diesem Kontext Gelder für soziale Zwecke einsammeln. Die einstige „Ghetto Musik“, die spätestens über die Gangster Rapper zum Multi-Millionärs-Sound geworden ist, soll nun Projekte in heutigen Sozialbrennpunkten unterstützen.
Doch Moment mal:
Als Beginn des weltweiten HipHop-Siegeszuges wurde bislang in der Musikgeschichts-Schreibung die erste Vinyl-Veröffentlichung „Rapper’s Delight“ der von Produzentin Sylvia Robertson zusammengewürfelte Party-Truppe Sugarhill Gang festgemacht. Eine Maxi-Single aus dem Jahr 1979, welche die bis dahin nur live in der Kombination mit Breakdance und Graffiti zu erlebenden Vorstadt-Events erstmals auf Vinyl bannte. Sechs Jahre später also als der nun verkündete Urknall.
Auf der eigens geschaffen Website Jubiläums-Website liest sich das dann so:
„Im Aufenthaltsraum eines Wohnblocks in der Sedgwick Avenue veranstaltet der achtzehnjährige Clive Campbell mit seiner jüngeren Schwester Cindy eine Party zum Schulanfang. Freunde und Nachbarn tanzen zu den bewährten Soul- und Funk-Klängen von James Brown, Aretha Franklin oder The Meters. Doch hier hat sich etwas geändert …
Hinter zwei Plattenspielern spielt Clive, besser bekannt als DJ Kool Herc, zwei Kopien derselben Platte ab. Eine Technik, die später „Karussell“ bekannt wurde und bei der man sich von einer Platte zur nächsten hin und her bewegt. Die Percussion-Teile jedes Tracks werden beliebig wiederholt, um den Beat am Leben zu halten. Und inmitten dieser Gemeinschaft von Tänzern, Künstlern, Musikern und Dichter wird HIPHOP GEBOREN.“
Möglicherweise hat es diese Party des aus Kingston stammenden Turntable-Wizards wirklich gegeben.
Und natürlich kannte er die Platten-Mix-Technik von den Soundsystems seiner jamaikanischen Heimat. Doch es war die Ära der großen Verelendung in den schwarzen Stadtvierteln der Bronx und in Brooklyn, verbunden mit hartem Drogenkonsum und erbitterten Revierkämpfen der Gangs. Mit Africa Bambaataa, dem Anführer der eher spirituellen Zulu Nation, gelang es in jener Zeit ebenfalls einem DJ, die Gewalt der Vorstädte in musikalische Energie zu verwandeln. Als Meister der Mixtechnik entwickelte wiederum Grandmaster Flash, der später mit seiner Rap-Truppe Furious Five unterwegs war, ab Mitte der 1970er bahnbrechende Sound-Techniken.
Es war und ist also nicht ein erster Live-Auftritt, wie etwa bei den Beatles oder den Rolling Stones, der einen Urknall auslöste, sondern eine vielfältige kulturelle und soziale Bewegung. Es bleibt zu wünschen, dass die natürlich aus Gründen des „Katalog-Marketings“ erdachte Kampagne „50 Jahre HipHop“ auch den bollernden Breithosen-Rappern heutiger Tage etwas von jenen Underground-Wurzeln vermittelt.
Die Gier nach dem schnellen, großen Geld stand irgendwann in den 19070ern in New York jedenfalls nicht am Anfang eines weltweiten Musik-Phänomens.