50. 16. Mai 1983: Moonwalk-Magie – Mit choreografischer Finesse macht Michael Jackson „Thriller“ zum erfolgreichsten Album aller Zeiten
„Ich hielt ‚Billie Jean‘ schon für eine der tollsten Scheiben aller Zeiten, bevor ich Michael bei ,Motown 25‘ sah“, erzählt Antonio „LA“ Reid, früher Boss von Island/Def Jam. „Aber wie er da über die Bühne glitt, das war wie ein Erdbeben. Ich hatte ständig mit Breakdancern zu tun, die solche Sachen probierten, aber geschafft hatte es nie einer. Es sah aus, als wäre er ein Roboter.“ Vor diesem Fernsehauftritt am 16. Mai 1983 zum 25. Jubiläum von Motown hatte Jackson sein Managementbüro mit einer Bitte angerufen: „Besorgt mir einen Hut, so einen coolen Fedora – etwas, das ein Geheimagent tragen würde.“ Jackson wollte „Billie Jean“ bringen, das seit mehreren Wochen auf Platz eins der Singles-Charts stand. Er hatte wochenlang geprobt, doch am Abend vor der Aufzeichnung ging er runter in die Küche seiner Villa, setzte den coolen Hut auf, drehte die Stereoanlage auf Anschlag und begann, neue Tanzschritte zu üben. Später sagte er, er habe versucht „einen Breakdance-Schritt, so eine Popping-Geschichte“ zu perfektionieren, die ihm ein paar HipHop-Kids beigebracht hatten. „Ich wusste nur, dass ich in der Bridge gleichzeitig vorwärts und rückwärts laufen wollte. Wie jemand, der auf dem Mond spazieren geht.“ Jacksons Choreografie zu „Billie Jean“ ist eine der spannendsten Tanzeinlagen in der Geschichte des Fernsehens, doch eigentlich war alles nur Vorspiel für die wenigen Sekunden, in denen er der Welt den „Moonwalk“ vorstellte. Jackson erzählte später, Fred Astaire habe ihn am nächsten Tag angerufen und gesagt:„Du bist ein Wahnsinnstänzer.“ Astaire hatte die Show sogar auf Video aufgenommen und Jacksons Schrittfolgen genauestens analysiert. Jacksons „Thriller“, veröffentlicht im Dezember 1982, war schon dabei, Verkaufsrekorde zu brechen, und die dazugehörigen Videos hatten bei MTV für andere schwarze Musiker wie Prince die Türen geöffnet. Doch der Auftritt bei „Motown 25“ machte aus dem Hit ein Phänomen: Fünf weitere Nummer-eins-Singles folgten, und das Album hielt sich 37 Wochen an der Spitze der US-Charts. Bis heute wurden von „Thriller“ weltweit 40 Millionen verkauft, was Jackson einen Eintrag ins „Guinness Buch der Rekorde“ eingebracht hat. „Irgendwann“, behauptet Walter Yetnikoff, damals Chef von Jacksons Plattenfirma CBS, „dachte das Smithsonian-Museum daran, eine eigene Abteilung für Michael Jackson aufzumachen. Mit ,Thriller‘ hat dieser junge Mann die Welt in Flammen gesetzt.“
49. Sommer 1984: Deutschlands Gemütsmusik – Herbert Grönemeyer besingt „Bochum“
Er hatte seit 1979 vier Alben veröffentlicht, bei „der Intercord“, wie er sie viele Jahre später noch immer – beinahe zärtlich – nannte. Die Verkaufszahlen blieben bescheiden, die Kritik kümmerte sich um die Neue Deutsche Welle. Liedermacher florierten nicht. Nach „Gemischte Gefühle“, seiner bisher besten Platte, wurde der Vertrag mit Herbert Grönemeyer gekündigt. EMI Electrola in Köln verhalf dem 28-jährigen Theatermusiker und Schauspieler zu einer weiteren Chance. Im Frühjahr 1984 erschien die Single „Männer“, Grönemeyer ging auf Ochsentour durch die deutschen Musiksendungen und Fernseh-Shows, hüpfte im Regionalprogramm vor bonbonfarbenen Kulissen am Keyboard, schüttelte den Scheitel. „Männer“ wurde in einer Endlosschleife im Radio gespielt, plötzlich wollten alle ein Interview mit Herbert. Dann erschien, im August, „4630 Bochum“, erreichte die Spitze der Charts, blieb 78 Wochen in der Liste. Später, in den 90er Jahren, wurde auch eine Neuauflage auf den vorderen Plätzen notiert. Grönemeyer hatte das Album im EMI-Tonstudio II im Maarweg in Köln aufgenommen, von Januar bis März 1984. Zur Seite standen ihm seine „Jungs“ – Norbert Hamm (Bass) und Alfred Kritzer (Keyboards), Gaggy Mrotzek (Gitarre) und Jakob Hansonis (Gitarre). Charly Mariano steuerte ein schräg tönendes Saxofon bei. „In dem Solo bei ,Bochum‘ sind auch noch ein paar falsche Töne“, erinnert sich Grönemeyer. Das passt freilich so gut zu der Hommage an die graue, marode Grubenstadt mit dem Herzen auf dem rechten Fleck. „Alkohol“ und die Ballade „Flugzeuge im Bauch“ beflügelten das Album zusätzlich, auch die zeittypisch kritische Hommage an „Amerika“ fand ein dankbares Publikum, das von den Nachrüstungsplänen verunsichert war. Die Panik jener Zeit und diffuse Ängste vor Schrecken wie der Volkszählung sind in „Jetzt oder nie“ erfasst: „Sie werden dich fotografiern/ Sie werden dich registriern/ Du verbaust dir dein ganzes Leben/ Die Zeit rennt weg/ Wir müssen’s angehn.“ Lieder um Eifersucht, Beziehungsknatsch und den neuen Morgen der Liebe hat nie jemand auf deutsch – Lindenberg ausgenommen – so gefühlig vernuschelt wie Grönemeyer. Mit „Mambo“ beschließt sogar ein humoristischer Song „4630 Bochum“. Es dauerte bis zum Jahr 2002, bis dieses Werk von deutschem Gemüt übertroffen wurde – von Herbert Grönemeyers „Mensch“.
48. 14. September 1984: Garantiert keine Jungfrau – Madonna schockt bei den ersten „MTV Video Music Awards“
„Die Leute im Publikum hielten den Atem an“, schildert Madonnas langjährige Publizistin Liz Rosenberg den Auftritt ihres Schützlings bei den allerersten „MTV Video Music Awards“ im Jahr 1984. „Ein Freund flüsterte mir zu: ‚Ihre Karriere ist zu Ende, bevor sie richtig losgegangen ist.‘ Ich war natürlich starr vor Schreck.“ Madonna sang „Like a Virgin“ und trug dazu etwas, das entfernt an ein Hochzeitskleid erinnerte – weißes Bustier und zerfetztes Tutu, garniert mit Spitzenhandschuhen, gefährlich hochhackigen Schuhen, Klunkern um den Hals und einem Tüllschleier, den es nicht lange auf ihrem Kopf hielt. Zu Beginn ihres Auftritts tanzte sie auf einem gigantischen Hochzeitskuchen, am Ende rollte sie auf der Bühne herum, vollführte unaussprechliche Dinge mit ihrem Schleier und gönnte den Millionen vorm Fernseher einen ausgiebigen Blick auf ihre Unterwäsche. „Keiner von uns hätte gedacht, dass sie es so weit treiben würde“, meint Rosenberg. „Manche lagen vor ihr auf den Knien, andere fanden sie ekelhaft.“ Huey Lewis, der an diesem Abend auch auftrat, bewunderte Madonnas Courage: „Das war kein spontaner Einfall. Sie hatte das schon bei den Proben gemacht. Es war ein geplanter, geschichtsträchtiger Moment. Sie wusste, wie man mit dem Medium Fernsehen umgehen musste. Wir wussten das ganz offensichtlich nicht.“ MTV, damals gerade mal drei Jahre alt, wollte sich von „seriösen“ Preisverleihungen wie den „Grammys“ absetzen. Das funktionierte. „Wir hatten vor, eine Show zu machen, die das Image von MTV transportiert und gegen den Strich geht“, erklärt John Sykes, der die ersten „VMAs“ als Executive Producer begleitete. „Als wir all diese hydraulischen Lifts und Bühnenapparaturen in der Radio City Hall entdeckten, freuten wir uns wie die Kinder. Wir hatten jede Menge coole Effekte, aber ich werde nie die Blicke unserer Werbepartner in der ersten Reihe vergessen, als Madonna rauskam und sich in ihrem Jungfrauendress auf dem Boden wälzte. Am nächsten Tag gab es Diskussionen, aber keiner meinte, wir hätten das verhindern müssen.“. „Manche lagen vor ihr auf den Knien, andere fanden sie ekelhaft.“ Huey Lewis, der an diesem Abend auch auftrat, bewunderte Madonnas Courage: „Das war kein spontaner Einfall. Sie hatte das schon bei den Proben gemacht. Es war ein geplanter, geschichtsträchtiger Moment. Sie wusste, wie man mit dem Medium Fernsehen umgehen musste. Wir wussten das ganz offensichtlich nicht.“ MTV, damals gerade mal drei Jahre alt, wollte sich von „seriösen“ Preisverleihungen wie den „Grammys“ absetzen. Das funktionierte. „Wir hatten vor, eine Show zu machen, die das Image von MTV transportiert und gegen den Strich geht“, erklärt John Sykes, der die ersten „VMAs“ als Executive Producer begleitete. „Als wir all diese hydraulischen Lifts und Bühnenapparaturen in der Radio City Hall entdeckten, freuten wir uns wie die Kinder. Wir hatten jede Menge coole Effekte, aber ich werde nie die Blicke unserer Werbepartner in der ersten Reihe vergessen, als Madonna rauskam und sich in ihrem Jungfrauendress auf dem Boden wälzte. Am nächsten Tag gab es Diskussionen, aber keiner meinte, wir hätten das verhindern müssen.“. Die futuristischsten Bühnenbauten wirkten reizlos im Vergleich zu dieser Frau. Es ist der einzige Auftritt, an den man sich auch nach 24 Jahren noch erinnern kann. MTV ist inzwischen rund um den Globus vertreten, und das Budget der „VMAs“ ist acht Mal höher als 1984. Was sich nicht geändert hat, ist der ständige Versuch, den Schockwert der Erstauflage wieder zu erreichen. Gelungen ist das nur selten: Howard Stern 1992 als „Fart Man“ in Stretchhosen mit freigelegtem Po. Der Kuss, den Michael Jackson 1994 seiner damaligen Frau Lisa Marie Presley verabreichte. Und, noch nicht so lange her, eine Neuauflage von „Like A Virgin“, als Madonna ihre Zunge in Britney Spears’ Mund versenkte (und danach noch Christina Aguilera küsste, allerdings etwas halbherzig). „Nach der Madonna-Performance im ersten Jahr war uns klar, dass wir in jeder Show mindestens einen solchen ‚Oh, wow!‘-Moment haben mussten“, meint Sykes. „Das war von Anfang an der Plan. Über welche Szene würden sich die Leute am nächsten Tag aufregen?“ Bisher hat jedoch keine(r) Madonna die Skandalköniginnen-Krone abnehmen können.
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16. Mai 1983: Moonwalk-Magie – Mit choreografischer Finesse macht Michael Jackson „Thriller“ zum erfolgreichsten Album aller Zeiten
„Ich hielt ‚Billie Jean‘ schon für eine der tollsten Scheiben aller Zeiten, bevor ich Michael bei ,Motown 25‘ sah“, erzählt Antonio „LA“ Reid, früher Boss von Island/Def Jam. „Aber wie er da über die Bühne glitt, das war wie ein Erdbeben. Ich hatte ständig mit Breakdancern zu tun, die solche Sachen probierten, aber geschafft hatte es nie einer. Es sah aus, als wäre er ein Roboter.“ Vor diesem Fernsehauftritt am 16. Mai 1983 zum 25. Jubiläum von Motown hatte Jackson sein Managementbüro mit einer Bitte angerufen: „Besorgt mir einen Hut, so einen coolen Fedora – etwas, das ein Geheimagent tragen würde.“ Jackson wollte „Billie Jean“ bringen, das seit mehreren Wochen auf Platz eins der Singles-Charts stand …
Copyright: WireImage/KMazur
Er hatte wochenlang geprobt, doch am Abend vor der Aufzeichnung ging er runter in die Küche seiner Villa, setzte den coolen Hut auf, drehte die Stereoanlage auf Anschlag und begann, neue Tanzschritte zu üben. Später sagte er, er habe versucht „einen Breakdance-Schritt, so eine Popping-Geschichte“ zu perfektionieren, die ihm ein paar HipHop-Kids beigebracht hatten. „Ich wusste nur, dass ich in der Bridge gleichzeitig vorwärts und rückwärts laufen wollte. Wie jemand, der auf dem Mond spazieren geht.“ Jacksons Choreografie zu „Billie Jean“ ist eine der spannendsten Tanzeinlagen in der Geschichte des Fernsehens, doch eigentlich war alles nur Vorspiel für die wenigen Sekunden, in denen er der Welt den „Moonwalk“ vorstellte. Jackson erzählte später, Fred Astaire habe ihn am nächsten Tag angerufen und gesagt:
Copyright: NBC via Getty Images/NBC
„Du bist ein Wahnsinnstänzer.“ Astaire hatte die Show sogar auf Video aufgenommen und Jacksons Schrittfolgen genauestens analysiert. Jacksons „Thriller“, veröffentlicht im Dezember 1982, war schon dabei, Verkaufsrekorde zu brechen, und die dazugehörigen Videos hatten bei MTV für andere schwarze Musiker wie Prince die Türen geöffnet. Doch der Auftritt bei „Motown 25“ machte aus dem Hit ein Phänomen: Fünf weitere Nummer-eins-Singles folgten, und das Album hielt sich 37 Wochen an der Spitze der US-Charts. Bis heute wurden von „Thriller“ weltweit 40 Millionen verkauft, was Jackson einen Eintrag ins „Guinness Buch der Rekorde“ eingebracht hat. „Irgendwann“, behauptet Walter Yetnikoff, damals Chef von Jacksons Plattenfirma CBS, „dachte das Smithsonian-Museum daran, eine eigene Abteilung für Michael Jackson aufzumachen. Mit ,Thriller‘ hat dieser junge Mann die Welt in Flammen gesetzt.“
Copyright: WireImage/Ron Galella
Sommer 1984: Deutschlands Gemütsmusik – Herbert Grönemeyer besingt „Bochum“
Er hatte seit 1979 vier Alben veröffentlicht, bei „der Intercord“, wie er sie viele Jahre später noch immer – beinahe zärtlich – nannte. Die Verkaufszahlen blieben bescheiden, die Kritik kümmerte sich um die Neue Deutsche Welle. Liedermacher florierten nicht. Nach „Gemischte Gefühle“, seiner bisher besten Platte, wurde der Vertrag mit Herbert Grönemeyer gekündigt. EMI Electrola in Köln verhalf dem 28-jährigen Theatermusiker und Schauspieler zu einer weiteren Chance. Im Frühjahr 1984 erschien die Single „Männer“, Grönemeyer ging auf Ochsentour durch die deutschen Musiksendungen und Fernseh-Shows, hüpfte im Regionalprogramm vor bonbonfarbenen Kulissen am Keyboard, schüttelte den Scheitel …
Copyright: Redferns/Bernd Mueller
„Männer“ wurde in einer Endlosschleife im Radio gespielt, plötzlich wollten alle ein Interview mit Herbert. Dann erschien, im August, „4630 Bochum“, erreichte die Spitze der Charts, blieb 78 Wochen in der Liste. Später, in den 90er Jahren, wurde auch eine Neuauflage auf den vorderen Plätzen notiert. Grönemeyer hatte das Album im EMI-Tonstudio II im Maarweg in Köln aufgenommen, von Januar bis März 1984. Zur Seite standen ihm seine „Jungs“ – Norbert Hamm (Bass) und Alfred Kritzer (Keyboards), Gaggy Mrotzek (Gitarre) und Jakob Hansonis (Gitarre). Charly Mariano steuerte ein schräg tönendes Saxofon bei. „In dem Solo bei ,Bochum‘ sind auch noch ein paar falsche Töne“, erinnert sich Grönemeyer. Das passt freilich so gut zu der Hommage an die graue, marode Grubenstadt mit dem Herzen auf dem rechten Fleck …
Copyright: Redferns/Bernd Mueller
„Alkohol“ und die Ballade „Flugzeuge im Bauch“ beflügelten das Album zusätzlich, auch die zeittypisch kritische Hommage an „Amerika“ fand ein dankbares Publikum, das von den Nachrüstungsplänen verunsichert war. Die Panik jener Zeit und diffuse Ängste vor Schrecken wie der Volkszählung sind in „Jetzt oder nie“ erfasst: „Sie werden dich fotografiern/ Sie werden dich registriern/ Du verbaust dir dein ganzes Leben/ Die Zeit rennt weg/ Wir müssen’s angehn.“ Lieder um Eifersucht, Beziehungsknatsch und den neuen Morgen der Liebe hat nie jemand auf deutsch – Lindenberg ausgenommen – so gefühlig vernuschelt wie Grönemeyer. Mit „Mambo“ beschließt sogar ein humoristischer Song „4630 Bochum“. Es dauerte bis zum Jahr 2002, bis dieses Werk von deutschem Gemüt übertroffen wurde – von Herbert Grönemeyers „Mensch“.
Copyright: Getty Images/Peter Bischoff
14. September 1984: Garantiert keine Jungfrau – Madonna schockt bei den ersten „MTV Video Music Awards“
„Die Leute im Publikum hielten den Atem an“, schildert Madonnas langjährige Publizistin Liz Rosenberg den Auftritt ihres Schützlings bei den allerersten „MTV Video Music Awards“ im Jahr 1984. „Ein Freund flüsterte mir zu: ‚Ihre Karriere ist zu Ende, bevor sie richtig losgegangen ist.‘ Ich war natürlich starr vor Schreck.“ Madonna sang „Like a Virgin“ und trug dazu etwas, das entfernt an ein Hochzeitskleid erinnerte – weißes Bustier und zerfetztes Tutu, garniert mit Spitzenhandschuhen, gefährlich hochhackigen Schuhen, Klunkern um den Hals und einem Tüllschleier, den es nicht lange auf ihrem Kopf hielt. Zu Beginn ihres Auftritts tanzte sie auf einem gigantischen Hochzeitskuchen, am Ende rollte sie auf der Bühne herum, vollführte unaussprechliche Dinge mit ihrem Schleier und gönnte den Millionen vorm Fernseher einen ausgiebigen Blick auf ihre Unterwäsche. „Keiner von uns hätte gedacht, dass sie es so weit treiben würde“, meint Rosenberg …
Copyright: Getty Images/Michael Putland
„Manche lagen vor ihr auf den Knien, andere fanden sie ekelhaft.“ Huey Lewis, der an diesem Abend auch auftrat, bewunderte Madonnas Courage: „Das war kein spontaner Einfall. Sie hatte das schon bei den Proben gemacht. Es war ein geplanter, geschichtsträchtiger Moment. Sie wusste, wie man mit dem Medium Fernsehen umgehen musste. Wir wussten das ganz offensichtlich nicht.“ MTV, damals gerade mal drei Jahre alt, wollte sich von „seriösen“ Preisverleihungen wie den „Grammys“ absetzen. Das funktionierte. „Wir hatten vor, eine Show zu machen, die das Image von MTV transportiert und gegen den Strich geht“, erklärt John Sykes, der die ersten „VMAs“ als Executive Producer begleitete. „Als wir all diese hydraulischen Lifts und Bühnenapparaturen in der Radio City Hall entdeckten, freuten wir uns wie die Kinder. Wir hatten jede Menge coole Effekte, aber ich werde nie die Blicke unserer Werbepartner in der ersten Reihe vergessen, als Madonna rauskam und sich in ihrem Jungfrauendress auf dem Boden wälzte. Am nächsten Tag gab es Diskussionen, aber keiner meinte, wir hätten das verhindern müssen.“ …
Copyright: Michael Ochs Archives
Die futuristischsten Bühnenbauten wirkten reizlos im Vergleich zu dieser Frau. Es ist der einzige Auftritt, an den man sich auch nach 24 Jahren noch erinnern kann. MTV ist inzwischen rund um den Globus vertreten, und das Budget der „VMAs“ ist acht Mal höher als 1984. Was sich nicht geändert hat, ist der ständige Versuch, den Schockwert der Erstauflage wieder zu erreichen. Gelungen ist das nur selten: Howard Stern 1992 als „Fart Man“ in Stretchhosen mit freigelegtem Po. Der Kuss, den Michael Jackson 1994 seiner damaligen Frau Lisa Marie Presley verabreichte. Und, noch nicht so lange her, eine Neuauflage von „Like A Virgin“, als Madonna ihre Zunge in Britney Spears’ Mund versenkte (und danach noch Christina Aguilera küsste, allerdings etwas halbherzig). „Nach der Madonna-Performance im ersten Jahr war uns klar, dass wir in jeder Show mindestens einen solchen ‚Oh, wow!‘-Moment haben mussten“, meint Sykes. „Das war von Anfang an der Plan. Über welche Szene würden sich die Leute am nächsten Tag aufregen?“ Bisher hat jedoch keine(r) Madonna die Skandalköniginnen-Krone abnehmen können.
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Juni 1985: Sunset Superstars – Guns N’Roses hängen in Los Angeles alle anderen Hair-Metaller ab
„Als die Drogen und die Jasager kamen, ging die Band vor die Hunde“, erinnert sich Bassist Duff McKagan an seine Zeit mit Guns N’Roses. „Aber an manchen Abenden waren wir die verflucht beste Band auf diesem Planeten!“ Ihr erster Gig im Juni 1985 gehörte nicht dazu. Als McKagan, die Gitarristen Slash und Izzy Stradlin, Drummer Steven Adler und Sänger W. Axl Rose an jenem Abend ihr Debüt im „Troubadour“ gaben, bestand das Publikum aus genau zwei Leuten. Der Sunset Strip war damals Hauptstadt des Hair-Metal, in der aufstrebende junge Rocker scharenweise Bands nach dem Vorbild der lokalen Legenden Mötley Crüe gründeten. Die Mitglieder von Guns N’Roses teilten sich ein Einzimmer-Appartement am Sunset Boulevard, das sie Hellhouse nannten …
Copyright: Getty Images/Marc S Canter
Es gab kein Badezimmer, keine Dusche, keine Küche. Es war so eng, dass nur drei Leute gleichzeitig schlafen konnten. An diesem tristen Ort entstand der größte Teil von „Appetite For Destruction“. „Eines Abends besorgten wir uns ein paar akustische Gitarren und Bongos und schrieben ‚Nighttrain‘“, erzählt McKagan. „Night Train tranken wir, weil die Flasche nur 1,19 Dollar kostete und das Zeug einem das Gefühl gab, gleichzeitig besoffen und auf Acid zu sein.“ Doch das reichte offensichtlich nicht: Ausgerechnet in der Nacht, in der sie die Heroin-Hymne „Mr. Brownstone“ schrieben, erwischte Slash eine Überdosis. „Wir probierten mexikanisches Heroin – Izzy und seine Freundin brachten mich zurück“, sagt er. „Das waren lustige Zeiten.“ …
Copyright: Getty Images/Marc S Canter
Es gab kein Badezimmer, keine Dusche, keine Küche. Es war so eng, dass nur drei Leute gleichzeitig schlafen konnten. An diesem tristen Ort entstand der größte Teil von „Appetite For Destruction“. „Eines Abends besorgten wir uns ein paar akustische Gitarren und Bongos und schrieben ‚Nighttrain‘“, erzählt McKagan. „Night Train tranken wir, weil die Flasche nur 1,19 Dollar kostete und das Zeug einem das Gefühl gab, gleichzeitig besoffen und auf Acid zu sein.“ Doch das reichte offensichtlich nicht: Ausgerechnet in der Nacht, in der sie die Heroin-Hymne „Mr. Brownstone“ schrieben, erwischte Slash eine Überdosis. „Wir probierten mexikanisches Heroin – Izzy und seine Freundin brachten mich zurück“, sagt er. „Das waren lustige Zeiten.“ …
Copyright: Getty Images/Marc S Canter
13. Juli 1985: Ritter der Armen – Bob Geldof organisiert mit „Live Aid“ die Mutter aller Benefiz-Konzerte. 1,5 Milliarden schauen zu.
Wer sich zu Recht Popstar nannte, war an diesem Tag ins Londoner Wembley Stadium gekommen: Pete Townshend, in einen abgewetzten blauen Bademantel gehüllt, umarmte Elton John. Paul McCartney und David Bowie posierten kichernd in grauen Anzügen für die Fotografen. Irgendwo über ihnen saß Phil Collins in einer Concorde, auf dem Weg von Wembley nach Philadelphia, um bei beiden „Live Aid“-Konzerten auftreten zu können. An Bord traf er Cher und lud sie spontan ein, bei ihm mitzusingen. „Das hier ist wie 100 000 Ed Sullivan Shows“, staunte Tom Petty hinter der Bühne des John F. Kennedy-Stadions in Philly. Die Namen auf den Wohnwagen lasen sich wie ein „Who’s Who“ der Rockmusik: Eric Clapton, Bob Dylan, Robert Plant, Neil Young, die Beach Boys, Crosby, Stills & Nash, Madonna …
Copyright: Getty Images/Terry Disney
Mick Jagger ließ mit Tina Turner bei „State Of Shock“ und „It’s Only Rock’n’Roll“ die Hüften kreisen. Dylan brachte „Blowin’ In The Wind“ mit Keith Richards und Ron Woods. Collins sang drei Lieder mit Sting und spielte Schlagzeug für Plant und Jimmy Page bei „Stairway To Heaven“. U2 sorgten mit „Sunday Bloody Sunday“ für feuchte Augen, Queen ließen sich die große Show nicht nehmen. Und dann gab es noch das Allstar-Finale, bei dem in Wembley alle „Do They Know It’s Christmas“ anstimmten, in Philly „We Are The World“. „Wenn wir es schlau genug anstellen“, meinte Geldof, „ziehen wir der Welt so viel Kleingeld aus der Tasche, dass wir einen Teil der Welt damit am Leben erhalten können. Weil Kleingeld dieses Jahr der Preis für ein Leben ist, Leute.“
Copyright: Redferns/Mike Cameron
Juli 1986: Showdown gegen die Strahlung – Beim fünften „Anti-WAAhnsinns-Festival“ nahe Wackersdorf protestiert die gesamte Deutschrock-Elite
Angst hatten alle. Vor Champignons und Beeren. Und dass Tschernobyl kein Einzelfall bleiben würde. Der Super-GAU dort bestätigte am 26. April 1986 allen, was Atomkraft-Gegner schon lange befürchtet hatten: dass Kernenergie niemals wirklich kontrollierbar ist. Die Stimmung in Deutschland zeigte sich auf Tausenden von knallbunten „Atomkraft? Nein, danke!“-Stickern, die plötzlich überall waren. Es waren jetzt nicht mehr bloß ein paar hundert komische Autonome, sondern vom Staat bislang als unverdächtig eingestufte Bürger, die Widerstand anmeldeten und keinen Atommüll mehr haben wollten, zumindest nicht in ihrer näheren Umgebung. Nun sollte dummerweise genau zu diesem Zeitpunkt im oberpfälzischen Wackersdorf eine Wiederaufbereitungsanlage entstehen …
Copyright: Redferns/Bernd Mueller
Gegner hatten bereits ein Hüttendorf errichtet, immer wieder wurden Demonstranten festgenommen. Das erste „Anti-WAAhnsinns-Festival“ in Burglengenfeld fand schon 1982 statt, aber erst das fünfte, am 26. und 27. Juli 1986, entpuppte sich als Showdown gegen die Strahlung: Es wurde das größte deutsche Festival aller Zeiten, zu dem nicht nur 120 000 Besucher kamen, sondern die gesamte Elite des sogenannten Deutschrock. Es war gerade die große Zeit der deutschen Rockmusik. Die NDW war abgeebbt, der Spaß vorbei. Spätestens bei „Live Aid“ und „Nackt im Wind“ hatten die hiesigen Musiker ihr soziales Gewissen entdeckt, da kam Wackersdorf gerade recht. Sie wollten für die Auftritte kein Geld, und ausnahmsweise verzichteten sie auch auf Eitelkeiten. Die Toten Hosen fanden sich damit ab, dass sie neben „diesen Rockleuten“ wie Wolf Maahn und Herbert Grönemeyer auf der Bühne stehen sollten …
Copyright: Redferns/Bernd Mueller
do Lindenberg pfiff auf sein Panikorchester und ließ sich von einer auch nicht üblen Band namens BAP begleiten. Natürlich fehlten auch bayrische Lokalhelden wie Haindling und die Biermösl Blosn nicht. Alle sprachen von Solidarität und hatten Spaß dabei. Das Wort „Gutmensch“ spielte noch keine Rolle. Es war das eine Wochenende in Deutschland, an dem Pop und Protest zusammenkamen, ohne peinlich zu sein. Am Ende sangen alle zusammen noch „Sag mir, wo die Blumen sind“, und Rio Reiser krähte „Over The Rainbow“. Nach 28 Stunden Programm waren alle redlich erschöpft, die Arbeit war getan. Der Bau der WAA Wackersdorf wurde drei Jahre später eingestellt. Die Proteste gingen später im britischen Sellafield weiter, wo dann einer der großen Protestler der 80er Jahre aktiv wurde: Bono.
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Sommer 1987: Rap für die Massen – Run-DMC und die Beasties machen HipHop populär
„Die ‚Together Forever‘-Tour verschaffte jedem eine Einladungskarte“, erinnert sich DMC von Run-DMC. „Sie brachte HipHop in die Vorstädte. Jeder konnte dabei sein, ob Weißer, Japaner oder sonst was.“ Im Sommer 1987, als Run-DMC und die Beastie Boys zusammen auf Tour gingen, konnten sich Erstere im Glanz der Verkaufszahlen sonnen, die ihr bestes Album, „Raising Hell“ (1986), und der Superhit „Walk This Way“ einfuhren. Die Beastie Boys, deren kurz zuvor veröffentlichtes „Licensed To Ill“ sich anschickte, das meistverkaufte Rap-Album der 80er Jahre zu werden, hatten ein Jahr vorher noch im Vorprogramm von Run-DMC gespielt, was bedeutete, dass sie in städtischen Sporthallen vor einem vorwiegend schwarzen Publikum auftreten mussten. „Wir dachten, Mann, wenn die Beasties rauskommen, werden die Schwarzen sich Hotdogs holen“, fasst DMC die Lage auf dieser Tour zusammen. „Aber sie blieben – und es gefiel ihnen sogar.“ Nach dem Erfolg von „Licensed To Ill“ füllten die beiden Bands zusammen auf einmal riesige Stadien, die vorwiegend weiße Fans anzogen …
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„Das war das erste Mal, dass eine große HipHop-Show dort Station machte, wo sonst Styx oder solche Leute spielten“, erklärt Beastie Boy Mike D. „Plötzlich stehst du vor Leuten, die dich ein Jahr vorher noch verprügelt hätten. Und viele, die kamen, hatten ganz bestimmte Erwartungen. Es war fast, als würden wir eine Rolle spielen.“ Was sie in gewisser Weise auch taten, denn die meisten Geschichten von Drogen, Schießereien und anderen Missgeschicken auf „Licensed To Ill“ stammten aus zweiter Hand. „Freunde von uns rauchten Angel Dust und erzählten uns dann die wildesten Geschichten“, meint Rick Rubin, der „Licensed To Ill“ und „Raising Hell“ produzierte. „Für uns waren das nur nette Anekdoten.“ Auf Tour änderte sich das: „Irgendwann kam durch den vielen Alkohol die Persönlichkeit zum Vorschein, über die sie sich auf ,Licensed To Ill‘ noch lustig gemacht hatten.“ …
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„Eines Abends schwamm so viel Bier auf der Bühne rum, dass MCA ausrutschte“, erzählt DMC. „Er schlug hart auf, und es wurde auf einmal ganz still. Wir dachten, er wäre tot. Dann rappelte er sich auf, mit einem Loch im Kopf, und lachte.“ Hinter der Bühne ging es heiter weiter. „Der höchste Grad an Blödsinn, der je in der Kunst des Blödsinnigseins erreicht wurde“, so Reverend Run. Streiche spielen war besonders beliebt. „Wir steckten den Leuten Schnitzel in die Hose oder Eiswürfel ins Bett. Einmal ging ich in meiner Garderobe auf die Toilette und landete mitten auf einer Wurstplatte. Ich saß zwischen lauter Schinken und Truthahn, und die anderen lachten mich aus.“ Viel wichtiger als diese Kapriolen war jedoch: HipHop hatte bewiesen, dass er keine Grenzen kannte und keine Eintagsfliege war. „Als Run-DMC und die Beasties sich zusammentaten“, meint DMC, „wurden Public Enemy geboren, Kid Rock, Eminem – HipHop war nicht länger auf das Ghetto beschränkt.“ „Wenn die Leute uns fragten: ‚Wo werdet ihr in zehn Jahren sein?’“, sagt DMC zum Schluss, „pflegten wir zu antworten: ‚Wir werden genau hier sein und euch ein Interview geben.’“
Copyright: WireImage/Ron Galella
Herbst 1990: Zukunftsfähig – Im gerade wiedervereinten Berlin erfinden Bono und The Edge eine neue Version von U2
Als U2 merkten, dass sie dem Pathos von „The Joshua Tree“ schon bei der dazugehörigen Amerika-Tour – dokumentiert durch den überernsten „Rattle And Hum“-Film – nichts Sinnvolles mehr hinzuzufügen hatten, taten sie, was auch gewöhnliche Menschen tun, wenn sie in einer Sackgasse gelandet sind: Sie legten sich neue Frisuren zu und entschieden sich für einen Tapetenwechsel. Ihr nächstes Album wollten sie im Hansa-Studio zu Berlin aufnehmen. U2 reisten ausgerechnet am 3. Oktober 1990 in der zukünftigen Hauptstadt an – am offiziellen Tag der Wiedervereinigung. Die Band wollte ein bisschen mitfeiern, geriet dann aber leider in einen Protestmarsch gegen den Mauerfall. Ein denkwürdiger Start, und ähnlich planlos ging es erst mal weiter …
Copyright: Redferns/Michel Linssen
Songs hatten sie nicht dabei, die mussten erst geschrieben werden, doch die Stimmung war nicht recht ermutigend. Larry Mullen Jr. war schlecht gelaunt wegen all der Drum-Maschinen, Adam Clayton fand das Hansa-Studio und ganz Deutschland irgendwie „dunkel und bedrückend“. Bono und The Edge hielten trotzdem an ihrer Vision fest. Gemeinsam mit den Produzenten Daniel Lanois, Brian Eno und Flood wollten sie eine neue, zukunftsfähige Version von U2 schaffen, und der Albumtitel sollte das schon andeuten: „Achtung Baby“! Bisher hatten die Iren sich nie getraut, in ihren Songs das Wort „Baby“ einzubauen, nun kam es 27-mal vor. Alles sollte etwas weniger bedeutungsschwanger wirken, ein bisschen moderner …
Copyright: Getty Images/Anna Krajec
Songs hatten sie nicht dabei, die mussten erst geschrieben werden, doch die Stimmung war nicht recht ermutigend. Larry Mullen Jr. war schlecht gelaunt wegen all der Drum-Maschinen, Adam Clayton fand das Hansa-Studio und ganz Deutschland irgendwie „dunkel und bedrückend“. Bono und The Edge hielten trotzdem an ihrer Vision fest. Gemeinsam mit den Produzenten Daniel Lanois, Brian Eno und Flood wollten sie eine neue, zukunftsfähige Version von U2 schaffen, und der Albumtitel sollte das schon andeuten: „Achtung Baby“! Bisher hatten die Iren sich nie getraut, in ihren Songs das Wort „Baby“ einzubauen, nun kam es 27-mal vor. Alles sollte etwas weniger bedeutungsschwanger wirken, ein bisschen moderner …
Copyright: Al Pereira
17. August 1991: Anarchie bei MTV – Mit „Smells Like Teen Spirit“ wurde Indie-Rock zum Mainstream
„Kurt hasste Mainstream“, konstatiert Krist Novoselic. „Darum ging es in ‚Smells Like Teen Spirit’: die Konformität der Masse und ihr konformes Denken.“ Am 17. August 1991 drehten Nirvana, ein Underground-Trio aus dem Großraum Seattle, in einem Studio in Culver City das Video zu „Smells Like Teen Spirit“, der ersten Single-Auskopplung aus ihrem noch unveröffentlichten Album „Nevermind“. Der Clip, schnell zusammengestrickt von Regie-Neuling Sam Bayer, war eine subversive Persiflage auf das übliche MTV-Futter: Nirvana spielen in einer High-School-Sporthalle vor begeisterten Fans, dazu schwenken hübsche Cheerleader ihre Pompoms. Nur dass die Mädchen das Wort „Anarchie“ auf ihre Pullover gekritzelt haben, die Kids Pogo tanzen und die Band – Drummer Dave Grohl, Bassist Novoselic und Sänger/Gitarrist/Songwriter Kurt Cobain – zum Playback den Mund auf- und zuklappen. Das Video änderte Nirvanas Leben schlagartig …
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Im Oktober ’91, als die Band in Nordamerika tourte, lief „Smells Like Teen Spirit“ auf MTV praktisch ununterbrochen. Club-Gigs wurden zu ausverkauften Triumphzügen, die Albumverkäufe schossen in die Höhe. Im Januar ’92 stand „Nevermind“ auf Platz eins der Album-Charts. Doch die locker-poppige Bösartigkeit und schweißgetränkten visuellen Details des „Teen Spirit“-Videos warben auch höchst effektiv für etwas viel Größeres: die Erfindung des Punk-Metal und die Indie-Ideale einer neuen Generation von Seattle-Bands. Mit Nirvana als Speerspitze stürmten Soundgarden, Pearl Jam, Alice in Chains, Screaming Trees und Mudhoney die Radio-Playlists und Album-Charts und wurden der Pop-Mainstream der nächsten fünf Jahre. „Eine zufällige Ansammlung von Außenseitern, die sich gegenseitig keinen großen Druck machten“, beschreibt Mudhoney-Sänger Mark Arm die glorreiche Zeit, bevor die Talentscouts wie Heuschrecken über die Stadt herfielen und nach „Grunge-Bands“ Ausschau hielten. „Es gab einen Kern von vielleicht 50 Leuten, die man bei fast jedem Konzert sah“, ergänzt Mudhoneys Drummer Dan Peters. Viel Geld war damals nicht zu holen …
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Sub Pop, das beliebteste lokale Label, verband strenge Sparsamkeit mit unfehlbarem Musikgeschmack und brachte Platten von vielen wichtigen Seattle-Bands jener Zeit heraus, darunter auch Nirvana. Als die Band, 1987 von Cobain und Novoselic gegründet, 1989 ihr Album „Bleach“ aufnahm, kostete Sub Pop das den kolossalen Betrag von 606,17 Dollar. Das wilde Leben hatte aber auch seine Schattenseiten. Heroin war unter den Rockmusikern in Seattle weit verbreitet. Unfähig, seine Sucht zu bezwingen und geschüttelt von Selbstzweifeln, beging Cobain am 5. April 1994 Selbstmord und brachte damit Seattles Renaissance zu einem frühen Ende. Das letzte Opfer war Sänger Layne Staley von Alice in Chains, dessen langer Abstieg in die Drogenhölle 2002 mit einer tödlichen Überdosis endete. „Der Hype damals, wie sie die Musik hochgejubelt haben – das hinterließ bei allen Spuren“, erzählte Pearl Jam-Sänger Eddie Vedder letztes Jahr. „Damit musste man erst mal fertig werden.“ Doch auf dem Höhepunkt des Ruhms gab es kaum etwas Aufregenderes, als eine Band aus Seattle zu sein. „Du hattest zehn Jahre Musik gemacht und nie ein Publikum gehabt“, erinnerte sich Vedder 1999. „Dann, plötzlich, hattest du eins. Und das wollte jeder auskosten.“
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Anfang 1992: Superstarfighter – In Hamburg regt sich eine kritische Indie-Szene
Helmut Kohl saß buddhagleich an der Spitze des Staates und Selbstzufriedenheit war der König von Deutschland, die Wiedervereinigung und der damit verbundene falsche Nationalismus standen vor der Tür. Wer jung war, musste sich entscheiden: entweder, ohne zu murren ins System einsteigen, einen Job annehmen, Karriere machen – oder einen Widerspruch formulieren. In der deutschen Popmusik hatte das Nicht-Einverstandensein damals keine laute Stimme. Die Neue Deutsche Welle war in Klamauk und Kuriositäten abgeebbt, die deutsche Sprache galt als peinlich, wurde nur von wohlsituierten Rockern benutzt, um – egal, worum es gerade ging – Betroffenheit zu simulieren und damit viel zu viele Platten zu verkaufen …
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Doch es waren zwei Veröffentlichungen auf Alfred Hilsbergs What’s So Funny About-Label, die Anfang 1992 die Aufmerksamkeit auf die neue Szene lenkten: das Debüt der Band Blumfeld, „Ich Maschine“, und „Reformhölle“, das zweite Album von Cpt. Kirk &. Thomas Groß schrieb in der „taz“ anlässlich der beiden Veröffentlichungen über diese Bands, die „radikales Juvenilsein zum Programm erhoben haben, das mit Lesefrüchten von Adorno bis hin zu Luhmann kredenzt wird“, und prägte – in Analogie zur Frankfurter Schule – den Begriff Hamburger Schule. Viele – wie das im Pop nun mal so ist: vor allem Ältere – reagierten irritiert auf diese ernsten jungen Menschen, spöttelten von „Studentenmusik“ und „Seminarprosa“, doch wir fühlten mit Blumfeld-Sänger Jochen Distelmeyer: „Rock’n’Roll hat meinem Leben einen neuen Sinn gegeben…“
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Januar 1994: „Blur are a bunch of middle class wankers“, tönte Noel Gallagher in der ihm eigenen verbindlichen Art, „trying to play hardball with a bunch of working class heroes.“ Und Damon Albarn konterte höhnisch, Oasis seien nicht mehr als eine lausige Kopie von Status Quo. Das saß. Immerhin sahen sich Oasis auf Augenhöhe mit den Beatles und den Stones. Und wie damals in den Sixties sollte es einen Kampf bis aufs Messer geben. Ein doppelter Irrtum. Denn erstens waren die Beatles und Stones eng befreundet. Und zweitens funktionierte ihre Dominanz des Pop-Globus nach dem Prinzip: Teile und herrsche! Man achtete sorgsam darauf, einander nicht in die Quere zu kommen, schon gar nicht auf dem prestigeträchtigen Boden der Charts. Zu viel stand auf dem Spiel. Weshalb sich die Herren Lennon/McCartney und Jagger/Richards regelmäßig mit ihren Kalendern in den Clubs von Soho trafen, um Veröffentlichungsdaten anstehender Singles zu koordinieren …
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So vermied man, etwa „Paint It Black“ gegen „Paperback Writer“ antreten zu lassen oder „Hey Jude“ gegen „Jumpin’ Jack Flash“. Eine Kombination aus Cleverness und gegenseitigem Respekt. Faktoren, die den Nahkampf der Britpop-Streithansel nicht belasteten. Hier herrschten Hybris und gegenseitige Verachtung. Doch erwies sich das Rennen um Platz 1 im Rückblick als recht unbedeutend. Zwar siegte Blurs „Country House“ denkbar knapp und ironischerweise nur, weil der Vertrieb des Oasis-Labels versagte, aber die eklatanten Umsatz-Unterschiede der beiden folgenden LPs zerstreuten die geringsten Zweifel an der Hackordnung im Reich des Britpop. Er hätte den Wettstreit damals liebend gern verloren, so Albarn später, wenn alle Blur-Alben zusammen sich so prächtig hätten verkaufen lassen wie allein „(What’s The Story) Morning Glory?“.
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Herbst 1996: OK Paranoia – Radiohead dekonstruieren die Rockmusik
„Es sollte ein richtig flottes Album mit einer Menge Samples werden“, beschreibt Radiohead-Sänger Thom Yorke, wie er sich ihr drittes Album „OK Computer“ ursprünglich vorstellte. „Doch dann kam alles anders – die Samples waren zu langsam, und ich bekam die optimistischen Songs nicht hin.“ Was stattdessen kam – dramatisch verzerrte Gitarren und Prä-Millenniums-Blues, das meiste davon aufgenommen im Herbst 1996 in St. Catherine’s Court, einem Landsitz aus dem 15. Jahrhundert im Süden Englands – war, in Yorkes Worten, „alles ein bisschen…vergiftet.“ Und es war ein kreatives Meisterwerk. Radioheads Porträt einer bröckelnden Weltordnung stand in England ganz oben in den Charts und schaffte es in Amerika als ihr erstes Album in die Top 30. „OK Computer“ machte aus Yorke den neuen Angry Young Man des Rock …
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„Eines Abends schwebte eine dunkle Wolke über mir“, erzählt er. „deshalb schloss ich mich in meinem Zimmer ein und betrank mich.“ Unterdessen arbeiteten die Gitarristen Ed O’Brien und Jonny Greenwood, Jonnys Bass spielender Bruder Colin und Drummer Phil Selway mit Toningenieur und Coproduzent Nigel Godrich an den Instrumentalparts zu „Paranoid Android“. Als Yorke am nächsten Tag erwachte, war er von dem Ergebnis hingerissen. „Ich kriegte den Gesang gleich beim ersten Take hin“, sagt er, „weil mich diese Energie so ankurbelte.“ Mithilfe ihres mobilen Studios nahmen Radiohead die basic tracks in einem riesigen Ballsaal auf – und viel von Yorkes Gesang war, wie bei „Paranoid Android“, schon nach dem ersten Versuch im Kasten …
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Die Zeile „Kicking, squealing Gucci little piggy“ kam ihm in einer schlaflosen Nacht in L.A., nachdem er beobachtet hatte, wie eine Frau in einer Bar ausflippte, weil ihr jemand einen Drink aufs Kleid gekippt hatte: „Diese Frau hatte einen Blick drauf, so was hatte ich noch nie gesehen… Sie wurde zur Furie.“ „Um Computer geht es eigentlich gar nicht“, fügt er hinzu. „Es waren nur die Geräusche, von Computern und Fernsehern, die fast anderthalb Jahre in meinem Kopf herumgespukt hatten.“ Und er weiß genau, an welchem Punkt sich dieses Chaos in etwas Besonderes und Dauerhaftes verwandelte: „Als wir ‚Airbag‘ abmischten, spielte Nigel es richtig laut, und ich dachte: ‚Das hätten wir uns nie träumen lassen, dass wir so etwas schaffen.‘ Ich war so glücklich, dass ich meine Freundin anrief, nur um ihr zu sagen: ‚Wow, wir haben etwas richtig, richtig Tolles hingekriegt.‘“
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Sommer 1998: Die Geburt des Slim Shady – White men can rap: Eminem kommt mit „My Name Is“ groß raus
1997 hatte Eminem eine einjährige Tochter und sonst nicht viel. Entschlossen, dem Musikbusiness noch eine letzte Chance abzuringen, nahm er die „Slim Shady“-EP auf und zog von Detroit nach Los Angeles. Dort entdeckte Dr. Dre sein Demo, das im Büro von Interscope-Chef Jimmy Iovine herumlag. „Ich war kurz vorm Ausrasten, hatte viel mit Drogen und anderem abgefucktem Scheiß zu tun, weil ich so deprimiert war“, erzählte Eminem später. „Als Dre anrief, rettete er mir das Leben.“ „An unserem ersten Tag“, so Dre, „arbeiteten wir fünf oder sechs Stunden und hatten am Schluss vier Songs im Kasten.“ „My Name Is“ war einer davon. „Em traute sich kaum zur Tür rein, ein ganz schüchterner Junge“, meint Richard „Segal“ Huredia, der am Mischpult saß …
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„Doch sobald er vor dem Mikro stand, kam diese Energie raus und all die verschiedenen Stimmen – so was hatten wir noch nie gehört. Irgendwann groovten wir alle mit.“ „My Name Is“ präsentierte erstmals Eminems böses Alter Ego Slim Shady, einen Gras rauchenden, Trips schmeißenden Säufer, der schon mal droht, Pamela Anderson die Titten abzureißen. Zeilen wie „I just found out my mom does more dope than I do“ gaben bereits eine Ahnung von nachfolgenden Beleidigungsklagen und der Entfremdung zwischen Eminem und seiner Mutter Debbie Mathers-Briggs. Und hinter den Kulissen wurde Em das erste Mal Homophobie vorgeworfen: Das einprägsame Keyboard-Riff des Stücks erinnerte ein bisschen zu stark an „I Got The“ von Schwulenaktivist Labi Siffre, der daraufhin durchsetzte, dass Em eine Passage des Textes änderte …
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„My Name Is“ schaffte es in den Billboard-Charts nicht höher als Platz 36 und war doch ein unvergesslicher Einstieg für Eminem. Der konnte mit dem Song bald nichts mehr anfangen und weigerte sich, ihn live zu singen: „Er hing mir schon nach drei Monaten zum Hals raus. “ „Irgendwann wurde ihm der Song zu groß und er fing an, sich dagegen aufzulehnen“, meint Eminems Manager Paul Rosenberg. Das hielt ihn nicht davon ab, eine Art Fortsetzung zu schreiben – „The Real Slim Shady“ von der „Marshall Mathers“-LP – und den Track auch als Inspiration für „The Way I Am“ zu verwenden, einen weiteren Mathers-Klassiker. „,My Name Is‘ war der größte Hit auf seinem ersten Album, und er hatte das Gefühl, nie wieder etwas abliefern zu können, das derart in die Ohren geht – und so glaubwürdig ist“, meint Rosenberg. Und ganz unrecht hatte Eminem mit dieser Prophezeiung nicht.
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Herbst 1998: Gratis-Sounds für alle – Napster kurbelt den illegalen MP3-Handel an
„Sie steckten mich mit jemandem zusammen, der ständig Party machte und Kurse schwänzte, um obskure Rap-Songs runterzuladen“, erzählt Shawn Fanning von seiner Zeit als Erstsemester an der Northeastern University, wo ihm die Idee für Napster kam. Zehn Jahre ist das jetzt her. „Am Wochenende kamen seine Freunde zum Feiern, und er versuchte zu erklären, wo er die Musik her hatte.“ MP3-Dateien runterzuladen dauerte damals noch ewig, und die Qualität ließ oft zu wünschen übrig. Fanning selbst verwendete eine Art Instant-Messaging-Programm, um Songs zu tauschen, dachte aber, es müsste einen einfacheren Weg geben. Bald beschäftigte ihn die Entwicklung von Napster so sehr, dass auch er anfing, den Unterricht zu schwänzen. Im Januar 1999 brach er das Studium ab und zog als Untermieter in das Büro seines Onkels in Massachusetts, um sich ganz auf Napster zu konzentrieren …
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Die ersten Versionen des Programms überließ Fanning ein paar Freunden zum Testen. „Dann bekamen es auch Leute in die Hand, die ich nicht kannte“, sagt er. „Der Server hatte die Maximalzahl von 100 Usern schnell erreicht.“ Innerhalb weniger Monate zog Napster Hunderte, Tausende, dann Millionen Nutzer an, die alle digitalisierte Songs tauschten, ohne etwas dafür zu bezahlen. Als die Musikindustrie endlich mitbekam, was da lief, hatte sich Napster schon längst wie ein Buschbrand verbreitet. Am Höhepunkt des Booms im Sommer 2000 gab es 58 Millionen registrierte Nutzer, die über 450 Millionen Stücke zum Tausch anboten. In einer Reihe von Prozessen, die sich über zwei Jahre hinzogen, wurde Napster – mittlerweile ein richtiges, im kalifornischen San Mateo beheimatetes Unternehmen – von Metallica, Dr. Dre und dem Verband der amerikanischen Musikindustrie (RIAA) wegen Copyright-Verletzung verklagt …
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Januar 2001: New Yorker Retrolution – Mit einem Demo-Tape definieren The Strokes den Gitarrenrock der Nuller
„Ich ging in die ‚Luna Lounge’ und sah mir diese Band an, von der es hieß, sie könne sich einen Produzenten leisten. Ich brauchte Geld.“ So erinnert sich Gordon Raphael an sein erstes Strokes-Konzert. Bald darauf wurden Albert Hammond Jr. und Nick Valensi in Raphaels „Transporterraum NYC“-Kellerstudio im East Village vorstellig, um die Details seines „drei-Songs-in-drei-Tagen“-Angebots zu besprechen. Man wurde handelseinig. In jenen drei Tagen schufen die Musiker mit Raphael den Strokes-Sound – oder vielmehr: sie ließen Realität werden, was Julian Casablancas zuvor detailgenau ersonnen hatte. „Julian hatte konkrete Vorstellungen“, bestätigt Raphael. „Zudem kommunizierte er seine Ideen auf interessante Weise, eher wie ein Maler oder Regisseur als wie ein Rock-Musiker.“ Casablancas findet derweil, der Produzent könne „wunderbar Schwingungen auffangen“. Weshalb Raphael auch verstand, wie die Strokes klingen sollten: Nämlich so, wie eine zu ihrer Zeit ungehörte Platte, die jemand in ferner Zukunft finden würde, so Casablancas’ kryptische Vorgabe …
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Dessen ungeachtet bediente man sich durchaus moderner Mittel. Raphael verkabelte altes Equipment mit acht Mikrophonen und nahm das sich daraus ergebende Signal mit der Recording-Software „Audio Logic“ auf. Und da Casablancas beim Songwriting eine Drum Machine benutzte, bat er darum, Fabrizio Morettis Schlagzeug ebenso klingen zu lassen. Der metallisch klickende Polter-Drum-Sound der Strokes war geboren. Als Leader und alleiniger Komponist war Casablancas also bereits damals unumstritten: „Julian hat von Anfang an alles geschrieben und es gab nie einen Grund, daran etwas zu ändern“, erklärt Albert Hammond Jr. Neben ersten Demo-Aufnahmen und täglichen Proben in Manhattan’s „Music Building“ spielten die Strokes im Jahre 2000 insgesamt elf Shows in ihrer Heimatstadt, das letzte in der ziemlich angesagten „Mercury Lounge“. Booker der Lounge war der 22-jährige Ryan Gentles. Ein paar Wochen später kündigte Gentles den Job und übernahm das Management der Strokes. In seiner ersten Amtshandlung beauftragte er Matt Hickey, einen anderen Booker der „Mercury Lounge“, Kontakt mit Rough-Trade-Chef Geoff Travis aufzunehmen. Hickey spielte Travis das Strokes-Demo angeblich am Telefon vor, woraufhin dieser die Band nach London bat, um sie unter Vertrag zu nehmen.
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Oktober 2001: Die Ära der weißen Kopfhörer – Der iPod revolutioniert die Hörgewohnheiten
„Ich war total von den Socken“, schwärmt Moby. „Dass sämtliche CDs meiner Sammlung auf diesem kleinen MP3-Player Platz haben sollten, schien unglaublich.“ Für Apple-Chef Steve Jobs und die rund 100 Entwickler, die neun Monate auf den 23. Oktober 2001, offizieller Starttermin des iPod, hingearbeitet hatten, gab es dagegen nie Zweifel, dass dieses schlanke, weiße Etwas die Welt der Musik verändern würde. „Als ich das erste Mal einen Prototyp in der Hand hielt, waren nur 100 Songs darauf gespeichert, aber das reichte“, meint Jobs. „Die Sache war einfach klar.“ Allerdings hätten wir erwartet, dass Moby ein paar mehr CDs im Regal stehen hat: Der erste marktreife iPod bot lediglich Platz für 1 000 Stücke; die aktuelle High-End-Version speichert mit einer Kapazität von 160 Gigabyte ein Vielfaches …
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Das Gerät setzt von Anfang an Maßstäbe in Größe und Design (auch wenn die Klangqualität mit den plötzlich altmodisch wirkenden CDs immer noch nicht mithalten kann) und revolutioniert unsere Hörgewohnheiten. An den ästhetischen und technischen Vorgaben des iPod müssen sich seitdem alle Mitbewerber messen lassen. Der millionenfach verkaufte Player ist ohne Zweifel ein kulturelles Phänomen. Auch wenn der Markt aktuell gesättigt scheint und die Zahlen im Vorweihnachtsgeschäft 2007 nicht den Erwartungen entsprachen. Quasi nebenbei – iTunes diente von Anfang an allein der Absatzföderung des iPods – gelang es Apple als zunächst einzigem Anbieter ein erfolgreich arbeitendes legales Musik-Portal am Markt zu etablieren …
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Irgendwann arbeiteten sogar DJs mit dem iPod. Es gab „Bring-your-iPod“-Abende und völlig Fremde stöpselten sich auf der Straße gegenseitig in ihre Player ein. „Überall sah man die weißen Kopfhörer,“ so Moby. Die Zeiten, in denen man als iPod-Besitzer insbesondere in amerikanischen Großstädten gar um sein Leben fürchten musste, sind aber wohl vorbei. Der Prestige-Wert des Geräts hat zuletzt ein bisschen unter Massenfertigung und damit einhergehender Preissenkung gelitten. In einschlägigen Foren wird über den angeblich schlechteren Klang der neuen Generation geklagt. Der Hype ist abgeflaut, der iPod beinahe ein selbstverständlicher Alltagsgegenstand geworden. Vielleicht ist das die eigentliche Revolution.
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Oktober 2005: Die Blitzkarriere – Arctic Monkeys beflügeln den Web 2.0-Mythos
In jenem ereignisreichen Jahr 2005 überschlugen sich die Meldungen. Dauernd hörte man von dieser jungen, aufregenden Band aus Sheffield, der es angeblich alleine mit Hilfe des Internet gelungen war, einen enormen Bekanntheitsgrad zu erlangen. Die Zukunft, so schien es, hatte begonnen. Die Verursacher des Aufruhrs stellte man sich folglich als typische Vertreter einer neuen, mit dem Internet aufgewachsenen Generation vor, die sich nun anschickte, althergebrachte Vertriebsstrukturen und Abhängigkeitsverhältnisse über den Haufen zu werfen …
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Man war also überrascht, als der Sänger der Band, Alex Turner, einem bald darauf erklärte, das alles sei „ein riesiges Missverständnis“. Die Band wolle nichts weiter als Platten aufnehmen. Er selbst, so Turner weiter, sei am Internet nicht interessiert und habe nicht einmal einen Computer. Nun gehen Verwässerungen ja stets mit bedeutenden Ereignissen einher. Der schon jetzt unausrottbare Mythos von der reinen Internet-Karriere der Arctic Monkeys ist jedoch besonders fatal. Eine kurze Chronologie: Im Sommer 2005 verteilt die Band bei Konzerten ihr Demo. Fans stellen die Gratis-Musik ins Internet. Ein Freund macht seinerseits Songs auf der AM-Website verfügbar …
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Die Säle werden größer, die Presse aufmerksam. Der Hype steigt exponentiell zu jeder neuen Meldung. Arctic Monkeys veröffentlichen eine selbst produzierte Single und spielen am 6. Oktober im ausverkauften Londoner „Astoria“. Kurz danach, am 29. Oktober, erscheint der „NME“ mit der ersten Titelgeschichte. Inzwischen überbieten sich die Labels, die Band unterschreibt bei Domino. Arctic Monkeys erreichen nun ein Vielfaches ihrer vorherigen Internetgemeinde: Das am 30.1.2006 erscheinende „Whatever People Say I Am, That‘s What I‘m Not“ wird schnellstverkauftes britisches Debüt aller Zeiten. Für die Band der Beginn einer weiter andauernden Karriere. Ohne klassische Filtermedien und Plattenvertrag hätten sie vermutlich nach kurzer Zeit dem nächsten Web-Sensatiönchen weichen müssen.
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Sommer 1967: Hippie-Happening – In San Francisco erblüht der „Summer of Love“
Der Sommer der Liebe begann im Winter. Am 14. Januar 1967 versammelten sich 20 000 Hippies, Beats und Berkeley-Aktivisten zum ersten „Human Be-In“ auf dem Polo Field, einem großen Versammlungsort im Golden Gate Park von San Francisco. Es spielten The Grateful Dead und Jefferson Airplane, Allen Ginsberg veranstaltete gewaltige Atemübungen, und Timothy Leary beschwor: „Turn on, tune in and drop out.“ Der zukünftige ROLLING STONE-Redakteur Ralph J. Gleason beschrieb das Ereignis im „San Francisco Chronicle“ als „eine Affirmation, kein Protest. Acid war überall, aber es gab keine üblen Trips. Die Sonne ging unter, die Bands spielten, und die Menschen leuchteten.“
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Von 1965 bis 1967 schwoll die Bevölkerungszahl von Haight-Ashbury von 15 000 auf geschätzte 100 000 an. „Man konnte recht billig dort leben“, sagt Grace Slick. „Man mietete sich ein altes viktorianisches Haus, und dann verteilten sich acht Kids auf drei Etagen.“ Tagsüber „spazierte man sehr langsam die Haight Street entlang, plauderte mit den Ladenbesitzern, teilte sich einen Joint, redete über die Regierung, trank einen Kaffee. Es war wie eine freundliche Mall.“ Als der Sommer kam, erreichte die Hippie-Bewegung ihren Höhepunkt. Im Golden Gate Park wurde regelmäßig gegen den Vietnamkrieg protestiert, die Doors und Jefferson Airplane spielten beim „Magic Mountain Music Festival“, und in Haight-Ashbury eröffnete das Straight Theater.
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Die Belastung durch die Überbevölkerung zwang allerdings viele der Anwohner zum Betteln. Das war die Szene, die George Harrison erlebte, als er den Golden Gate Park am 7. August 1967 besuchte. Nachdem er und seine Frau Patti Boyd ein paar orangefarbende Trips eingeworfen hatten, stiegen sie in Haight-Ashbury aus ihrer Limousine. „Ich dachte, die Leute hätten alle ihre eigenen kleinen Läden“, sagte Harrison. „Und dass sie nett und sauber und freundlich und glücklich sein müssten.“ Aber was Harrison sah, waren „furchtbare, picklige kleine Teenager“, die um Geld bettelten und ihn drängten, für sie Gitarre zu spielen. Er klimperte eine Strophe aus „Baby, You’re A Rich Man“, aber als das Acid zu wirken begann, wusste er den Text nicht mehr, und das versammelte Publikum begann zu buhen. „Ich hab nichts dagegen, dass man aus irgendwas aussteigt“, sagte Harrison. „Was ich nicht mag, ist, wenn man es auch anderen aufzwingen will und Leute anbettelt.“
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Februar 1967: Clowns im Chaos – Die Beatles nehmen mit Gästen „Sgt. Pepper“ auf
Am Freitag, dem 10. Februar 1967, gaben die Beatles eine Party in den EMI-Studios an der Abbey Road im Nordwesten Londons. Anlass: die Aufnahme von 24 Takten improvisiertem Crescendo, gespielt von einem 40-köpfigen Orchester für „A Day In The Life“, den Schlusssong ihres damals gerade entstehenden Meisterwerks „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“. Zu den Special Guests gehörten Mick Jagger, Keith Richards, Donovan und Michael Nesmith von den Monkees. Auf Bitten der Beatles trugen die Orchestermitglieder Abendgarderobe, dazu Karnevalskäppis, Clownsnasen, falsche Brustwarzen sowie, im Falle des ersten Geigers, eine Gorillapfote als Bogenhand. Die Toningenieure Geoff Emerick und Ken Townsend nahmen das musikalische Chaos auf zwei miteinander verbundenen Vier-Spur-Bandmaschinen auf, damit war es die erste Achtspuraufnahme in England überhaupt …
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„Es dauerte nur eine Dreiviertelstunde, die Bandmaschinen zu synchronisieren“, sagt Townsend. „Das Anstrengendste war, die Dinger die Treppe hoch in den Regieraum zu schleppen.“ Der ganze Abend resultierte in nur 30 Sekunden Musik (die im Song zweimal verwendet wurden). Aber die Session war typisch für die lustvolle Frechheit, mit der John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr bei „Sgt. Pepper“ ans Werk gingen. „Wir hatten es satt, die Beatles zu sein“, sagte McCartney mit Blick auf die schwarzen Anzüge und die kreischenden Mädchen, die sie nach ihrem Abschied von der Bühne im Sommer 1966 hinter sich gelassen hatten. „Wir waren keine Jungen mehr, wir waren Männer. Künstler, nicht Performer.“ „Sgt. Pepper“ war der bewusst überspitzte Beweis dafür, und ein Meilenstein, was den Technicolor-Sound, das durchgängige Konzept und auch die Songwriting-Ambitionen betraf. Fast jeden Ton des Albums nahmen die Beatles in einem einzigen Raum auf, in Abbey Roads bescheidenem, weiß gestrichenem Studio Two …
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Juni 1967: Elektrische Schocks – Jimi Hendrix und Otis Redding begeistern beim „Monterey Pop Festival“
„Ich möchte euch einen sehr guten Freund vorstellen, einen Landsmann von euch“, sagte Brian Jones von den Rolling Stones 1967 beim „Monterey International Pop Festival“ an der kalifornischen Küste. „Er ist der aufregendste Performer, den ich je gehört habe. The Jimi Hendrix Experience.“ Hendrix hatte die große Ankündigung nötig. Trotz seines Erfolgs in England mit „Are You Experienced?“ war er in seiner Heimat Amerika praktisch unbekannt. Er kam in Gypsyweste, Stirnband und einem leuchtend orangefarbenen krausen Hemd auf die Bühne und stürzte sich in glühende Versionen von „Killing Floor“ und „Foxy Lady“. Vielleicht unter dem Einfluss der Doppeldosis Acid, die er früher am Tag genommen hatte, plapperte er nervös, während er das Intro zum nächsten Song spielte:
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„Den Song möchte ich allen mit Herz und Ohren widmen… Wir wollen jetzt eine kleine Nummer von Bob Dylan spielen“. Es folgte eine donnernde, bluesige Version von „All Along The Watchtower“, und das Publikum gehörte ihm. „The Who und Jimi Hendrix hatten die lautesten Verstärker, denen ich je nahegekommen bin“, sagte Monterey-Pop-Dokumentarfilmer D.A. Pennebaker. „Ich stand unter Schock.“ Um The Who zu übertrumpfen, die bei „My Generation“ ihr Equipment zerlegt hatten, ließ Henrix nichts aus. Er zupfte die Saiten mit den Zähnen, und beim abschließenden „Wild Thing“ kopulierte er mit seinen Amps und ejakulierte Feuerzeugbenzin über seine Gitarre. Dann zündete er es an. „Ich beschloss, meine Gitarre am Ende dieses Songs zu zerstören – dabei war ich erst an dem Tag mit der Lackierung fertigeworden“, sagte Hendrix …
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Auch für Otis Redding bedeutete sein Auftritt in Monterey den Durchbruch. Der Soulsänger aus Georgia „hatte in den USA bis dahin immer nur für Schwarze gespielt“, sagt Regisseur John Landis, der in Monterey war. Reddings sehnsüchtige Ballade „Try A Little Tenderness“ und Rocker wie „Satisfaction“ von den Stones elektrisierten das Publikum. „Otis blies alle um“, sagte der ehemalige Präsident von Capitol Records, Joe Smith. „Wenn es einen Moment gab, bei dem wirklich alle aufsprangen, dann war das der Auftritt von Otis Redding.“ Jahre später, als Landis „Blues Brothers“ drehte, arbeitete er mit Steve Cropper und Donald „Duck“ Dunn, die in Reddings Band gespielt hatten. „Ich erzählte ihnen immer wieder, wie aufregend das war, Otis zu sehen“, sagt Landis. „Und sie sagten: ‚Aufregend, aha. Da hättest du erst mal auf der Bühne sein sollen.“
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August 1969: Totales Paradies – In „Woodstock“ werden Hippie-Träume wahr
„Wir dachten, wir wären alle einzelne, verstreute Hippies“, erinnert sich David Crosby. „Aber als wir in Woodstock ankamen, sagten wir: ‚Wart mal, das ist ja viel größer, als wir dachten.‘ Wir flogen mit dem Hubschrauber und sahen auf dem New York State Thruway einen 20 Meilen langen Stau und ein Publikum von mindestens einer halben Million Leuten. Es war unbegreiflich, wie viele Menschen das waren“, schwärmt Crosby weiter. „So etwas hatte es noch nicht gegeben, es war fast wie die Landung Außerirdischer.“ Am Wochenende des 15. August 1969 strömten geschätzte 400 000 Menschen zur 250 Hektar großen Milchfarm von Max Yasgur in Bethel, New York, dem Schauplatz eines dreitägigen Festivals, der „Woodstock Music And Art Fair“. Am Montag, dem 18. August verstreuten sie sich wieder in alle Winde …
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Dazwischen erlebten sie legendäre Auftritte unter anderem von The Who, Santana, Janis Joplin, Creedence Clearwater Revival, Joe Cocker, Sly And The Familiy Stone, Jimi Hendrix und – bei ihrem erst zweiten gemeinsamen Auftritt – Crosby, Stills, Nash & Young. „Es ging hektisch zu, und wir gerieten ein bisschen ins Schwimmen“, sagt Crosby. „Nach uns kamen Hendrix, Sly And The Familiy Stone, all diese Bands, und vor denen wollten wir eine gute Figur abgeben. Mein persönlicher Höhepunkt war, da rauszugehen, ‚Suite: Judy Blue Eyes‘ zu singen und bis zum Ende durchzukommen, ohne es zu ruinieren. Es war stoned und lustig und prima.“ Trotz Verzögerungen, trotz der allgegenwärtigen Gefahr von Elektroschocks und allgemeiner Anarchie hinter der Bühne gelang Woodstock das ultimative Kunststück der Sechziger:
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ein regendurchnässtes Chaos in das bedeutendste Rockfestival aller Zeiten zu verwandeln, in das berühmteste, erfolgreichste Friedens- und Gemeinschaftsexperiment der Dekade. „Es war unglaublich“, findet auch Carlos Santana. „Ich werde nie vergessen, wie die Musik klang, die da über ein ganzes Feld von Körpern hallte.“ Joe Cocker holte mit seiner Version von „With A Little Help From My Friends“ den britischen R&B in die Kirche, und Jimi Hendrix schickte die letzten Nachzügler am Montagmorgen mit seiner unsterblichen Interpretation des „Star-Spangled Banner“ nach Hause. Wie Wavy Gravy sagte, einer der DJs in Woodstock: „Die ganze Welt sah uns in diesen Tagen zu, und wir konnten der Welt zeigen, wie sie sein könnte, wenn wir an den Hebeln säßen.“ Auch wenn es anders kam, verkörpert jene für einige magische Tage wahr gewordene Utopie bis heute das Idealbild des friedlichen Rock-Festivals.
September 1968: Freak-Out – Mit Amon Düül beginnt die Krautrock-Revolution
Unter den Gitarren – der Muff von 1000 Jahren: Vor dem 25. September 1968 definierten verschämte Elvis-Imitatoren wie Peter Kraus den Klang der deutschen Rockmusik. Natürlich gab es brav muckende Beatbands wie die Rattles, doch einen radikal eigenen Stil wagte kaum jemand. „Deutschland war damals zum Kotzen. Da wollte man sich als Junger deutlich von absetzen“, erinnert sich Uschi Obermaier, eine der wenigen Ikonen des frühen deutschen Pop. Sie hat die Geburtsstunde des deutschen Underground-Rock live miterlebt. Im September 1968, bei den „Internationalen Essener Songtagen“, stand sie zusammen mit Amon Düül auf der Bühne und schwenkte Maracas …
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Die 1967 in München von dem Gitarristen und Violinisten Chris Karrer gegründete Kommune war mitsamt Kindern und Hunden beim Essener Festival angereist. Neben den ebenfalls auftretenden deutschen Vertretern The Guru Guru Groove (die späteren Guru Guru), Tangerine Dream und Floh De Cologne machte der kollektive Freak-Out von Amon Düül den Unterschied ums Ganze. Julian Cope beschreibt in seinem Standardwerk „Krautrocksampler“ die frühen Stücke der Band als „extraordinary classics and extremly raw“. Ein Song des 1968 eingespielten, aber erst 1969 veröffentlichten Düül-Debüts „Psychedelic Underground“ gab dem jungen Genre schließlich seinen Namen: „Mama Düül und ihre Sauerkrautband spielt auf“. Die britische Musikpresse, inklusive John Peel, zeigte sich begeistert – der Begriff Krautrock war geboren …
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Trotz damals vernichtender Kritiken gilt „Psychedelic Underground“ heute insbesondere in Neo-Psychedelic- und Psych-Folk-Kreisen als Kultalbum. Die erste echte Krautrock-Platte ist es auf jeden Fall, auch wenn „Phallus Dei“ sicher das bekanntere Album der damals schon in Amon Düül und Amon Düül II zersplitterten Band ist. Wer das Werk heute hört, sollte freilich bedenken, in welchem Zustand diese Musik entstand und konsumiert wurde. Zeitzeugin Obermaier beschreibt den üblichen Bewusstseinszustand der Krautrocker: „Ich war enttäuscht vom ersten Mal Marihuana-Rauchen. Ich dachte, die Wände würden sich bewegen – und nichts ist passiert. Später gab’s dann Acid-Trips, wo sich wirklich die Wände bewegt haben. Lichtexplosionen und so, da hat sich was getan.“
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Dezember 1969: Der Sündenfall – In Altamont verliert der Rock’n’Roll die Unschuld
„Es war das Ende der Unschuld“, sagt Grateful-Dead-Schlagzeuger Mickey Hart über das Umsonst-und-Draußen-Festival am Altamont Raceway in der Nähe von San Francisco, mit dem 1969 die US-Tour der Rolling Stones endete. „Alles, was schiefgehen konnte, ging schief. Es war die Hölle auf Erden, wirklich.“ „Von Anfang an herrschte schlechte Stimmung“, sagte Carlos Santana hinterher. „Bad vibes. Die ganzen Leute schossen sich einfach ab und wollten auch alle anderen schlecht draufbringen.“ Das kann man wohl sagen. Als Mick Jagger in Altamont aus dem Helikopter stieg, schlug ihm ein Teenager ins Gesicht und schrie: „Ich hasse dich, ich hasse dich!“ Und als am Ende die 300 000 Besucher vom Festivalgelände stolperten, waren vier Fans tot und hunderte verletzt. Die Sixties hatten ihre hässliche Seite enthüllt …
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Die Idee war ein Gratiskonzert, organisiert von den Stones und den Grateful Dead, dazu mit Crosby, Stills, Nash & Young, den Flying Burrito Brothers, Santana und Jefferson Airplane. Auf Empfehlung der Dead engagierten die Stones Mitglieder der Hell ’s Angels als Ordner. Über 300 Biker wurden mit Alkohol im Wert von 500 $ bezahlt. Bald hockten sie auf der Bühne, schluckten Acid in rauen Mengen und zielten mit Bierdosen auf die Köpfe der Fans. Santana spielten zuerst, und schon nach ihrem ersten Song wurde es brutal. Einige der Angels traten einen Mann ins Gesicht, der versucht hatte, sich vor der Bühne entlang zu drängen. Während des Auftritts von Jefferson Airplane wies Sänger Marty Balin einen Angel an zu verschwinden, worauf ihn die Biker bewusstlos schlugen. Die Rolling Stones warteten mit ihrem Auftritt bis zum Einbruch der Dunkelheit …
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In der zweistündigen Pause wurde im Publikum gegen die kühlen Temperaturen Feuer aus Müll angezündet, so dass es buchstäblich zum Himmel stank, als Jagger & Co endlich auf die Bühne kamen und mit „Jumpin‘ Jack Flash“ begannen. Es folgte „Carol“, dann „Sympathy For The Devil“, das sie abbrechen mussten, als eine Schlägerei ausbrach. Die Hell’s Angels gingen auf einen 18-jährigen Schwarzen namens Meredith Hunter los, der angeblich mit einer Pistole hantiert hatte. Große Teile des Tumults wurden für die Tourdoku „Gimme Shelter“ gefilmt. Während die Stones „Under My Thumb“ spielten, traten und stachen die Angels auf Hunter ein, bis er tot war. Sonny Barger, Präsident der Oakland-Abteilung der Hell’s Angels, behauptete später, die Biker hätten die Stones lediglich beschützt und seien erst handgreiflich geworden, als einzelne Fans die Harleys vor der Bühne umgeworfen hätten. Eine Jury in San Francisco sprach den des Mordes angeklagten Angel Alan Passaro später frei. Aber die Wunde, die dieser Tag riss, heilte nie.
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Juli 1972: Alien Nation – David Bowie eröffnet die Glam-Rock-Ära
„Hier kommt das Zweitbeste nach Gott“, kündigt der „Master of Ceremony“ an, der britische DJ Kenny Everett, während die „Ode an die Freude“ aus Beethovens „Neunter Sinfonie“ in der altehrwürdigen Londoner „Royal Festival Hall“ aus der PA schallt. Ein einzelner roter Lichtstrahl zielt auf die Bühne und formt einen leuchtenden Heiligenschein um einen dünnen, Außerirdischen mit orangen Haaren, einem grünroten Raumanzug und roten Plateaustiefeln. „Hello“, sagt der Außerirdische in seinem weichen, kultivierten Akzent zur hysterischen Menge. „I‘m Ziggy Stardust, and these“ – Scheinwerfer erleuchten seine drei Mitmusiker – „are the Spiders From Mars.“ Es war der 8. Juli 1972. Ziggy war in Wirklichkeit David Bowie, 25, ein mäßig erfolgreicher Singer-Songwriter aus London mit ein wenig Theatererfahrung, der sich in einen futuristischen, androgynen Messias verwandelt hatte, in den ultimativen, leuchtenden Popgott. Die Spiders waren Bassist Trevor Boulder, Schlagzeuger Woody Woodmansey und der explosive Leadgitarrist Mick Ronson, alle ähnlich grell gekleidet wie ihr Frontmann. Und die Show war ein Fest androgyn-überdrehter Erotik, mit glitzerndem Garagenrock und Songs von Bowies brillanter neuer Operette über seine Kunstfigur, „The Rise And Fall Of Ziggy Stardust And The Spiders From Mars“. Jenes Album läutete den Beginn des Glam-Zeitalters ein und besiegelte überdies Bowies andere Transformation: in einen wahren Superstar …
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„Ich wusste nicht, dass ein Konzept dahintersteckte“, sagt Lou Reed, der an jenem Abend in der „Royal Festival Hall“ Bowies Gast war und in dessen Set drei seiner eigenen Velvet-Underground-Klassiker sang. Auch dem britischen Glamrock begegnete Reed hier zum ersten Mal, diesem aufgedonnert-androgynen Gegengift zum Hippietum der späten Sechziger. „Es war verblüffend anzusehen, wie dieses ganze Ding auftauchte“, erinnert sich Reed. „Es gab irrsinnig viele männliche Gockel – und Frauen, die auf Glitzer standen.“ (Ein britischer Kritiker formulierte es etwas anders und beschrieb die Konzertgänger bei Bowies Ziggy-Shows in den USA Ende ’72 als „wandelnde Weihnachtsbäume“.) Die grandiose Geburt des Glam in der „Royal Festival Hall“ war seltsamerweise ein Öko-Benefizkonzert: Die Einnahmen gingen an die Organisation Friends Of The Earth und deren Kampagne zur Rettung gefährdeter Wale – eine wahrhaft komische Geste für einen so egomanischen Kult. Zu den allabendlichen Höhepunkten der Ziggy-Konzerte gehörte, dass Bowie Mick Ronsons Gitarre einen blies, während Ronson sein schrilles Solo spielte. „Ich erinnere mich vor allem daran, wie viele Paare bei unseren Shows heftigstes Petting betrieben“, merkt Bowie an. „Alle Hemmungen schienen schon am Eingang zu fallen wie Blätter.“ Die Aufregung war ansteckend …
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Reed – den man zu Velvet-Zeiten immer nur ganz in Schwarz sah – ließ sich von Bowie und dessen damaliger Frau Angie bald ein Glitteroutfit verpassen. „Wir gingen zu dritt shoppen, und Angie suchte diese ganzen tollen Schals aus und diese straßbesetzte Jacke“, sagt Reed. „Die Jacke wurde auf der Bühne ungefähr 100 Grad heiß. Ein paar Tage später war Iggy da. Mehr Spaß hätte ich mir nicht ausdenken können.“ Wie Reed gehörte auch Iggy Pop, der sich gerade noch von der Auflösung der Stooges erholte, zu Bowies Idolen. Bei einem Empfang am 16. Juli, den Bowies Manager Tony DeFries im Londoner „Dorchester Hotel“ für amerikanische Journalisten gab, lieferten Bowie, Reed und Iggy einen Spontanauftritt, der kein Stück weniger provokativ war als die Ziggy-Shows. Bowie räkelte sich im bis zum Nabel aufgeknöpften Dress auf einem Sofa und gab viertelstündige Interviews. Reed gab bekannt, Bowie werde sein nächstes Soloalbum produzieren – den Glam-Meilenstein „Transformer“–, dann unterbrach er eines von Bowies Interviews, indem er hinüberging und David ausgiebig auf den Mund küsste. Iggy, mit silbernem Lidschatten und Marc-Bolan-T-Shirt, kündigte an, er werde aus dem Fenster springen, überlegte es sich dann aber anders. Als Mode wie als Sound war Glam bald wieder vorbei. Doch Bowie, Reed und Iggy zogen alle drei ein langes Leben aus seiner Energie und lieferten einzeln wie als Teams großartige Musik. „Ich glaube nicht“, sagt Reed, „dass damals irgendjemand die Sache als ‚Karriere‘ betrachtete. Man hoffte eher, dass man nicht von einer Klippe fiel.“
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Juli 1973: Straight outta Eppendorf – Udo Lindenberg erfindet den Deutschrock
Lässt man den Werdegang Udo Lindenbergs vor „Alles klar auf der Andrea Doria“ Revue passieren, muss einem die Erfindung des Deutschrock fast wie ein Zufall vorkommen. Das Schicksal jener in der Eingangszeile des Titelsongs besungenen Rentnerband dräute dem damaligen Jazz-Schlagzeuger zeitweise selber. Er fürchtete, „lebenslang in weißen Hosen Tango spielen zu müssen“, wie er 1979 dem Autor Steve Peinemann erzählte. Des späteren Plattenmillionärs Lehr- und Wanderjahre als juveniler Knallkopf hatten ihn von einer – abgebrochenen – Kellner-Lehre über einen Muckerjob in Tripolis und ein halbherzig aufgenommenes Musikstudium schließlich nach Hamburg geführt. Nach jahrelanger Tingelei (unter anderem mit Klaus Doldinger) findet Lindenberg in „Onkel Pös Carnegie Hall“ eine Art Zuhause. In dem Jazz-Club am Eppendorfer Lehmweg, im Song „Andrea Doria“ verewigt, formiert sich gerade die später in den Medien ausgeschlachtete „Szene Hamburg“ …
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Leute wie Otto Waalkes, Inga Rumpf und Udo selbst feiern, musizieren und diskutieren im „Pö“ – und bisweilen schlafen sie auch dort. In diese Zeit fällt die Erfindung der Kunstfigur Udo Lindenberg. Im August 1973 gründet Lindenberg dann in Münster die erste Version seines Panikorchesters. Zuvor hatte er in den Hamburger Teldec Studios sein zweites deutschsprachiges Album aufgenommen, mit dem er beweisen will, „dass es eine Alternative gibt zum angloamerikanischen Rock-Monopol“. Keineswegs selbstverständlich, gilt es doch damals als unmöglich, irgendetwas anderes auf Deutsch zu singen als Schlagerlieder. Doch „Andrea Doria“ verändert im Sommer ’73 auf einen Schlag alles. Innerhalb kürzester Zeit verkauft sich das Werk 70000 Mal und beamt Lindenberg aus der heimeligen Eppendorfer Szene geradewegs auf sämtliche Titelseiten …
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O t t o W a a l k e s, Name auf Wunsch, Udo Lindenberg (rechts), Auftritt, Deutschland, Europa, Bühne, Mikrofon, singen, Comedian, Sänger, SI/PH, (Photo by Peter Bischoff/Getty Images)
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November 1974: Konzeptkunst – Mit „Autobahn“ gelingt Kraftwerk ein bis heute gültiges Referenzwerk elektronischer Musik
Der Produzent Conny Plank war überrascht, als ihm ein Journalist des „Record Mirror“ 1975 mitteilte, Kraftwerk hätten in England Platz elf der Single-Charts erreicht: „Ich wusste gar nicht, dass ‚Autobahn‘ als Single veröffentlicht wurde“, stammelte der 1987 verstorbene Großmeister der deutschen Studio-Elektronik damals überrascht. Auch in den USA erreichte der gut dreiminütige Edit des über 22 Minuten langen Albumtracks die Charts. Erstaunlich, denn die Mischung aus melancholischer Minimal-Musik, Kühlschrank-Atmosphäre und Konzeptkunst widersprach allem, was Mitte der Siebziger als Konsens galt. „Wir versuchen, die Geräusche des täglichen Lebens in Musik umzusetzen …
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Für ‚Autobahn‘ fuhren wir wochenlang über Autobahnen, nahmen die Fahrtgeräusche auf, und verarbeiteten sie zu Musik“, erklärte Florian Schneider seinerzeit sogar der „Bravo“. „Autobahn“ war das erste der stilbildenden Konzept-Alben von Kraftwerk. Die vorherigen Platten waren noch mit herkömmlichen Instrumenten eingespielt worden, nun leistete sich die Band einen Mini-Moog-Synthesizer. Noch immer gab es wenig Gesang, aber die experimentelle Musik der Anfangstage war einer völlig neuen, minimalistischen Popmusik gewichen. Bowie, Depeche Mode, Joy Division, Giorgio Moroder – alle haben sie von den Düsseldorfern gelernt, die damals aus Florian Schneider, Ralf Hütter, Wolfgang Flür und Klaus Röder bestanden (letzterer wurde bald von Karl Bartos abgelöst) …
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Was „Autobahn“ so reizvoll macht, ist auch die Auseinandersetzung mit spezifisch deutscher Kultur: Die Zukunft scheint hier schon wieder vergangen, eine sonderbare Wehmut und Romantik klingt an. „Der Krieg hatte die Menschen ihrer Kultur beraubt und ihnen einen amerikanischen Kopf aufgesetzt“, erklärt Ralf Hütter in einem Interview mit der Musikzeitschrift „Creem“. „Wir sind die erste deutsche Gruppe, die für sich selbst eine mitteleuropäische Identität entwirft.“ Derartige Thematisierungen des Deutschtums waren nicht jedermanns Sache – gerade in Verbindung mit der Nazi-Erfindung Autobahn. Doch schon der Titel des nächsten Albums, „Radio-Aktivität“, zeigte, dass Kraftwerk auf intelligente Weise mit Vorurteilen und Erwartungen spielten. Und so ist auch die urdeutsche „Autobahn“ letztlich nichts anderes als eine Metapher für Freiheit und ästhetisches Weiterkommen – Monotonie des Alltags inklusive.
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Sommer 1975: 17 Songs in 20 Minuten – Die Ramones legen im CBGB den Grundstein für ihre Karriere
Im Sommer 1975 stieg in einem winzigen Rockclub in downtown New York 26 Abende lang das bescheiden getaufte Festival „New York’s Top 40 Unrecorded Rock Talent“. Der Club, CBGB, gehörte einem stämmigen Umzugsunternehmer namens Hilly Kristal, war zuvor eine Biker-Bar gewesen und noch davor ein Bowery-Treffpunkt für Trinker aller Art. Der ROLLING STONE hielt in jenem Herbst fest: „Ein Grundgeruch von Pisse und Desinfektionsmittel bleibt.“ Selten hatte ein einzelner Veranstaltungsort eine so durchschlagende Wirkung auf die Musikgeschichte. Es ist kaum übertrieben, das CBGB den Ground Zero der Punk- und der New-Wave-Bewegung zu nennen. Allein zum Line-up des erwähnten Festivals gehörten Blondie, die Talking Heads (mit einem ihrer ersten Auftritte), Television und natürlich die inoffizielle Hausband des CBGB, die Ramones. „Beim ersten Mal hatten uns Blondie eingeladen, die damals noch Angel And The Snake hießen“, erinnert sich Ur-Drummer Johnny Ramone …
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„Wir spielten für den Barkeeper, ein paar Betrunkene, Hilly und Hillys Hund.“ „Ich wollte sie definitiv kein weiteres Mal auf die Bühne lassen“, sagt Kristal. „Was soll ich sagen? Sie spielten schlechter als Television, und Television waren zu der Zeit richtig schlecht. Ständig brachen sie ab und machten wieder weiter, ihre Verstärker gingen kaputt, sie schrien sich an. Aber man lernt eben dazu.“ Er lacht. „Als sie sich entschlossen hatten, ohne Unterbrechungen durch ihr Set zu kommen, also durch sowas wie 17 Songs in 20 Minuten, da war das irgendwie… Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Sowas hatte noch nie jemand gemacht. Sie hatten nette Melodien, aber vor allem hörten sie einfach nicht auf. Und das war irgendwie ein Schock.“ Der Club wurde schnell zur Szene, zog Künstler an, Bohemians aus dem Viertel und, wie Tommy Ramone sagt, „jede Menge Neugieriger“. Lou Reed schaute vorbei. Es spielten Patti Smith, die Dead Boys und auch ein Drag-Act namens The Cockettes …
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Was die Mode der Zeit betrifft, sagt Kristal: „Der einzige Unterschied zur Hippie-Ära war, dass sie die Haare generell kurz trugen. Man kleidete sich schmucklos, aber die Löcher in Hosen und Hemden hatten ganz real mit der Rezession damals zu tun. Es gab viele Second-hand-Läden, eine Jeans bekam man für ein, zwei Dollar, ein T-Shirt für einen Dollar.“ Beim Festival rasten die Ramones durch ein Set mit frühen Songs wie „I Don’t Wanna Go Down To The Basement“ und „Judy Is A Punk“ und Sixties-Bubblegum-Covers wie „California Sun“ oder „Let’s Dance“. Wenig später nahmen sie –in nur einer Woche und für 6400 Dollar – ihr Debütalbum auf und gingen auf ihre erste Europa-Tournee. Ein nervöser Johnny Rotten besuchte die Band backstage in London er dachte offenbar, es handle sich bei den Ramones um eine echte Straßengang. Zur Beruhigung lud ihn die Band auf ein Bier ein. Eine zweifelhafte Ehre, wie Dee Dee Ramone später verriet: „Die Ramones tun ein paar Tropfen Pisse in alles, was sie ihren Gästen servieren, als kleiner Scherz. Hahaha!“
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18. Juli 1975: Jah Rastafari! – Bob Marley und die Wailers werden beim Konzert im Londoner Lyceum zum Großereignis
„Näher als bei diesem Gig bin ich einer religiösen Erfahrung nie gekommen“, beschreibt der Filmemacher und Künstler Don Letts das legendäre Konzert von Bob Marley und den Wailers am 18. Juli 1975 im Londoner Lyceum, das Marley als internationalen Superstar etablierte und auf dem Album „Live!“ für die Ewigkeit festgehalten ist. Wailers-Bassist Aston „Family Man“ Barrett erinnert sich gut daran: „Der Gig war etwas ganz Besonderes für uns. Alle auf der Bühne waren high von den Reaktionen, die aus dem Publikum kamen.“ Für Marley stand viel auf dem Spiel. Zum ersten Mal nach dem Abgang von Peter Tosh und Bunny Wailer führte er die Wailers …
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Beide Londoner Konzerte, am 17. und 18. Juli, waren innerhalb eines Tages ausverkauft, die Erwartungen groß. Sondereinsatztruppen wurden gerufen, als Tausende Fans, die meisten Jamaikaner, die Halle zu stürmen drohten. „Die rissen die Feuerschutztüren aus der Wand“, erzählt Veranstalter Mick Cater. „1500 Leute kamen so rein. An diesem Abend lernte die Welt Bob Marley kennen.“ Marley begann die Show mit „Trenchtown Rock“, hielt das Tempo mit „Burnin’ and Lootin’“, „Them Belly Full (But We Hungry)“, „Lively Up Yourself“ und kam mit „I Shot The Sheriff” und „Get Up, Stand Up“ zum explosionsartigen Höhepunkt. „Das Publikum war halb schwarz und halb weiß, eine Menge Leute saßen auf dem Boden und reichten Spliffs herum“, erzählt Schriftsteller Chris Salewicz. „Überall roch es nach Haschisch, und die Luft war zum Schneiden …
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Das war das erste Mal, dass wir Bob rufen hörten: ‚Jah Rastafari!‘“ Am stärksten beteiligte sich das Publikum bei einem neuen Song, „No Woman No Cry“, der Gospelschwung mit der spirituellen Intensität des Reggae verband. Marley brachte die Menschen zur Raserei, als er sie deklamieren ließ: „Everything’s gonna be all right“. Als „Live!“ herauskam, wurde der Song zu Marleys Markenzeichen. „Der Chor aus dem Publikum ist echt“, erklärt Chris Blackwell, Boss von Island Records. „Diese Killerversion von ‚No Woman No Cry‘ katapultierte Marley gleich mehrere Stockwerke nach oben.“ In dieser Nacht stieg Reggae zur wahren Weltmusik auf – und Bob Marley wurde zur Dritte-Welt-Ikone. Barrett: „Wir wussten, dass dieser Abend anders war, weil die Leute schon am Anfang eines Songs frenetisch klatschten. Sobald der erste Trommelschlag ertönte.“
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August 1975: Tobender Stier – Bruce Springsteen wird in New York zur Zukunft des Rock’n’Roll
Im August 1975 waren Bruce Springsteen und die E Street Band für zehn Auftritte in dem kleinen New Yorker Club Bottom Line im Greenwich Village gebucht. Weil die Veröffentlichung von Springsteens drittem Album, „Born To Run“, bevorstand, lud sein Label Columbia mehr als 1000 Gäste aus der Musikbranche ein, um zu erleben, was Fans schon lange wussten. Gitarrist Steven Van Zandt: „Die Leute abheben zu lassen, war für uns Routine. Das machten wir seit zehn Jahren. Und in diese Shows steckte Bruce jedes einzelne dieser zehn Jahre.“ Die Band spielte zwei Mal pro Abend, und jeder Gig war von atemberaubender Intensität, jeder ein wildes, lebensbejahendes Fest. „Das war unsere EinstandsParty“, meint Springsteen. „Und wir veränderten uns im Laufe dieser fünf Tage. Wir gingen anders heraus, als wir hereingekommen waren.“ Von den ersten Noten von „Tenth Avenue Freeze-out“ an (mit dem seine Konzerte fast immer losgingen) fegte Springsteen durch den Laden wie ein wild gewordener Bulle …
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„Seine Kraft war unglaublich“, erzählt Stanley Snadowsky, einer der Besitzer des Bottom Line. „Er kletterte auf Säulen, aufs Klavier, auf die Tische. Er stellte sich vor den Leuten aus mit einer Waghalsigkeit, die jeder im Raum spüren konnte.“ „Es war die Energie der Band, die mich auf die Tische trieb“, meint Springsteen. „Wenn man in einem so kleinen Club spielt, fängt der Raum schnell an zu brodeln. Darauf waren wir vorbereitet. Wir hatten endlos Erfahrung damit.“ Springsteen und die E Streeters röhrten durch zweistündige Sets, bei denen die Reihenfolge der Stücke zwar variierte, aber der emotionale Höhepunkt immer derselbe war: eine fesselnde Version von „Thunder Road“, bei der Springsteen – anders als bei der Fassung auf dem Album – ganz allein am Klavier saß. „Die Band konnte den Song nicht so gut“, gesteht er. „Das war der einzige Grund, warum ich es solo spielte.“ …
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Trotz des Jubels aus dem Publikum war Springsteen nicht überzeugt, dass sie wirklich ihr Bestes gegeben hatten. „Nach einem der Sets kam Peter Wolf in die Garderobe“, erinnert sich Springsteens Manager Jon Landau. „Bruce war ein bisschen unsicher, was die Qualität des Auftritts betraf, aber Wolf sprang ihn förmlich an und schrie, wie irre toll es gewesen sei. Eine verrückte Szene – besonders, weil Bruce Peter damals kaum kannte.“ Im Publikum war an einem der Abende auch Robert De Niro, der mit Martin Scorsese „Taxi Driver“ in der Stadt drehte. Das heraufordernde „You talkin’ to me?“ lauschte er bei Springsteen ab. Und was bekam Springsteen zur Belohnung? Eine Lebensmittelvergiftung. „Nach der letzten Show brachte jemand eine Platte Grillhähnchen rein, die wir sofort wegputzten“, erzählt er. „Die müssen schlecht gewesen sein, weil die Fahrt zurück nach New Jersey alles andere als ein Vergnügen war. Eine der größten Band-Kotzereien aller Zeiten.“
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26. November 1976: Anarchie im Königreich – Die Sex Pistols veröffentlichen ihre erste Single
Anfangs war es kein Schwindel, keine Travestie, kein zynischer Rundumschlag, auch wenn es Schwadroneur Malcolm McLaren später genau so geplant haben will. Es war zornig, laut und böse. Es wirbelte tonnenweise Staub auf, der sich auf den saturierten Würdenträgern des Pop niedergelassen hatte. Album-Acts, allesamt. Es sprang die Oligarchen an, sprengte ihr Rock-Biedermeier: „No future!“ Und es kam als 7-inch-Single in einem pechschwarzen Sleeve, aus dem Nichts. Nun, nicht ganz. Der Boden war bereitet. Schon im Juni 1976 hatte Mick Farren im „New Musical Express“ eine vielbeachtete Brandrede gehalten, in der er den Status Quo des Rock’n’Roll beklagte, seine Geldgeilheit und Gigantomanie. Anlass waren Gerüchte, die Beatles würden sich reformieren. Das, so räsonierte Farren, könnte ihn ganz bestimmt nicht retten, den Rock’n’Roll. Vier Teenager, die in einem dreckigen Keller für ihresgleichen spielten, vielleicht schon …
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Auch musikalisch schien London auf dem Sprung. Es wusste nur niemand, wohin. Die einen, von Patti Smiths „Horses“ und dem kontroversen Diskurs darüber erhitzt, meinten, die Zukunft läge in Poesie und Romantik. Die anderen, von den Ramones angefetzt, erwarteten eine Rückkehr zum Drei-Akkorde-Minimalismus. Wiederum andere befanden, der britische Pubrock eröffne doch großartige Perspektiven, man müsse ihn nur härten, beschleunigen und radikal verjüngen. Am Ende bekamen sie alle Recht: „Anarchy In The UK“ schockte, war wild und giftig, gebärdete sich flegelhaft, ja zerstörerisch, knüpfte musikalisch aber nur etliche lose Fäden zusammen, für die im Musikbetrieb der Mitt-Siebziger niemand mehr Verwendung zu haben schien …
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Und verwob sie zu Punk-Rock, schmückte die Lärmattacke mit Safety-Pin-Chic aus der „Sex“-Boutique und unterlegte den ganzen frivolen Nihilismus mit angriffslustiger Lyrik: „I don’t know what I want but I know how to get it.“ „Anarchy In The UK“ wurde kein Hit. Nur ein paar tausend Hipster holten sich die Single im Spätherbst 1976, doch was diese Pop-genialische Explosion auslöste, war nicht weniger als eine kulturelle Lawine, die nicht nur den Rock’n’Roll revolutionierte. Ein paar aufregende Monate währte der Aufstand immerhin, genau vier geniale Singles lang. Erst die Recycling-Charade der Sex Pistols-LP ließ dann die Luft aus dem Punk-Ballon: Never mind the bollocks.
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Silvester 1977: Disco vor der Tür – Nile Rodgers schreibt Chics „Le Freak“
Am Silvesterabend 1977 warten Nile Rodgers und Bernard Edwards darauf, in New Yorks Disco-Tempel „Studio 54“ eingelassen zu werden, wo Mode-Ikonen wie Calvin Klein und Halston mit Rod Stewart, Mick Jagger und Andy Warhol das Tanzbein schwingen. Doch obwohl drinnen Chics Hit „Dance, Dance, Dance (Yowsah, Yowsah, Yowsah)“ läuft, kennt der Türsteher keine Gnade. 30 Minuten später hat Rodgers darüber einen Song geschrieben. Der Refrain lautet: „Aww, fuck off!“ „Ich war früher bei den Black Panthers“, erklärt Rodgers, „aber Bernard war gläubiger Christ.“ Also wurde „fuck off!“ in „freak out!“ geändert. Als „Le Freak“ 1978 an die Spitze der Charts kletterte, kam Rodgers jeden Abend problemlos ins „Studio 54“. Disco entstand in den frühen 70er Jahren in New Yorks Schwulen-Clubs. Dort mussten DJs für Tanzmusik sorgen, weil Live-Bands für dieses Publikum nicht spielen wollten …
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Doch dann befreiten der europäische Produzent Giorgio Moroder und seine Kollegen den Beat aus der Minderheiten-Nische und machten ihn massentauglich, indem sie Pop-Melodien, Rock-Aggressionen und Funkrhythmen mischten. Moroder produzierte 1975 Donna Summers Hit „Love To Love You Baby“. Den orgastischen Gesang nahm sie angeblich bäuchlings und mit rhythmischem Hüftkreisen auf dem Studioboden auf. Was Summer so nicht stehen lassen will: „Ich lag auf dem Rücken. Ich konnte so was nicht singen mit vier Typen im Blickfeld, also legte ich mich auf den Boden. Wir hängten Vorhänge auf und drehten das Licht runter.“ Summer lieferte Disco seine größten Hits, aber die beste Band war definitiv Chic. Nicht zuletzt wegen „Good Times“, in dem Edwards die berühmteste Bassline der Geschichte spielt …
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Und das kam so: Weil Edwards zu einem Studiotermin zu spät kam, spielte Rodgers seinem Schlagzeuger Tony Thompson und dessen Freund, dem Queen-Bassisten John Deacon, das Stück auf der Gitarre vor. Irgendwann kam Edwards reingehuscht und stöpselte ohne Entschuldigung seinen Bass ein. Rodgers, ein bisschen angesäuert, wünschte sich – „Walk! Walk, motherfucker!“ – einen walking bass: Edwards tat wie geheißen und Tontechniker Bob Clearmountain erhielt die Anweisung: „Dreh hoch auf rot!“ Clearmountain reagierte schnell, drückte den Aufnahmeknopf und fing die Bassline ein, die von Hip-Hop („Rapper’s Delight“, Sugarhill Gang) bis Rock („Another One Bites The Dust“, Queen) überall kopiert wurde. Für Rodgers ein Musterbeispiel für Effizienz: „Nach dem ersten Take war das Ding gelaufen.“
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8. Dezember 1980: Der Traum ist aus – John Lennon wird vor dem New Yorker Dakota erschossen
Den Abend des 8. Dezember 1980 verbrachte Produzent John Douglas mit John Lennon und Yoko Ono in einem New Yorker Studio, wo sie an Onos neuer Single „Walking On Thin Ice“ arbeiteten. Lennon war recht aufgekratzt und erzählte, er wolle ein paar Songs für Ringo Starr schreiben und aus den übrig gebliebenen Tracks aus den Sessions für „Double Fantasy“ ein weiteres Album machen. „Am nächsten Tag wollten wir ‚Thin Ice‘ mastern“, sagte Douglas. „Das Letzte, was ich von John hörte war: ‚Bis morgen früh in aller Frische.‘“ John und Yoko verließen das Studio gegen halb elf und fuhren zurück zum Dakota, einem feudalen Wohnblock an der Ecke 72. Straße und Central Park West, wo sie seit neun Jahren lebten. Kurz vor elf stiegen sie aus der Limousine …
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Als sie unter einem Torbogen hindurchgingen, der in den Hof des Dakota führte, rief ein junger Mann namens Mark David Chapman: „Mr. Lennon!“, zog einen Revolver Kaliber 38 und schoss fünf Mal auf Lennons Rücken. Vier Kugeln trafen Lennon, der sagte: „Ich wurde getroffen“, ein paar Stufen hinaufstolperte und dann zusammenbrach. Nach der Ankunft im Roosevelt Hospital wurde John Winston Lennon für tot erklärt. Er war 40 Jahre alt geworden. Die Nachricht von der Ermordung des früheren Beatles verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Hunderte Fans versammelten sich vor dem Krankenhaus und dem Dakota, manche in Pyjama, Bademantel und Hausschuhen. Menschen weinten, hielten Feuerzeuge in die Luft oder sangen „All My Loving“ .
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1. August 1981: Visuelle Revolution – MTV geht auf Sendung – und schafft eigene Stars
„Wir wussten damals gar nichts von MTV“, erzählt Duran Duran-Sänger Simon Le Bon über die ersten Videos seiner Band. „Es gab diese Firma Rock America, die Videogeräte in Bars aufstellte. Für die machten wir unsere Clips. Deshalb war ‚Girls On Film‘ auch ziemlicher Softporno.“ Doch MTV gierte nach Material, und Duran Duran und eine neue Welle englischer Hochglanz-Bands lieferten es. Als MTV am 1. August 1981 aus den Startlöchern kam, mit „Video Killed The Radio Star“ von den Buggles, nahm kaum jemand davon Notiz. Anfangs hatte der Sender nur 2,5 Millionen US-Abonnenten – verschwindend wenige im Vergleich zu den großen TV-Sendern. „Kabel war, wie für eine Teppichfabrik zu arbeiten“, sagt MTV-Chefin Judy McGrath, die als Redakteurin bei dem Sender anfing. „In New York konnte man MTV gar nicht sehen…
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Man musste nach Fort Lee in New Jersey fahren. Oder Dallas.“ Videos waren damals als Werbemittel noch fast unbekannt. McGrath schätzt, dass es nur für zwei der amerikanischen Top-100-Singles ein Video gab. So mussten englische Bands wie Culture Club und Human League ran. Duran Duran konnte bei den US-Radiosendern nicht punkten, erregten aber mit grellen Clips für „Hungry Like The Wolf“ und „Rio“ Aufsehen. „Die waren ziemlich billig“, meint Le Bon. „Das Einzige, was Geld kostete, waren das Filmteam und das Filmmaterial. Die Mädchen arbeiteten ohne Bezahlung. Einmal flogen wir nach Sri Lanka und drehten gleich drei Videos für zusammen 45 000 Dollar.“ MTV machte aus Duran Duran die ersten Videostars. Plötzlich verkauften Billy Idol, Adam And The Ants und die Stray Cats Platten, obwohl das amerikanische Radio sie links liegen ließ …
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kamen, hieß es, Duran Duran würden sich in Dallas gut verkaufen“, erzählt McGrath. „Aber nur auf der Seite der Stadt, die verkabelt war. Die Plattenfirmen zählten zwei und zwei zusammen, und der Rest ist Geschichte.“ Ende 1982 hatte sich das Publikum auf 9,3 Millionen Abonnenten vervierfacht. MTV veränderte nicht nur Hörgewohnheiten, es erschloss der Musik auch neue Käuferschichten, die sonst mit ihr gar nicht in Berührung gekommen wäre. Mainstream-Fans bekamen ihre erste Portion Punk, New Wave und Ska serviert, eingefleischte Rockfans ließen sich von Michael Jackson mitreißen. „Es gab ein paar alte, hässliche Gnome ohne Haare, die vor der Kamera einfach schlecht aussahen“, meint Le Bon. „Die beschwerten sich natürlich über Musikvideos.“ Doch für die Fans war MTV eine Offenbarung. „Als ich nach Amerika kam, wollten sie meine Platten nicht im Radio spielen, weil ich stachelige Haare hatte und Punkrocker war“, sagt Billy Idol. „Erst durch MTV bekamen die Leute meine Musik zu hören.“
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21. August 1982: Nur abgeräumt – Nena startet im „Musikladen“ eine beispiellose NDW-Karriere
So eine Karriere hatte Gabriele Susanne Kerner sich bestimmt niemals träumen lassen – damals, als sie im Büro von Jim Rakete die Fanpost der Gruppe Spliff bearbeitete. Doch ein Auftritt in der ARD-Sendung „Musikladen“ genügte, und Nena war der erste (und eigentlich auch einzige) wirklich große Star der NDW. Am 21. August 1982 sang sie im knallengen, knallroten Leder-Mini und mit den üblichen 80er-Jahre-Accessoires (Kreolen, Schweißbänder, Haarspray) das Liebeslied „Nur geträumt“, das bereits zwei Monate zuvor veröffentlicht worden war …
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Die Neue Deutsche Welle war mit Bands wie DAF, Fehlfarben oder Trio ebenfalls schon angerollt, aber keine andere Band sollte dermaßen breitflächigen und relativ langanhaltenden Erfolg haben wie Nena. Nena war eine Band, das zu behaupten wurde Nena, das Mädchen, nicht müde. Immer wieder wies sie darauf hin. Auch, als Nena 1983 mit „99 Luftballons“ weltweit in die Hitparaden stiegen, was tatsächlich vor allem das Verdienst von Keyboarder Uwe Fahrenkrog-Petersen war, der alle großen Hits von Nena komponierte. Schlagzeuger Rolf Brendel war zunächst eher als Nenas Freund bekannt, Gitarrist Carlo Karges und Bassist Jürgen Dehmel gaben sich mit Rollen im Hintergrund zufrieden. So war es doch meist Nena, die Sängerin, die im Rampenlicht stand. 54-mal zierte sie den Titel der „Bravo“ und ließ locker alle anderen NDW-Stars hinter sich …
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Es lag an ihrer natürlichen Ausstrahlung, sagen Bewunderer wie Johannes B. Kerner (und er meint damit nicht die Achselhaare, die damals halt noch Standard waren) und an dem Selbstbewusstsein, mit dem sie alle Kritiker ignorierte. Auch gelang es Nena, diese flotten Popsongs so lässig zu singen und zwischendurch dermaßen laut Luft zu holen, dass man glatt vergaß, nach dem Sinn mancher Verse zu fragen. Unvergessen bleibt „Nur geträumt“ auch durch jugendlich hirnverbrannte Zeilen wie: „Alles was ich an dir mag, ich mein das so, wie ich es sag/ Ich bin total verwirrt/ Ich werd‘ verrückt, wenn’s heut passiert…“ 1987 brach Nena, die Band, zusammen, doch Nena, die Sängerin, kam – wiederum mit Hilfe von Fahrenkrog-Petersen – 2002 zurück, nervt seitdem gern als Übermutter und Freizeitpädagogin, hat sich aber als bekannteste deutsche Sängerin ins kollektive Gedächtnis der Deutschen gebrannt. In Kerners ZDF-Sendung „Unsere Besten – Musikstars aller Zeiten“ kam sie auf Platz fünf – hinter Grönemeyer und Maffay zwar, aber immerhin noch vor Ludwig van Beethoven.
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5. Juli 1954: Der Tag des Truckdrivers – Elvis Presley erfindet beiläufig den Rock’n’Roll
Der Raum, in dem der Rock’n’Roll – die Musik und das Phänomen – geboren wurde, sieht heute nicht viel anders aus als in der Nacht, in der es geschah: exakt am 5. Juli 1954. Der „Memphis Recording Service“, offizieller Name von Sam Phillips’ Sun Records Studio an der Union Avenue in Memphis/Tennessee, ist ungefähr so groß wie ein großzügiges Wohnzimmer und bietet Platz für eine nicht allzu große Band. Im rückwärtigen Teil, hinter einer Glasscheibe, befindet sich ein winziger Kontrollraum, wo Phillips das primitive Mischpult bediente, seinen Schäfchen Ratschläge gab und aufmerksam lauschte, um den einzig richtigen Take nicht zu verpassen. An diesem Montagabend im Juli begann die Arbeit gegen sieben Uhr. In den ersten paar Stunden passierte nicht viel Aufregendes. Elvis Presley, 19-jähriger Lastwagenfahrer der örtlichen Elektrofirma Crown, arbeitete sich emsig durch sentimentale Grütze wie den aktuellen Bing-Crosby-Hit „Harbor Lights“ und „I Love You Because“, mit dem Country-Star Ernest Tubb 1949 einen Hit gelandet hatte …
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Doch dann begann Presley in einer Pause mit einer schnellen Bluesnummer rumzuspielen, die „That’s All Right“ hieß und von dem schwarzen Sänger und Gitarristen Arthur Crudup stammte. Gitarrist Scotty Moore und Bassist Bill Black, von Phillips als Backing-Band angeheuert, fielen ein. Phillips hatte bereits etliche Blues-Sessions mit Leuten wie Jackie Brenston, Rufus Thomas, Howlin’ Wolf und den Prisonaires hinter sich und war beeindruckt, dass Presley, ein unbedarfter weißer Teenager aus Tupelo, Mississippi, den Crudup-Song kannte. Er hörte, dass dieser Junge einen eigenen Sound hatte, eine intuitive Mischung aus Spiritual, Gospel und Tanzmusik, und dass seine Stimme Autorität ausstrahlte. Veröffentlicht am 19. Juli als A-Seite von Sun 209, mit einer Turbo-Version von Bill Monroes Walzer „Blue Moon Of Kentucky“ auf der Rückseite, war „That’s All Right“ mehr als ein Konglomerat verschiedener Einflüsse – es war ein revolutionärer Akt musikalischer, kultureller und ethnischer Integration. Oder, wie Moore es 1991 in einem Interview ausdrückte: „Wir schüttelten die Köpfe und sagten: ‚Ja, das klingt gut, aber, mein Gott, sie werden uns aus der Stadt jagen.‘“ Presley, Moore und Black hatten das erste Mal einen Tag vor der Session zusammengespielt …
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Doch das, was Presleys beste Aufnahmen in den nächsten zwei Jahrzehnten prägen sollte – sein Perfektionismus, sein Sich-Hineinwühlen in einen Song bis zum letzten und optimalen Take – kam bereits am 5. Juli zum Tragen. Auf der einzigen erhaltenen Alternativ-Aufnahme von „That’s All Right“ klingt Presley alles andere als überirdisch: Er wieselt durch die Zeilen, legt zu viel Pathos hinein, während Moore wild auf dem Bass schrummelt. Doch Phillips ließ sich Zeit – er konnte es sich leisten, nicht nach dem damals üblichen Plan (vier Takes in drei Stunden) vorzugehen: Ihm gehörten das Studio und das Label. Presley machte noch vier weitere bahnbrechende Singles für Sun. Ende 1955 verkaufte Phillips, der in finanziellen Schwierigkeiten steckte, Presleys Vertrag und die Masterbänder für 35 000 Dollar an RCA. Danach entdeckte er noch Johnny Cash, Jerry Lee Lewis und Carl Perkins, bevor Sun in den 60er Jahren verkauft wurde. Doch als Erfinder sah er sich nie. „Rock ’n’ Roll gibt es schon seit vielen Jahren“, sagte er 1958. „Früher hieß er eben Rhythm & Blues.“ Presley wusste, was er in dieser Nacht geschaffen hatte. „Ich glaube nicht, dass sie jemals ganz verschwinden wird“, sagte er später über diese Musik, „weil sie etwas mächtig Gutes finden müssen, um sie zu ersetzen.“
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Mai 1955: Chuck and Roll – Chess Records’ Metamorphose: Vom Chicago-Blues zum Rock’n’Roll
Im Mai 1955 war Chuck Berry zu Besuch bei Leonard Chess, der in einem flachen Ziegelbau in Chicagos South Side residierte. Berry war 28 Jahre alt, fast einsneunzig groß und hatte riesige Hände, die seine dicke Gibson wie ein Spielzeug aussehen ließen. Nachdem er bei der Vorzimmerdame artig um Erlaubnis gebeten hatte, marschierte er ins Büro und spielte Chess ein Demoband mit vier Songs vor. Der war zunächst wenig begeistert, weil Berrys Stil nicht zu dem elektrischen Chicago-Blues à la Muddy Waters und Howlin’ Wolf passte, für den das Label bekannt war. Doch als er Berrys Version des Country-Songs „Ida Red“ hörte, spitzte Chess die Ohren …
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Berry spielte es stampfend und mit einem scharfen, rauen Gitarrensound – „motorvatin‘“, wie er es in der ersten Strophe nannte. Am 21. Mai ging Berry ins Studio, wo er rasch merkte, dass Chess ein Perfektionist war. Berry musste das Stück – mit Jerome Green aus Bo Diddleys Band an den Maracas und dem großen Songwriter Willie Dixon am Bass – 36 Mal durchspielen. Der Titel wurde in „Maybellene“ geändert, angeblich nach einer Wimperntusche, die eine Frau mal im Büro liegengelassen hatte. „Die Stimmung war prima, es wurde viel gelacht“, erzählt Marshall Chess, Leonards Sohn, der überall dabei war. „Aber weil es noch keine Overdubs gab, musste man so gut spielen, wie es ging.“ Und das taten sie. Nach schweißtreibenden Stunden hatten sie im Kasten, was in den Worten Eric Claptons „für alle Zeiten festlegte, wie Rock’n’Roll zu spielen war“. „Es war eine andere Szene, eine andere Art Musik“, sagte Bo Diddley im Gespräch mit dem ROLLING STONE …
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Berry spielte es stampfend und mit einem scharfen, rauen Gitarrensound – „motorvatin‘“, wie er es in der ersten Strophe nannte. Am 21. Mai ging Berry ins Studio, wo er rasch merkte, dass Chess ein Perfektionist war. Berry musste das Stück – mit Jerome Green aus Bo Diddleys Band an den Maracas und dem großen Songwriter Willie Dixon am Bass – 36 Mal durchspielen. Der Titel wurde in „Maybellene“ geändert, angeblich nach einer Wimperntusche, die eine Frau mal im Büro liegengelassen hatte. „Die Stimmung war prima, es wurde viel gelacht“, erzählt Marshall Chess, Leonards Sohn, der überall dabei war. „Aber weil es noch keine Overdubs gab, musste man so gut spielen, wie es ging.“ Und das taten sie. Nach schweißtreibenden Stunden hatten sie im Kasten, was in den Worten Eric Claptons „für alle Zeiten festlegte, wie Rock’n’Roll zu spielen war“. „Es war eine andere Szene, eine andere Art Musik“, sagte Bo Diddley im Gespräch mit dem ROLLING STONE …
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1956: Die Quarrymen gründen sich. Die Quarrymen waren eine Skiffle-Band mit Waschbrett und tea-chest bass, doch der Sänger, John Lennon, der mit seinen engen Jeans und seinem karierten Hemd fast aussah wie ein Teddy Boy, zeigte weit mehr Enthusiasmus, wenn er sich in Rock’n’Roll-Nummern werfen konnte. Gene Vincents „Be-Bop-A-Lula“ oder „Come Go With Me“ von den Del Vikings, das er mit scharfer Stimme sehr überzeugend vortrug, obwohl er den Text nicht drauf hatte, wie sich Paul McCartney erinnerte, der, damals 15-jährig, mit seinem Freund und Quarry Men-Aushilfsbassist Ivan Vaughn rechts unter der LKW-Bühne stand. In der Aula von St. Paul’s stellte Vaughn der Band schließlich seinen pummeligen Freund vor, der in einem für seine Pausbäckigkeit viel zu hippen Outfit steckte und eine Gitarre auf dem Rücken trug. Es wurde nicht viel geredet, Paul nahm seine Gitarre und stimmte Eddie Cochrans „Twenty Flight Rock“ an. Er kannte den kompletten Text. Der angetrunkene Lennon ließ sich nicht anmerken, wie beeindruckt er war, und schaute gelangweilt an die Decke …
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Doch McCartney zog eindeutig eine Show ab, um den zwei Jahre älteren Bandleader zu beeindrucken, warf sich in „Be-Bop-A-Lula“ „Tutti Frutti“, „Good Golly, Miss Molly“ und schließlich „Long Tall Sally“. Nach der Hälfte seiner Performance nahm Lennon seine Coolness-Maske ab, schaute dem fremden Jungen auf die Finger, erwiderte sogar ein paar Mal seine Blicke. „Danach umkreisten sie sich wie Katzen“, erinnerte sich Quarry Men-Schlagzeuger Colin Hanton. 20 Minuten dauerte dieses Treffen, dann war alles vorbei – und alles anders. „Schon seltsam, wenn man erst mal begreift, wie uns die Geschichte damals streifte“, so Banjo-Spieler Rod Davis später. „Lennon trifft McCartney, und ich hab es nicht mal mitgekriegt. Wahrscheinlich war ich gerade pinkeln.“ Eine Woche später tauchte McCartney auf Einladung Vaughns bei den Proben der Quarry Men auf. Lennon, der schon damals den Rädern der Geschichte gerne beim Drehen zuschaute und noch haderte, ob er jemanden in die Band aufnehmen sollte, der technisch weitaus versierter war als er, war erleichtert, dass man ihm diese Entscheidung abgenommen hatte.
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29. August 1958: Move It! – Cliff Richard & The Drifters starten den britischen Rock’n’Roll
Skiffle hatte Britanniens Jugend über die schlimmsten Jahre hinweggeholfen. Die Nachkriegsdepression war zwar primär wirtschaftlicher Art, doch wo Häuser in Trümmern liegen und die Lebensmittel streng rationiert sind, bleibt nicht viel Raum für musikalischen Übermut. Rock’n’Roll? Ein Importschlager für eine kleine Minderheit verwegener Teenager, die sich die Nächte in den Bars und Cafes von Soho um die Ohren schlugen, wild tanzend und auf die widrigen Umstände pfeifend. „Diese Begeisterung für Rock’n’Roll ist ein beängstigendes Alarmzeichen“, schrieb das Popmusik-Blatt „Melody Maker“, „eine schreckliche Bedrohung, die resolut zu bekämpfen ist.“ Auch die seriöse Presse beklagte „den unbritischen, anarchischen Geist dieser sogenannten Musik“, verlangte nach „erzieherischen Maßnahmen, um dem Kult Einhalt zu gebieten“. Zu spät …
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Im Laufe des Jahres 1958 brechen die Dämme, einer nach dem anderen. Im Februar sorgt der Elvis-Film „Jailhouse Rock“ für Rabatz bei Matinees, im März verursachen Buddy Holly & The Crickets bei ihrer UK-Tour lokalen Aufruhr, im Mai wird Jerry Lee Lewis mit Schimpf und Schande davongejagt, als publik wird, dass er seine 13-jährige Cousine geehelicht hatte. Im Juli betritt ein 17-jähriger Elvis-Clone namens Cliff Richard mit seiner Combo, den Drifters, die EMI-Studios in der Abbey Road, um zwei Tracks für eine Single aufzunehmen. „Schoolboy Crush“, eine flotte Teen-Ballade mit gepfiffenem Intro, soll die A-Seite werden, für die Rückseite lässt man den jungen Leuten gönnerhaft freien Raum. Den die für einen Song nutzen, nein, für ein ungehöriges Postulat titels „Move It!“. Von Drifter Ian Samwell geschrieben, eröffnet „Move It!“ mit einem so grandios blitzendem Riff und fällt dann in einen so amerikanisch swingenden Rock’n’Roll-Groove, dass kaum jemand auf die Idee kommt, es könne sich um eine britische Band handeln …
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Auch der TV-Produzent Jack Good nicht, dem zufällig ein Azetat der Single in die Hände fällt. Es ist diese Flipside, die ihn „völlig unvorbereitet in die Magengrube trifft“ und „einfach umwirft“, wie er eilends dem Label und den Medien mitteilt. Goods Urteil hat Gewicht, nicht zuletzt aufgrund dieser neuen Weekend-TV-Show „Oh Boy!“, die im September anlaufen wird und für deren erste Sendung er den jungen Nobody Cliff Richard ausersehen hat. Im August erscheint die Single, „Move It!“ gerät zum Hit, zuvor indes zum Menetekel in der Musikpresse. Von „gequältem, exhibitionistischem Gesang“ ist die Rede, der „leider en vogue“ sei, von „aggressiven Gitarren“ und dem „äußerst bedauerlichen Umstand“, dass die „Unkultur“ des Rock’n’Roll nun auch „die britische Popmusik erfasst“ habe. Wohl wahr.
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November 1960 : Popklassiker auf zehn Etagen – Das Brill Building, Hit-Fabrik der 60er Jahre
Als Gerry Goffin in der Drogerie, in der er tagsüber arbeitete, Feierabend machte und sein kleines Büro in Manhattan betrat, wartete etwas auf ihn. „Carole hatte mir eine Melodie auf unserem kleinen Rekorder hinterlassen“, erzählt er von seiner Ex-Frau Carole King, mit der er nebenbei Songs schrieb. „Ich spielte sie ab, und mir fiel sofort ein Text dazu ein.“ Der Song, „Will You Love Me Tomorrow“, war „anders als der Kram, den wir normalerweise ablieferten“, meint Goffin. „Er klang wie ein Standard.“ Goffin und King arbeiteten damals für Don Kirshner und Al Nevins, Eigentümer des Musikverlags Aldon Music und Schlüsselfiguren des „Brill Building Sounds“, der die Pop-Charts Anfang der Sechziger regierte. Das Brill Building befand sich in der Nähe des Times Square – 1619 Broadway, New York – und war im wahrsten Sinne des Wortes eine Hit-Fabrik:
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as zehnstöckige Gebäude beherbergte mehr als 160 Firmen, die alle mit Musik zu tun hatten – Songwriter, Verleger, Label, Studios und Radiopromoter. Man konnte einen Song schreiben, ihn an einen Verlag verkaufen, ein Demo aufnehmen und eine Plattenfirma finden, ohne dafür mehr als ein paar Flure überqueren zu müssen. Goffin und King arbeiteten, zusammen mit den anderen prominenten Songwriter-Teams Neil Sedaka/Howard Greenfield, Barry Mann/Cynthia Weil und Jeff Barry/Ellie Greenwich ein paar Häuse weiter bei Aldon. Jedes Team hatte ein fensterloses Kabuff mit einem Klavier. „Es herrschte gewaltige Konkurrenz“, erzählt King. „Don gab uns Aufträge: ‚Die Shirelles suchen nach einem Nachfolger für ,Tonight’s The Night‘. Wenn einem nichts einfiel, schnappte sich ein anderer den Job.“ …
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Kirshner spielte das Demo zu „Will You Love Me Tomorrow“ Luther Dixon vor, dem Produzenten der Shirelles, der es der Gruppe mitbrachte. „Uns gefiel es überhaupt nicht, es klang wie kitschiger Country & Western“, meint Beverly Lee von den Shirelles. „Aber Luther zwang uns, es zu singen, und als die Streicher dazukamen, verliebten wir uns in den Song.“ Sechs Wochen nach der Veröffentlichung im November 1960 erreichte der Song die Spitze der Charts, startete den Girlgroup-Boom und machte Goffin und King zu Platzhirschen des Talentpools im Brill Building. Die beiden schrieben danach noch viele Hits, doch für Goffin war der erste Erfolg der schönste: „Carole und Don fuhren in einer Limousine vor dem Gebäude vor. Carole wedelte mit einem 10000-Dollar-Scheck und schrie: ‚Weißt du was? Du brauchst nie wieder zu arbeiten!’“
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13. April 1962: Große Freiheit Rock’n’Roll – Die Beatles eröffnen den Hamburger Star-Club. Am 13. April 1962 waren die Zeiten der Dorfmusik im Nachkriegsdeutschland vorbei. Der Rock’n’Roll hatte endlich auch hier ein Zuhause gefunden. In Hamburg, St. Pauli, Große Freiheit 39. Dort eröffneten Manfred Weißleder und Horst Fascher an diesem Tag den „Star-Club“. Auf der Bühne, vor der gemalten Skyline von Manhattan, standen am ersten Abend der „Rock and Twist Parade“ Tex Roberg & The Graduates, Roy Young, The Bachelors, und The Beatles. Nicht gerade Weltstars, doch der Stern der Letztgenannten war kurz davor, aufzugehen. Es sollte der hellste werden, der je am Pophimmel strahlte. Und vieles von dem, was diese Band aus Liverpool so einmalig machte, hatte sie Hamburg zu verdanken. Der Clubbesitzer Bruno Koschmider hatte die Beatles zweieinhalb Jahre zuvor ein paar Meter weiter im „Indra“ mit seinen „Mach Schau!“-Rufen angefeuert, die beste Band der Welt zu werden …
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Das hatte sie in langen Nächten im „Kaiserkeller“ und im „Top 10“-Club wach gehalten (und das Aufputschmittel Preludin half auch ein bisschen). Sie waren hier durch die Sex-Drugs-und-Rock’n’Roll-Schule gegangen und daran gewachsen, hatten eigene Songs geschrieben, ihre ersten Plattenaufnahmen mit Tony Sheridan gemacht; Erwin Ross hatte ihnen den später ikonografischen Schriftzug auf die Bass-Trommel gemalt, Astrid Kirchherr ihnen ihre Pilzköpfe verpasst und den Bassisten Stuart Sutcliffe ausgespannt, so dass – ein weiterer wichtiger Karriereschritt – Paul McCartney für ihn die tiefen Töne übernehmen musste. Sutcliffe starb drei Tage vor der „Star-Club“-Eröffnung. Ein Schock vor allem für Lennon, der in den nächsten zwei Monaten – in denen die Beatles sich das Spotlight an der Großen Freiheit mit anderen Bands aus Liverpool wie Gerry & The Pacemakers und The Searchers teilten – stets sturzbetrunken auf die Bühne stieg und das Publikum bis zur Raserei provozierte:
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„Hey, remember the war?“ Don’t mention the war! In dieser Zeit schärften die Beatles ihren Live-Act, nahmen neue Songs ins Repertoire, die später auf ihrem Debüt „Please Please Me“ auftauchen sollten, und entfremdeten sich endgültig von ihrem Schlagzeuger Pete Best. Bei ihrem zweiten „Star-Club“-Gastspiel im November saß bereits Ringo Starr am Schlagzeug, und ihre Single „Love Me Do“ kletterte in den UK-Charts bis auf Platz 17. Nach den Beatles gingen noch viele Sterne von Bill Haley bis Jimi Hendrix an die Große Freiheit auf und unter, doch der Name „Star-Club“ blieb für immer mit den Fab Four aus Liverpool verbunden. Am Neujahrstag 1970, zwei Tage bevor McCartney, Harrison und Starr zum letzten Mal vor der offiziellen Trennung im April gemeinsam als The Beatles aufnahmen, wurde der „Star-Club“ geschlossen.
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Oktober 1962: Motortown Revue – Marvin Gaye, die Supremes und Stevie Wonder on the road
Die Busse waren alt, und Geld gab es auch keins“, erinnert sich Mary Wilson von den Supremes, „aber es waren trotzdem die besten Jahre. Wir waren wie eine große Familie.“ 1962 hatte sich Motown Records vom kleinen Chicagoer Label mit gerade mal 800 Dollar Startkapital zur Erfolgsfirma mit Hits von den Contours, den Marvelettes und den Miracles entwickelt. Um die Botschaft weiter zu verbreiten, erfand Motown-Gründer Berry Gordy Jr. die „Motortown Revue“, ein Tourpaket, das der Firma Schlagzeilen einbrachte und dem strengen Motown-Moralkodex Genüge tat, indem es die Musiker mit Aufpassern durch die Lande reisen ließ. Das erste Konzert fand Ende Oktober im Howard Theater in Washington D.C. statt. Es folgten Auftritte in 19 Städten, davon 15 im streng rassengetrennten Süden, sowie zehn Abende im „Apollo Theater“ in Harlem. Auf dem Programm standen neben den Miracles, den Marvelettes und Mary Wells auch die Supremes, Martha Reeves und die Vandellas, die Contours, Marvin Gaye und, wie er damals hieß, Little Stevie Wonder, „das zwölfjährige Genie“ …
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Die Kritiken waren gut, die Bezahlung schlecht. Die Supremes verdienten 290 Dollar pro Woche. Dafür spielten sie, wie alle anderen, ein straff choreographiertes zehn- bis 20-minütiges Set. Die Miracles, die mit ihrem zweiten Nummer-eins-Hit „You’ve Really Got A Hold On Me“ gerade die R&B-Charts anführten, kamen als letzte. Die Konkurrenz zwischen den Gruppen war enorm. „Wir wurden die No-Hit-Supremes genannt“, erzählt Wilson. „Wir mussten uns vors Publikum stellen, unsere zwei Songs singen und hoffen, dass keiner von uns umkippte.“ (Den ersten richtigen Hit landeten die Supremes erst 1964 mit „Where Did Our Love Go?“) Tourmanager Thomas „Beans“ Bowles ließ Stevie Wonder immer vor Marvin Gaye auftreten. „Stevie war ein Energiebündel und hatte das Publikum sofort im Griff. Marvin musste danach alles geben, sonst wäre er durchgefallen.“ Zu seinem Glück schaffte Gaye das fast immer. „Die Leute saßen dir fast auf dem Schoß“, berichtete er später. „Die Frauen kreischten dir direkt ins Gesicht. Ich hatte die Hosen gestrichen voll.“ …
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Im Süden, wo vor vielen Veranstaltungsorten die Flagge der Konföderierten wehte und Schwarze und Weiße getrennt saßen, musste die Truppe ständige Demütigungen hinnehmen. „Für uns Schwarze war es ziemlich entmutigend, andere Schwarze oben auf den Rängen hinter dem Geländer stehen zu sehen“, erzählt Katherine Anderson Schaffner von den Marvelettes. „Du versuchst, eine gute Show hinzulegen, aber die ganze Zeit klopft dein Herz wie wild, weil du nicht weißt, ob nicht etwas passieren wird.“ Motown zog schwarze wie weiße Zuhörer an, und so war ihre Musik auch eine Musik der Veränderung. „Als wir in Orlando ankamen, war es heiß und stickig“, erzählt Wilson. „Deshalb rannten wir gleich zum Pool des Motels. Doch als wir reinsprangen, verließen die Weißen geschlossen das Becken. Dann fing jemand an, Platten zu spielen und wir sangen mit. Als sie merkten, wer wir waren, rückten die Weißen langsam wieder näher – und zum Schluss feierten alle zusammen.“
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Oktober 1962: Eine Heilige Gospel-Messe für 5700 Dollar – James Brown schwitzt eine Woche im Apollo Theatre
Wir waren ein Haufen Landeier aus Georgia“, beschreibt Bobby Byrd den Auftritt der James Brown Band im Oktober 1962 im Harlem Apollo Theatre, bei dem „Live At The Apollo“ entstand. „Und wir waren nach New York gekommen, um es richtig krachen zu lassen.“ Die 16-köpfige Band war für eine Woche gebucht, zusammen mit Solomon Burke, Blues-Gitarren-König Freddie King, den Valentinos und dem Komödianten Pigmeat Markham. Pro Tag waren fünf Auftritte zu absolvieren, und das berüchtigte Apollo-Publikum machte Brown keine Angst: „Ich war fest davon überzeugt, dass wir sie wegpusten würden.“ Natürlich behielt er Recht …
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In den drei Jahren seit ihrem ersten Gig im Apollo hatte Brown seine Band zu einer der strammsten Formationen im R&B getrimmt. Ein Grund waren die 300 Gigs, die sie im Jahr spielten, ein anderer die Geldstrafen, mit denen Brown Bandmitglieder belegte, die eine Note verhauten, Tanzschritte verpassten oder mit kaputten Schuhen antraten. Am 24. Oktober waren die Strafen besonders hoch: „Wenn dir an dem Abend etwas daneben ging, kostete das nicht fünf oder zehn Dollar, sondern zehn Mal so viel“, erzählt Bobby Byrd. Der Grund: Der Auftritt um Mitternacht wurde live aufgenommen, und Brown hatte eigenes Geld investiert. Inspiriert von Ray Charles’ „In Person“ (1960), wollte er auf einem Live-Album zeigen, was seine Band alles konnte – und das war viel, nach jeder seiner gnadenlosen Performances war Brown schweißgebadet und angeblich drei Kilo leichter …
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Doch weil Syd Nathan, Chef von Browns Label King, meinte, Plattenkäufer seien nur an neuen Singles interessiert, finanzierte Brown die Aufnahme mit 5700 Dollar selbst: „Das war alles, was ich hatte.“ Das Album erwies sich mit einer Million verkauften Exemplaren als gute Investition. Browns Band prügelte sich derart schnell durch die Songs, dass Radio-DJs Probleme hatten, einzelne Stücke rauszupicken. King Records brachte Single-Auskopplungen heraus, doch die Hörer wollten das ganze Paket, so dass manche Sender eine ganze Albumseite durchspielten. „Ich wollte die Atmosphäre einer Gospel-Messe einfangen, diese Momente, wenn der Heilige Geist in die Leute fährt“, so Brown. „Wahrscheinlich ist es das beste Album, das ich je gemacht habe.“ Das war es tatsächlich.
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April 1963: Party-Knaller aus der Garage – Die Kingsmen nehmen „Louie Louie“ auf
Im April 1963 legten fünf schlaksige Teenager aus Portland, Oregon 50 Dollar auf den Tisch, um im Northwest Recorders einen Song aufzunehmen. Keiner von ihnen war schon mal in einem Studio gewesen, und weil sie ihren Live-Sound so naturgetreu wie möglich rüberbringen wollten, standen sie in einem Kreis um das Hängemikrofon, mit Sänger Jack Ely in der Mitte. Die Zeit reichte nur für eine Aufnahme von „Louie Louie“, das die Leute immer zur Tanzfläche strömen ließ, und bei der lag Schlagzeuger Lynn Easton manchmal ebenso daneben wie Ely mit seinem Text. „Saubere Aussprache kannst du knicken, wenn du den Kopf ganz nach hinten gebeugt hast und versuchst, gleichzeitig laut zu singen und Gitarre zu spielen“, erklärt er. „Louie Louie“ wurde ein Meilenstein des Rock’n’Roll: Vorbild für „You Really Got Me“ von den Kinks und „Gloria“ von Van Morrison und Them sowie Inspirationsquelle für Hunderte von Garagenbands, die noch rauer und ungeschulter waren als die Kingsmen …
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„Es klang, als wären sie bei der Aufnahme betrunken gewesen, und deshalb ist es Pflicht für alle, die einen sitzen haben“, meint der Regisseur John Landis, der in seiner legendären Fernseh-Comedy-Serie „National Lampoon“ den drogensüchtigen und notorisch chaotischen Schauspieler John Belushi den Song singen ließ. „Es ist der ultimative Party-Knaller.“ Es ist auch der ultimative Cover-Song: Otis Redding, Tina Turner, Bruce Springsteen, Black Flag, sogar Barry White – und ein paar hundert andere Künstler nahmen es in ihr Repertoire auf. Eigentlich stammt „Louie Louie“ aus der Feder von Richard Berry, der es 1956 mit seinen Pharaohs das erste Mal zu Gehör brachte. Ein paar Monate später wurde es ein bescheidener Radio-Hit an der Westküste und von lokalen Tanzkapellen nachgespielt. Die Version, die die Kingsmen 1961 hörten, kam von den Wailers, einer Band aus Seattle …
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Im Dezember 1963 erreichte die erste Platte der Kingsmen den zweiten Platz in den amerikanischen „Billboard“-Charts. Viele meinten, in dem vernuschelten Text sexuelle Anspielungen zu erkennen: „I smell the rose, ah, in her hair“ wurde von manchen DJs und Hörern als „I felt my boner in her hair“ interpretiert, was den Song bei vielen Sendern auf der schwarzen Liste landen ließ. Im Januar 1964 brandmarkte Indianas Gouverneur Matthew Welsh den Song als „pornografisch“; einen Monat später leitete das FBI sogar Ermittlungen ein, die zwei Jahre später allerdings ergebnislos eingestellt wurden. Die angeblichen Zweideutigkeiten beflügelte den Ruhm des Stücks, das von jungen Bands umso lieber nachgespielt wurde und sich über Jahrzehnte den Ruf einer exquisiten Schweinerei erhalten hat. Der Text wurde je nach Gusto variiert und verballhornt. „Ich würde gern behaupten, dass der Erfolg das Ergebnis meisterhafter Vermarktung, Planung und künstlerischer Sorgfalt war“, meint Easton. „Aber eigentlich hatten wir nur Riesendusel. Irgendwie standen die Sterne gerade richtig.“
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Frühjahr 1963: Mäuse und Ratten – Produzent Phil Spector baut die „Wall of Sound“.
„Ich glaube, mit mir arbeiteten alle gern, aber sie hassten Gold Star“, sagt Phil Spector über das kleine, feuchte Studio in Hollywood, wo seine klassischen „Wall of Sound“-Singles entstanden. „Im Gold Star gab’s Scheiße, Mäuse, Ratten, Kakerlaken, eine 90-Prozent-Wahrscheinlichkeit, dass sie draußen dein Auto knackten, und einen Toilettensitz, auf dem man sich Filzläuse holte. Alle Musiker hatten welche und gaben sie an ihre Frauen und Freundinnen weiter – ich wette, diese Filzläuse haben ein paar langjährige Beziehungen auf dem Gewissen.“ Aber, so fügt er hinzu, „wen kümmerte das? Es hatte einen super Hallraum.“ Dieser Hallraum bestand aus Betonkästen, jeder etwa einen Meter hoch und etwas über einen Meter breit, und war einer der wichtigsten Bausteine in Spectors „Wall of Sound“ …
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Ein anderer war sein gnadenloser Perfektionismus. Der Mann, dem Tom Wolfe den Spitznamen „Tycoon of Teen“ verpasste, war im Studio ein gnadenloser Schinder: Die Mitglieder seiner Hausband (intern hießen sie „das Abbruchkommando“), mussten ihre Stücke bis zum Umfallen proben, und Spector ließ die Arrangements so oft wiederholen, bis er haargenau das bekam, was er wollte. Es war nicht zuletzt die schiere Menge an Musikern, die diesen Sound hervorbrachte: Anfang 1963, als er mit den Aufnahmen für „Be My Baby“ begann – als Teil einer Serie von 20 Monster-Hits zwischen 1962 und 1966 –, stopfte der Produzent mehr Musiker ins Studio, als eigentlich reinpassten. Zwei Bassisten, fünf bis sechs Percussionisten, fünf bis sechs Keyboarder, eine fünfköpfige Bläsersektion, ein Schlagzeuger und sieben bis acht Gitarristen …
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„Ernsthaft, oft mussten wir die Leute stapeln“, erklärt Spector. „Es war nicht ungewöhnlich, dass zwei oder drei Pianisten am selben Instrument zugange waren – einer im oberen Register, der zweite in der Mitte und der dritte unten –, zusammen mit einem Cembalo, einem elektrischen Piano und einem Klavier.“ Im Zentrum des ganzen angerichteten Irrsinns-Bombastes stand die erst 17-jährige Sängerin (und spätere Mrs. Spector) Ronnie Bennett, die so schüchtern war, dass sie grundsätzlich nur in der Garderobe übte. Sie brauchte drei Tage für den Gesang, danach laborierte Spector noch drei Monate an dem Song herum, bis er endlich zufrieden war. „Ich war ständig im Studio, änderte etwas, änderte es dann wieder, um es noch besser hinzukriegen. Ich musste das Stück hunderte Male hören, und jeder Overdub war kritisch. Nach Hause ging ich, wenn die anderen Schlaf brauchten. Ich konnte sowieso nicht schlafen.“
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Sommer 1964: Mod’s Finest – The Who explodieren in London
„Alle Kumpels aus der Kunstschule waren gekommen, um die Who in diesem kleinen Club zu sehen“, erinnert sich Pete Townshend an den Tag, an dem er zum ersten Mal sein Instrument zertrümmerte. „Als ich probehalber so ein bisschen mit der Gitarre rumwedelte, brach auf einmal der Hals durch. Ein paar Leute kicherten, und ich dachte: ‚Mist, wenn das Ding sowieso hinüber ist, kann ich es auch gleich zu Klump hauen.‘“ Später machte er daraus eine Gewohnheit, die er selbst auf ein Interesse an „autodestruktiver Kunst“ zurückführt. Sie gab aber auch eine tolle Show ab. Beim nächsten Gig war der Club rappelvoll und die Menge hoffte auf eine Wiederholung. Townshend weigerte sich, aber Keith Moon, „der nicht außen vor bleiben wollte“, zerlegte dafür sein Schlagzeug …
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Das war im Sommer 1964, und die Who, die damals noch die High Numbers hießen, spielten jeden Dienstag in einem schäbigen Pub namens „Railway Tavern“ in Harrow, einem Arbeiterviertel im Nordwesten Londons. Townshend, Sänger Roger Daltrey, Bassist John Entwistle und Moon spielten auf einer Bühne aus Bierkästen unter einer einzigen roten Glühbirne, in einem winzigen Raum voller perfekt gestylter, Pillen schluckender Teenager, die sich Mods nannten und in der Hauptstadt stilmäßig den Ton angaben. Townshend mit seiner Windmühlentechnik konnte kaum verhindern, dass der Hals seiner sechssaitigen Rickenbacker Bekanntschaft mit der Zimmerdecke machte. Die Who waren alle Mods, und ihre Debüt-Single „I’m The Face“ – noch unter dem alten Namen und in derselben Woche veröffentlicht, in der die Band erstmals im „Railway“ auftrat – war eine der ersten Mod-Hymnen.
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25. Juli 1965: Dichterkönig unter Strom – Bob Dylan elektrisiert das Newport Folk Festival
Der umstrittenste Auftritt im Rock’n’Roll dauerte 15 Minuten: drei Songs, gespielt in ohrenbetäubender Lautstärke von einer elektrifizierten Blues-Band, angeführt vom jungen Dichterkönig, beim geheiligten Jahreskongress der Akustik-Puristen, dem „Newport Folk Festival“. In dieser Viertelstunde am 25. Juli 1965, einem warmen Sonntagabend, verkündete Bob Dylan, 24, mit der vollen Stromladung der Paul Butterfield Blues Band im Rücken, seine Unabhängigkeit von der Orthodoxie der Folkszene. Dafür zahlte er einen hohen Preis. Augenzeugen berichten, dass er die Bühne mit Tränen in den Augen verließ – geschockt vom Geplärre und Geschimpfe aus dem Publikum –, bevor er noch einmal zurückkehrte, um mit zwei akustischen Nummern Buße zu tun. Butterfield-Gitarrist Mike Bloomfield meinte, Dylan habe „richtig verstört“ ausgesehen …
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Als Dylan in Newport die Bühne betrat, in schwarzen Hosen und grünem Hemd, eine Fender Stratocaster im Arm, zeigte er sich das erste Mal seit seiner High-School-Zeit öffentlich mit einer elektrischen Gitarre. Einen Monat zuvor hatte Dylan seinen ersten Top-Five-Hit, „Like A Rolling Stone“, in New York mit einer Band aufgenommen, zu der auch Kooper und Bloomfield gehörten. Bei seinem ersten Auftritt an jenem Wochenende, einem Workshop am Samstag, hatte er noch Folksongs gespielt. Danach wurde Kooper von Dylans Manager Albert Grossman angesprochen. „Er sagte, Bob würde nach mir suchen. Ich ging hinter die Bühne und Bob sagte: ‚Am Sonntag will ich elektrisch spielen.‘“ Dylan, Kooper, Bloomfield und der Rest der Butterfield Band probten den ganzen Samstagabend mit Pianist Barry Goldberg in einer nahe gelegenen Villa. „Es war ein anstrengender Abend – schwierig, unangenehm“, erinnerte sich Kooper …
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Die Ad-hoc-Formation schaffte nur drei Songs: das beißende „Maggie’s Farm“, „Like A Rolling Stone“ und dem neuen „It Takes A Lot to Laugh, It Takes A Train to Cry“. Die mangelnde Vorbereitung zeigte sich gleich zu Beginn ihres Sets: Drummer Sam Lay drehte den Beat in „Maggie’s Farm“ um, was die ganze Band in Verwirrung stürzte. Folk-Ikone Pete Seeger gestand, Dylans Auftritt habe ihn derart erbost, dass er am liebsten das Mikrofonkabel durchtrennt hätte, aber nur deshalb, weil Dylans Stimme so verzerrt gewesen sei.Die Menge regte sich vermutlich eher auf, weil der Star des Newport-Programms schneller von der Bühne war, als manche Folkies für eine Mörderballade brauchen. Die Folkszene erholte sich nie von dem Schock, Rock’n’Roll war danach auch nicht mehr derselbe, und Dylan wusste, dass er die Verantwortung trug. Maria Muldaur erinnerte sich, wie Dylan bei bei der anschließenden Party allein in der Ecke saß. Sie fragte ihn, ob er tanzen wolle. „Ich würde schon“, antwortete er, „aber meine Hände brennen.“
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August 1966 : König Ödipus – The Doors sorgen mit „The End“ für einen Skandal auf dem Sunset Strip
Im Sommer 1966 gab es in Los Angeles Krawalle auf dem Sunset Boulevard, als friedlicher Protest gegen den Vietnam-Krieg eskalierte. Und eine Rockband namens The Doors, die keiner kannte, landete einen Gig im „Whisky a Go-Go“, einem Club auf dem Sunset Strip. Die Gruppe war im Jahr zuvor von zwei Filmstudenten gegründet worden, dem Nachwuchs-Poeten Jim Morrison und dem Blues-Keyboarder Ray Manzarek. „Wir waren Hausband im ,London Fog‘, einem jämmerlichen kleinen Club in der Nähe des Whisky“, erzählt Manzarek heute. „Das ,Whisky‘ war Mekka für uns. Dort spielten all die großen Bands. Wenn wir Pause hatten, gingen wir rüber und guckten durch die Tür: ‚Hallo, wir sind die Band von nebenan.‘ Dafür wurden wir regelmäßig ausgelacht.“ Als Ronnie Harran, die das „Whisky“-Programm buchte, die Doors schließlich live sah, war sie beeindruckt von Morrisons Bühnenpräsenz und bot der Band an, als feste Vorgruppe jeden Abend zwei Sets zu spielen. Den ersten Abend eröffneten sie gleich für Them – er gipfelte in einem von beiden Morrisons (Van und Jim) gemeinsam gesungenen „Gloria“. Das Repertoire der Doors bestand damals aus 15 Songs, die sie mit ein bisschen James Brown und Chicago-Blues auffüllten …
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Weil das trotzdem nicht für zwei Sets reichte, wurde gestreckt, was das Zeug hielt – so entstand der epische, sololastige Doors-Sound. Die Band hatte bald eine eigene Fangemeinde, und das „Whisky“ wurde zum Treffpunkt merkwürdiger Gestalten. Manzarek: „Da gab es diese beiden Typen, Carl und Vito, die so eine zigeunermäßige Tanztruppe anführten. Sie wurden umsonst reingelassen, weil sie so aussahen, wie Touristen sich Hippies vorstellen. Keine Ahnung, ob die überhaupt was einschmissen, die waren von Haus aus völlig meschugge, aber sie tanzten wie die Teufel. Und sie liebten ‚The End‘“. Eine frühe Version von „The End“ – eine, die man zum Beispiel gefahrlos in der Halbzeit des Superbowl hätte zeigen können. Doch dann tauchte Morrison eines Abends nicht zum ersten Set auf. Die Band spielte ohne ihn, aber „Whisky“-Chef Phil Tanzini war stinksauer und bestand darauf, Morrison habe pünktlich zum zweiten Set an Ort und Stelle zu sein. Sie fanden ihn in seiner Wohnung, in Unterwäsche und auf einem Acid-Trip, und transportierten ihn rechtzeitig zurück ins „Whisky“, „ein bisschen bedröhnt, aber klar im Kopf“, wie sich Manzarek erinnert. „Nach der dritten Nummer drehte er sich plötzlich um und meinte: ‚Lasst uns „The End“ spielen.‘ Ich sagte: ‚Jim, wir haben erst drei Stücke gespielt!‘“ Normalerweise wurde „The End“ fürs Finale aufgespart, doch Morrison bekam seinen Willen …
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„Es gab eine Stelle im Stück, an der Jim ein bisschen improvisieren durfte, und er signalisierte uns, dass wir leiser spielen sollten. Und dann deklamierte er zum ersten Mal: ‚The killer awoke before dawn. He put his boots on.‘ Die Tänzer blieben einer nach dem anderen mit großen Augen stehen. Als er fortfuhr, ‚Father, I wanna kill you‘, wusste ich, was kommen würde. Bitte, tu es nicht, dachte ich.“ Doch Morrison tat es natürlich. Als er brüllte, „Mother, I want to fuck you!“, schaltete die Band, die seine Rezitation bis dahin leise begleitet hatte, auf Overdrive. Manzarek: „John prügelte auf die Trommeln ein, ich hämmerte auf die Orgel, Robby ließ seine Gitarre kreischen wie einen Dämon. Es war die Hölle, die Leute tanzten wie die Irren, in dionysischer Ekstase. Wir hatten Ödipus Rex exorziert, mitten auf dem Sunset Strip!“ Als die Doors von der Bühne stiegen, wussten sie, dass sie einen Killer gelandet hatten. Sie hatten aber auch Tanzinis Sinn für Anstand verletzt. Er ging hinter die Bühne, fragte Morrison: „Wie zum Teufel kannst du so was über deine Mutter sagen?“ und feuerte die Band auf der Stelle. Krieger fragte: „Willst du, dass wir am Wochenende noch spielen, oder sollen wir gleich gehen?“ Tanzini überlegte einen Moment und erwiderte: „Ihr spielt durch bis Sonntag, dann schmeiß ich euch raus.“
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Sommer 1965: Ungekrönte Könige des Swinging London – Carnaby Street, King’s Road – und der Siegeszug von „Satisfaction“
Im Sommer 1965 war Swinging London vielbestaunter Nabel nicht nur der Popwelt. Hier konvergierten Kunst, Kino, Literatur, Medien, Mode und Musik auf ungekannt schillernde Weise, hierhin pilgerte die hippe Jugend aus aller Herren Länder, um sich an den Hotspots der Stadt zu treffen. King‘s Road und Carnaby Street hießen die zugkräftigen und umsatzträchtigen Fashion-Biotope, in den Clubs von Soho spielten nächtlich die heißesten Acts der Mod-Szene, in den Galerien von Chelsea und Notting Hill war es Ehrensache, seiner Zeit weit voraus zu sein. Paradox also, dass der globale Sommerhit jenes denkwürdigen Jahres seinen Siegeszug nicht von der britischen Metropole aus antrat, sondern von amerikanischem Territorium …
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Sicher, die USA waren nach der „British Invasion“ vom Vorjahr popmusikalisch kolonialisiert. Dennoch sorgte es für Indignation bei der In-Crowd, dass die „ungekrönten Könige des Swinging London“, wie die „Times“ schrieb, „ihren neuesten Schrei“ zuerst auf fremdem Kontinent vernehmen ließen. Die Rede ist natürlich von den Rolling Stones und „Satisfaction“. In Clearwater, Florida von Keith im Traum ausgeheckt, in Hollywood aufgenommen und eigentlich nicht für Single-würdig erachtet, entwickelte das Wutgeheul wider Konsumterror und Fremdbestimmung eine ungeahnte Eigendynamik, wurde im Juni auf den nach neuer Stones-Musik lechzenden US-Markt geworfen und hatte dort mehr als eine Million Abnehmer gefunden, ehe Decca in England in die Gänge kam …
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Die paar Wochen zwischen US- und UK-Release überbrückten die Piratensender mit Import-Copies, was der Popularität dieser Sender, die von Schiffen aus Pop-Britannien beschallten, ungeheuren Auftrieb gab. Die Interpreten selbst stellten den Song im heimatlichen England bei einigen Gigs live vor und wunderten sich, dass lauthals mitgesungen wurde, wiewohl die im Stones-Camp umstrittene Single erst im August in die Läden kommen sollte. Er habe sich am Sound der Fuzz-Gitarre schnell überhört, sagte Richards, es wäre ihm lieber gewesen, man wäre seiner ursprünglichen Idee gefolgt und hätte Bläser dafür eingesetzt, so wie später Otis Redding. Fraglich freilich, ob man so eine ähnlich durchschlagende Massenwirksamkeit erzielt hätte. Womöglich wäre es „Satisfaction“ sogar ergangen wie der anderen großen Hymne des swingenden London: „My Generation“ nämlich von The Who. Die fand außerhalb Englands zunächst kaum Abnehmer, am wenigsten in Amerika.
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Januar 1966: Ashbury High – Die Grateful Dead heben bei Konzerten und „Acid Tests“ in San Francisco ab
Die Fahnen der Freaks wehten Mitte der 60er Jahre schon über ganz Amerika, aber nirgends so bunt wie in San Francisco, dem Geburtsort der Psychedelic-Rock-Szene. „Damals konnte jeder tun, was er wollte“, sagt Grace Slick, Sängerin von Jefferson Airplane. „Man denkt immer, es wären alle in Batik-Shirt und Schlaghosen rumgelaufen. Aber ich trug Opernkostüme, und zwar nicht nur auf der Bühne, sondern jeden Tag. Manchmal auch eine Uniformjacke der LAPD, mit Handschellen als Armreifen. Ich wurde oft verhaftet. Oder ich zog ein Pfadfinderinnen-Outfit an. Ich war nie Pfadfinderin.“ Währenddessen hatte eine Bar-Band namens The Warlocks LSD entdeckt und ihre Begeisterung für John Coltranes Jazz-Improvisationen mit Blues und Rootsmusik verschmolzen – der ideale Freistil-Soundtrack zum lokalen Trip …
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Die Band musste ihren Namen ändern: Warlocks gab es schon in Texas (aus denen wurde später ZZ Top) und New York (bald bekannt als Velvet Underground). Jerry Garcias Vorschlag Mythical Ethical Icicle Trycicle verkniff man sich klugerweise, stattdessen hießen sie nun The Grateful Dead. „Wir waren eine Kneipenband“, bemerkte Gitarrist Bob Weir einmal, „mit außerordentlichen Eigenschaften.“ Berühmt und berüchtigt wurden sie zuerst durch ihre Auftritte bei den sogenannten Acid Tests, den Drogen-Happenings, die der Autor Ken Kesey und seine Merry Pranksters organisierten. Garcia beschrieb die Szene 1969 dem ROLLING STONE: „Kesey schrieb auf, was er sah, und diese Messages wurden an die Wand projiziert …
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Jemand kommentierte es über ein Mikro irgendwo, und das hörte man über einen Lautsprecher, der wieder ganz woanders stand… Es gab keine regulären Sets – manchmal standen wir auf und spielten zwei Stunden lang, manchmal spielten wir nur zehn Minuten, und dann waren wir von der Rolle und gingen auseinander… “ All das kulminierte beim „Trips“-Festival, einem dreitägigen Event im Januar 1966 in der Longshoreman’s Hall. Zwischen 3000 und 5000 Leute kamen, um die Dead, Big Brother And The Holding Company und andere zu erleben. Von einem „elektrischen Zirkus“ war die Rede. „Nach dem Festival“, sagt Weir, „wurde die Szene von San Francisco deutlich mehr beachtet.“ Auch Konzertpromoter Bill Graham war vor Ort, registrierte die wirkungsvolle Verbindung von psychedelischer Lightshow und Rockmusik – und setzte sie bald auch selbst bei Veranstaltungen ein.
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Januar/Februar 1966: Genius auf Hasch – Brian Wilson komponiert die „Pet Sounds“
Als die Beach Boys im Januar 1966 auf Japan-Tournee gingen, blieb ihr Anführer Brian Wilson daheim in Bel Air, Kalifornien, in dem Haus, in das er nicht nur ein Tonstudio hatte einbauen lassen, sondern später auch einen Sandkasten. Nach einem Nervenzusammenbruch hatte Wilson das Touren aufgegeben. Und war fest entschlossen, als nächstes ein Meisterwerk zu kreieren. Die Beatles hatten „Rubber Soul“ veröffentlicht. Wilson wollte Lennon-McCartney noch übertreffen. Das Ergebnis, „Pet Sounds“, sollte seinerseits die Beatles zu neuen Höhenflügen anstacheln: Paul McCartney nannte das Album als Inspiration für „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“. „Ich wusste, dass wir da etwas Besonderem auf der Spur waren“, sagt Wilson. „Und wir folgten stets meinem Gefühl.“ Er arbeitete mit dem Texter Tony Asher zusammen, dem Jinglekomponisten einer Werbeagentur, die für Mattel-Spielzeug oder Gallo-Wein Reklame gemacht hatte …
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Die zwei waren sich in einem Studio kurz begegnet, und Wilson hatte Asher aufgeregt einige neue Instrumentaltracks vorgespielt. Ein paar Wochen später – als er unter einer Schreibblockade litt und Capitol Records wegen des neuen Albums schon Druck machte – rief er Asher an. „Ich dachte zuerst, da spielt mir jemand von meinem Büro einen Streich“, sagt Asher. „Wir sollten nicht vergessen, dass er zu der Zeit ziemlich verzweifelt war.“ Wilsons Verhalten bei den Sessions war, gelinde gesagt, sonderbar. Eine Fernsehserie wie „Flipper“ rührte ihn zu Tränen, und er verweigerte das meiste Essen und ernährte sich von Krabbencocktail und Steak in Restaurants. Asher erinnert sich an einen Abend, an dem sie dermaßen viele Haschkekse verspeisten, dass er dachte, er würde sterben. Und doch: Je wirrer Wilsons Geisteszustand wurde, desto genialer gerieten seine musikalischen Ideen …
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Wilson und Asher begannen die meisten Sessions damit, dass sie eine Stunde lang zusammensaßen und sich über frühere Freundinnen unterhielten, was die textliche Richtung der Songs vorgab. Dann gingen sie ans Klavier. Wilson versuchte die Musik in seinem Kopf herauszulassen, Asher kritzelte auf einen Schreibblock. Als Produzent probierte Wilson hemmungslos alles aus. Für das Cembalo-artige Intro von „You Still Believe In Me“ öffneten sie das Klavier und zupften die Saiten von innen. „Das hatte ich längst mal versuchen wollen“, sagt Wilson. Fürs Instrumental „Let’s Go Away For A While“ benutzte er zwölf Geigen, vier Saxofone, Klavier, Oboe, Vibrafon, zwei Bässe, Percussion sowie eine Gitarre, die zwecks Steel-Guitar-Effekt mit einer Colaflasche auf den Saiten gespielt wurde. Gesangsgäste bei „Caroline, No“ waren Banana und Louie, Wilsons Hunde. „Ich weiß schon, dass es ein gutes Album war“, sagt Wilson, „aber wenn immer gesagt wird, es sei eines der besten…“ Er hält inne. „Dann ehrt mich das.“ Sein Lieblingstrack auf „Pet Sounds“ ist bis heute „God Only Knows“, denn, wie er sagt: „Liebeslieder mochte ich immer schon.“
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