5 Männer, 1 Gehirn
LIAM GALLAGHER TRÄGT eine sehr verspiegelte Sonnenbrille. Es nieselt in London, der Interviewraum ist schlecht beleuchtet. Als er sich auf den Sessel fläzt, stößt er fast seine Teetasse um, aber die Sonnenbrille bleibt. Schnell noch die Arme vor der lederbejackten Brust verschränkt, und es kann losgehen. Neben Liam sitzen die Gitarristen Gem Archer und Andy Bell, außerdem Schlagzeuger Chris Sharrock, der freundlich lächelt, aber kaum etwas sagt. Beady Eye geben grundsätzlich nur gemeinsam Interviews, sie sind nämlich eine Band. Und zwar eine, die mit der anderen Band, der alten also, möglichst wenig zu tun haben will. Vier Jahre nachdem ein Streit zwischen Liam und Noel Gallagher eskalierte und nichts mehr zu retten war, nennen sie Oasis alle so: „the other band“.
Überhaupt sind sich die vier Briten ständig sehr einig. Zum Beispiel darüber, dass die Aufnahmen für ihr zweites Album, „BE“, ein großer Spaß waren. „Rock’n’Roll!“, ruft Liam. Auf 18 Lieder kamen sie, unterstützt von Produzent Dave Sitek, in nur fünf Wochen. Liams Devise ist: „Es gibt keine Scheiß-Songs, nur Songs, die noch nicht richtig erforscht wurden.“ Das Beady-Eye-Debüt, „Different Gear, Still Speeding“ von 2011, erscheint ihnen in der Rückschau selbst etwas zu brav, so kam der TV-On-The-Radio-Mann ins Spiel. „Unser Manager hat ihn empfohlen“, erzählt Liam (einer der wenigen Sätze, in denen weder „fuck“ noch „shit“ oder „piss“ vorkommt).“Er meinte, der Typ kommt nicht viel raus, wollen wir den nicht mal rüberholen? Wir haben Dave zum ersten Mal im Studio getroffen, als wir mit den Aufnahmen anfingen.“ Was laut Gem zwar ein Wagnis war, aber kein allzu großes: „Wenn es nicht funktioniert hätte, hätten wir eben einen anderen gesucht. Egal, wie weit man geht, man kann ja immer wieder zurückkommen.“
Und tatsächlich: Besonders innovativ klingt „BE“ nicht, eher wie mehr vom selben, ein paar spacige Elemente hin oder her. Sie lieben eben alle den klassischen Britpop – und kommen beim Songwriting oft zu ähnlichen Ergebnissen, wie Andy Bell sagt:“Wir haben sozusagen ein gemeinsames Gehirn, was unsere Musik betrifft. Durch die viele Zeit miteinander schreiben wir inzwischen Lieder, die sich kaum noch voneinander unterscheiden.“ Gem ergänzt: „Ich spiele seit 14 Jahren mit Liam. Unsere Ideen passen einfach zusammen, ohne dass wir viel überlegen müssen. Wie du vielleicht schon gemerkt hast, denken wir nicht gern zu viel über alles nach.“ Sie reden auch nicht groß über Songtexte. Bei dieser Vorstellung guckt Liam, als hätte ihm jemand eine Pflaume an den Kopf geworfen: „Ich singe alles, was man mir vorsetzt. Ich stelle mich nicht an. Ist doch kein Problem: Gib mir einen Text, ich singe ihn. It’s nothing. Piece of piss.“
Und dann kommt der Moment, in dem es um den Mann gehen muss, der nicht hier ist, aber doch stets im Raum steht: Noel Gallagher. Immerhin hat Liam ein Lied namens „Don’t Brother Me“ geschrieben, in dem er Noel Lug und Betrug vorwirft, ihn allerdings auch zum Friedensschluss auffordert. War das nötig? Die Frage stellt sich für den Sänger nicht: „It’s good, innit? Warum soll ich einen Song nicht veröffentlichen, wenn er gut ist? It’s not a big fucking thing. Der Song handelt zum Teil von Noel, zum Teil von meinem anderen Bruder und zum Teil auch von mir.“ Aber hätte es dir gefallen, wenn er so einen Song über dich geschrieben hätte? „Er hat seine verdammte Karriere darauf aufgebaut, Songs über mich zu schreiben!“ Nicht eher für dich?“Whatever.“
Ein klärendes Gespräch ist offensichtlich nicht geplant. „Noch nicht“, winkt Liam ab. „Schreien vielleicht, reden nicht.“ Ein bisschen genauer schildert er schließlich doch, was ihn immer noch so ärgert: „Er ist einfach ein guter Schauspieler. Vielleicht hat es ihm tatsächlich leid getan, dass Schluss war mit Oasis. Ich glaube es aber nicht. Ich glaube, er wollte der Frontmann im Rampenlicht sein, und er hatte ein Bündel Songs, die er verdammt noch mal nicht mit uns Jungs teilen, sondern für sich behalten wollte. Das glaube ich.“ Die Arme, die gerade noch durch die Luft wedelten, werden wieder verschränkt, Liam verstummt. Und genau das ist wohl sein Problem: Mit patzigem Trotz wird er nie gegen den eloquenten Noel ankommen. Gem versucht zu vermitteln: „Es war lange eine tolle Band, wir hatten tolle Zeiten. Davon rücke ich nicht ab. Aber ich respektiere die Meinung von beiden, wie wir alle. Ich freue mich wirklich auf den Tag, an dem wir diese Unterhaltung nicht mehr führen müssen. Falls der je kommt.“ Bell schaut mal wieder aus dem Fenster, als habe er mit all dem nichts zu tun, Sharrock zündet sich noch eine Zigarette an. Das nächste Thema, bitte!
Im vergangenen September wurde Liam Gallagher 40. Seitdem, behauptet er, interessiert es ihn überhaupt nicht mehr, was die Leute über ihn denken. „Das ist so befreiend! Ich habe mir 20 verdammte Jahre verdammte Sorgen gemacht, jetzt ist es mir scheißegal. Sollen die Leute mich vor Pubs filmen, beim Fußball, wo auch immer. Warum machen die das? Because I’m the man!“ Seinen Kindern würde er jederzeit dieselbe Karriere empfehlen: „Alle tun immer so, als wäre es verdammt hart. Was soll das scheiß Gejammer? Gott, wie schlimm, ich muss ein Rockstar sein! In zwei Jahren fünf Scheiß-Wochen im Studio sitzen! Um die Scheiß-Welt reisen! Schlimm! It’s all a piece of piss.“ Die letzte Frage muss dann natürlich sein: Hat er es wirklich ernst gemeint, als er kürzlich sagte, er höre auf, falls dieses Album kein Erfolg wird? Er schnaubt kurz und sagt: „Ja klar, das war’s dann. Ich höre auf und ziehe bei dir nebenan ein.“ Steht kopfschüttelnd auf und dreht sich nach ein paar Schritten noch einmal um: „So ein Scheiß, ich würde das niemals aufgeben, warum sollte ich so verdammt dumm sein? Ich liebe das alles. Ich liebe die Musik, die Band, das Singen. Es ist das Allerbeste auf der verdammten Scheiß-Welt.“
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