5 Gitarrensoli, die uns den Glauben an die Rockmusik zurückgeben
Nuno Bettencourt hat jüngst mit seinem Gitarrensolo im Extreme-Song „Rise“ für Verzückung in der Gitarrenwelt gesorgt — und auch sonst passierte in den letzten Monaten so einiges in der Welt der Lead-Gitarre.
Es wurde totgesagt, belächelt, gerne auch mal mit Begriffen wie „toxischer Männlichkeit“ in Verbindung gebracht. Es galt lange Zeit als „uncool“, viele meiden es auch heute immer noch wie der Teufel das Weihwasser. Aber jetzt mal ehrlich: das Gitarrensolo in der Rockmusik lebt. Mehr noch: Es geht ihm prächtig.
Warum sollte es das auch nicht tun? Ein Gitarrensolo ist schließlich viel mehr als nur ein reiner Showeffekt, mehr als eine Zurschaustellung von Technik und Testosteron. Im besten Fall ist es eine Komposition innerhalb einer Komposition, ein dramaturgischer Wende- und Höhepunkt, manchmal gar eine melodische Achterbahnfahrt — oder vielleicht sogar, ganz konträr, eine kompositorische Reduktion. Etwas, das man nicht nur technisch bestaunen, sondern auch wunderbar anhören kann – auch als Nicht-Gitarrist.
Außerdem, wer auch 2023 noch glaubt, Gitarrensoli im Rock tragen auch in der Post-Post-Moderne zwangsläufig nur Menschen mit Spandexhosen am Körper und Hairspray und auf dem Kopf, hat sowieso etwas Fundamentales verpasst. Aus diesem Grund widmen wir uns fünf interessanten und bemerkenswerten Gitarrensoli der jüngeren Zeit.
Extreme — „Rise“
Es ist das Solo, über das die Gitarrenwelt in den letzten Wochen sprach. Dass Nuno Bettencourt ein „Guitarist’s Guitarist“ ist — von Kollegen wie Brian May, Steve Lukather und etlichen anderen, sehr prominenten Gitarristen genauso geschätzt wie von Fans — ist bekannt. Dass er technisch extrem versiert ist, ebenfalls. Im April 2023 sorgte der gebürtige Portugiese mit seinem Solo in der Extreme-Single „Rise“ aber für mehr Aufsehen als gewöhnlich. Schnelle, an Van Halen erinnernde Tremololäufe, Divebombs und ein waghalsig schneller Höhepunkt — das an sich wäre noch nichts Ungewöhnliches. Dass aber seit langem wieder einmal ein Mainstream-Rocksong ein Gitarrensolo so dermaßen in den Vordergrund stellt und zugleich als Teil der Komposition einbaut — danach, so erzählte Bettencourt kürzlich im ROLLING-STONE-Interview, haben viele einfach seit langem gedürstet.
Für so manchen, das liest man immer wieder, könnte Bettencourt den Platz füllen, der seit dem Tod von Eddie Van Halen leer steht — auch, wenn er das selbst relativiert. Fest steht jedenfalls: Nuno Bettencourt legte wohl das (aus vielerlei Gründen) aufsehenerregendste Solo im Mainstream-Rock der letzten Zeit hin!
Polyphia feat. Steve Vai „Ego Death“
Ob man seinen klinisch-cleanen, technisch extrem versierten Sound mag oder nicht: Tim Henson hat die E-Gitarre ein ganzes Stück in die Zukunft gebracht und einen neuen, eigenständigen Stil entwickelt. Der 29-Jährige ist ohne Zweifel einer der großen Stars in der Gitarrenwelt — da kann man durchaus mal ein Feature mit Steve Vai machen. Der war allerdings laut eigenen Angaben leicht irritiert, als er hörte, was die Band aus den von ihm gesandten Gitarrenspuren im Stück „Ego Death“ machte — denn Henson & Co. schnitten und schoben Vais Spuren dermaßen zurecht und de/refragmentierten sie, dass der sein eigenes Solo kaum wiedererkannte. Ende gut, alles gut: Polyphia entschuldigten sich — und veröffentlichten eine „realistischere“ Version seines Solos. Hier sind sowohl Leads als auch Rhythmusparts spektakulär. Über „Ego Death“ sprach 2022 fast jeder in der Gitarrenwelt — und auch mit dem zugehörigen Musikvideo machten Polyphia und Vai definitiv nichts falsch. Und: Mit Scott LePage haben Polyphia einen ebenfalls sehr kompetenten Gitarristen in ihrer Band.
Lari Basilio „All To You“
Lari Basilio ist seit einiger Zeit ein aufkommender Stern am Gitarrenhimmel — ihr Spiel ist virtuos und mitreißend, aber stets melodiös und nachvollziehbar. Ein gutes Beispiel hierfür ist ihr Song „All To You“, auf dem sie mit zwei legendären Mitmusikern — Vinnie Colaiuta am Schlagzeug und Leland Sklar am Bass — zu hören ist. Dieses altehrwürdige Rhythmusfundament gibt der Brasilianerin die perfekte Basis, um knapp vier Minuten lang mit eingängigen und extrem geschmackvollen Leads zu glänzen.
Red Hot Chili Peppers — „Eddie“
Dass mit der Rückkehr von John Frusciante auch wieder das eine oder andere interessante Gitarrensolo bei den Red Hot Chili Peppers einkehren würde, war abzusehen. Ob Frusciantes Rückkehr sich musikalisch so spektakulär entpuppte wie erhofft, ist Ansichtssache. Sein Gitarrensolo in „Eddie“ — einem Tribut für Eddie Van Halen, erschienen 2022 auf „Return Of The Dream Canteen“ — ist jedenfalls definitiv erinnerungswürdig. Frusciante tobt sich hier über Fleas prägnante Basslinie aus, schafft es trotz ausuferndem Solo, dass beide Instrumente weiterhin im Vordergrund stehen, obwohl diese völlig konträr agieren.
„Dieses Solo zu spielen, war ein Hirnfick, das kann ich dir sagen“, erzählte Frusciante vor einiger Zeit gegenüber „Guitar Player Magazine“. „Ich habe es mir für den Schluss aufgehoben, denn die Idee, einen Song über Eddie Van Halen zu machen, bedeutet im Grunde, dass man den Leuten sagt: ‚Denkt an Eddie Van Halen.‘ Und dann, wenn es zu diesem langen Gitarrensolo am Ende kommt, sagst du: ‚Jetzt passt mal auf!‘ Und diese Idee hat mir nicht gefallen.“ Er selbst habe viele verschiedene Zugänge probiert — und war knapp davor, den Soloteil gänzlich zu streichen. „Ich habe es eine Zeit lang versucht und war mit dem, was ich gemacht habe, nicht zufrieden. Entweder ging ich zu sehr in die Eddie-Van-Halen-Richtung, sodass es zu hektisch war und zu viel beidhändiges Klopfen zu hören war und es nicht nach mir klang, oder ich tat es einfach und es klang nur nach mir … in einem Song über Eddie Van Halen.“ Die Lösung für Johns Probleme: Er hörte beim Soloteil auf, an die 2020 verstorbene Gitarrenlegende zu denken — und konnte sich so quasi freispielen.
Nita Strauss – „The Wolf You Feed“ feat. Alissa White-Glue
Spricht man von virtuosen Rockgitarristinnen, kommt man um Nita Strauss nicht herum. Die US-Amerikanerin machte sich Anfang der 2000er-Jahre mit der Iron-Maiden-Coverband The Iron Maidens einen Namen, später wurde sie von Alice Cooper für dessen Band engagiert. Dort ist sie, mit einem Zwischenstopp bei Popstar Demi Lovato, immer noch beziehungsweise: wieder aktiv. 2022 veröffentlichte sie „The Wolf You Feed“ — und zieht beim Solo alle Shredding-Register. Nita Strauss, die bei Ibanez ihre eigene Signature-Gitarre hat, ist eine Gitarrenheldin im klassischen Sinne, geschult an den Vorbildern der 1980er-Jahre.