360-Millionen-Mann
ANDERE MENSCHEN sind froh, wenn sie mit 69 endlich die Rente genießen können, Albert Hammond geht in dem Alter zum ersten Mal seit Jahrzehnten auf Tournee. Er weiß selbst, dass das komisch ist, sieht die Sache aber pragmatisch: „Ich dachte mir, ich mache das lieber, solange ich noch eine Stimme habe. Manche meiner Lieder sind sehr schwer zu singen – ich muss aufpassen, dass ich die hohen Noten treffe. Da beneide ich Leonard Cohen, der hat es leichter! Aber ich mag Herausforderungen.“
Er lehnt sich zurück und lächelt. Eigentlich müsste er erschöpft sein vom Jetlag und von tagelangen Interview-Parcours, aber er hat zu viel Spaß, um das zu merken. Fast 30 Jahre lang hatte der Wahl-Amerikaner, der in Gibraltar aufwuchs, sich zurückgezogen und jenseits des Rampenlichts Songs geschrieben und produziert. Insgesamt war er damit recht erfolgreich: Albert Hammond hat mehr als 360 Millionen Platten verkauft. Jeder kennt seine größten Lieder, „It Never Rains In Southern California“ und „The Free Electric Band“, aber er hat auch „The Air That I Breathe“ für die Hollies geschrieben, „To All The Girls I’ve Loved Before“ für Willie Nelson und Julio Iglesias, „When I Need You“ für Leo Sayer. „Nothing’s Gonna Stop Us Now“ für Starship. Whitney Houstons „One Moment In Time“. Joe Cockers „Don’t You Love Me Anymore“. „Don’t Turn Around“ wurde gleich dreimal zum Hit, unter anderem für Ace Of Base. Diana Ross sang sein „When You Tell Me That You Love Me“, auch Roy Orbison, Elton John und Duffy bedienten sich gern.
Auf zwei Alben hat er jüngst seine größten Songs zur Abwechslung selbst eingesungen – auf „Legend“ (2010) im Duett mit Kollegen wie Ron Sexsmith, Al Stewart und Cliff Richard, auf „Legend II“ (2012) schließlich allein. Die Albumtitel waren nicht seine Idee, betont er: „Ich finde nicht, dass ich eine Legende bin. Die Plattenfirmen halten einen vielleicht dafür, wenn man so viel verkauft hat, aber ich hätte das Album lieber einfach ,Songbook‘ genannt.“ Jetzt heißt die Tournee so, die im Mai auch für acht Konzerte nach Deutschland führt. Zwei Stunden will er spielen. Er hat eine Setlist vorbereitet, aber auch die akustische Gitarre dabei, um Wünsche zu erfüllen. Er stellt sich „eine Art Wohnzimmergefühl“ vor – und das passt ja gut zu seinen wohlig sanften Liedern.
So gemütlich, wie es sich viele Sänger mit seinen Liedern gemacht haben, so wohl fühlt sich Hammond auch bei der Vorstellung, dass allerorten seine Ideen umgesetzt werden: „Es gibt eigentlich fast keine Version, die ich nicht mag. Ich wundere mich nur, wie viele unterschiedliche Leute schon meine Songs gesungen haben. k.d. langs Fassung von ,The Air That I Breathe‘ kann man zum Beispiel gar nicht mit der von den Hollies vergleichen, und dann Simply Red – das ist wieder eine ganz andere Geschichte. Jede Version hat ihre Berechtigung. Das ist wie mit Frauen: Eine Frau kann groß und schlank sein oder klein und rund – in beidem liegt eine Schönheit. Man muss sie nur sehen. Und ich bin so: Ich kann die Schönheit sehen, und das hat wenig mit den Augen zu tun.“
Es fällt ihm auch nicht schwer, seine Lieder herzugeben. Er hat das früh lernen müssen. Als Hammond Mitte der 70er-Jahre sein neues Album bei seiner damaligen Plattenfirma abgab, weigerte die sich, es zu veröffentlichen. „Von den zehn Liedern darauf wurden vier später Hits: ,When I Need You‘, ,99 Miles From L. A.‘, ,To All The Girls I’ve Loved Before‘ und ,Moonlight Lady‘. Hat das Label aber leider nicht gemerkt. Ich habe also auf die harte Tour gelernt, loszulassen, abzugeben und mich gut dabei zu fühlen. Ich bin nicht habgierig.“ Mit dem Allgemeinplatz, die Musikindustrie sei heutzutage gnadenlos, kann Hammond also wenig anfangen. Er lacht bei der Vorstellung, dass es mal einfacher gewesen sein soll – und stellt doch fest: „Ich wollte nie aufhören, ich liebe das Songschreiben. Warum sollte ich das drangeben, nur weil irgendwelche Leute Fehler gemacht haben? Man muss darüber hinwegkommen und weitermachen. Was ist die Alternative? Den Rest meiner Tage aufstehen und etwas anderes machen, das ich hasse? Wie schrecklich. Man hat doch nur ein Leben!“
Es hilft sicher ein bisschen bei der Lebensplanung, wenn man weiß, was man kann. Von seinen eigenen Fähigkeiten war Hammond immer überzeugt, und abgesehen von der einen Pleite mit der Plattenfirma hat er auch allen Grund dazu. Egal mit wem er schrieb – Hal David, Diane Warren, Mike Hazlewood, Leo Sayer -, es sprang meistens ein Hit heraus. Nur mit dem großen Burt Bacharach funktionierte es nicht:“Wir passten einfach nicht zusammen, obwohl ich ihn sehr schätze. Grundsätzlich glaube ich aber, dass man mit mir leicht zusammenarbeiten kann. Ich stelle mich nicht an. Meistens bringe ich schon ein halbes Lied mit, und das machen wirklich nicht viele Songwriter. Ich wünschte, sie täten es, dann hätte ich weniger Arbeit!“
Hammond sammelt permanent Inspirationen, er hat immer einen Notizblock dabei – und modernere Erinnerungshilfen. In London entschuldigte er sich während eines Interviewtages kurz, schloss sich ins Badezimmer ein und sang ein paar Melodien in sein Telefon. Als jemand an die Tür klopfte, kam er sich zwar „wie ein Idiot“ vor, aber was tut man nicht alles für die Kunst! Lange an Liedern herumzubasteln ist dagegen nicht sein Ding. Er hält Einfachheit für das Geheimnis seines Erfolgs. Zehn Minuten, eine halbe Stunde: Wenn das Grundgerüst dann nicht steht, verwirft er die Idee.
Vorsichtshalber hört er auch nicht viel Musik, während er komponiert – aus Angst, unbewusst etwas zu kopieren. So ist es damals wohl Radiohead gegangen, die Hammond als Co-Autor ihres Hits „Creep“ angeben mussten, weil er „The Air That I Breathe“ einfach zu ähnlich war. Ein Vorgang, mit dem der Original-Autor gar nichts zu tun hatte, wie er vehement betont: „Mein Verlag hat das damals entdeckt. Ich weiß immer noch nicht, was das eigentlich soll. Ich höre natürlich eine Parallele – und Radiohead haben ja auch zugegeben, dass sie davon inspiriert wurden. Diese Ehrlichkeit fand ich beachtlich. Aber ich hätte nie darauf bestanden, als Co-Autor genannt zu werden. Ich habe ja nicht ,Creep‘ geschrieben, ich habe ,The Air That I Breathe‘ geschrieben. Was meiner bescheidenen Meinung nach der bessere Song ist!“ Er denkt kurz nach und singt dann spontan Elton Johns „Little Jeannie“ vor. Woran das erinnere? Um es einfacher zu machen, stimmt er sein „When I Need You“ an. Und lächelt milde: „Elton hat das sicher nicht geklaut. Es klingt halt nur ganz genauso, es sind exakt dieselben Noten.“
Als Songwriter mag Hammond nicht habgierig sein, Neid kennt er schon – immer wenn er „Imagine“ hört etwa, oder auch „Hey There Delilah“ von den Plain White T’s. Aber er ist doch sehr zufrieden mit seiner ungewöhnlichen Karriere: „Ich frage mich eigentlich jeden Tag: Wie habe ich das geschafft? Und womit habe ich das verdient? Wenn ich zurückblicke, bekomme ich manchmal fast Angst. Ich war vor kurzem bei der BBC, wo sie mir ein Medley mit Albert-Hammond-Songs vorgespielt haben. Ich habe eine Gänsehaut bekommen. Ich hatte völlig vergessen, dass ich ja ich bin und das meine Songs sind. Das war ganz seltsam – als würde man auf das Werk eines anderen schauen und sagen: Erstaunlich! Wer hat das gemacht?“
Im Grunde bekommt Hammond das Beste beider Welten: Er ist extrem erfolgreich im Popgeschäft und hat doch nie Paparazzi an den Hacken, anders als sein Sohn Albert Hammond Jr., der als Gitarrist bei den Strokes inzwischen wesentlich mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht. Für genau jenen Junior verabschiedete sich Hammond vor 30 Jahren aus dem Rampenlicht. Er wollte seinen Sohn aufwachsen sehen und ihn nicht nur zwischen zwei Tourneen mal kurz besuchen, wie seine beiden älteren Töchter. „Deshalb habe ich mich aufs Schreiben und Produzieren verlegt. Das war eine bewusste Entscheidung, so bewusst wie die, keine Zigarette mehr zu rauchen. Nie wieder. Ich habe beides niemals bereut. Und Albert dann später auf der Bühne zu sehen – das hat in mir wiederum den Wunsch aufkommen lassen, selbst noch mal zurückzukommen.“
Nach den beiden „Legend“-Werken will er demnächst wieder an ein Album mit neuen Songs aufnehmen, seit „Revolution Of The Heart“(2005) haben sich einige Stücke angesammelt. Einen anderen großen Wunsch muss ihm allerdings sein Sohn erfüllen: „Ich würde sehr gern eines Tages mit ihm zusammen auf Tournee gehen. Er möchte das auch, schiebt es aber immer auf. Allerdings sollten wir nicht zu lange warten. Sonst bin ich 90 und muss mit dem Stock auf die Bühne wackeln!“