Jim Hensons „Labyrinth“ – David Bowie und seine Monster-Show

Selten sprach David Bowie über seine Mitwirkung an Jim Hensons Puppenfilm "Labyrinth". ROLLING STONE über ein Werk, das heute nicht mehr gedreht werden würde – und gerade deshalb seinen Charme behalten hat.

Auf Position drei steht der Goblin King. Ob es einem gefällt, oder nicht. Auf Position drei der bekanntesten Kunstfiguren David Bowies. Gleich nach Ziggy Stardust und dem Thin White Duke. Reiterhosen, Stiefel, Tina-Turner-Perücke und Vulkanier-Augenbrauen. Als Herr über das „Labyrinth“ und einer Armee kleiner Monster versuchte Bowie, 39, ein weiteres Mal im Kino Fuß zu fassen.

Zwar floppte der 1986 ins Kino gekommene Kinderfilm, spielte nicht einmal die Hälfte seiner Produktionskosten von 25 Millionen Dollar ein. Aber die groteske Erscheinung des Popstars fehlte heute in keinem Bildband, keiner Chronologie, die sich der Rollen Bowies widmet.

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Schon vor Drehbeginn war ein Erfolg ungewiss. Einst stellte Regisseur Jim Henson mit seinen „Muppets“ im Kinderfernsehen anarchistische und vor allem sehr zynische Figuren vor, deren Parodien des Showgeschäfts Erwachsene ganz anders verstanden.

Henson blieb angestachelt

Aber mit seinem Märchen „Der Dunkle Kristall“ erlitt Henson 1982 einen Tiefschlag. Zu düster, zu bedrohlich, Masken wie aus Horrorfilmen, die Zuschauer blieben fern. Auch die 1983 wieder fürs TV entwickelten „Fraggles“ waren niedlich und lustig. Aber nicht subversiv.

Henson blieb angestachelt. Wusste aber auch, dass er es ohne die Starpower menschlicher Darsteller zukünftig schwer haben würde.

Die Skekse aus "Der Dunkle Kristall"
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Wer an den „Muppet“-Erfinder glaubte, war David Bowie. Das von Henson und Kinderbuchautor Dennis Lee verfasste „Labyrinth“-Drehbuch befand sich seit drei Jahren in der so genannten „Development Hell“, bis zum Drehstart gab es 25 Umschriften.

„Ich wollte immer schon in einem Film mitmachen, in dem Musik eine zentrale Rolle spielt, und der Kinder jeden Alters, aber auch Erwachsene anspricht“, sagte Bowie zu seinem Entschluss, die Rolle des Goblin-Königs Jareth anzunehmen. Und seine Figur wurde ausgebaut.

Fünf Songs in 100 Minuten

„Jim ließ mir freie Hand. Das Script war unglaublich amüsant, ohne dass dabei auf bösartige oder gar blutige Elemente zurückgegriffen wurde.“ Bowie sagte, er sei beeindruckt davon gewesen, dass die Geschichte mehr Herz in sich getragen habe, als die meisten anderen Effekt-Filme. „Ich war von Anfang an gefesselt vom ‚Labyrinth'“.

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Als Goblin-König beherrscht Jareth in einem Fantasie-Reich das riesige Labyrinth, dorthin entführt er das Baby Toby. Jareth gewährt dessen Schwester Sarah (Jennifer Connelly, 16, in ihrer ersten großen Rolle) 13 Stunden um den Kleinen zu befreien – sonst wird er in einen Goblin verwandelt.

Gesangseinlagen waren fester Bestandteil

Genug Zeit für Henson, um während Sarahs Mission etliche neue Puppen in Szene zu setzen, sowie für Bowie, seine neuen Songs vorzustellen – Gesangseinlagen waren fester Bestandteil von Henson-Produktionen.

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Für den Musiker David Bowie verliefen die Mittachtziger unbefriedigend. Sein von der Kritik verrissenes, letztes Album „Tonight“ lag zwei Jahre zurück. Und die Zeit danach stand im Zeichen von Tutti Frutti, also ohne echte Platte, dafür mit einander wesenfremden Einzelveröffentlichungen.

Es gab das furchtbare Duett mit Mick Jagger, „Dancing In The Street“, dann den Soundtrack-Song „This Is Not America“, eine Zusammenarbeit mit Pat Metheny. Es folgte das schöne, aber unbeachtete „When The Wind Blows“ zum gleichnamigen Zeichentrickfilm.

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Zuletzt steuerte Bowie zu „Absolute Beginners“ den Titelsong bei (sein letzter Top-Ten-Hit in Großbritannien bis „Where Are We Now?“ von 2013). Erst ein Jahr nach „Labyrinth“, 1987, würde er mit „Never Let Me Down“ ein neues Album veröffentlichen. Drei Jahre Plattenpause, das gab’s zuletzt zwischen 1980 („Scary Monsters“) und 1983 („Let’s Dance“).

Gospel für die einsamen Stunden

Den instrumentalen Score von „Labyrinth“ schrieb Trevor Jones, dessen Kompositionen stark an die aus einem anderen Märchen erinnerten, „Die unendliche Geschichte“, mit Musik von Klaus Doldinger.

Bowie garnierte ihn mit fünf eigens geschriebenen Songs. Verteilt auf rund 100 Minuten Filmdauer bedeutete das eine nahezu homöopathische Dosierung. Verträglich auch für die nicht wenigen Zuschauer, die Liedbeiträge bei Henson eher nervig finden.

Titelthema bildete das auf Platte rund siebenminütige „Underground“, ein sanfter Gospel, eine Art Call-and-Response zwischen dem Goblin-König und seinen kleinen Soldaten.

Der König tritt hier out of character auf, da er Jennifer Connelly singend Trost spendet und  man, wie er predigt, auch in der dunkelsten Ecke einen Freund finden kann.

Reines Vergnügen

Dabei ist eigentlich Jareth derjenige, der den ganzen Ärger erst verursacht. Jim Henson, und hier zeigt sich die etwas holprige Film-Produktion, bringt den Song am Anfang gleich zweimal, in zwei verschiedenen Versionen, und das innerhalb von fünf Minuten. Unglücklich.

Der „Labyrinth“-Titelsong ist dennoch, wie die anderen Stücke, reines Vergnügen. Bowie-Schlauberger finden das Interesse des Sängers an einem Puppenfilm für Kinder natürlich ungehörig, aber es sind eben immer auch die Bowie-Schlauberger, die sich nur auf sicheres Terrain begeben. Immer das Ergebnis bewerten, nicht die Vision, nicht die Idee, die vor allem stand und Mut erforderte.

Böse Lebenserfahrung

Henson war der „Muppet“-Revoluzzer, sein „Dunkler Kristall“ zumindest ein Wagnis. Das muss jemanden wie Bowie angesprochen haben.

An Bowies Abfuck-Zeit in den Siebzigern erinnerten zumindest noch seine schlechten Zähne. Es erscheint klar, warum sich die Produzenten für die Besetzung der Hauptrolle an ihn wandten und nicht an andere Wunschkandidaten wie Michael Jackson, Prince oder Sting.

Auch wenn Bowie seit Jahren als clean galt, erkannten auch die, die durch „Labyrinth“ erstmals auf ihn stießen: Der Mann hat eine Aura, die böse Lebenserfahrung ausstrahlt.

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Es ging hier um die Auftragsarbeit für einen Film, der sich an ein jüngeres Publikum richtet – wieso sollte man da den selbstzerstörerischen Thin White Duke erwarten, oder Ziggy Stardust? Funktional gesehen passten die Lieder eben zum Kinderfilm. Und sie unterstrichen die Wesenszüge der Labyrinth-Bewohner.

Das Bass-lastige „Magic Dance“ zeigte Goblin-König Bowie beim Feiern mit seiner Truppe, ein tolles Mitmach-Lied. „Within You“ widmete sich dem Regenten als nachdenklichen Mann, der sich um Perspektivübernahme bemüht; „Chilly Down“ sangen drei rote Truthähne, und mit „As The World Falls Down“ nahm Bowie gleich seinen – nach „Absolute Beginners“, „Let’s Dance“, „Modern Love“ und „When The Wind Blows“ – fünfbesten Song der Dekade auf.

Die mit viel Schmelz vorgetragene Ballade erzählt die unmögliche Romanze zwischen König und Mädchen. Mit dem etwas schalen Beigeschmack einer Andeutung, dass ein Erwachsener sich in eine 16-Jährige verliebt hat.

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Keiner der Songs wurde ein Hit, „Underground“ nicht, „Magic Dance“ auch nicht, und das als dritte Single vorgesehene „As The World Falls Down“, dessen Video-Montage aus Filmszenen das Kinowerk in den Box-Office-Charts hätte unterstützen können, blieb eine Auskopplung verwehrt, obwohl zu Weihnachten 1986 schon alles bereit stand.

Bowie sollte sich später ungerne an das „Labyrinth“ erinnern, die Songs spielte er nie live. Der Zauberstab des Jareth zählte fast 30 Jahre später in der umjubelten „David Bowie“-Ausstellung zu den Requisiten, die einsam auf Besucher warteten und in der Nähe des Ausgangs platziert wurden.

Bowie kassierte den Goblin-König ein

Bowie war stets ein Mann auch des Schauspiels, er kann Theater, Pantomime, hatte seit den Sechzigerjahren Vaudeville-Erfahrung. Vor dem „Labyrinth“ verkörperte er in John Landis‘ „Kopfüber in die Nacht“ (1985) einen Auftragskiller, der sich einen denkwürdigen Fight mit Carl Perkins (!) liefert. Den Goblin-König Jareth kassierte er nun locker ein, vielmehr spielte er sich selbst, David Bowie, der endlich ein Königreich beherrscht.

Sein „Heroes“-Traum, sein „I, I Will Be King“, wurde endlich wahr – obwohl sich fast alle Zauberfallen und Gigantenmonster, das hat Henson augenzwinkernd verpackt, als Apparaturen erweisen, hinter denen sich eine Truppe von Zwergkobolden befindet, die sie mechanisch antreiben.

Bowies Zusammenspiel mit all diesen Puppen ist harmonisch, sicherer als das der jungen Connelly. Mit weit aufgerissenen Augen und steter Euphorie tritt sie eher kindisch als kindlich auf und spricht zu den Puppen, als wären es Puppen.

Das Ende einer Ära

„Labyrinth“ entstand fünf Jahre vor dem Durchbruch von CGI-Effekten mit „Terminator 2: Judgement Day“. Von da an lief in Hollywood das meiste per Computer. Einen Maskenfilm dieser Größenordnung wird es in absehbarer Zukunft wohl nicht mehr geben. Damals noch nähte die Jim Henson Company eine Vielzahl von Wesen zusammen.

Von denen erreichte zwar keines die morbide Faszination der „Dunkle Kristall“-Skekse, hatten aber dennoch Schauwert. Sie sahen auch nicht niedlich aus, sondern eher rattig, warzig und allesamt dreckig.

Die Geschichte in einem Labyrinth anzusiedeln war auch erzählerisch clever, da sich so auf engstem Raum und episodisch eine Vielzahl von Kreaturen unterbringen ließ. Die nächste neuartige Meute lauerte quasi gleich um die Ecke.

Zum Ensemble zählte der riesige, sanfte Ludo ebenso wie der unangenehm anzusehende Hoggle. Der wirkte wie eine Mischung aus deutschem Charakterschauspieler-Gesicht und Keith Richards‘ Schrumpfkopf, den man per Strohhalm aufgeblasen hat.

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v.li.: Sir Didymus und Hund Ambrosius, Hoggle und Ludo

Vor allem hält „Labyrinth“ eine überzeugende Balance aus Weisheit und Anleitung zur Anarchie. Für die junge Sarah ist, wir lernen mit, jedes hilfsbereite Wesen wertvoll, der Zwerg Hoggle kämpft ebenso wie der Hüne Ludo.

Die Teenager-Sprache Sarahs stellt Jared, der, so wie Bowie, ein Sprachpfleger zu sein scheint, entnervt bloß: „Immer wieder sagst Du, ‚Das ist nicht fair‘. Woher hast Du diesen Begriff von Gerechtigkeit?“

Es war ja das Mädchen, das sich wünschte, ihr Baby-Bruder würde verschwinden, weil er ständig brüllt.

„Gesagt ist gesagt“, hält Jared Sarah entgegen. „Ich habe getan, was Du wolltest.“ Kinder müssen lernen mit den Konsequenzen eigener Entscheidungen zu leben.

Anleitung zur Anarchie

Es gibt einige sehr lustige Henson-Szenen, die so wild sind, wie wir sie zuletzt bei den „Muppets“ erlebten. Eine liebe, weise Schnecke schickt Sarah in einen falschen Weg durchs Labyrinth, und sagt dann trocken zu sich selbst: „Wenn sie ihren Weg weitergegangen wäre, wäre sie direkt im Schloss gelandet.“

Der Schluss wiederum ist reinste Märchenparodie. Nach bestandenem Abenteuer befindet sich Sarah wieder in ihrem Kinderzimmer und muss traurig Abschied nehmen von ihren Fantasie-Gefährten, die sie nur noch in ihrem Spiegel sehen kann.

Sie gehören in die Traumwelt, Sarah in die echte, life goes on, das kennen wir aus allen Erzählungen.

Oder? „Was? Warum hast Du denn nicht gleich gesagt, dass Du uns brauchst!“, ruft Hoggle. Und schwupps, befinden sich die „Labyrinth“-Freunde vor ihrem Bett, es gibt Musik, und alle feiern eine Party.

Sie bleiben zusammen. Wie es danach in der Erwachsenenwelt für die Neuankömmlinge weitergeht? Es spielt keine Rolle.

Henson Associates (HA), Lucasfilm, Jim Henson Company,
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