28. 9. 1987: Pixies, Depeche Mode, Smiths veröffentlichen große Alben am selben Tag
Am Montag, den 28. September 1987, brachten drei große Bands drei ihrer größten Alben heraus. Über einen Tag, an dem der Besuch im Plattenladen besonderen Spaß gemacht haben dürfte.
Der 28. September 1987 war ein Montag, das Wetter in Deutschland an jenem Datum: überwiegend wolkig und von Bremen bis Kassel mit etwas Regen. Die Lage an der Zugspitze und Nürnberg dagegen wolkig bis heiter. Tageshöchstwerte nur 9 Grad Celsius.
Die Nachrichten vermeldeten: „In Washington fordert der US-amerikanische Verteidigungsminister Caspar Weinberger die Vereinten Nationen auf, ein Waffenembargo gegen den Iran zu verhängen. Teheran soll damit zu einem Waffenstillstand im Golfkrieg mit dem Irak gezwungen werden.“ Oder: „Der tunesische Staatsgerichtshof in Tunis verhängt gegen 90 Fundamentalisten wegen angeblicher Umsturzpläne drastische Strafen.“
Ein kalter Tag mit schlechten Meldungen. Ein Tag um in den Plattenladen zu gehen.
Dreimal ins Regal gegriffen, drei zukünftige Klassiker herausgezogen. Pixies veröffentlichten ihre Debüt-E.P. „Come On Pilgrim“. Depeche Mode ihr sechstes Album „Music For The Masses“. Und die Smiths ihr letztes Studiowerk, „Strangeways, Here We Come“.
Eine Band stand am Anfang. Eine befand sich in der Mitte ihres langen Weges. Eine war am Ende angekommen.
Die Newcomer: Pixies – „Come On Pilgrim“
Black Francis orientierte sich an zwei Ratschlägen, einer wurde ihm erteilt, den anderen gab er sich selbst. „No, Scream it like you hate that bitch!“, forderte sein chinesischer Nachbar ihn auf. Damals war er noch keine 20 und mit dem echten Namen Charles Michael Kittridge Thompson ansprechbar.
Er sollte mehr Brutalität, mehr sexuelle Aggression in die Stimme legen. Und natürlich mehr Lautstärke. Mit den Pixies entwickelte Black Francis die heute gängige Leise-Laut-Dynamik. Strophe normal, Chorus geschrien. Ein Song mit dem schönen Titel „Caribou“ wurde so zum Akt einer angekündigten Selbstverstümmelung: „This human form/Where I was born/I now repent.“
Den zweiten Ratschlag, selbst erteilt nach der Bibel-Lektüre. Der hieß: „You Can’t Go Wrong With The Old Testament“. „My daughter’s pure/My son is tall/Land of plenty, land of fun/To find out I’m Nimrod’s son“, heißt es in „Nimrod’s Son“. Verweise auf Mord und Totschlag in der heiligen Schrift paarte Black Francis mit Eingeständnissen sexueller Unzulänglichkeit.
Wie in „The Holiday Song“ („Here I am with my Hand“). Das Platten-Cover versteht bis heute kein Mensch. Aber Biest-Rücken und Glatze versprachen eine Art animalische Power.
Acht Stücke enthielt die E.P. Bis zur ersten Trennung 1993 würden vier grandiose Alben folgen, die, wie U2-Sänger Bono sagte, „heute noch wie frische Farbe“ wirken.
Die Etablierten: Depeche Mode – „Music For The Masses“
Größenwahn oder große Selbstironie: Die heutigen Magenta-Musikanten kündigten bereits 1987 „Musik für die Massen“ an, nachdem ihr Vorgänger-Album „Black Celebration“, heute als heimliches Meisterwerk gehandelt, in den Charts eher mäßig abschnitt.
Um die 25 Jahre alt waren Dave Gahan, Martin Gore, Alan Wilder und Andrew Fletcher erst. Und „Music For The Masses“ sollte ihr bereits ihr sechstes Album sein. Die „Bong“-Lautsprecher, wie auf dem Cover abgebildet, sollen die ganze Welt erreichen. Außerdem die Geschichte einbinden. Das düstere Instrumental „Pimpf“ spielte auf das Deutsche Jungvolk an, „Sacred“ stellte die Heiligtümer der Kirche in Frage.
Depeche Mode etablierten dazu grobkörnige Porträtfotografie und Musikvideos, für die Anton Corbijn hier und auch in den nächsten Jahren verantwortlich zeichnete. „Behind The Wheel“ mit seinem Glücksrad, der Vespa und einer Fahrerin mit Kopftuch, zeigte auch, wie sehr sich die Band von ihrem Synthipop-Ursprung entfernt hatte.
Der grandiose Clip wirkt wie aus der Zeit gefallen. Auch der Sound wurde konkreter. Lediglich der Wassertropfen von „Nothing“ oder das leere Akkordeon-Luftgeräusch von „I Want You Now“ erinnerten noch an die Zeit der Klang-Experimente.
Kaum zu glauben, aber das heute als Mega-Hit geltende „Never Let Me Down Again“ schaffte es damals nicht mal in die britischen Top 20. Aber „Music For The Masses“ war genau das Transit-Album zwischen der Teenage Angst von „Black Celebration“ und der Club-Dominanz von „Violator“ (noch ein ironischer Plattentitel), welches die Band 1987 nach vorne brachte. Am Ende ihrer Welttournee spielten Depeche Mode dann in amerikanischen Stadien: „Good Evening, Pasadena!“
Die Verschiedenen: The Smiths – „Strangeways, Here We Come“
„Manche Leute sagten, das Solo klänge nach Brian May. Aber ich hatte Roy Buchanan im Kopf“, sagte Gitarrist Johnny Marr über seinen Einsatz in der Single „Shoplifters Of The World Unite“.
Die erschien im November 1986, ein dreiviertel Jahr vor dem letzten Werk der Smiths, „Strangeways, Here We Come“ (und schaffte es, wie so viele Singles, nicht aufs Album).
Einige Hörer glaubten also, mehr Glam als Rock in Marrs Spiel erkannt zu haben. „Strangeways“ war sicher kein Hardrock-Glam – aber es hatte einen Sound, der durchaus bombastische, fast schon orchestrale Momente zelebrierte, wie in „I Started Something I Couldn’t Finish“ oder „Last Night I Dreamt That Somebody Loved Me“.
Die – bewusst ausgesuchte – limitierte Stephen-Street-Produktion früherer Smiths-Alben wurde Marr und Morrissey des öfteren vorgeworfen. Aber auch wegen des kräftig unterfütterten Klangbilds von „Strangeways“, indem es ein wenig mehr brazzte als jangelte, soll es Spannungen innerhalb der Band gegeben haben.
Zurückhaltungen fanden an anderer Stelle statt: „A Rush and a Push and the Land is Ours“ ist ein Lied ohne Gitarre, und im Clip zu „Stop Me If You Think You’ve Heard This One Before“ radeln die vier Musiker auf Billig-Bikes. Die Außendarstellung war noch immer perfekt.
Johnny Marr hatte die Band noch vor Veröffentlichung verlassen. Heute hätte das Netz aufgeschrien und die Platte sogleich als „Schwanengesang“ bezeichnet. Damals erfuhr man von Marrs Abschied höchstens aus Musikmagazinen – der Weggang besiegelte ja auch nicht automatisch das Ende der Smiths. Morrissey wollte mit Andy Rourke und Mike Joyce weitermachen.
So steht dieses vierte Studioalbum im Schatten von „The Queen is Dead“. Das im Jahr zuvor erschien und alles hatte, was Fans und Kritiker wollten. Eine britische Platte, aber keine nationalistische. „The Queen is Dead“ hatte den größeren Furor und erschien im schwachen Jahr 1986 ohne große Konkurrenz.
„I want the freedom, and I want the guile“, sang Morrissey im abschließenden „I Won’t Share You“. „Strangeways, Here We Come“ immerhin hatte die größere Traurigkeit.