25 vergessene & verkannte Meisterwerke
Die dritte Auswahl von Alben, die sträflich übergangen werden, wenn es um die Kanonisierung von Back-Katalogen geht. Platten, die für gewöhnlich nicht von den Radarfallen der Kritiker entdeckt wurden und es doch allemal wert sind, gewürdigt zu werden. Und zwar von Wolfgang Doebeling
Ricky Nelson
Ricky Sings Again
Imperial 1959
Könne James Dean singen, mutmaßte Elvis, dann würde er genau wie Ricky Nelson klingen. Dabei dachte er sicher an „Lonesome Town“, ein ebenso leidgebeugter und fatalistischer Gruß aus der Liebeskummerhölle wie „Heartbreak Hotel“, vom kaum 18-jährigen Ricky gesungen, als gäbe es kein Morgen. Dabei gab es außer Elvis niemanden, der so umschwärmt war und der 1958 so viele Singles verkaufte wie der vom Leben verwöhnte Nelson. Seine Mutter sang in der BigBand des Vaters, die Familie betrieb eine populäre TV-Show, Ricky war ein Star, bevor er zum Rock’n’Roll kam. Auch im Studio war er privilegiert, konnte er sich doch auf die beste Band verlassen, die für Geld zu haben war, darunter den brillanten, stilbildenden Gitarristen James Burton.
„Ricky Sings Again“ war das dritte Album und erweiterte Nelsons Spektrum aus Sunlight-Rockabilly und schmachtenden Teen-Balladen um Country Music. Johnny Cashs „Restless Kid“ ist ihm auf den Leib geschrieben, die Burnette-Brüder stiften großartige Songs wie das den Everlys nachempfundene, ungehorsame „It’s Late“. Und dann ist da noch „Lonesome Town“, so unnahbar cool und verloren wie James Dean.
Marty Robbins
Gunfighter Ballads And Trail Songs
Columbia 1959
Packender erzählt kein Kino. Wie in den Filmen von Ford oder Hawks geht es um das Gute und Böse im Wilden Westen, um Helden und Schurken. Geschichten, für die Marty Robbins nicht erst eine Musiksprache finden musste, das hatten Pioniere wie Ken Maynard und Jimmy Wakely längst geleistet und die singenden Cowboys Gene Autry und Roy Rogers für Soundtracks ihrer Zelluloid-Abenteuer genutzt. Robbins fügt Dramaturgie hinzu, baut Spannungsbögen, die sonore Autorität seiner Stimme wird kongenial untermalt vom Chor der Glaser Brothers. Geradezu schweißtreibend wirkt die sengende, flirrende Hitze von „Cool Water“, das Showdown-Epos „Big Iron“ und die Schuld-und-Sühne-Aufrechnung „They’re Hanging Me Tonight“ fesseln. „El Paso“, die ergreifende Tragödie um todbringende Liebe, gehört ohnehin zum amerikanischen Kulturerbe.
Billy Fury
The Sound Of Fury
Decca 1960
Am 14. April 1960, als die Rock’n’Roll-Welle bereits abebbte, ging Produzent Jack Good ein Wagnis ein, indem er Billy Fury und seinen Musikern im Studio freie Hand ließ. Ein paar Stunden bloß, doch das genügte, um eine LP aufzunehmen, die fulminant zu nennen eine Untertreibung wäre. Von Decca öfter zum Balladieren genötigt als ihm lieb war, nutzte der Sänger, dem sie in Liverpool eine Statue bauen sollten, die Gunst der Stunde. Seine Tour-erprobte Band um den Ausnahme-Gitarristen Joe Brown legte sich mächtig ins Zeug, Good genehmigte den Verzicht auf Streicher, Mädchengezwitscher und anderes schmückendes Beiwerk, nur die Four Jays entboten Backing Vocals und fungierten gleichsam als Jordanaires. Überhaupt weisen die zehn Cuts zwischen Rockabilly und Blues Ähnlichkeiten mit Presleys Platten auf, ohne klanglich auf Memphis getrimmt zu sein. Britischer Rock’n’Roll eben, nach wie vor aufregend.
Doc Watson
Doc Watson
Vanguard 1964
,,At a moment when folk song is just another kind of pop music to millions of Americans“, klagen die Liner Notes inmitten des Folk-Booms, „along comes an unassuming man from a little community in the Blue Ridge Mountains, and brings us an insight into a way of life and art.“ Tatsächlich musste der spartanische Country-Blues des blinden Flatpickers vorsintflutlich wirken, während sich eine halbflügge Generation von Folkies anschickte, Rock zu absorbieren. Doc Watson waren derlei Avancen fremd, er zupfte Banjo und Gitarre und blies seine Harmonica zu Songs, die er von Kindesbeinen an kannte, Songs von Dock Boggs, den Delmore Brothers oder den Mississippi Sheiks sowie uralte, mündlich überlieferte Tunes, denen er sein an Merle Travis geschultes Picking angedeihen ließ, virtuos, aber nie bloß vordergründig beifallheischend. Deep Folk.
George Jones
Blue And Lonesome
Mercury 1964
Die Songs von Hank Williams und die Stimme von George Jones, das reiche als Definition von Country Music, so Merle Haggard. Dieses Album zeugt davon, mit unspektakulärer Selbstverständlichkeit. Die Aufnahmen entstanden 1963, in einer Phase, als sich Nashville vom allzu Urbanen und Geschniegelten abwandte und wieder verstärkt auf Torch und Twang setzte. Jones versammelte eine superbe Session-Crew um Grady Martin, Buddy Emmons und Hargus „Pig“ Robbins, ließ Pedal-Steel, Fiddles und E-Gitarre heulen, und sang. Songs von Hank oder eigene wie „Life To Go“ und „Color Of The Blues“, Tearjerker in bester Honky-Tonk-Tradition, Hillbilly-gefärbt oder, wenn das Tempo anzieht, keine Country-Mile entfernt vom Rockabilly-Alter-Ego Thumper Jones. Gram Parsons hat diese LP verinnerlicht, die Folgen sind bekannt.
The Nice
The Thoughts Of Emerlist Davjack
Immediate 1967
Psychedelia waren gerade dabei, den Pop in Swinging London zu revolutionieren, als The Nice auf den Plan traten. Ihre Show war aufsehenerregend, vor allem dank Keith Emersons Orgel-Malträtierung mit Messern, doch auch musikalisch hatten sie einiges zu bieten. Lee Jackson und Brian Davison bildeten ein inventives Rhythmus-Tandem und David O’List war ein höchst eigenwilliger Gitarrist. Alles hier nachzuhören, auf einem Album voller Ambition und noch ohne Arg, Pop-vernarrt auf „Flower King Of Flies“ oder Pink-Floyd-assimilierend auf „The Cry Of Eugene“. Natürlich lassen sich auch belastende, Prog-antizipierende Momente herausfiltern, doch das gilt für beinahe jede Platte dieser experimentierfreudigen Ära. O’List verließ dann die Gruppe, das Trio wurde prätentiöser, die zweite LP heißt „Ars Longa Vita Brevis“.
Duke Ellington
The Far East Suite
RCA Victor 1967
Duke Ellington, so kalkulierte John F. Kennedy, schien der geeignete Mann für Kultur-Appeasement in Zeiten des Kalten Kriegs, weil er politische Fettnäpfchen zu meiden wusste, und weil seine Musik so genial wie universal war. Also schickte er 1963 den Pianisten mit Orchester als US-Botschafter auf Good-Will-Tour durch Länder des Ostens. Für Ellington sollte es „one of the most eventful journeys of his long career“ werden, so die Liner Notes. Bei Konzerten in Bagdad, Beirut, Teheran und anderen Metropolen kamen Klassiker zur Aufführung, die den gewünschten Effekt erzielten: dankbare Zufriedenheit bei Publikum und Amtsträgern. Ellington selbst nutzte die Reise zur Erkundung einer „world upside down“ und machte so neue Klangerfahrungen, die er indes nicht authentisch zu reproduzieren gedachte, sondern mit Co-Komponist Billy Strayhorn zu „swinging impressions“ verdichtete. „Tourist Point Of View“ heißt nicht von ungefähr der erste Track des späten Meisterwerks, das Dukes immenses Jazz-Vokabular noch um harmonische wie rhythmische Finessen erweiterte und das Johnny Hodges oder Jimmy Hamilton zu Höhenflügen inspirierte. Ellington war 67 Jahre alt, als die LP erschien, und zeigte sich selbst erstaunt über die Fülle von Ideen und kreativen Impulsen, die er mit seinen Musikern so herrlich in Einklang gebracht hatte.
Ramblin‘ Jack Elliott
Young Brigham
Reprise 1968
Der Fahrensmann des Folk hatte bereits den Status einer Legende, als ihm schmerzlich bewusst wurde, dass sich Verdienste um die Versöhnung zwischen den Song-Traditionen von Folk und Country ebenso wenig versilbern ließen wie der Vorbildcharakter, den er für den jungen Bob Dylan hatte. Also nahm sich Elliott vor, auch die Epoche des Folk-Rock zu befruchten, ließ sich von einem potenten Label Studio-Sessions bezahlen und benannte das resultierende Album nach seinem Cow-Pony. Um es vorwegzunehmen: Zu Geld kam Jack damit nicht. Der Verzicht auf Schlagzeug passte wohl nicht in die Zeit, und „If I Were A Carpenter“ kursierte schon in radio-freundlicheren Versionen. Elliott war zu sperrig, nicht konform genug. Der bizarre Cowboy-Rap „Night Herding Song“, der drollige Monolog in „912 Greens“, das lapidare Stones-Cover „Connection“: Individualismus, der den Nerv der Zeit nicht traf.
Moondog
Moondog
Columbia 1969
Klassiker der Avantgarde mag ein Oxymoron sein, trifft indes die Paradoxie dieses Phänomens. Oft gerühmt, auch in dieser Publikation, und in Kennerkreisen natürlich längst kanonisiert, hat es „Moondog“ noch immer nicht geschafft, eine breitere Öffentlichkeit zu faszinieren. Dabei macht es Louis Thomas Hardin aka Moondog dem Hörer hier leicht. Keine kratzigen Jazz-Miniaturen, keine ausgefallene Instrumentation, keine tonalen Bocksprünge oder sonstige ausgeklügelte Exotica, die das Frühwerk des blinden Straßenmusikanten in den 50er-Jahren geprägt hatten, sondern kompositorische Kompaktheit und melodische Prägnanz. Komplexere Strukturen lösen sich schnell auf, das speziell für diese Aufnahme zusammengestellte Orchester aus mehr als 40 Musikern spielt zugleich präzise und schwungvoll, wiewohl aus den fremdelnden Welten des Jazz und der Klassik rekrutiert, Moondog selbst dirigiert und rezitiert einen komischen Zweizeiler. Hier treffen sich Symphonie und Swing, Ballett-Musik und Bebop. Letzteres freilich nur ideell, in „Bird’s Lament“, Moondogs Verbeugung vor seinem Freund Charlie Parker.
Gene Parsons
Kindling
Warner Bothers 1973
Eine der stimmigsten, indes gemeinhin übersehenen LPs einer Ära, die gelernt hatte, Grenzen zwischen Country und Rock zu ignorieren. Gene Parsons‘ Namensvetter Gram – no relation – war auch kein kommerzieller Erfolg beschieden, doch wird er als Visionär verehrt, immerhin. Gene kannte man nur als Drummer, für die Byrds in deren bestem Live-Lineup, neben Roger McGuinn, Skip Battin und Clarence White. Doch war Gene auch Sänger und an vielen Instrumenten versiert, sein Ehrgeiz transzendierte das Takthalten, und als ihn McGuinn feuerte, nahm er Russ Titelmans Offerte, ein Solo-Album für ihn zu produzieren, dankbar an. Ein halbes Dutzend eigener Songs wie das zivilisationsverdrossene „I Must Be A Tree“ bildeten das Gerüst der Sessions, ergänzt durch „Willin'“ von Lowell George und „Drunkard’s Dream“ von den Stanley Brothers. Ralph Stanley höchstselbst kontributierte den Tenor-Part, Gib Guilbeau und Vassar Clements ließen die Fiddles sprechen, Genes Kumpel Clarence White erlebte seine letzte Sternstunde. „Kindling“ war gerade erschienen, eine Tour geplant, da starb der virtuose Gitarrist bei einem Verkehrsunfall. Gene Parsons war am Boden zerstört, zog sich vom Musikbetrieb zurück, nahm die Karriere erst nach Jahren wieder auf, ohne je an die Klasse von „Kindling“ anknüpfen zu können, und verlegte sich auf den Bau von Gitarrenzubehör.
Steve Ashley
Stroll On
Gull 1974
Eine gewaltigere Gerechtigkeitslücke zwischen musikalischer Qualität und zählbarem Erfolg ist schwer zu finden. So überragend diese Platte ist, so nichtig ist ihre Reputation außerhalb eingeweihter Folk-Zirkel. Schon der Geburtsvorgang zog sich quälend lange hin, Komplikationen häuften sich. Eine Totgeburt, so fürchtete Steve Ashley, nachdem an die 30 Labels abgewinkt hatten. Doch er glaubte an die 1971 entstandenen Aufnahmen, feilte an ihnen bis es nichts mehr zu optimieren gab. Als schließlich drei Jahre später Gull einen Vertrag anbot, hatte Ashley die Hoffnung auf eine Veröffentlichung freilich fast schon aufgegeben. Geglaubt habe er das erst, als er die LP in einem Plattenladen in Chelsea in Händen hielt und kaufte. Eine Apotheose des englischen Songs, gewährt „Stroll On“ einen Rückblick auf das viktorianische Britannien, evoziert Dickens und Hardy, wunderbar atmosphärisch, entlang des Wechsels der Jahreszeiten. Die Musik der Incredible String Band stand Pate, die von Ashley mitgegründete Albion Country Band sorgte für Erdung, B.J. Coles Pedal-Steel für transatlantisches Flair und Robert Kirbys String-Arrangements für Verzückung. Nirgendwo mehr als auf der Bearbeitung des altenglischen „John Donne Song“, dessen eher unterschwellig wirkende melodische und poetische Kraft sich hier magisch entfaltet.
Mary McCaslin
Prairie In The Sky
Philo 1975
Zwei glückliche Umstände waren es, die aus Mary McCaslin, zuvor mädchenhafte Interpretin manierlicher Beatles- und Supremes-Hits, eine unverwechselbare Künstlerin machten. Zuerst traf sie bei einem Folk-Festival Jim Ringer, dessen Storyteller-Realismus sie ebenso beeindruckte wie seine Virilität. Gemeinsam gingen sie fortan durchs Leben, Songs schreibend und performierend. Zum Zweiten begab es sich, dass in Vermont ein Label gegründet wurde, dessen Credo nur für selbstverständlich hält, wer das Musikgeschäft nicht kennt: „Philo encourages the artist to assume full creative control of his or her album.“ So steht es nicht nur auf den Philo-LPs, dieser Selbstverpflichtung kam das Label nach. McCaslin und Ringer nutzten den Freiraum für Song-Zyklen über den Freiheitsgedanken der Pioniere, über historische Begebenheiten und fiktive Figuren. „Way Out West“ hieß Marys Philo-Debüt, noch akustisch-folky, indes von derselben Sorte verwegener Songs bevölkert, die auch das nachfolgende, musikalisch ausgereiftere und per Pedal-Steel countryfizierte „Prairie In The Sky“ zu einem solchen Vergnügen machen. Patsy Montana und die Girls Of The Golden West mögen einst vorausgeritten sein, doch Mary McCaslin erhebt das Western-Storytelling zur Kunst. „Ballad Of Weaverville“, die wundervoll wärmend gesungene Geschichte eines Gamblers, der eine Goldgräberstadt ausnimmt und dabei auch die Erzählerin gewinnt, weil diese dem geliebten Falschspieler ein As zusteckt, ist dafür der schönste Beleg. „Ghostriders In The Sky“, die Mahnung aus dem Jenseits, wird dramatisiert, „My Love“, Marty Robbins‘ Ode an die unberührte Natur, besticht durch wortkarge Schlichtheit, high and lonesome.
Christy Moore
Whatever Tickles Your Fancy
Polydor 1975
Die drei ersten Planxty-LPs sind sicher höher einzuschätzen, wichtiger für die Entwicklung und Bedeutung des Irish Folk waren sie allemal. Dennoch verdient Christy Moores erstes, seinerzeit kaum beachtetes Post-Planxty-Album jede Aufmerksamkeit. Es ist ein zerrissenes Werk, in mehr als einem Sinne. Einmal, weil die Tracks auf Seite eins akustisch instrumentiert sind, während Seite zwei elektrifiziert lärmt, definitiv mehr Fairport Convention als Planxty. Zum anderen, weil Moore orientierungslos war. „Having left the band I was soon to discover I had no profile in Ireland as a solo singer“, erinnert er sich. Also versuchte er dies und das, nicht immer mit überragenden Resultaten, meist indes schon. „Tippin‘ It Up To Nancy“, nur zur Bodhran gesungen, würde auf „Planxty“ passen, das von den Watersons gelernte „Van Diemen’s Land“ wächst sich zum monumentalen Epos aus, nur Mountains „One Last Cold Kiss“ wirkt zunächst etwas deplatziert, fügt sich dann aber perfekt ins Puzz-le. „I had to start from scratch with this album“, so Moore. Mit Anlauf.
Dave Edmunds
Get It
Swan Song 1977
Eine Rock’n’Roll-Platte wie erträumt, schwärmte ein Kritiker. Und lag goldrichtig, denn Dave Edmunds hatte sich tatsächlich einen Traum erfüllt und beinahe das gesamte Musik-Universum der Fifties exemplarisch auf eine LP gebannt, von Hillbilly bis Rhythm & Blues, von DooWop bis Highschool-Rock. Zum Teil mit inspirierten Cover-Versionen wie „My Baby Left Me“ oder „Where And When“, aber auch mit eigenen, stiltreu chromblitzenden Vehikeln wie „Here Comes The Weekend“ und obendrein mit frappierenden Transformationen. Graham Parkers „Back To Schooldays“ mutiert zu reinrassigem Rockabilly, Bob Segers „Get Out Of Denver“ ist nun stromlinienförmig unterwegs. Get it!
Butch Hancock
The Wind’s Dominion
Rainlight 1979
Zugegeben, auch Butch Hancocks erste LP titels „West Texas Waltzes & Dust-Blown Tractor Tunes“, eine sozialkritische Bestandsaufnahme entbehrungsreichen Lebens zur Akustischen, hätte hierhin gehört. „The Wind’s Dominion“ erhält den Vorzug, weil auf den vier Seiten der musikalisch ambitionierteren Doppel-LP eine Menge passiert, was obskur blieb, obwohl es alle Voraussetzungen hat, populär zu sein. Da wären Hancocks exzellente Songs wie „Own And Own“, „Personal Rendition Of The Blues“ oder „The Gift Horse Of Mercy“, in Struktur und unzeremoniellem Vortrag dylanesk, doch tief verwurzelt im Boden des Lone Star State und durchdrungen von Zen-buddhistischer Weisheit. Da wären die formidablen texanischen Musiker, darunter Joe Ely und Jimmie Dale Gilmore, zuvor mit Butch bei den legendären Flatlanders. Da wäre das tolle Foldout-Cover, da wäre …
The Fall
Dragnet
Step Forward 1979
The Fall hatten viele Gesichter, nicht nur in Bezug auf permanent fluktuierende Lineups. Ihren frühen 45s ließen sie Konzentration angedeihen, investierten Zeit, wucherten gar mit, ja doch, veritablen Mitsing-Melodien. Die Alben waren Experimentierfelder, schlugen Kapriolen: kantige und psychotische auf „Live At The Witch Trials“, eher amorph und dumpf polternde auf „Dragnet“. Der verächtlich auf HiFi pfeifenden Produktion, aber auch den neuen Musikern geschuldet, namentlich Gitarrist Craig Scanlon und Bassist Steve Hanley. Mark E.Smith ist im Mix begraben, wenn er nicht schreit, für gewöhnlich Selbstreferentielles. Ein völlig absorbierendes, höllisch aufregendes Album, unbedingt laut zu hören.
The Times
Pop Goes Art!
Whaam! 1982
In späteren Jahren eine fabulöse, selten enttäuschende Beat-Band, waren The Times auf dieser ersten LP nicht mehr als ein spontan in die Tat umgesetzter Einfall der Television Personalities. Warum nicht einmal die Rollen tauschen, schlug Ed Ball dem Band-Kopf Dan Treacy vor. Why not indeed, antwortete der. So wurde das Projekt The Times ins Leben gerufen, Treacy wechselte zu Gitarre und Bass, überließ Ball das Sagen nebst Mikro und kurz darauf erschien „Pop Goes Art!“ auf eigenem Low-Budget-Label, limitiert, die Cover individuell bemalt. Da Ball in der Sixties-Kultur Londons aufging, beleihen seine Songs liebevoll deren Ikonografie. „I Helped Patrick McGoohan Escape“ feiert Premiere, „Miss London“ becirct, „This Is Tomorrow“ indiziert das Ende. Zu dilettantisch, um Mod-Pop zu sein, passioniert und gescheit genug, um als Mod-Hommage zu begeistern.
Nick Heyward
North Of A Miracle
Artista 1983
Frischwärtiger Groove-Pop, Pullunder in Pastelltönen: nichts an Haircut 100 ließ vermuten, dem netten Leadsänger mit dem Zahnpasta-Lächeln würde bald ein respektables Solo-Album gelingen. „North Of A Miracle“ ist ebendas, eine Platte mit luftig arrangierten, aber nachdenklich-romantischen Liedern, Heyward erwachsen singend, sein jungenhafter Charme intakt. Er habe sich geschmeichelt gefühlt von den hohen Erwartungen des Produzenten Geoff Emerick, so Heyward, „for about two weeks I thought I was Elvis Costello“. Könner wie Tim Renwick, Dave Mattacks und Steve Nieve gestalteten den Rahmen, doch waren es Nick und seine Songs, die darin verdammt gut aussahen. Ein kleiner, feiner Triumph.
Chris Isaak
Silvertone
Warner Brothers 1985
Erst die Inklusion von „Gone Ridin'“ in David Lynchs „Blue Velvet“ buchsierte Chris Isaaks Debüt-LP in die Erfolgsspur. Aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar, doch die Mid-Eighties waren eine scheußliche Zeit für Rock’n’Roll, vollends für echten. Da es Isaak aber nicht an Stilwillen gebrach und er seine ästhetischen Ideale nicht zu kompromittieren gedachte, hätte es ohne Lynch womöglich nicht geklappt mit der Sangeskarriere. Obwohl „Silvertone“ fantastisch ist, Isaaks Ton brillant, die Songs nicht minder. Star der Aufnahmen ist jedoch James Calvin Wilsey, der seine Stratocaster durch nuanciertes Delay, Reverb und Tremolo ungeheuer variabel einzusetzen weiß. So cool.
Television
Television
Capitol 1992
Nach dem monolithischen „Marquee Moon“ mit seiner einschüchternd kühnen Twin-Guitars-Architektur musste der Nachfolger enttäuschen. Erschwerend kam hinzu, dass sich „Adventure“ als blasser Abklatsch entpuppte. Was in keiner Weise für Televisions dritte und leider letzte Studio-LP gilt, die erst 14 Jahre danach erschien. Ein Leuchtfeuer im Grunge-Nebel hätte sie sein können, doch es ging vieles schief, vom anonym-abstrakten Cover bis zur unerklärlichen Entscheidung, das genialische, von quecksilbrigen Gitarrenläufen durchschossene, mysteriöse „Call Mr. Lee“ nicht als Single in die Playlists zu hieven. So blieb der beste Television-Track überhaupt ein gut gehütetes Geheimnis. „Television“ geriet schnell in Vergessenheit, knallt aber noch heute trocken und aggressiv, passend zu Richard Lloyds scharfen Riffs und Tom Verlaines bösen, oft pittoresken Texten in a NewYork state of mind. Was folgte, war Frust, Streit und halbherzige Reunion-Versuche. What a waste.
The Setters
The Setters
Blue Million Miles 1992
„Live Music Capital Of The World!“ prahlt ein riesiges Banner schon am Flughafen von Austin, Texas, und es gab wirklich eine Zeit, als das keine Übertreibung war. Aus Hunderten Clubs, Dancehalls und Saloons drang Musik. Wer keinen Gig bekam, spielte auf der Straße oder sonstwo unter freiem Himmel. Zu den etablierten Szene-Größen gehörten Alejandro Escovedo, Walter Salas-Humara und Michael Hall, die mit ihren Bands und Projekten problemlos Venues aller Art füllten. Escovedo etwa mit seinem vielköpfigen Orchestra, Salas-Humara mit den Silos, Hall mit den Wild Seeds. Als Solisten hatten sie in Berlin gastiert, bei einem Festival, und es hatte ihnen dort so gut gefallen, dass sie wiederkommen wollten. Nur wenn sie gemeinsam auftreten würden, verfügte der Impressario, und sich einen Bandnamen zulegten. The Setters waren geboren, ihre Vorstellung im Berliner Quasimodo geriet so außerordentlich, dass man die Magie im Studio zu bannen suchte. Mit Erfolg, denn die besten Songs der drei so unterschiedlichen Künstler gewannen durch Verlangsamung und Hingabe, durch Gurf Morlix‘ Produktion, durch mehrstimmigen Gesang und Orangenkisten-Perkussion. Balladeskes überwiegt, fein verwoben, gefühlsecht. Tempo ist halt nicht alles in Texas.
High Noon
Rocks Me Right
Rock-A-Billy 1993
Sieben Mal in Folge vom „Austin Chronicle“ zur besten Rockabilly-Band gewählt zu werden, heißt etwas an einem Ort, wo Rockabilly virulent ist und die Konkurrenz enorm. High Noon waren Sänger und Rhythmus-Gitarrist Shaun Young, Lead-Gitarrist Sean Mencher und Standbassist Kevin Smith, ein Trio von umwerfender Bühnenpräsenz, spielerischer Klasse und Stilsicherheit, dessen Verewigung auf Vinyl indes nicht immer das Niveau der Live-Performance erreichte. „Rocks Me Right“, von Willie Lewis für sein Puristen-Label in Denver mit glühenden Röhren und gesunder Verachtung für Mätzchen eingefangen, klingt vorbildlich unmodern und enthält Highlights des High-Noon-Repertoires wie „Crazy Fever“ oder „Branded Outlaw“. Das Original auf 10inch ist rar, die 12inch-Version mit redundanten Bonus-Cuts jedoch ein Bootleg.
Rheinallt H. Rowlands
Bukowski
Ankst 1996
Ein Album voller Verve und Glocken, Verzweiflung und orchestraler Opulenz. Von einem walisischen Duo, das sich rätselhafterweise Rheinallt H. Rowlands nennt und dessen Schaffen im Verborgenen stattfindet. Owain Wright ist die Stimme, Dewi Evans kreiert den Klangkörper, die Musik frisst sich rumorend in die Eingeweide, überwältigt ohne Erbarmen. Heruntergebrochen auf ihre Bestandteile lassen sich Einflüsse von Phil Spector und Ennio Morricone ausmachen, die Beach Boys klingen an, ja die Tijuana Brass. Wright singt walisisch oder englisch, rau und raspelnd oft, die Lyrik ist so dräuend wie die Arrangements, der elfminütige Title-Track „a toast to the inspirational LA writer“. Es gibt auch lichte Momente, frivoles oder sarkastisches Granteln, doch „Snow“ wiegt schwer, gemahnt gar an Scott Walker, ringt mit dem Tod.
Bone-Box
Death Of A Prize Fighter
Fat Northener 2006
Manchester, so much to answer for? Während gern mit der Beweihräucherung minder talentierter Wichtigtuer Zeilen geschunden werden, blieb die Musikpresse seltsam kleinlaut, als vor fünf Jahren diese mächtige, prächtige Platte erschien. Dabei hätte „Dragging Wires“, ein wild bockendes Ungeheuer von einer Single, schon Aufmerksamkeit generieren müssen. Schade, denn Bone-Box haben verwirrend viel zu bieten. Derangierten Blues, Klassik-Etüden, Country-Flirts, Folk-Rowdytum, Jazz-Akkorde, Pauken und Trompeten. Gut, Jay Taylors Gesang ist gewöhnungsbedürftig, doch die Songs sind gedankenvoll, machen schmunzeln wie „All My Problems Are Caused By Other People“ oder beklemmen wie „Do You Feel You’ve Been Warned“. Abendfüllend.
Congregation
Congregation
Bronzerat 2008
Noch ein Kleinod, dem zu wenig mediale Beachtung geschenkt wurde. Congregation waren Victoria Yeulet und Benjamin Posser, ein britisches Paar, das im Delta-Blues der 30er- und 40er-Jahre musikalische Erfüllung fand, doch ist der Inhalt ihrer meist traurigen bis depressiven, an längst verblichenen Vorbildern orientierten Songs zeitlos: Elend, Einsamkeit und Liebesschmerz. Auf so dionysisch-mitreißende Art dargeboten, dass der Charakter des Blues als Ausdruck des Lebens schlechthin wieder aufschien und jeden Anachronismus-Verdacht wegwischte. Possers Slide intonierte Gefühlsausbrüche, Yeulet stampfte, bimmelte mit Fußglöckchen und verführte mit einer Stimme, die unter die Haut ging. In Vergangenheitsform geschrieben, weil die beiden sich wohl getrennt haben. „Too bad your loving was like a dose of hell“, zetert Vic auf dem Album, das so leider einzigartig bleibt. The real shit.