20er-Jahre-Entertainer Robert Kreis: „Man muss sein Publikum zulachen“
Der Kabarettist und Klavierspieler feiert seit vielen Jahren Erfolge mit Bühnenprogrammen, die jüdische Künstler und Humoristen aus der Weimarer Zeit wieder aufleben lassen. Dafür wurde er nun mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Begegnung mit einer heiteren Seele.
Braucht es erst einen Holländer, um den Deutschen zu zeigen, welche Unterhaltungsschätze sie längst vergessen haben? Das hört Robert Kreis, der niederländische Kabarettist und Pianist, der seit Jahrzehnten mit raffiniertem Menjou-Bärtchen und ansteckender Fröhlichkeit Texte und Lieder von vor allem jüdischen Künstlern aus den 20er Jahren zurück auf die Bühne holt, oft.
Die Programme des 1949 in Indonesien geborenen Entertainers, der jeglichen Retrowellen die Konstanz einer Witzproduktion entgegenhält, die zeitlos zu sein scheint, erfüllen natürlich auch einen pädagogischen Zweck. Sie transferieren die 20er von damals in die 20er von heute und verneigen sich vor Künstlern wie Willy Rosen, Fritz Grünbaum und Franz Engel. Auch deshalb ist Kreis soeben mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden.
Im Vordergrund steht aber der Versuch, die Menschen zwei Stunden mit musikalisch verzierten Kalauern und Spitzfindigkeiten zum Lachen zu bringen, um die schweren Zeiten, in denen wir leben, für einen Moment vergessen zu machen. Zeiten übrigens, so Kreis, die fast unheimlich denen in den 20er Jahren des vorangegangenen Jahrhunderts gleichen (Inflation, Pandemie, der Verfall von Werten, die Verrohung und Verdummung der Menschen – Krisen, wohin man blickt). Mit einem Unterschied: „Früher hatten die Leute einfach mehr im Kopf.“
Robert Kreis und der charmante Witz
Seit 1973 absolvierte Kreis, inzwischen 73 Jahre alt, über 8000 Auftritte. In diesem Jahr feiert er sein 50. Jahr auf den Bühnenbrettern. Seine Kunst empfindet er weniger als Denkmal für jene unruhigen Geister, denen er seine Reverenz erweist, es ist ihm eher ein Hör- und ein Sehmal. „Die Themen von damals sind immer noch die Themen von heute“, erklärt Kreis weniger kritisch, sondern beschwingt von dieser fast etwas seltsamen Vorstellung. „Damals sprach man auch davon, wie den Menschen die Feinsinnigkeit abhanden gekommen ist oder warum das Unterhaltungsprogramm immer schlechter wurde.“
Die subtilen Bemerkungen aus so manchen Texten könne er ohne Bedeutungsverlust 1:1 übertragen, sagt der schon vor langer Zeit zum Berliner gewordene Kreis, der sich selbst als Mann der alten Schule bezeichnet und einem Bühnenhandwerk nachgeht, das in seiner Heimat etwa der große Toon Hermanns vorlebte. Vor allem Witze über die Liebe und Ehe ließen sich gut aus dem vorhandenen Material schürfen („Die Liebe macht blind, die Ehe aber hellsehend.“ Wer eine schlagfertige Frau hat, sollte sie in einem Tennisclub anmelden.“). Sie verfehlen ihre Wirkung nie.
Natürlich möchte dieser Schelm, der im Gespräch leidenschaftlicher und durchaus auch höflicher daherkommt als viele Jungspunde, sein Publikum nicht verletzten oder mit Bösartigkeiten konfrontieren. Das liegt zum einen daran, dass alles „kristallklar“ an seinem Kabarettabenden ist. „Die Leute müssen nicht tief nachdenken.“ Seine Parole: Klasse statt Masse. Aber es liegt zum anderen auch daran, dass er Feinschmecker habe anziehen wollen, die nach zwei Stunden Zwerchfelltrainings den Arm um ihren Partner legen und sich auch mit all den anderen im Saal im Kreise einer Familie fühlen.
„Man muss sein Publikum zulachen, aber niemals auslachen“, sagt Kreis. Er hat einige solcher Weisheiten parat und teilt sie gerne mit seinen Zuhörern. Dabei hält er sich mit seinem Lebenswerk fit. „Es ist jedesmal so, als würde man die Titanic heben, wenn man etwas Neues findet, das sich fürs Programm eignet.“ Dabei habe er eine Gruppe von Freunden und Sammlern, die ihn sofort anrufen, wenn sie etwas ausgraben. Die Gefahr, zum Nostalgiker zu werden, ist schon länger gebannt, denn Kreis spürt dem Leben im Berlin der Weimarer Zeit (das er für eine kulturell beispiellose Epoche hält) nicht nur nach, er verschmilzt geradezu damit. Er habe stets in Wohnungen im 20er-Jahre-Stil gewohnt, Malerei und Musik jener Phase begleiten ihn seit langer Zeit. Und alte 78rpm-Schallplatten. Eine ganze Sammlung nennt er sein eigen. „Andere nehmen Drogen, ich nehme Schellack“, lacht er.
Während die meisten seiner Abende eine freudvolle Erinnerung an alte Zeiten sind, sorgt er mit seiner Reihe „Verehrt, verfolgt, vergessen!“, nach dem Buch von Ulrich Liebe über von den Nazis verfolgte Schauspieler, auch für emotionale Momente der Verständigung zwischen den Generationen. Manchmal waren dort Verwandte von ermordeten Juden zu Besuch. Kreis erzählt von einer Begegnung in Frankfurt, die ihn nicht mehr losgelassen hat. Ein sehr robuster Mann von 92 Jahren sprach ihn an, „eine Persönlichkeit, ein toller Kerl mit wunderschönen, aber zerbrochenen Augen“. Der Gast stellte sich als Auschwitz-Überlebender heraus, der im Waggon in Richtung KZ an Schauspieler Kurt Gerron gepfercht war. Gerron wurde als Polizeichef von London in der „Dreigroschenoper“ von Brecht bekannt. Die SS zwang ihn 1944, einen Propagandafilm über Theresienstadt zu drehen. Gemeinsam mit allen Beteiligten dieser Produktion wurde er von den Nazis in Auschwitz vergast. Noch beim Ausstieg aus dem Deportationszug dachte er bei Nennung seines Namens: „Sie werden sicher für mich eine Ausnahme machen.“ Das taten sie nicht.
Robert Kreis ist sich des tragischen Hintergrunds seiner Arbeitsgrundlage bewusst, aber er ist kein Bedenkenträger, kein Mahner. Stattdessen überwiegt bei ihm die Gelassenheit, dass Humor immer ein Mittel der Verbindung sein wird – und eben ganz altmodisch eine wirksame Waffe gegen Tod und Trauer ist. „Ich habe ein großartiges Leben gehabt“, resümiert er mit der noch unvollendeten Autobiographie vor Augen. „Ich habe die halbe Welt gesehen und an vielen Orten gelebt. Manchmal schaue ich nach oben und sage: ‚Vielen Dank! Das war ja super. Du musst mich ja sehr mögen, dass du mir all das zutraust.“
Dieses Vertrauen in sich und eine Himmelsmacht, die vergeben mag, aber vor allem den fidelen Menschen auf den Rücken klopft, prägt womöglich auch seine Lied- und Wortkunst, die keinen Hehl daraus macht, dass sie zu allererst eine Wiederbelebung ist. Robert Kreis empfindet sich deshalb als demütiger Vermittler und als verschmitzter Konservator. Und er freut sich jedes Mal wie ein kleines Kind darüber, wenn ein Wortspiel oder eine Zote in unseren Zeiten noch genauso zündet wie in den längst der Vergangenheit überlassenen Zwanzigern.