1974 live
Gene Clarks 1974er-Meisterwerk der opulenten Verzweiflung „No Other“ lockte mich in diesem extremen Winter hinaus in die Kälte. Eine Supergroup aus Mitgliedern der Indie-Größen Beach House, Fleet Foxes und Grizzly Bear führte das Album in der Music Hall of Williamsburg live auf. Fairport Conventions Ian Matthews kam als Special Guest. „No Other“ wurde zur Hochzeit des Los Angeles der Cosmic-Cowboy-Ära aufgenommen. Von einem Singer/Songwriter, der diese Szene eine Dekade früher mit den Byrds erfunden hatte.
Aber 1974 war Clark bereits ein verglühender Stern, er trank heftig und kämpfte darum, neben Jackson Browne und den Eagles noch Gehör zu finden. Für mehr als verschwenderische 100.000 Dollar mit den besten Session-Magiern der Stadt entstanden, entpuppte sich „No Other“ als kommerzielles Desaster, das bis zu Clarks Tod im Jahre 1991 unbeachtet blieb. Tatsächlich war es ein elegantes, kämpferisches Album: acht Songs über verwundeten Stolz und unbeirrte Hingabe, die ein wenig klangen, als wäre Neil Youngs „After The Gold Rush“ mit dem Rock-Orchester-Protz von George Harrisons „All Things Must Pass“ produziert worden. Die Show in Brooklyn wurde dem eigensinnigen Original gerecht. Matthews, Robin Pecknold von den Fleet Foxes und Grizzly Bears Daniel Rossen, die sich bei „Silver Raven“,“Strength Of Strings“ und dem Titelsong mit dem Leadgesang abwechselten, gelang es, Clarks Schmerz und Entschlossenheit mit elegischer Klarheit heraufzubeschwören, während Gitarrist Steve Strohmeier die sehnige Eloquenz von Jesse Ed Davis‘ Original-Slide-Spiel auferstehen ließ. Überhaupt wurden viele Klassiker in diesem noch jungen Jahr auf der Bühne zu neuem Leben erweckt.
Neil Young gab sich ungewöhnlich besinnlich während seiner Solo-Woche in der Carnegie Hall, wo er zu seinen Frühsiebziger-California-Country-Hit-Alben „After The Gold Rush“ und „Harvest“ zurückkehrte. In der Town Hall stellten die Pianisten Robert Glasper und Jason Moran als Headliner eines Konzertes zur Feier des 75. Geburtstages des Blue-Note-Labels erst ein Studio-Duell zwischen Albert Ammons und Meade Lux Lewis aus dem Jahr 1939 nach, um sich dann beschwingt durch Andrew Hills und Ornette Colemans goldenes Zeitalter der Moderne zu spielen. Der Jazz-Gitarrist Bill Frisell, Gitarrist und Robert-Plant-Sideman Buddy Miller sowie die texanische Geigerin Carrie Rodriguez hielten im Allen Room eine eindrucksvolle Rückschau auf die Bristol-Sessions, jene 1927 und 1928 entstandenen Aufnahmen, die als offizielle Geburtsstunde der kommerziellen Country Music gelten. Diese Show führte allerdings noch sehr viel weiter: von Ry Cooder und Joe Pass über Psychedelia bis zu den Problemen der heutigen Arbeiterklasse. Rodriguez sang Jimmie Rodgers‘ „Sleep, Baby, Sleep“ mit der Inbrunst einer gepeinigten Mutter, während Frisell mit der Gitarre sein ureigenes Tennessee entdeckte.
Und in Brooklyn wusste Ian Matthews zu verkünden, dass seit Beginn der Tour die Verkäufe von „No Other“ bei iTunes um „4000 Prozent angestiegen“ seien. Ein gewaltiger Sprung, nachdem sich Clarks Album vier Jahrzehnte lang so gut wie gar nicht verkauft hatte. Doch wie heißt es schon in „Can The Circle Be Unbroken“, dem alten Kirchenlied, das die Carter Family einst populär machte: Der Kreis bleibt geschlossen. Allerdings wird er größer.
Unser Autor David Fricke ist Redakteur beim amerikanischen ROLLING STONE. Nächsten Monat schreibt David Swindells wieder aus London.