17 Songs in 20 Minuten
Im Sommer 1975 stieg in einem -winzigen Rockclub in downtown New York 26 Abende lang das bescheiden getaufte Festival „New York's Top 40 Unrecorded Rock Talent". Der Club, CBGB, gehörte einem stämmigen Umzugsunternehmer namens Hilly Kristal, war zuvor eine Biker-Bar gewesen und noch davor ein Bowery-Treffpunkt für Trinker aller Art.
Der ROLLING STONE hielt in jenem Herbst fest: „Ein Grundgeruch von Pisse und Desinfektionsmittel bleibt.“
Selten hatte ein einzelner Veranstaltungsort eine so durchschlagende Wirkung auf die Musikgeschichte. Es ist kaum übertrieben, das CBGB den Ground Zero der Punk- und der New-Wave-Bewegung zu nennen. Allein zum Line-up des erwähnten Festivals gehörten Blondie, die Talking Heads (mit einem ihrer ersten Auftritte), Television und natürlich die inoffizielle Hausband des CBGB, die Ramones. „Beim ersten Mal hatten uns Blondie eingeladen, die damals noch Angel And The Snake hießen“, erinnert sich Ur-Drummer Johnny Ramone. „Wir spielten für den Barkeeper, ein paar Betrunkene, Hilly und Hillys Hund.“ „Ich wollte sie definitiv kein weiteres Mal auf die Bühne lassen“, sagt Kristal. „Was soll ich sagen? Sie spielten schlechter als Television, und Television waren zu der Zeit richtig schlecht. Ständig brachen sie ab und machten wieder weiter, ihre Verstärker gingen kaputt, sie sehnen sich an. Aber man lernt eben dazu.“ Er lacht. „Als sie sich entschlossen hatten, ohne Unterbrechungen durch ihr Set zu kommen, also durch sowas wie 17 Songs in 20 Minuten, da war das irgendwie… Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Sowas hatte noch nie jemand gemacht. Sie hatten nette Melodien, aber vor allem hörten sie einfach nicht auf. Und das war irgendwie ein Schock.“
Der Club wurde schnell zur Szene, zog Künstler an, Bohemians aus dem Viertel und, wie Tommy Ramone sagt, „jede Menge Neugieriger“. Lou Reed schaute vorbei. Es spielten Patti Smith, die Dead Boys und auch ein Drag-Act namens The Cockettes. Was die Mode der Zeit betrifft, sagt Kristal: „Der einzige Unterschied zur Hippie-Ära war, dass sie die Haare generell kurz trugen. Man kleidete sich schmucklos, aber die Löcher in Hosen und Hemden hatten ganz real mit der Rezession damals zu tun. Es gab viele Second-hand-Lädcn, eine Jeans bekam man für ein, zwei Dollar, ein T-Shirt für einen Dollar.“
Beim Festival rasten die Ramoncs durch ein Set mit frühen Songs wie „I Don’t Wanna Go Down To The Basement“ und „Judy Is A Punk“ und Sixties-Bubblegum-Covers wie „California Sun“ oder „Let’s Dance“. Wenig später nahmen sie -in nur einer Woche und für 6400 Dollar – ihr Debütalbum auf und gingen auf ihre erste Europa-Tournee. Ein nervöser Johnny Rotten besuchte die Band backstage in London er dachte offenbar, es handle sich bei den Ramones um eine echte Straßengang. Zur Beruhigung lud ihn die Band auf ein Bier ein. Eine zweifelhafte Ehre, wie Dee Dee Ramone später verriet: „Die Ramones tun ein paar Tropfen Pisse in alles, was sie ihren Gästen servieren, als kleiner Scherz. Hahaha!“