12 für 12
Wer wird uns 2012 begeistern, wer überraschen? Wir stellen einige Künstler vor, von denen wir in den kommenden Monaten viel erwarten - im Großen wie im Kleinen.
01 Azealia Banks
Jeder A&R-Manager, der sein Geld wert ist, versucht in diesen Tagen einen Termin bei ihr zu kriegen: Azealia Banks ist die heißeste ungesignte Rap-Künstlerin der Welt, seit die 20-Jährige ihren Vertrag mit der Plattenfirma X&L aufgelöst hat, weil ihr die Richtung nicht gefiel, in die sie die dortigen Manager drängen wollten. Unter dem Moniker Miss Bank$ hatte sie bereits ein erstes Album veröffentlicht. Vergangenes Jahr führte sie dann die sogenannte Cool List des „NME“ an und veröffentlichte ein vielbeachtetes Video mit dem Interpol-Cover „Slow Hands“. Ungeachtet ihrer Vertragslosigkeit arbeitet Banks derzeit mit Paul Epworth (Adele, Florence And The Machine) an einem neuen Album. Torsten Groß
02 Lana Del Rey
Fast hat man das Gefühl, es wäre schon wieder vorbei: Bereits Monate vor Veröffentlichung ihres eigentlichen Debüt-Albums, „Born To Die“, wurde Lana Del Rey zum Gegenstand umfangreicher Berichterstattung in Netz und vielen Magazinen. Nicht wenige dieser Beiträge zeugten von einer überaus lebhaften Fantasie mancher Kollegen. Im ROLLING STONE-Interview bezieht Del Rey nun Stellung zu Gerüchten und Unterstellungen.
Lana Del Rey, was war das Lustigste, was Sie in den vergangenen Monaten über sich selbst gelesen haben?
Leider war das Meiste erfunden, weshalb sich der Spaß für mich in Grenzen hielt. Früher habe ich etablierten Medien absolut vertraut, heute weiß ich: Die Art, wie berichtet wird, hängt einzig und alleine von der Integrität des einzelnen Reporters ab.
Haben Sie Angst, als Thema schon wieder durch zu sein, noch bevor es richtig losgeht?
Ich versuche mich davor zu schützen, indem ich kaum Interviews gebe. Den Rest kann ich nicht kontrollieren, dieser Hype ist ja überwiegend ein Internet-Selbstläufer. Von Natur aus bin ich eine sehr zurückhaltende Person und nicht besonders mittelpunktsbedürftig.
Dann gehen wir mal die gängigen Gerüchte durch: Sind Ihre Lippen nun echt oder nicht?
Natürlich sind sie echt, ich habe nun einmal schon immer relativ voluminöse Lippen. Keine Ahnung, wo dieses Gerücht herkommt.
Des Weiteren heißt es, Sie seien „gemacht“. Ein Pop-Püppchen mit einer Klassemannschaft von Produzenten, Managern und Arrangeuren.
Das ist wirklich Quatsch. Ein Beispiel: Für „Born To Die“ habe ich mit dem Arrangeur und Komponisten Larry Gold gearbeitet. Da ich meine Ideen nicht notieren kann, gab ich Larry Bilder an die Hand: „Beginne in A und stell dir dabei eine Mischung aus ‚American Beauty‘ und Bruce Springsteen vor.“ Grundsätzlich gilt, dass ich diejenige bin, die im Studio sämtliche Entscheidungen trifft. Was an den Gerüchten stimmt: Ich bin von sehr guten Musikern und Produzenten umgeben, mit denen ich wunderbar zusammenarbeiten kann.
Sie wuchsen in einer amerikanischen Idylle auf. Nachdem Sie in New York geboren wurden, zog Ihre Familie in den Wintersportort Lake Placid. Was für eine Kindheit und Jugend haben Sie dort verlebt?
Zunächst mal ist es dort unfassbar kalt. (lacht) Und natürlich gab es nicht viel zu tun außer Skilaufen. Ich war nicht unbedingt anders als die anderen Kinder, aber ich habe doch sehr in meiner eigenen Welt gelebt. Die meisten Leute unterhielten sich ständig nur übers Wetter oder irgendwelche Klamotten, was mir absolut nichts bedeutet hat. Selbst die Musik … Ich habe natürlich Musik gehört. Aber ich fand dort keine Antworten auf diese bohrenden Fragen: Warum sind wir hier, wohin entwickelt sich unsere Zivilisation? Ich habe eine Menge gelesen, beschäftigte mich mit philosophischen Theorien, was mir geholfen hat, mich weniger alleine zu fühlen.
Wie sehr hat Sie Ihr Vater in dieser Phase unterstützt? Wie zu hören ist, ist er ja eine wichtige Bezugsperson für Sie und außerdem unfassbar reich …
Mein Vater hat mich immer unterstützt, er ist der netteste Mensch der Welt und bis heute einer meiner absolut besten Freunde. Der Rest ist ein weiteres Gerücht: Alle sagen, mein Vater sei Millionär und würde meine Karriere steuern und mich managen. Alles Quatsch. Ich bin seit meinem 15. Lebensjahr auf mich alleine gestellt. Damals ging ich auf ein Internat, nachdem ich Ärger an meiner alten Schule gehabt hatte. Mein Vater hatte zwar beruflichen Erfolg, aber wir waren alles andere als Millionäre. Und mein Manager ist ein ganz normaler unabhängiger Agent aus der Branche.
Gemessen an den Gender-Theorien, die sie begleiten, texten Sie relativ konventionell über die Suche nach Mr. Right und die damit einhergehenden Enttäuschungen wie etwa in Ihrem Song „Million Dollar Man“.
Im konkreten Fall ging es um einen Typen, der auf den ersten Blick wie ein Hauptgewinn wirkte und ganz toll aussah, sich später aber als Niete erwies. Er sah aus wir ein „Million Dollar Man“, aber das war eine einzige Lüge. Manchmal haben Menschen eine extrem magnetische Wirkung, führen einen aber an dunkle Orte. Man muss es trotzdem immer wieder probieren. Torsten Groß
03 Friends
Der Spott auf sogenannte Hipster – die pseudo-alternativen, modisch beflissenen, von Apple, Starbucks und American Apparel gesponserten Jung-Großstädter – ist spätestens seit vergangenem Jahr derart in Mode, dass man die Band Friends fast schon als Parodie verstehen könnte: drei Jungs und zwei Mädchen aus Brooklyn, extrem ungekämmt, mit Neonbrillen, Skinny-Hosen, Frühachtziger-HipHop-Chic. Und einer Sängerin, die auch noch Samantha Urbani heißt und bei Auftritten manchmal die als „Fick-mich-Dutt“ verrufene Steckfrisur trägt.
Unfreiwillige Scherze sind oft die komischsten – erschwerend kommt hinzu, dass die Friends Ende 2011 gleich zwei unschlagbare Disco-Pop-Videos in die Facebook-Runde geworfen haben: den Asia-Club-trifft-Kim-Wilde-Hit „Friends Crush“ und „I’m His Girl“, ein herrlicher Handschuhschlag ins Gesicht, modelliert nach dem bassmuffligen Underground-Studio-54-Sound von ESG oder Liquid Liquid, von Urbani so wunderbar phlegmatisch gerappt, als habe man ihr beim Fußnägellackieren ein Mikrofon hingehalten.
„Der Sound und Look der meisten Sachen, die heutzutage produziert werden, gefällt mir überhaupt nicht“, sagt die Sängerin. „Diese hochpolierte Hyperrealität hat nichts mit dem echten Leben zu tun. Ich finde es viel interessanter, ein Kunstwerk zu erschaffen.“ Entsprechend hat sie eigenhändig den Friends-Sound in Homerecordings skizziert, als ungelernte Kraft Regie und Schnitt bei den Videos übernommen. Und sich selbst mit Lippenstift und hochgeknoteter Bluse zu einer Art 70er-Jahre-Playmate umgestaltet.
Der offiziellen Legende nach lernten die fünf sich als Bedienstete eines veganen Restaurants kennen und begannen die musikalische Zusammenarbeit, als das Lokal während einer Wanzenepidemie geschlossen bleiben musste. Klingt gut, ist wahrscheinlich gelogen, aber was halbwegs sicher ist: 2012 stehen eine Europatour sowie die Veröffentlichung des ersten Albums bevor. Wenn es nach den grandiosen Friends-Singles geht, wird beides zum Großereignis werden. Und auf Facebook wird es erst so richtig rumpeln. Joachim Hentschel
04 Dry the River
Lieber grandios scheitern als ungehört untergehen. Etwas in der Art müssen sich Pete Liddle, Matt Taylor, Scott Miller, Will Harvey und Jon Warren gedacht haben, als es darum ging, ihr erstes Album aufzunehmen. Die Briten mit dem wunderbar mystischen Bandnamen Dry The River liefern mit „Shallow Bed“ ein überschwängliches Debüt, das erstaunlich unbritisch, sogar stellenweise sehr amerikanisch klingt.
Wie eine Mischung aus den pastoralen Folkklängen der Fleet Foxes und dem zerbrechlichen Gewimmer von Antony Hegarty, den zurzeit so ziemlich jeder stimmlich gesegnete Indie-Sänger nachahmt. Aber Dry The River geben dieser vermeintlich müden Mischung einen bombastischen Anstrich, indem sie ihre anfangs leicht galoppierenden Songs gen Ende unter zentnerschwerem Pathos begraben, was wiederum oft an Arcade Fire erinnert. Und genau darin liegt der Reiz, im Zuviel, im Überbordenden und dem Gefühl, das man beim Hören dieser Musik verspürt. Ob die Songs der Band Dry The River noch knapp geschmackssicher sind oder emotional trash – diese Frage ist hier ausnahmsweise mal egal.
Mit leicht rauer, belegter Stimme, weil er selbige ständig in irrlichternde Höhen zwingt, erzählt Sänger Pete Liddle von dem Gefühl, das er hatte, als die Plattenfirma das Geld für die Aufnahmen von „Shallow Bed“ vorschoss: „Der erste Morgen, an dem ich aufwachte und nicht mehr zur Arbeit gehen musste, war das Tollste daran.“ Bis dahin hatte er gejobbt, um sich sein Studium der Medizin und Anthropologie zu finanzieren. Ein paar Jahre hatte Liddle die Musik sogar komplett an den Nagel gehängt und sich ganz der Alma Mater verschrieben. Doch 2009 bahnte sich der musikalische Erfolg mit Dry The River an, als die Band ihre „The Cambers & Valves EP“ ins Netz stellte, was ihnen zahlreiche Downloads und Support-Gigs für Plan B und die Magic Numbers einbrachte. Zu diesem Zeitpunkt teilten sich die fünf Musiker bereits ein Haus in Stratford im Londoner Osten.
Liddle hatte vorher in einigen Punk- und Hardcore-Bands gespielt und wollte es nun auf jeden Fall ruhiger angehen lassen. „Irgendwas im Stil von Bon Iver schwebte mit vor.“ Da auch die anderen Mitglieder keine musikalischen Leisetreter waren, musste Liddles Vorstellung jedoch einem imposanteren Sound weichen. „Als wir begannen, unsere Songs zu spielen, machte jeder zu viel. Daraus entstand dann eine Art laute Folkmusik“, erklärt Bassist Miller. Also ließen Dry The River dem, was sie nicht bändigen konnten, einfach freien Lauf, spielten im vorigen Jahr über 130 Konzerte und begannen wie eine richtige Live-Band zu denken. „Seit wir auf Tour sind, haben wir den Anspruch, Songs zu schreiben, die sich eindrucksvoll auf die Bühne bringen lassen“, sagt Liddle. Das klingt, als hätten sie schon die ganz großen Stadionshows im Hinterkopf, was natürlich mit bescheidener Newcomer-Geste beiseitegewischt wird: „Es läuft gerade alles so perfekt, dass wir keinen Gedanken daran verschwenden, was in ein paar Jahren sein wird.“
Gut möglich, dass Dry The River schon bald ziemlich nerven, aber im Moment ist ihre Musik mitreißend und ansteckend. Nach solch magischen Momenten lechzt der Popkonsument, nach der einen unverbrauchten Phase, bevor vielleicht schon der Ausverkauf einsetzt. Max gösche
05 Alabama Shakes
Athens, Alabama (nicht zu verwechseln mit der Heimat von R.E.M.) ist, so klischeevoll das klingen mag, eines dieser identitätslosen Käffer in den Südstaaten der USA, die man als junger Mensch mit Träumen so schnell wie möglich hinter sich lassen will. Knapp 20.000 Einwohner, eine kleine Uni, größter Arbeitgeber ist das Atomkraftwerk Browns Ferry Nuclear Power Plant, in dem sich in den Siebzigern einer der größten atomaren Zwischenfälle in der Geschichte der USA ereignete.
„Athens ist ein schöner Platz, um Kinder großzuziehen und ein normales Leben zu führen“, sagt Brittany Howard, „aber wenn man andere Pläne hat, kann man dort eigentlich nur saufen.“ Howard ist die Sängerin der Alabama Shakes, einer neuen Band aus Athens, die auf den ersten Blick sämtliche vermeintlichen Regeln und Klischees geschickt umkurvt und vielen vielleicht gerade deshalb so vorkommt, als sei sie der Fantasie eines geschickten A&R-Managers entsprungen. Da ist zunächst die Sängerin selbst: Howard, 23, ist kräftig bis dick, schwarz und entspricht in keiner Weise gängigen Schönheitsidealen. Dafür hat die Frau eine Stimme, wie man sie nur noch selten hört in diesen Tagen: eindringlich und soulful, aber im entscheidenden Moment zupackend, asthmatisch rasselnd, angriffslustig. Eine Stimme irgendwo zwischen Caleb Followill, Janis Joplin und Bon Scott.
Damit sind auch schon die wesentlichen Koordinaten der Band benannt. Die Alabama Shakes, darin liegt ihr Verdienst, verknüpfen eindrucksvoll einige der wichtigsten Strömungen der aktuellen Rockmusik: den Südstaaten-Indie der Kings Of Leon mit dem Rauschebart-Folk-Rock von Bands wie My Morning Jacket sowie dem Neo-Soul von Adele, Amy Winehouse und all den anderen. Eine Band mit so unterschiedlichen Einflüssen konnte wohl nur in einem Kaff wie Athens passieren, wo man froh ist, überhaupt jemanden zu finden, der ein Instrument spielt und es keine Szenen oder Codes gibt. Howard und der Bassist Heath Fogg kennen einander, seit sie 13 sind. Irgendwann nahmen sie sich ein Herz und fragten Zac Cockrell, den besten Gitarristen ihrer Schule, ob er sich ihnen anschließen wolle. Das Line-up komplettierte schließlich der Rock-Schlagzeuger Steve Johnson.
Anlässlich des letzten Record Store Day spielten die Shakes dann in Nashville. Ein begeisterter Zuhörer berichtete einem Freund aus L.A. von der Band, der schrieb einen Bericht in seinem Blog, am nächsten Tag klingelten sämtliche Telefone: „Dieser Blog hat 20.000 Leser täglich. Plötzlich hatte ich das ganze Postfach voll mit Anfragen von Managements, Plattenfirmen, Produzenten“, sagt Howard. Die Plattenfirmen überboten sich gegenseitig, schließlich unterschrieben die Shakes bei ATO. So viel Begeisterung ruft auch Kritiker auf den Plan: Als der Blogger Bob Lefsetz schrieb, die Shakes seien ein Synonym für unsere Zeit, in der durchschnittliche Bands künstlich hochgejazzt würden, obwohl sie nicht das Potenzial für eine längere Karriere hätten, pflichteten ihm diverse Studio-Granden aus der traditionsreichen Heimat der Band bei. Das Alabama-Shakes-Debüt hatte Lefsetz freilich ebensowenig gehört wie die vielen Follower der Band bei Facebook das Album erscheint erst im April. Torsten Groß
06 Jamie N Commons
Etwas ungläubig hörten wir im vorigen Jahr die Debüt-EP von Jamie N Commons, „The Baron“. Der Mann, der darauf mit Blues-geschwängerter Stimme singt wie Tom Waits und Nick Cave in Personalunion, sei angeblich erst 22 Jahre alt – kaum vorstellbar. Weil es trotzdem wahr ist, kann 2012 ein großes Jahr für den frühreifen Briten werden, der seinen dunkel dröhnenden Mördergeschichten-Blues und Southern-Rock raffiniert im Indie-Gewand präsentiert und so auch den Nachgeborenen die Emphase von Mississippi John Hurt und Blind Willie Johnson nahebringen kann. „Jeder mag diese alte Musik, das haben doch Soundtracks wie ‚O Brother, Where Art Thou?‘ bewiesen“, erklärt Commons, „du musst sie nur in den richtigen Kontext bringen, dann verstehen die Leute sie.“
Commons selbst hat früh verstanden, weil sein Vater ihn im Alter von zehn Jahren zu Konzerten von Neil Young und den Allman Brothers mitnahm. Der Musiker wohnte damals in Chicago, wo er seine Kindheit und frühe Jugend verbrachte. Dann ging es zurück nach England – Commons lebte eine Weile im Südwesten (Gloucester) und zog schließlich nach London, um an der renommierten Gold-smiths-Universität ein Studium zu absolvieren. „Ich war ein Außenseiter, der die anderen mit seinen alten Blues-Liedern irritiert hat. Wie früher, wenn ich meine Lieblingsplatten auf Partys angemacht habe und alle rausgingen.“
2012 werden die Menschen gebannt lauschen, wenn Jamie N Commons seine Musik spielt. Im Frühjahr erscheint eine weitere Single als Appetizer auf das Longplay-Debüt, das später im Jahr kommt. Wenn Commons seine Stärke voll ausspielt und genügend Brücken ins Indie-Rock-Lager schlägt, wird die Platte ein Hit. Jörn Schlüter
07 the jezabels
Nach ihrem umjubelten Konzert in Berlin im September vorigen Jahres hörte man oft: „The Jezabels sind wie die Cranberries in Gut!“ Aber damit macht man es sich zu leicht. Zwar mag Sängerin Hayley Mary ähnliche Star- und Stimmqualitäten wie die junge Dolores O’Riordan haben, aber Songs wie „Hurt Me“ sind ungleich intensiver als der brave irische Folk, der das Gros der Cranberries-Songs ausmacht.
Das liegt zum einen an der kräftigen Stimme Marys, aber auch am hochenergetischen Spiel von Schlagzeuger Nik Kaloper. Darauf angesprochen, lacht der ausgebildete Barista: „Ich habe lange in Metalbands gespielt – deshalb geht immer noch manchmal die Doublebass mit mir durch.“
Der Hype der vergangenen Monate, der durch das Netz rauschte und ihnen überall volle Clubs bescherte, ängstigt sie derweil nicht so sehr: „Wir gehen selbst sehr hart mit uns ins Gericht, deshalb sind unsere Ansprüche ziemlich hoch“, so Kaloper. „Jede Show muss eine gute Show sein – aber in wildfremden Städten von so begeisterten Menschen empfangen zu werden, bewegt uns sehr.“ Und Gitarrist Sam Lockwood ergänzt: „Wir haben gelernt, dass wir dem Internet zu gro-ßem Dank verpflichtet sind.“
Wenn ihr Debüt „Prisoner“ bei uns erscheint, wird es vermutlich einschlagen. Bleibt die Gefahr, dass sich alle auf die hübsche Sängerin einschießen. „Das ist uns bewusst“, so Lockwood. „Deshalb versuchen wir, früh gegenzusteuern. Interviews werden zum Beispiel ausgelost, deshalb sitzt du hier mit uns beiden. Und innerhalb der Band spielt es keine Rolle: Jeder weiß, was er beiträgt.“ daniel koch
08 Ren Harvieu
Vereinfacht ausgedrückt könnte man sagen, dass Ren Harvieu eine Art Adele noir ist. Schwarze Vogelnesthaare, weißer Teint, den Blick verloren ins Nirgendwo gerichtet – eine mysteriöse Femme fatale wie aus einem Film von David Lynch. Dann erfahren wir, dass die Sängerin nicht in einer Kneipe am Rand der texanischen Wüste aufgewachsen ist, sondern aus Salford in der Nähe von Manchester stammt.
Das Meiste hat die 20-Jährige dort von ihrem Vater gelernt, einem irischen Folksänger. Später gewann Harvieu ein paar Talentwettbewerbe, nahm im Studio eines Freundes einen Song auf, stellte ihn auf ihre MySpace-Seite und lernte so ihren späteren Manager Paul Harrison kennen. Dieser Song war „Through The Night“, ein erhabenes Stück Dream-Pop, das einen nicht mehr loslässt.
Eine typische Web-2.0-Blitzkarriere nahm ihren Lauf: Harvieu spielte einen Song mit dem Rapper Nas ein, der sich im Netz in ihre Stimme verliebt hatte, tourte mit Glasvegas, wurde gar ohne Albumveröffentlichung für das Glastonbury-Festival gebucht.
Dann passierte es: Bei einem Ausflug stürzte Harvieu, brach sich zwei Wirbel. Die Ärzte sagten, sie werde nie wieder laufen können, doch wie durch ein Wunder erholte sich die Sängerin. Im Krankenhaus rief einer ihrer Helden an. Johnny Marr hatte „Through The Night“ gehört. Der Ex-Smiths-Gitarrist ist nicht der Einzige, der glaubt, dass 2012 das Jahr der Ren Harvieu wird. Torsten Groß
09 Vondelpark
Der junge Brite Lewis Rainsbury, der mit Alex Bailey und Matt Law unter dem Namen Vondelpark wunderbar schwerelose Songs komponiert, inszenierte sich im Netz lange wie ein Phantom. Seit 2010 tauchten immer wieder verschwommene Videos zu tollen Songs wie „Camels“ und „Jetlag Blue Version“ auf, hoch gelobt in den einschlägigen Blogs und immer von der Frage begleitet, wer oder was sich denn nun hinter Vondelpark verbirgt außer dem namensgebenden Park in Amsterdam.
Vondelparks Sound wurde schon oft mit The XX in Verbindung gebracht, ohne dass jemand tatsächlich eine griffige Bezeichnung für die Musik der Band finden konnte. Auch Rainsbury tut sich damit schwer: „Ich glaube, unser Sound fängt diese dunstige trübe Stimmung ein, die viele Menschen in London momentan fühlen. Inspiriert haben uns dabei Musiker wie Pat Metheny, John Martyn, Dennis Wilson, Mogwai und Radiohead aber ich weiß nicht, ob man das unserer Musik wirklich anhört. Mich hat vor allem interessiert, Sampling-Techniken und Auto-Tune-Effekte, die man aus Mainstreamproduktionen kennt, in einem Lo-Fi-Umfeld anzuwenden.“ Daniel Koch
10 Steve Smyth
Bereits in seiner Kindheit war Steve Smyth ein ruheloser Geist. Kaum dass er laufen konnte, wurde er regelmäßig von Nachbarn wieder eingesammelt, nachdem er mal wieder von zu Hause ausgebüxt war. Seine ersten musikalischen Schritte unternahm Smyth dann in der Kirche seiner südaustralischen Heimatgemeinde, wo er sich nach den Gottesdiensten an den Instrumenten der Kirchenband austoben durfte.
Den letzten Schliff als Musiker verdankt er indes einem Zufall: Der 15-jährige Smyth absolvierte gerade eine Ausbildung als Schreiner, als er auf einer Baustelle einen amerikanischen Gitarristen kennenlernte. Eigentlich hatte Smyth den Mann, der ein Haus weiter wohnte, nur um Strom bitten wollen. Stattdessen jammte er in den folgenden Monaten jede freie Minute mit dem doppelt so alten Gitarristen. „Er hat mir alles über Blues und Bluegrass beigebracht“, sagt Smyth, der bald darauf seine erste eigene Band gründete.
Sein Debüt-Album hat Smyth nun mit befreundeten Musikern in Sydney aufgenommen. Auf „Release“ führt der Sänger und Gitarrist all die offenen Enden seiner musikalischen Sozialisation zusammen, verknüpft den torkelnden Folk der Pogues, den zupackenden Wahn von Screamin‘ Jay Hawkins, die emotionale Tiefe von Jeff Buckley mit der elegischen Hingabe des aktuellen Neo-Folk-Movements ein ingeniöser Stilmix, wie man ihn so noch nicht gehört hat.
„Release“ erscheint zwar nicht bei einer großen Plattenfirma, es deutet aber dennoch vieles darauf hin, dass 2012 ein gutes Jahr für Steve Smyth werden könnte. Torsten Groß
11 Nick Waterhouse
Besitzen Sie die Vinyl-Single des Songs „Some Place“ von Nick Waterhouse? Behalten Sie sie! Bereits jetzt werden die raren 45s für rund 100 Euro gehandelt, das kostbare Stück könnte Ihren nächsten Urlaub finanzieren. Wenn Sie die Platte denn überhaupt verkaufen wollen, wozu absolut kein Grund besteht: Nicht nur mit diesem Song verschafft Waterhouse dem R&B der frühen 60er-Jahre ein bestechendes Update. Dabei geht er deutlich puristischer vor als ähnlich gelagerte Musiker wie Aloe Blacc, Mayer Hawthorne oder Hanni El Khatib.
Nick Waterhouse klingt nicht nur so, er sieht auch so aus, als wäre seit den frühen Sixties kein einziger Tag vergangen: Hornbrille, akkurat gebügelter Anzug, Ivy-League-Frisur – „L.A. Weekly“ schrieb, der Musiker aus Huntington Beach sehe so aus wie jemand „aus dem College-Jahrbuch deiner Eltern“. Mit der Musik der Altvorderen beschäftigt sich Waterhouse, seit er 14 ist. Die wesentlichen Kenntnisse erlangte er als Aushilfe in einem Vintage-Plattenladen. Solchermaßen präpariert, brachte er es in den vergangenen Jahren zu einem vor allem von DJs geschätzten Geheimtipp für Eingeweihte.
Natürlich ist Waterhouse nicht in dem Maßstab ein potenzieller Big Shot wie einige andere Leute auf diesen Seiten. Trotzdem könnte 2012 das Jahr werden, in dem der 24-Jährige aus dem Schatten der DJ-, Sammler- und Northern-Soul-Partybesucher-Szene tritt. Anfang März wird er zum ersten Mal mit einer achtköpfigen Band in Deutschland auftreten und dabei in Frankfurt und Berlin auch auflegen. Später im Jahr erscheint dann seine erste EP auf Innovative Leisure, dem Label, bei dem auch Aloe Blacc früher unter Vertrag war. Waterhouse hat zum Zeitpunkt der Niederschrift 2.452 Fans bei Facebook, Lana Del Rey 342.965. Könnte sich bald ändern. Torsten Groß
12 Die Heiterkeit
Hätte man die Supremes oder Bikini Kill am helllichten Nachmittag aus dem Schönheitsschlaf geweckt, wären sie auch nicht so gut gelaunt gewesen. Deshalb zeigt nun das Hamburger Trio Die Heiterkeit – Stella Sommer, Rabea Erradi, Stefanie Hochmuth -, wie man schwarz gekleidet und mit leichtem Kopfweh die beste Musik macht: „Alles ist so neu“ zum Beispiel, von ihrer großartigen Vinyl-EP, eine zutiefst gereizte, unterzuckerte Indiepop-Hymne, wie Pavement mit Nico – oder gleich Marlene Dietrich.
Die drei lernten sich beim Saufen in der Bar Mutter kennen, sorgten durch eiskalt gute Connections dafür, dass die Szene schon tuschelte, bevor ein einziger Ton zu hören war. Live sind sie die coolste Girlgroup Deutschlands, das Album kommt im Sommer. Joachim Hentschel
12 Dinge auf die wir uns 2012 außerdem freuen
Das Rolling-Stones-Jubiläum
Springsteen-Album und -Tour
Tom-Petty-Tournee
Neues John-Cale-Album
Van Halen mit David Lee Roth
Rufus-Wainwright-Album
Literatur-Nobelpreis für Dylan?
At The Drive In beim Coachella Black-Sabbath-Reunion
ROLLING STONE Weekender Neues von Warpaint, The XX Beach-Boys-Album und -Tour