111 Songs: Ideal – „Blaue Augen“
In der Rolling-Stone-Beilage: "Pop in Deutschland" haben unsere Autoren 111 Bands und ihre besten Songs zusammengetragen. Jörn Schlüter erklärt, warum „Blaue Augen“ von Ideal einer davon ist.
Natürlich waren Ideal ein Glücksfall für die deutsche Popmusik – in der Anfang der Achtziger aktiven Band kamen sehr unterschiedliche künstlerische Identitäten zusammen, die eine Musik kreierten, die man sich nicht hätte ausdenken können. Annette Humpe, Ernst Ulrich Deuker, Effjott Krüger und Hansi Behrendt brachten einfach das Berlin der frühen Achtziger auf den Punkt – mit einem schroffen New-Wave-Punk-Großstadt-Sound, dessen unterkühlt-ironische, abgeklärte Arroganz das Lebensgefühl der Mauerstadt einfing.
Humpe war damals schon eine Weile vor Ort gewesen, nachdem sie aus der kleinstädtischen Beklemmung von Herdecke geflohen war, um sich nach dem Musikstudium in Köln in Berlin künstlerisch auszutoben – zunächst gemeinsam mit ihrer Schwester Inga als Neonbabies, die auch schon ein Ereignis waren. Doch mit Ideal gelang ihr der große Wurf. Die zerhackten, zähneknirschenden Gitarren-Riffs, das hibbelige Schlagzeug, der jazzige Bass, dazu Humpes billige Orgel-Sounds – der nackte Realismus von „Wir stehn auf Berlin“, „Eiszeit“ und „Luxus“ klingt nach schwitzendem Beton und nackten Glühbirnen in Kellerräumen. Das großartige „Blaue Augen“ , das schon zum Repertoire der Neonbabies gehört hatte, treibt die Spannung zwischen Coolness und Einsamkeit, die in vielen Liedern von Ideal steckt, formidabel auf die Spitze: „Ideal und TV/ Lässt mich völlig kalt/ Und die ganze Szene/ Hängt mir aus’m Hals/ Da bleib ich kühl – kein Gefühl.“
Ideal haben nicht viel gemein mit den Protagonisten der dann folgenden kommerziell erfolgreichen Phase der Neuen Deutschen Welle, aber sie haben ihr den Weg bereitet, weil ein authentischer deutscher Ausdruck in dieser Musik ist, den man sich bis dahin nicht hätte vorstellen können. Komm nach Hagen, werde Popstar: Ab jetzt war alles möglich.