111 Songs: Heinz Rudolf Kunze – „7. Juli vormittags“
In der Rolling-Stone-Beilage: "Pop in Deutschland" haben unsere Autoren 111 Bands und ihre besten Songs zusammengetragen. Arne Willander erklärt, warum "7. Juli vormittags" von Heinz Rudolf Kunze einer davon ist.
Als Heinz Rudolf Kunze anfing, war er 23 Jahre alt und schon Lehrer, die Siebziger waren gerade vorbei, die sozialliberale Ära ging zu Ende, man las noch die Songtexte auf den Plattenhüllen, und seine Texte las man gleich zweimal, denn sie barsten vor Bildung und Wortgewalt. Kunzes erstes Lied, streng und bitter, hieß „Bestandsaufnahme“ und handelte von der Erschöpfung einer Generation ohne Ziel. Der genialische Dichter aus Osnabrück war mit einem ordentlichen Plattenvertrag ausgestattet und legte mit seinem musikalischen Partner Mick Franke vier Meisterwerke vor. Auf dem vierten, „Ausnahmezustand“, war Ray Davies’ „Lola“, und das wurde im Radio gespielt.
Ein Jahr später, 1985, war Kunze mit „Dein ist mein ganzes Herz“ ein Popstar und trat in der „Hitparade“ auf. Die Musik war jetzt manchmal Schlager, die Lyrik wurde einfacher, Songs hießen „Finden Sie Mabel“ und „Alles, was sie will“, die Band rockte, und Kunze sang süffisant: „Guten Abend, Grugahalle, fühlt ihr euch im Recht?“ Ein paar Jahre ging der Spagat gut, dann wurden die Alben und die Wortspiele angestrengt. Kunze fallen unaufhörlich Texte ein – und er veröffentlicht auch fast alle.
Damals machte er ätzendes Kabarett, las Aphorismen vor, spielte große garstige Lieder wie „Folgen Sie mir weiter“, „Nachts um halb drei“ und „Man kann doch zu sich stehen, wie man will“. Ja, das war politisch, und es war zynisch und witzig und elegisch. „Wir hatten damals ,Mit Schirm, Charme und Melone‘/ Und vor allem Emma Peel/ Und jeder unserer Träume begann mit dem Geräusch des Reißverschlusses von ihrem schwarzen Knautschlack-Kampfanzug … Heute bleibt den hohlwangigen, glutäugigen Knaben nur die ,Muppet-Show‘ … Ich möchte nicht jünger sein, als ich bin/ Wenn ich alles noch einmal machen könnte/ Würde ich vermutlich gar nichts machen.“