11 Kessel Buntes
Zu Hause sind sie mächtig stolz auf ihn. „Our Tommy“, raunen die Menschen im Pub von Pontypridd stolz. Und: „It’s Old Jones, the Voice.“ Stimme hat der Waliser zweifelsohne, gottgegeben und nie trainiert. Nur ein einziges Mal, vor vier Jahren, war sie durch böse ausschauende Knötchen bedroht. Doch eine Operation, gefolgt von zwei Wochen striktem Schweigen, brachte die erhoffte Heilung, und der Mario Lanza des unterhaltenden Rock-Gewerbes konnte sich wieder mit der von ihm gewohnten Vehemenz seinem liebsten Hobby widmen: dem Singen.
„Es ist wie guter Sex, glaub mir. Zunächst die Neugierde, die Anspannung, die Steigerung, die Explosion – und dann die selige Erschöpfung. Singen, überhaupt Musik, das ist für mich wie die Liebe mit einer schönen, temperamentvollen Frau.“ Parbleu, wer hätte das gedacht.
Bei seiner letzten Tournee durch Deutschland vor fünf Jahren, bei seinen jüngsten Konzerten im House of Blues in seiner Wahlheimat Los Angeles – der humorvolle Charmeur hält immer, was sein ihm vorauseilender Ruf verspricht. Als Routinier der Rumba-Rotation grinst er stets überaus sexbetont, und auch ein Tiger schwitzt schnell wie ein Stier. Doch das gehört sich halt so, wenn einer wie er alles gibt. Und so nebenbei beweist er sich fast spielerisch als Maestro aller Ton- und Gefühlslagen. Wenn, wie bei Jones-Auftritten üblich, ab und an ein duftiger Damenslip durch die Lüfte in seine Hände segelt, dann wischt er sich damit erwartungsgemäß den Schweiß von der behaarten Brust, um daraufhin das so geweihte Dessous seiner Besitzerin süffisant grinsend zurück zu reichen.
Wenn Tom Jones sich dankend verbeugt, dann klappt er wie ein gut geöltes Taschenmesser vornüber, immer noch geschmeidig, auch nach seinem 54. Geburtstag, den er dieses Jahr feiern konnte. Wenn schon Tom Jones, dann bitteschön den schillernden Show-Tiger, der stets hält, was die oft schräge Verpackung knallenger Samt und Lederhosen verspricht.
Schon als Kind sang er in der Schule und bei Familienfeiern. Mit 16 verließ er die Schule, heiratete mit 17, arbeitete tagsüber auf dem Bau und nachts als singender „Tom Tiger“ in Bars. 1964 hatte er mit „It’s Not Unusual“ seinen ersten Hit und verkaufte drei Millionen von diesem Evergreen. Und so ging’s fortan weiter: „Delilah“ und „Green, Green Grass Of Home“, „She’s A Lady“, „What’s New Pussycat“ – alles Bestseller.
1988 gelang ihm dann dank der Bearbeitung durch The Art Of Noise ein Riesenhit mit „Kiss“, vom Multimillionär augenzwinkernd und mit bewährtem Hüftschwung vorgetragen. „Das war übrigens der Auslöser dafür, warum ich für mein neues Album „The Lead And How To Swing It“ völlig unterschiedliche Songs ausgesucht und mit verschiedenen Produzenten gearbeitet habe. Ich will mich nicht ewig wiederholen müssen.“ Unter den Produzenten findet man die Bandbreite von Flood bis Jeff Lynne, von Trevor Hörn bis Youth. Tom singt zu Sounds von House bis Soul, von Pop bis Funk – ein Klangkessel verkaufsträchtigen Buntes. „Die Songs habe ich unter einer Prämisse ausgesucht: Meine Stimme muß zu ihnen passen, und sie müssen mich emotional berühren. Meinen Stil habe ich noch nie geändert, weder in puncto Gesang noch in puncto Vortrag. Die Kategorien wechsle ich permanent; es gibt keine Schubladen, in die ich passe. Ich bleibe mir einfach selbst treu, und mir ist bis dato kein Song meiner langen Karriere peinlich.“ Jones genießt seine über die Jahre gewonnene Gelassenheit: „Das ist einer der wenigen, aber großen Vorteile des Älterwerdens. Ich brauche niemandem mehr etwas zu beweisen, auch mir nicht.“ Selbst Songs schreiben wollte er nie, denn: „Das können andere besser, außerdem bin ich zu faul. Ich bin sogar zu faul zum Lügen, denn dann müßte ich mir ja permanent neue Lügen ausdenken. Viel zu mühselig.“ Nur eines befürchtet er: nicht rechtzeitig aufzuhören. „Der ewige Tiger als Klappergreis, als krächzende Karikatur seiner selbst – eine schreckliche Vorstellung. „Ich möchte eines Tages sagen können: Jetzt habe ich alles gemacht, was ich machen wollte. Doch jetzt ist’s gut.“ Das wird allerdings noch ein paar Jahre dauern, denn bis dahin wird er weiter Konzerte geben – für eine Abend-Gage bis zu 100 000 Mark.