Neunte Kunst: 10 Comics und Graphic Novels, die man in diesem Sommer lesen muss
Der Urlaub lockt! Zur Strandlektüre sollte auch ein guter Comic gehören. Wir haben zehn (sehr unterschiedliche) Kunstwerke für Sie gelistet, die sich unbedingt lohnen.
6. Mickey’s Craziest Adventures (Lewis Trondheim/Nicolas Keramidas)
Micky Maus ist eigentlich ziemlich out. Der Disney-Nager verlor schon im vergangenen Jahrhundert schnell an Gewicht gegenüber der ungleich witzigeren und charakterlich weitaus ausdifferenzierten Entensippe aus Entenhausen. Walt Disney hat das immer genervt. Umso mehr Aufmerksamkeit widmeten ihr in Europa viele Zeichner (Romano Scarpa!). Das ist nun auch schon ein ganzes Weilchen her. Inzwischen hat sich Micky quasi als nostalgische Merchandising-Projektion zurück ins Gespräch gebracht. Neben einem hübschen Kurzfilm aus den Disney-Studios erscheint die Maus vor allem im Vintage-Look auf Uhren, Socken, Stickern.
Im vergangenen Jahr startete das französische Verlagshaus Glénat – vielleicht auch aus diesem Grund; die Gunst der Stunde will genutzt sein – eine prächtige Hommage-Serie als Autoren-Reihe mit eindrucksvoll gestalteten Graphic Novels, in denen Micky, Minnie, Donald und Daisy Hauptrollen spielen dürfen. Natürlich machte der Disney-Konzern in den USA Lizenzprobleme, doch als diese ausgestanden waren, erschien z.B. „Mickey’s Craziest Adventures“ oder „Eine geheimnisvolle Melodie oder Wie Micky seine Minnie traf“. Seit ein paar Wochen gibt es die auch in schmucken Hardcover-Bänden auf Deutsch. Eine hübsche Reminiszenz an eine Comic-Welt, die mit den Lustigen Taschenbüchern ja immer noch ein Millionenpublikum erreicht, hier aber deutlich erwachsener daherkommt.
7. Turing (Robert Deutsch)
Die Biographie ist ja längst zu einem einträglichen Subgenre des Comic geworden. Der großartige Reinhard Kleist lieferte 2006 eine ausdrucksstarke, geradezu kanonische Darstellung von Johnny Cash (im August lässt er dann Gedanken und Bilder über Nick Cave folgen); auf Ewig in Erinnerung bleibt natürlich Robert Crumbs und David Zane Mairowitzs „Kafka“ und selbst Steve Jobs erhielt seinen Comic-Lebenslauf („Steve Jobs – Das wahnsinnig geniale Leben des iPhone-Erfinders“, Jessie Hartland). Doch wie stets in einer guten Comic-Erzählung geht es weniger um die Berühmtheit der Person als vielmehr um das schillernde Leben, das eine graphische Darstellung rechtfertigt.
Robert Deutsch hat sich der Vita Alan Turings gewidmet, der zuletzt wieder in den Rang einer popkulturell relevanten Persönlichkeit rückte, als er in „The Imitation Game“ im Kino porträtiert wurde. Deutsch geht es weniger darum, eine spannende Geschichte aus dem Wirken des Informatik-Pioniers und Enigma-Knackers zu machen. Stattdessen findet er im Großformat und mit dem Einsatz eines kraftvollen, komplexen Farbkonzepts einen Zugang zu den Licht- und Schattenseiten Turings, der sein Leben lang darunter litt, seine Homosexualität zu unterdrücken. Dass sich der Wissenschaftler tatsächlich – nach schweren Depressionen und einer Hormonbehandlung – das Leben mit einem vergifteten Apfel genommen haben soll, nutzt Deutsch für eine geschickte Übertragung auf den Schneewittchen-Stoff.
8. Swamp Thing – Die Toten schlafen nicht (Len Wein/Kelly Jones)
Vor einigen Wochen starb Comicgenie Bernie Wrightson, der in den 60ern die großen Themen und suggestiven Motive im Horror-Genre für die Bildchenwelt zurückeroberte. 1971 schuf er gemeinsam mit Len Wein eine der abgründigsten Superheldengestalten aus dem DC-Universum. Der Biologe Alec Holland wird durch einen folgenschweren Unfall mit Sumpfpflanzen gekreuzt. Ein friedliches Pflanzenwesen in den Sümpfen, das immer wieder den Kontakt zu den Menschen sucht. „Swamp Thing“ bekam seine eigene Reihe und wurde u.a. durch Alan Moore stark geprägt.
Nun kehrt Len Wein mit einer Mini-Serie zu seiner Kreation zurück und lässt sich dabei vom genialen Batman-Zeichner Kelly Jones unterstützen. Der bekannte unlängst, dass ihn das Sumpfmonster einst dazu inspiriert hatte, Zeichner zu werden. In der Vergangenheit ließ er deshalb auch schon den Dunklen Ritter auf die Pflanzengestalt treffen. In „Die Toten schlafen nicht“ geht es darum, dass Swamp Thing endlich wieder zurück in einen Menschen verwandelt werden könnte. Dank der legendären Hand von Fatima. Natürlich gibt es aber einen gewaltigen Haken. „Swamp Thing – Die Toten schlafen nicht“ ist zunächst einmal eine dunkel-schaurige Rückschau auf das, was die Serie einst ausgemacht hat (und keine Renaissance der Story), aber beste Unterhaltung für Fans des Genres. Und Kelly Jones virile Zeichenkunst ist ein Erlebnis für sich.
9. MADs Meisterwerke: Spion & Spion: Mit dem Gesamtwerk von Antonio Prohias
In diesem Jahr feiert das deutsche „MAD“ 50. Geburtstag. Anlass genug, das „intelligenteste Magazin der Welt“ auch in diesem Blog in einer der kommenden Ausgaben zu feiern. Für deutsche Leser ist es sicher ein Glücksfall, dass sie nicht nur mit perfiden Lauten eingedeckt wurden, die längst fest zum Sprachschatz gehören (Ächz! Keuchz! Lechz!), sondern dass sie auch die wilden, berühmten, auch vertrottelten Serien des Originals mit entdecken durften. Panini bringt seit einiger Zeit einmal im Jahr (recht teure) Sammelbände heraus, zu den Zeichner-Veteranen Don Martin und Sergio Aragones zum Beispiel.
Aber ein Glück folgte zuletzt auch das unverzichtbare Gag-Gesamtwerk der „Spy vs. Spy“-Cartoons, die „Mad“ über so viele Jahrzehnte prägten und in Sachen Albernheit und Zerstörungswut keine Grenzen kannten. Noch einmal mitzuerleben, wie Antonio Prohias Spione (erstmals auch zum Teil in Farbe) in Abgründe fallen, von Krokodilen gefressen und Zügen überfahren werden oder sich zu Tode erschrecken, ist auch 2017 noch ein kurzweiliges Vergnügen. Hübscher Pennäler-Humor, visuell herrlich einfallsreich.
10. Esthers Tagebücher – Mein Leben als Zehnjährige (Riad Sattouf)
Zurück in die Kindheit: „Charlie Habdo“-Zeichner Riad Sattouf („Der Araber von morgen“) verneigt sich vor dem „Kleinen Nick“ (Goscinny) und erzählt in „Esthers Tagebüchern“ mit Einseitern im klassischen, aber vor allem sprachlich überbordenden Stripformat aus dem Leben der kleinen Esther, das wiederum aus dem wahren Leben der Tochter eines Freundes des Zeichners zusammengesetzt ist. Das Mädchen hat all die Träume, die unsere Kleinen heute nun einmal haben (und wohl auch immer schon hatten): Es verliebt sich in TV-Promis, will sich den Glauben an den Weihnachtsmann nicht kaputt machen lassen und kann mit den Jungs aus ihrer Klasse so gar nichts anfangen. Und natürlich möchte Esther so schnell es geht reich und berühmt sein. Vorher reicht aber auch schon ein iPhone.
Natürlich lebt der Comic von der satirisch überzeichneten Naivität seiner Protagonistin (weshalb „Esthers Tagebücher“ in Frankreich zu einem großen Erfolg wurde). Geschickt verknüpft Sattouf die Nabelschau einer Heranwachsenden mit einem klugen Generationenporträt, das die Augen öffnet für all die rasanten gesellschaftlichen Veränderungen der vergangenen Jahre, die viel zu schnell für selbstverständlich gehalten werden, bevor man über ihre Bedeutung nachdenken kann. Esther lässt stellvertretend für uns die Zahnräder in ihrem Kopf rotieren.
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