Liste

10 Bücher, die man in diesem Herbst lesen muss

Zur Frankfurter Buchmesse stellt ROLLING STONE 10 nachdenkliche, witzige, atemberaubende Bücher vor, die Ihnen einen spannenden Herbst bescheren.

6. Brian Wilson – Ich bin Brian Wilson

Brian Wilson hat die Geschichte seines Lebens mithilfe des „New York Times“-Journalisten Ben Greenman aufgeschrieben. Natürlich ist es vor allem eine Überlebenserzählung, denn der Beach-Boys-Anführer schildert darin detailreich, wie die Stimmen in seinem Kopf nicht mehr verstummen wollten, wie er mit seinen Songtexten, den Tourneen, der Platten­firma, vor allem aber mit sich selbst zu kämpfen hatte. Das erste Kapitel trägt deshalb den Titel „Angst“. Das war zu erwarten: Wilsons Krankengeschichte ist längst selbst zu einem Rock’n’Roll-Mythos geworden, der nun in diesen aufrichtigen Memoiren mit dem Rüstzeug der peni­blen, manchmal gar etwas zu penibel detailversessenen Selbstbeobachtung eher noch verfeinert wird.


Der Leser erfährt durchaus Neues (zum Beispiel dass die Schwerhörigkeit des Sängers auf einen Unfall in der Kindheit zurückzuführen ist), reitet aber auch gemeinsam mit dem Erzähler noch einmal durch die sattsam bekannte Vergangenheit der Band. Wilson erinnert darüber hinaus teilweise mit unheimlichem Respekt an seinen Vater und seinen Psychoguru Dr. Eugene Landy. Zwei starke, dunkle Männer im Leben des oft matten Musikers, die ihn gleich­zeitig förderten und dem Abgrund näher brachten. Es sind gewiss die nötigsten, empfindsamsten Passagen in dem Buch. „Ich bin Brian Wilson“, nun endlich auf Deutsch erhältlich, ist trotz aller Tragik aber in erster Linie eine Liebes­erzählung, in der ein musikalisches Genie seine großen Ideen noch etwas größer machen darf, als sie es ohnehin schon sind („SMiLE“!), und in der vor allem auch die Beziehung zu seinen Brüdern, Dennis und Carl, seinen Kindern und seiner zweiten Frau, Melinda, zärtlich als Rettungsanker seines Lebens beschrieben werden. (Eichborn, 28 ­Euro) MARC VETTER

7. Viet Than Nguyen – Der Sympathisant

Der Plot dieses mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Debüts klingt nach Spionagethriller. Tatsächlich lässt sich Viet Thanh Nguyens Geschichte über einen in die USA geflohenen kommunistischen Doppelagenten auf vielerlei Arten lesen: als Migrations­drama, Gesellschaftssatire, autobiografische Aufarbeitung und philosophische Postkolonial­kritik. Das größte Verdienst des Romans besteht jedoch darin, dem amerikanischen Trauma, das im Westen nur „Vietnam“ genannt wird, eine bittere viet­namesische Perspektive gegenüberzustellen.

So wird der Spion in einer absurden Wendung zum Berater bei einem Kriegsfilm à la „Apoca­lypse Now“. Um das Drehbuch „authentischer“ zu machen, überzeugt er den Regisseur, dass Vietnamesen nicht nur eine Art zu schreien beherrschen, sondern viele, je nachdem wie sie gerade zu Tode kommen: Napalm, aufgeschlitzte Kehle, Bambustrittfalle. Dass das Buch in den USA mehrfach ausgezeichnet wurde, liegt sicher auch daran, dass sich alltäglicher Rassismus und westliche Deutungshoheit von Geschichte mit einem Donald Trump im Weißen Haus endgültig nicht mehr kleinreden lassen. (Blessing, 24,99 ­­­Euro) FABIAN PELTSCH

8. Dietmar Sous – San Tropez

In der Welt von Dietmar Sous liest ein von Humanität faselnder Deutschlehrer zum Gaudium der Klasse den vergeigten Aufsatz eines Schülers vor, aber da ist eben auch immer ein Freund, der dem Gedemütigten beisteht. „Hör auf damit, scheiß Hippie!“ Das ist der Feind. Eben selbst noch Pink-Floyd-Jünger, konvertieren Kalle, Mitch und die anderen zum Punk, gründen eine Band, spielen ein triumphales Schulkonzert, aber dann kommt eine Frau ins Spiel. Frauen sind stets quasireligiöse Erscheinungen bei Sous, sie versprechen Erlösung. Aber dafür muss man eben auch Opfer bringen.

Nach 35 Jahren kommt es zur Reunion für einen „Golden-Oldie-Ü50-Contest“, die Geschichte wiederholt sich hier tatsächlich als Farce, und einmal mehr geht alles den Bach runter. Das Scheitern der Band ist nicht nur punkgerecht, Sous lädt es mit einer geradezu altgriechischen Tragik auf und verliert dabei doch nie seine Leichtigkeit und seinen situativen Witz. Dieses Buch ist wahrhaftig und zugleich von einer so unaufdringlichen Kunstfertigkeit, dass man sie leicht übersehen kann. Wird Zeit, dass mal einer die Literaturpreisjurys kneift. (Transit, 18 ­­­Euro) FRANK SCHÄFER

9. Frank Witzel – Direkt danach und kurz davor

„Nicht das Unvorstellbare ist unvorstellbar, sondern das Vorstellbare“, heißt es im neuen Roman von Buchpreisträger Frank Witzel. Was zunächst absurd klingt, ist nichts weniger als die logische Konsequenz aus dem, was gemeinhin Geschichte genannt wird. Kaum etwas macht dies deutlicher als der deutsche Natio­nalsozialismus. Deshalb ist er Ausgangs-, Dreh- und Angelpunkt der ebenso absurden wie unheimlichen Handlung, die im Wesentlichen die Geschehnisse im baden-württembergischen Sigmaringen in der Zeit direkt nach dem Krieg und kurz vor dem Sommer 1969 beschreibt. Durch diesen ließ Witzel seinen manisch-depressiven Teenager in seinem mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten letzten Roman irren.

Sein neues Werk ist eine Art Prolog zu „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“, in dem eine Linie von Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß zum Ohnesorg-­Mörder Karl-Heinz Kurras und einer „NSU-Terrorzelle“ gezogen wird. Direkt verläuft diese Linie aber nicht, sondern in großen, immer wieder unterbrochenen Schleifen, in denen es anfangs um das mysteriöse Zugunglück am Hagelberger Friedhof und den Flugzeugabsturz auf dem Nahrthalerfeld geht. Dann treten die abgründigen Experimente in den Vordergrund, die ein skrupelloses Medizinertrio an geheimnisvoll erkrankten Waisenkindern vollzieht. Ihre Methoden erinnern dabei gleichermaßen an mittelalterliche Exorzismen wie an die Aktion T4 der Nationalsozialisten. Schließlich werden die Verhältnisse im Haushalt des Landarztes Siebert – in dem nichts ist, wie es scheint – in den Vordergrund gerückt. Zudem geistert ein junges Paar durch diesen gespenstischen Roman, der die Empathie- und Perspektivlosigkeit in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg eindrucksvoll (be)greifbar macht.

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Die zwischen dem Geschehen und seiner Deutung mäandernde Handlung gerät dabei zunehmend in den Hintergrund, während die religiös motivierten Perspektiven, die der zerstörerischen „Weltmaschine“ des Faschismus den Weg bereitet und sich tief ins Bewusstsein der deutschen Nachkriegsgesellschaft eingeschrieben haben, in den Vordergrund drängen. Für die Leser ist das eine Herausforderung, zumal sich das Greifbare der Geschichte von der düsteren Erzählung löst, bis auch die letzte vermeintliche Tatsache dem literarischen Konzept untergeordnet ist. „Beginnt die Lüge nicht mit der Konstruktion einer Erzählung?“ Zweifelsohne! Aber es braucht schon einen so größenwahnsinnigen Streich wie diesen Roman, um die Wirklichkeit als unfassbar zu entlarven. (­Matthes & Seitz, 25 ­­­Euro) THOMAS HUMMITZSCH

10. MADs Meisterwerke – Filme und TV-Serien

Zum festen Bestandteil eigentlich jeder neuen „MAD“-Nummer gehört schon seit vielen Jahrzehnten die mehrseitige Parodie auf einen aktuellen Blockbuster, Filmklassiker oder in den letzten Jahren zunehmend TV-Serien. Der amerikanische Zeichner Mort Drucker begründete diese eigenständige Kunstform bereits 1956, als er zum Team des US-„MAD“ stieß, mit einem brillanten Karikatur-Strich, der so ziemlich jeder Hollywood-Größe den garstigen Spiegel vorhält. Von „Casablanca“ über „Der Pate“ bis hin zu „True Grit“ verulkt Drucker all das, was die Fans an diesen Filmen lieben. Aus „The Godfather“ wurde „The Odd Father“, aus „True Grit“ schließlich „True Fat“.

Natürlich sind darunter allerhand Albernheiten, doch oft gelang es nicht nur Drucker, sondern auch manchen anderen amerikanischen Zeichnern wie Tom Bunk, Will Elder, Wally Wood, Jack Davis und noch einigen mehr , darzulegen, wieso diese Meisterwerke im Grunde nerven. Bedeutsam dafür sind natürlich auch die schelmischen, manchmal kleinkarierten, immer aber sehr dominanten Sprechblasen-Texte. Sie stammen zum großen Teil von Autoren wie Larry Siegel, Stan Hart und Dick DeBartolo. Panini hat einige der schönsten Klassiker und auch eine Art Best-Of der letzten Jahre in einem hochwertigen und nicht ganz günstigen Sammelband vereint, der wenige Wünsche offen lässt. Gleichwohl ist er, anders als bei den Komplettbänden zu Prohias Strip „Spion & Spion“ und den Büchern zu Don Martin und Sergio Aragonés, natürlich nur eine Annäherung. Schließlich gab es im Laufe der inzwischen 65-jährigen Historie des Magazins weit mehr als 700 Film- und Serienparodien. (Panini, 49.90 Euro) MARC VETTER

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