Yoko Ono mit einer neuen Ausstellung im Kunsthaus Zürich
In der Ausstellung „Yoko Ono. This room moves at the same speed as the clouds“ zeigt das Kunsthaus Zürich bis zum 29. Mai 2022 neben Reinszenierungen berühmter Performance-Werke wie dem radikalen „Cut Piece“ einige bisher noch nie ausgestellte Archivbilder der japanischen Künstlerin
Im Herbst 2021 wurde der von David Chipperfield entworfene Erweiterungsbau am Heimplatz eröffnet: Damit ist das Kunsthaus Zürich das größte Kunstmuseum der Schweiz. Besonders beeindruckend ist die gewaltige Eingangshalle, die als offener Raum zur Kunsterfahrung genutzt wird. „Von außen betrachtet finde ich das Gebäude etwas überdimensioniert für die Züricher Umgebung. Aber hier innen ist es ideal für Yokos Kunst“, sagt LennOno-Vertrauter seit den 1960er Jahren und Verfasser der über sechshundertseitigen Fluxus-Bibel „Fluxus Codex“ Jon Hendricks. Penibel achtet er auf alle Details am Tag vor der Eröffnung. Yoko selbst ist nicht anwesend, „aber sie hat uns bei der Planung beraten“, so Kunsthaus-Kuratorin Mirjam Varadinis. Yoko und Jon haben aus den Archiven auch Drucke freigegeben, die bislang noch nicht in dieser Form zu sehen waren. Jon Hendricks verfolgt kritisch die letzten Vorbereitungen. Als Varadinis einen Granny Smith Apfel für Yokos „Apple“-Installation besorgen will, hindert Hendricks sie daran und geht persönlich zum Markt und sucht sorgfältig drei Äpfel aus – zwei in Reserve.
Am Tag vor der Eröffnung besucht John Lennon im November 1966 die Ausstellung „Instruction Paintings / Unfinished Paintings and Objects“ einer ihm unbekannten Künstlerin in der Indica Gallery in London. Der Beatle amüsiert sich. Das Mitmachen kostet Geld und Yoko Ono will nicht, dass ihre Handlungsanweisungen vor der Vernissage ausgeführt werden. Beim Exponat „Painting to Hammer a Nail“ schlägt er mit ihrem Einverständnis einen imaginären Nagel ein und bezahlt ihr eine imaginäre Münze. Der Apfel auf der Plexiglas-Säule soll 200 Pfund kosten. John nimmt ihn, beißt hinein und stellt ihn wieder hin. „Das war eine Unterbrechung meiner Aktion, mit der ich nicht gerechnet hatte. Im Moment hatte ich mich sehr geärgert, aber inzwischen finde ich das interessant: Der organische Zyklus wird vom Menschen gestört“, so Yoko. Sie denkt an weitere Bedeutungsebenen: Werden und Vergehen, das Sichtbarwerden der Samen im Verwesungsprozess, Leben als Kunst anhand der verbotenen Frucht. Geplant war es, den Apfel als Objekt unberührt und ihn während der Ausstellungsdauer faulen zu lassen. Ob das in Zürich gelingt, ist offen. Fest steht: Etwas gerät in Bewegung, als John die Leiter hochsteigt und nicht verarscht wird, denn dort oben hängt eine Lupe und mit ihr erkennt er das Wörtchen „YES“. Yokos Exponate wirken wie ein Katalysator: Der frühere Kunststudent wird im Rockstar wach.
„Cut Piece“ live
1966 entsteht René Magrittes Gemälde „Le Jeu de Morre“. Es zeigt einen Apfel, dem Yokos zum Verwechseln ähnlich, allerdings schreibt Magritte „Au revoir“ darüber. Ein Jahr später kauft es Paul McCartney und im Sommer 1968 erscheint erstmals das Apple Logo auf der Single „Hey Jude“. Apfel, Leiter, Hammer und sehr viele weitere Exponate aus Onos Prä-Lennon-Ära sind in Zürich zu besichtigen. In wen verliebte sich John Lennon? Was bekam der Gründer der Beatles noch zu sehen? Was macht die Faszination dieser kleinen-großen Japanerin aus? John sagte: „Yoko ist die berühmteste unbekannte Künstlerin der Welt. Alle kennen ihren Namen, aber niemand weiß, was sie macht.“ Das hat sich inzwischen geändert: In Deutschland und Österreich gab es zahlreiche umfassende Ono-Ausstellungen in den vergangenen Jahrzehnten. Das Herausragende an dieser Schau in Zürich ist die imposante Umsetzung des originalen Partizipationsgedankens.
Kunstwerke weiterdenken, weiter bearbeiten, ergänzen und Handlungsanweisungen mental oder real ausführen – all das geschah schon in früheren Ausstellungen, oft auch anhand aktueller, von Yoko neu ausgedachter Publikumsteilhabe. So befanden sich große Stadtpläne an Wänden, auf denen die BesucherInnen mit Post-Its Orte markierten, an denen ihnen Gewalt widerfahren war. Nach einigen Wochen waren die Stadtpläne voll mit kurzen Mitteilungen, von der gestohlenen Brieftasche bis zur Vergewaltigung. So entstand eine engere und neue Beziehung zwischen den AusstellungsbesucherInnen und ihrer Stadt. Zürich hingegen konzentriert sich in dieser Ausführlichkeit erstmals im deutschsprachigen Raum auf die frühen Performances Yoko Onos. Hier wird nicht nur in den Ausstellungsräumen an einem großen Basteltisch die Welt geheilt, indem zerbrochenes Porzellan geklebt wird; es wird nicht nur „total communication“ gespielt mit den schwarzen Bagism-Tüchern. Das Besondere in Zürich ist das Rahmenprogramm: In der großen Eingangshalle werden sieben klassische Performances wiederaufgeführt, darunter „Cut Piece“ oder „9 Concert Pieces for John Cage“. So erlebt das Publikum Yokos Schöpfungen noch einmal live, vergleichbar mit Theateraufführungen, aber ungleich fesselnder, wenn sich beispielsweise einzelne BesucherInnen auf die Bühne trauen, um noch ein Stück des Kleides wegzuschneiden und andere vor Scham oder Unwohlsein das Gebäude verlassen.
Anfahrt und weitere Handlungsanweisungen
Bei einigen Hotels in der Altstadt von Zürich, ganz in der Nähe des Kunsthauses, versagt das Navigationsgerät, egal, ob man von oben oder von unten (von der Limmat) kommt. Die (Sack-) Gassen sind eng. Der Frust wächst. Dann heißt es, Auto stehen lassen und die letzten Meter zu Fuß gehen. Der Eingang zur Tiefgarage – die Adresse wird von den Hotels vorab aus gutem Grund nicht verraten – ist versteckt, erfordert einen Umweg und jemanden von der Rezeption, um ihn überhaupt zu finden und um dann die Hebebühne zu bedienen. Dafür befindet man sich dann im Herzen der „Weltstadt mit Dorfcharakter“, im legendären Niederdorf, genannt „Dörfli“. Wie ein Monolith wird es vom Kunsthaus-Neubau überragt. Zum Abschied braucht es nur noch Handlungsanweisungen von der Rezeption, wie man die Tiefgarage verlassen kann – und Instructions von Yoko auf einer Postkarte aus dem Museumsshop:
MAP PIECE
Draw a map to get lost.
1964 spring
Nicht als Postkarte erhältlich ist das „Kunsthaus Piece“:
KUNSTHAUS PIECE
Kauf dir zuallererst den Ausstellungskatalog im Museumsshop – Geh rüber in die Kunsthaus Bar – Bestell dir den japanischen Snack mit einem Sake Cocktail – Lies den Katalog, ganz – Geh erst danach hoch in die Räume, die sich wie Wolken bewegen – Lerne Yoko kennen, lange – Geh danach in den Kunsthaus-Garten – Hänge einen Wunsch an den Wishtree – Danach mach dich wie Wolken auf den Heimweg.
Kunsthaus Zürich: Yoko Ono. This room moves at the same speed as the clouds. Bis zum 29. Mai 2022. Alle Informationen zum Rahmenprogramm auf www.kunsthaus.ch