Schaumpartykabbala: Madonnas Konzert in L.A. im Minuten-Protokoll
2 Stunden 21 Minuten Madonna live in Los Angeles: ROLLING-STONE-Autor Benjamin von Stuckrad-Barre führte für uns minutiös Protokoll und berichtet von rätselhafte Sexpantomimen mit Nonnen in Windeln und extrem teuren Minibar-Nüssen.
- Um 21:52 noch immer kein Cunnilingus, keine Kreuzigung. Warten auf Madonna, nachdenken über die aktuell gängige Madonnakritik, sie SETZE keine Trends mehr, sondern hetze bloß noch verzweifelt Trends HINTERHER – wie die Leute AUSSEHEN, die sowas sagen, und was die so gesetzt und gerissen haben in den letzten 30 Jahren. Lokalkolorit: Häme, dass sie ES nie so recht in Hollywood GESCHAFFT hat. Doppelbegabungsschmarrn. Will man Steve Martin Banjo spielen hören, Woody Allen Klarinette oder Frank Schätzing E-Gitarre? Jochen Diestelmeyer lesen? Als Heterosexueller beim Madonna-Konzert, ist natürlich eine einsame Angelegenheit. Wie für einen Homosexuellen ein Springsteen-Konzert. Alle tragen TÜLLRÖCKE (die Frauen natürlich nicht).
- 22:16: „Wanna be startin’ something“ vom Band. Sagt man noch Band? Egal. Der Bühnenlaufsteg ein Kreuz mit Herz, Ankerklause, Feminismus, selbstgestochenes Matrosentattoo.
- 22:19: Saal dunkel, alle stehen auf, kann nichts sehen. Auch nicht, dass ich selbst aufstehe.
Irgendjemand müsste jetzt mal ein Handyfoto machen, das wäre doch was. Tempelritter, Käfig, Mischung aus Sadomaso-Katholizismus, Saunaclub, Mädcheninternat, Führungskräfteyoga und Schaumpartykabbala, Cabrio-an-der-Ampel-Musik.
Los Angeles, are you with me? I said ARE YOU WITH ME? Sind wir. Die neuen, etwas umständlichen Lieder. - 22:31: Ah, vertrauter, geliebter Basslauf, Madonna allein in der Mitte mit Gitarre: „Burning up“, Lieblingslied aus dem Frühwerk, V-Gitarre, fieser, ja vieser als van Halens Jacksongegniedel. Aber das war doch gut! Ach so, ja, tschuldigung. Für mich war’s das, sie hat „Burning up“ gespielt. Wahrscheinlichkeit, später am Merchandisingstand zuzuschlagen: jetzt bei 100%.
- 22:38: „Vogue“. Rätselhafte Sexpantomime mit Nonnen in Windeln. Sind das männliche Nonnen? Und wäre das dann irgendwie noch kritischer? Thron, Kerzenleuchter, Kelche und Trauben – alles sehr symbolisch. Kirchenglocken, warum auch nicht.
- 22:42: „Devil Prey“. Das EINE gute Lied der neuen Platte. Die Leute singen mit! Die Leute sind super. Ist sie jetzt gefesselt? Nun kniet sie neben einem Priester: Beichte. Er bekreuzigt sich, sie macht Spagat im Stehen, Vergebung steht im Raum.
- 22:45: Also KOSTÜMMÄSSIG haben wir jetzt alle Weltreligionen so weit durch; Sexpraktiken ebenfalls.
- 22:46: Sie verschwindet im Boden. Das wunderschöne „Messiah“, das ANDERE gute Lied der neuen Platte. In der Laufstegmitte wirbelt ein AUF SEINEN KÖRPER REDUZIERTER halbnackter Akrobat mit Tüchern – wo ist Madonna? Lied läuft, live ist ja wurscht, aber von wo kommt sie dann gleich? So lang weg, das wird bestimmt sehr aufwändig und erstaunlich. Wir setzen uns dann mal.
- 22:49: Madonna immer noch weg.
- 22:50: Ah, da ist sie, reingeschoben auf einem weißen Flügel – oder ist es eine Kühlerhaube, sind das alte „Wetten, dass..?“-Requisiten? – HINGEGOSSEN; jetzt mit dieser gefilterten Cher-1998-Stimme, die ja über die Jahre immer noch mehr gefiltert wurde, klingt mittlerweile wirklich so, als höre man telefonisch zu, wie Kermit erwürgt wird. Was singt sie da, „Body Shop“? Tänzer bei Madonna – oder Pferd bei Corinna Schumacher.
- 22:54: Diese Halle, so Madonna, sei eines ihrer Zuhauses (und wie aber würden SIE „Homes“ übersetzen? Heimaten?). Über die Jahrzehnte habe sie so oft hier gespielt, nun ist sie (die Halle, vielleicht auch Madonna selbst) frisch renoviert und Madonna ist zufrieden mit dem Ergebnis: Die Hallendecke sei immer niedriger oder aber ihr Ego größer und größer geworden. Madonna ist also lustig und SELBSTIRONISCH. Muss man ja sein heutzutage.
- 22:57: Jetzt spielt sie Ukulele, „True Blue“! Um sie herum die weiterhin sehr auf ihre Körper reduzierten Tänzer, sie schnippen mit den Fingern und verrichten Dienstbotentätigkeiten: Schubidu-Chöre singen, SEXY sein, lachen. Genau so wird es an Pausentagen zugehen in ihrer Suite, da kuscheln sich alle unter eine Wolldecke und gucken Disneyfilme oder Pornos (zwei Seiten einer Medaille, klar), Madonna gibt die Herbergsmutter. Dann gibt es Popcorn und zum Gutenachtsagen „Schlaf gut“-TV-Serien-Anspielungen, die die Tänzer aber nicht verstehen, weil sie zu jung sind. Sie lieben es trotzdem und giggeln. Licht aus, noch ein Pupswitz, jetzt aber wirklich schlafen!
- Um 23:01 stehen alle wieder auf, denn das ist „Deeper and deeper“, kommt aber nicht so richtig vom Fleck. Madonna sieht toll aus.
- Um 23:05 eine Ballade zum Hinsetzen, vielleicht eines der ANDEREN etwa 30 Lieder der neuen Platte. Sie geht jetzt eine Wendeltreppe hoch, oben schmiegt sich schon ein Tänzer ans Geländer, ob das man gutgeht? Die beiden spielen, dass sie sich streiten, dramatisch. Ballade zieht sich, „HeartBreakCity“, langwieriges Hin und Her, doch sie obsiegt, schmeisst ihn final von der Brüstung, aua, eingestreut „Love don’t live here anymore“; ach, damals! Damals, als Heike Makatsch mit Inge Meysel bei Biolek saß, der sich kaum einkriegte, dass diese beiden Damen AUSGERRRRECHNET bei Madonna einen Treffpunkt im Unendlichen (heute – und früher in Mathe – Schnittmenge genannt) ausmachen konnten. Wer hätte das gedacht! Nobody fucks with the Queen.
- 23:13 Jetzt fickt Madonna den Boden, dann einen Ventilator. Spanische Tanzschritte, wie ein besoffenes Sonntagnachmittagssportschaupferd vor so depperten Rabatten. Like a virgin! Und das Lied hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt, ja es ist ERSCHRECKEND zeitgemäß.
- 23:16 Vier Metallbetten, auf denen Sexakrobatik in verschiedenen Konstellationen geturnt wird. Madonna wieder verschwunden, läuft aber auch ohne sie einigermaßen.
Merchandisingzuschlagwahrscheinlichkeit sinkt gerade rapide. „Ist ja auch schon spät“, vielleicht schon mal los, „bevor dann alle“ – wer glaubst du eigentlich wer du, anders als ALLE, bist? Bitch, I’m Madonna. Äh, gibt es das rosa T-Shirt auch für Männer? - 23:20 Rittmeisterinnen-Choreographie. Interessant ist, wie toll alle aussehen auf der Bühne, und wie unsexy es doch bleibt. Gute Stunde rum, noch keine Erektion. Kann aber auch am Alter liegen (an meinem!).
Jetzt wäre ein Medley angenehm, stattdessen ein nichtiges neues Lied. Die letzten drei Madonna-Platten waren nix. Neue Madonna-Platten sind wie neue Woody-Allen-Filme: nimmt man so hin, hingerissen, dass sie überhaupt noch was produzieren. - 23:25: Scheissegal, denn: „La isla Bonita“.
Was hat sie eigentlich immer mit Spanien? Irre weitsichtig damals schon, weil wir doch alle auch Mexikaner sind, auf ‘ne Art? Adventliches Schlittschuhlaufen auf der Frisur von Donald Trump? Flamenco, Gitarren, Getänzel, „Evita“ und die Folgen. Ist nicht gerade die Musik das einzig Schlimme an Spanien? Nee, das Essen. Stimmt, guter Punkt. Spanien-Exzess geht weiter, die Tänzer im Torerowahn, Madonna wieder weg. - 23:31: Sie ist zurück, eine SPANISCHE Version von „Dress you up“. Wie geht es eigentlich dem Euro?
- 23:33: „Into the groove“, aber das mache ich nicht, denn der Groove KOMMT MIR NOCH IMMER SPANISCH VOR. Hauptsache Italien.
Ist das ein SPANISCHES MEDLEY? Das hast du nicht kommen sehen, Taylor Swift! Was macht eigentlich Britney Spears heutzutage? Der Todeskuss bei den MTV-Awards 2003 oder so; ist die nicht jetzt im Heim? Oder singt in Las Vegas? Und ist das nicht das selbe? - 23:34: „Lucky Star“ – muss es erwähnt werden? – spanisch ANGEHAUCHT bzw. umgepustet.Sie spanien da jetzt im Herzen des Laufstegs rum, Senoritas, gracias, reicht dann auch mal. Madonna setzt sich, hat Rasseln, spanische natürlich, Maracas, in der Hand.
- 23:38 Sie bringt uns spanisch zählen bei. Warum? Völlig falsche Frage. Uno, dos, tres. Und: Cuatro, motherfuckers (motherfuckers = fünf?).
- 23:39 Akustikgitarre. Reingerufene Wünsche. „True Blue“? Das HABE ich schon gespielt, honey.
- 23:40: „Secret“, bin wieder an Bord. Übersong. Something’s coming over meeeeeee! Sie ist Madonna, Bitch.
- 23:45 it’s strange it’s fake it’s real—
- 23:46: Dieses Lied sei nur für uns, spiele sie sonst nicht, for the city of angels, ah, „like an ANGEL flying…“ – „Like a prayer“. Ist die Hallendecke gerade wieder ein Stück abgesunken?
Sie hat ja auch was zu sagen: Kriege sind sinnlos. Dies sei die „Rebel Heart“-Tour. Stimmt, hatte man noch nicht drüber nachgedacht, inwieweit nun Rebel oder sogar Heart. Vielleicht seien wir gelangweilt von ihrem dummen Klischee, aber dies und das sei ihr wichtig, auch wenn es mitunter schwierig war. I-did-it-my-way-Gelalle, ist ja auch alles prima, nur muss ihr jetzt mal jemand diese Akustikgitarre wegnehmen.
Nur noch 31% Akku. Angst, dass ich kein Taxi kriege. Und dann? INGLEWOOD? Ah, das Titellied. Hat sie die Platte in Spanien aufgenommen? Neuer Lover? Ist sie nicht ITALIENERIN? - 23:58: „Illuminati“, ratloser Clubstampfer. Sieben Tänzer auf Stangen, schaukeln hin und her. Warum? Cause she can.
Als ich Madonna zum ersten mal live sah, 2001 in Berlin, da war sie gerade zum zweiten mal Mutter geworden und hatte ein Shirt an, vorn drauf stand MOTHER, hinten: FUCKER. Das fand ich sehr gut, auch inhaltlich. - 00:03: Barjazzatmosphäre, als Oldie (der es ja auch ist) begonnen: Music. Um 00:04 klingt es wieder so wie 2000. Als sie noch Trends gesetzt hat! Und welche Trends waren das noch gleich? Schlagjeans und Cowboystiefel im „Don’t tell me“-Video? Bitch, sie ist MADONNA.
- 00:08: „Candy Shop“. Das ist tapfer. Ihre ziemlich schäbige Fitness-Studio-Kette.
- 00:12: „We are living in a material world/And I’m a material girl“ – stimmt nicht eigentlich BEIDES nicht mehr? Das sind so Gedanken zur Nacht. Jetzt trägt sie einen Schleier, zwei Zylindertänzer die Schläppe. Warum, warum? Sie fragt, ob jemand heiraten möchte. Wirft den Strauss. Ob der Straussfänger Bescheid wisse über die drei Ringe des Heiratens? Der Verlobungsring, der Ehering – und der SUFFERING. Superwitz. Sie selbst habe bislang nicht so viel Glück mit Hochzeiten gehabt, doch glaube sie weiterhin an die Liebe.
- 00:18: allein zur Ukulele „La Vie en Rose“, wenigstens kein spanisch mehr.
- 00:21: Madonna vermeintlich selbstkritisch über die Architektur ihres Laufstegs, es sei erstaunlich, wie sehr doch ein Herz einem Penis ähnele, so die Form, das sei nicht beabsichtigt gewesen.
- 00:25: Sie spielt mit einer Banane. Und so lange Männer sich noch hinter E-Gitarren SCHMERZVERZERRT WINDEN oder den MikrophonSTÄNDER umzüngeln, also noch sehr lange, für immer, hat es damit seine Bewandnis. Man kann die Banane aufschrauben, Schnaps drin. Ein zum Duett erscheinendes Mädchen muss aus der Banane trinken, „See you on friday“, ruft Madonna (es ist die Nacht auf Mittwoch), sie macht ziemlich viele Zeltlagerwitze. Sie selbst kann ja nur Wasser trinken, mit Strohhalm, für verwischten Lippenstift gibt es ja Courtney Love. Madonna LÄSST trinken, aus einer Banane. Und zwar Katy Perry, das war Katy Perry, die nun ruft: „I love you, Mom!“ Denn Madonna könnte das ja nicht nur sein, rechnerisch, sie IST es, künstlerisch. Mother/Fucker: Bei Taylor Swift tritt Mick Jagger auf und virilt da sein Methusalem-Kompott, zu Madonna aber kommt Katy Perry, so herum ist es richtig. Was ist nochmal der Unterschied zwischen Katy Perry, Taylor Swift und Lilly Allen? Dass ich 40 bin – und die nicht. Und SIE aber schwebt über alledem, verspottet für ihren JUGENDWAHN, den Sexknast ihrer Persona, doch triumphiert sie hier, heute, als zeitlose Unwahrscheinlichkeitsverkörperung. Genau dafür gibt es doch Popstars, dafür wurden sie erfunden und in dieser Konsequenz von nur einer, die kühn voranschreitet: Madonna selbst; sie ist Madonna, Bitch. Sie befreit die heutige Frau in uns allen auch aus diesen Fesseln, dem grauenhaften Ich-steh-dazu, indem sie sagt: Du musst nicht alt werden. Nichtmal, wenn du es längst bist.
- 00:32: Zugabe „Holiday“. Trägt sie eine amerikanische Flagge als Poncho? Auf die eine Schändung kommt es jetzt auch nicht mehr an. Ich geh mal los. Madonna kann länger als wir alle, sie wird uns alle überdauern.
Der Popcornverkäufer tanzt, alle tanzen. Mir ist ein bisschen spanisch. - 01:14: Im „Liquor Locker“ auf dem Sunset Boulevard, wo ich NÜSSE kaufe, weil das nun alles doch sehr aufregend war, außerdem: ICH ZAHL DOCH NICHT ZEHN DOLLAR FÜR MINIBARNÜSSE. Stattdessen, Sparfuchs, 5,95$. Im Liquorlockerradio läuft Madonna: „Borderline“. Die Verkäufer, Mexikaner, reden untereinander spanisch. Geht es in „Borderline“ vielleicht um die amerikanischmexikanische Grenze? Feels like I’m going to lose my mind.
Hätte doch die Madonna-Unterhose kaufen sollen. Gab welche für Frauen (rot) und Männer (schwarz) – aber das heißt noch gar nichts, heutzutage.
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