ROLLING STONE Weekender am Samstag: Heilige Messen und Rock aus dem All
Konzerte von Of Monsters and Men, Father John Misty, Olli Schulz, Gang Of Four und mehr
>>> Der Freitag beim ROLLING STONE Weekender
Olli Schulz
Der Besuch eines Konzerts von Olli Schulz gleicht oft einem Kindergeburtstag – und der Sänger macht von Anfang an klar, dass er im Mittelpunkt des Geschehens steht. Deshalb wartet das Publikum auch trotz des stürmischen Starts der Band mit Gisbert zu Knyphausen an der Gitarre schon von Beginn an nicht nur sehnsüchtig auf die tragikomischen Songs der neuen Platte „Feelings aus der Asche“. Sondern mindestens ebenso sehr auf die Albereien zwischen den Liedern. Die bekommt es dann auch zu Genüge geliefert: Schulz bietet sich als ROLLING-STONE-Kolumnist an („Die versauten drei Minuten mit Olli Schulz“), fragt die Menschen im gut gefüllten Festivalzelt, ob sie auch zu denen gehören, die glauben, dass nach Bob Dylan nichts mehr Gutes kam und bekennt genüsslich, den „Spirit des Publikums“ atmen zu wollen. Keine Frage, der Wahlberliner, der zwischendurch mit einer kraftvollen Schelte gegen die „Musicalstadt“ Hamburg das Publikum zum Buhen animiert, gehört zu den begabtesten Komikern im Land. Das beweist er in Radio und Fernsehen. Doch die Bühne sei sein Leben, wie Schulz ganz ohne Ironie bekennt. Seit 15 Jahren bespielt der Musiker kleinere und zuletzt immer größer werdende Städte in Deutschland – und seine Songs wie „Als Musik noch richtig groß war“, „Dirty Old Man“ oder „So lange einsam“ spielen auch auf der großen Bühne mit einer gekonnten Mischung aus lakonischem Witz und weltumarmender Melancholie. Dabei jagt Schulz mit hyperaktiver Energie hin und her, schießt Konfettis in die Menge und imitiert täuschend echt Tina Turner und Bryan Adams.
Dieser Musiker meint es eben nicht eine Spur ernst, so die häufig geäußerte Kritik an seiner beschwingten Liedkunst. Doch Schulz liefert immer wieder erstaunlich tiefsinnige Bilder für Themen, die Groß und Klein angehen. Er singt über das würdevolle Älterwerden („Ab jetzt tut’s nur noch weh“), schickt seine Kinder mit einem Schlaflied in den „Dschungel“ und wischt die zwanghaften Bedenken der Generation Y mit der Aufforderung „Halt die Fresse, krieg n Kind“ lustvoll hinfort. Auch wenn sich der 42-Jährige vor den Lesern des ROLLING STONE fast etwas entschuldigend als Neil-Young-Fan outet, wird mit Dutzenden von auch hochkomischen Anspielungen klar, dass der Sänger sich mit Musik auskennt. Dazu braucht es nicht einmal Tom-Waits-Parodien wie in „Boogieman“. Letztlich gewinnt der Til Eulenspiegel in Schulz aber doch über die versierte Singer-Songwriter-Kunst: Ein Lied wie „Saunaaufguss in Lankwitz“, zweifellos eine wenig subtile Nummer und trotzdem eine seiner treffendsten Alltagsbeobachtungen, gehört zu den am meisten beklatschten an diesem Abend. Schließlich wünscht der Musikfan Schulz Death Cab For Cutie ein möglichst großes Publikum. Doch das Lachen über seinen letzten Witz überstimmt den gut gemeinten Rat.
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Sleaford Mods
Hochstapler sind sie nicht. Da reichen drei Kisten Jever als Podest für das Laptop, das die Playbacks von Andrew Fearn zum Abfeuern bereit hält, und auf deren musikalisches Fundament Jason Williamson rappt. Oder sollte man sagen wütet, schreit, pöbelt? Die Band, pardon, das Duo aus England schafft es nun einmal über lässige Lo-Fi-Beats die schönste Form von Hasspredigten zu singen – und dabei auch auf dem ROLLING STONE WEEKENDER Anklang zu finden. Trotzdem muss das Publikum sich erst einmal auf die zwei Jungs aus Nottingham einstellen: „Gehen da alle Songs so?“, wurde am Anfang schon gefragt. Nach Stücken wie „In Quiet Streets“ oder „Tied Up in Notz“ allerdings ist der Baltic Saal wirklich dabei, die befreiende Wirkung der Musik des Duos zu fühlen. Mit der Wirkung dieses Auftritts verwandeln die Briten das Publikum selbst zum Mob und Pöbel: Nach dem letzten Stück wird lautstark nach einer Zugabe gebrüllt. Als der erste Techniker anfängt die Mikrofone abzubauen, heißt es nach Buh-Rufen einfach nur noch wieder: „Sleaford Mods, Sleaford Mods, Sleaford Mods!“
(MT)
Ron Sexsmith
Am frühen Samstagabend spielt Ron Sexsmith im Baltic Saal auf – und liefert schon in den ersten Momenten eine Fleisch gewordene Performance ab. Mit schwarzen Locken auf dem Kopf, im weißen Anzug, gerüschtem Hemd und der dicken goldenen Brosche trägt er definitiv das schönste Songwriter-Outfit des Wochenendes. So ist das bei Mr. Sexsmith, denn in der Qualität seiner Songs darf anscheinend nichts das Nachsehen haben. Bei diesem Solo-Auftritt – es ist der letzte der Tour –, hat man den Eindruck, dass der Kanadier mit seiner weichen Stimme und den großen Songs beinahe schon wie ein jüngerer Leonard Cohen alles Gesungene und Gespielte zu Gold werden lassen kann. Bei „Love Shines“ und „Getaway Car“ singt er so gefühlvoll, dass man wirklich glaubt, zur heiligen Messe dieses Liedermachers gegangen zu sein. Die Stimmung passt ebenfalls dazu: Andächtig, begeistert, berührt und mit Respekt gibt es kaum ein Gemeindemitglied, das die Predigten über das Leben an diesem Abend nicht zu schätzen weiß – auch wenn der wirklich Pater mit Father John Misty erst nach Sexsmith die Bühne betritt.
(MT)
Gaz Coombes
„The Girl Who Fell To Earth“ heißt das schönste Stück aus Gaz Coombes’ zweitem Soloalbum, „Matador“. Die Ballade dreht sich um seine Tochter, eine junge Autistin, die die Welt um sich herum mit ihrem eigenen Tempo und ihrem eigenen Sinn wahrnimmt. Ein bisschen wirkt auch der Ex-Supergrass-Sänger so, als wäre er von irgendwo her auf die Erde geplumpst, vielleicht aus den Tiefen des Alls. In der kleinen Alm des ROLLING STONE Weekender, in das Zelt passen 300 Leute, zelebriert er seinen Space-Rock, über die Jahrzehnte verfeinert: Im Zentrum stehen die frickeligen Rhythmen eines E-Schlagzeugs, um die Coombes seine Gitarren-Ausbrüche legt. Mit seinen 38 Jahren ist der im schwarzen Anzug und mit Melone gekleidete Mann aus Oxford bereits ein Veteran – als Supergrass-Teenager veröffentlichte er 1996 die Britpop-Hymne „Alright“– und selbst auf der Alm-Minibühne schafft er es, seinem großen Ego einen passenden Rahmen zu geben. Zur Band gehören neuerdings drei Background-Sängerinnen, die bei „The English Ruse“ ihren prominentesten Einsatz erhalten. In dem Lied über britischen Militarismus dirigiert Coombes diesen geisterhaften Chor, ein anschwellender Gesang, der seinen Rocksongs eine erhabene, weihevolle Note verleiht. Nicht, dass Coombes im Laufe seiner Karriere stets um hundertprozentige Ernsthaftigkeit bemüht gewesen ist. Die drei Damen wirken ein wenig wie im Showbiz gealterte, entrückte Sängerinnen aus den Swinging Sixties, mit verrutschtem Make-Up, aus der Form geratenen Körpern und asynchronen Bewegungen – toll. Wie ein aussortiertes Muppet-Ensemble, das das Unperfekte zelebriert.
Gaz Coombes weiß, dass sich seine Sturm-und-Drang-Jahre mit Supergrass nicht wiederholen lassen, kann auch gut sein, dass er seine alte Truppe dennoch in wenigen Jahren wieder auferstehen lässt. Das introspektive „Matador“-Album wurde zwar gelobt, aber es sind die harten Beat-Stücke, die einem den Atem nehmen – und Erinnerungen an früher wecken: „Hot Fruit“ und „Sub Divider“, Achterbahnfahrten, Lieder, die wie Kämpfe wirken. Zum Abschluss des einstündigen Konzerts gibt es den Titelsong seiner aktuellen Platte, ein Lied über das Überleben. „They want blood and they want your heart and soul / But the hardest fight is the one you fight alone / So hold out, I won’t stop / I have these dreams I’m under a waterfall“. Ein Träumer, der in anderen Welten sein Zuhause gefunden hat.
(SN)
Death Cab For Cutie
Schon ganze vier Jahre ist es her, dass Death Cab For Cutie ihre Premiere beim Rolling Stone Weekender feierten. Mit dem neuen Album „Kintsugi“ kehrt Ben Gibbard nicht nur mit frischem Material, sondern auch mit deutlich gesteigertem Selbstbewusstsein an die Küste zurück. Als Eröffnungsstück für die Show am Samstagabend dient daher sogleich der neue Album-Opener „No Room in Frame“, gefolgt vom samtpfötigen „Crooked Teeth“ vom 2005er Album „Plans“. Gibbard packt sofort die Spiellaune, seinem gerade erst hereinströmenden Publikum hat er auf der Euphorie-Ebene daher Einiges voraus. Glücklicherweise bleibt die Band hartnäckig, so kann sich die Ekstase des zappeligen Frontmanns nach und nach auf die Zuschauer übertragen. Das 17 Songs starke Set konzentriert auf die neueren, kraftvolleren Stücke, lässt erwartbare Hits wie „I Will Follow You Into The Dark“ (leider) da, wo sie inzwischen hingehören – nämlich im Nachmittagsprogramm. Für die große Bühne traut sich die Band inzwischen mehr zu als sich scheu mit der Akustikgitarre zu begleiten, was beim Fast-Neun-Minüter „I Will Possess Your Heart“ mehr als deutlich wird: Unterstützt vom dominanten Basslauf schaukelt sich Gibbard erst an der Gitarre, dann am Piano in Trance. Noch ein letztes Mal Luftholen mit dem sanften Stück „Soul Meets Body“, dann gehen mit „Bixby Canyon Bridge“ drei Gitarren in Störgeräusche auf. Und sogar der Mikrofonständer muss bei einem hölzern ausgeführten Rockstar-Move des neuen Gitarristen dran glauben. Lieb war gestern, so viel steht mal fest. (KB)
Father John Misty
Im Baltic Saal herrscht andächtige Ruhe, als Father John Misty mit Band die schmale Bühne betritt, um seine neue Platte „I Love You, Honeybear“ vorzustellen. Der in Interviews oft nachdenklich daherkommende Sänger, der noch vor einigen Jahren bei den Fleet Foxes am Schlagzeug saß, macht sofort klar, dass seine Musik nicht ohne große Gesten zu haben ist. Wild gestikuliert er mit seinen Händen, stemmt den Mikrofonständer über seine Schultern wie einst James Dean das Gewehr. Ausgesprochen theatralisch kommen seine Lieder daher („When You Are Smiling And Astride Me“), zudem impulsiv und manchmal auch brachial („Nothing Good Ever Happens At The Goddamn Thirsty Crow“). Misty spielt so brechend laut wie Thurston Moore am Vorabend, hat aber die bessere Lichtshow. Neben musicalartigen Nummern gibt er auch den zynischen Entertainer, der die Welt als verkommenen Ort beschwört und Amerika als Sündenbabel geißelt („Bored In The USA“). Obwohl Joshua Tilman, wie der Sänger mit bürgerlichem Namen heißt, recht schweigsam auftritt – zu mehr als einigen launischen Kommentaren will er sich nicht hinreißen lassen –, sind seine geradezu optimistischen Bekenntnisse zur alles überdauernden Liebe als Himmelsmacht, die das Böse aus der Welt schafft, der Höhepunkt einer Show, die beim Weekender wohl ihresgleichen sucht. Überraschend ist allerdings, dass ausgerechnet dieser weltabgewandte Schrat als einziger auf dem Festival ein Selfie mit dem Smartphone eines Fans aufnimmt. Zynismus ist eben Ansichtssache.
Die Leidenschaft und raue musikalische Energie, die Misty in Songs wie „Chateau Lobby #4 (in C for Virgins)“ legt, infiziert mühelos das aufgepeitschte Publikum, das dem selbsternannten Priester jedes Wort von den Lippen abzulesen scheint. Da überrascht es doch ein wenig, dass der Musiker, der wohl einen der Anwärter für das Album des Jahres vorgelegt hat, doch ein weitaus schmaleres Publikum bekommen hat, als er eigentlich verdient hätte.
(MV)
Of Monsters And Men
Island ist an diesem Wochenende vermutlich wie ausgestorben: Of Monsters and Men brechen als Headliner der Zeltbühne am Samstagabend in Sachen Bandstärke alle Rekorde. Gleich neun Musiker zupfen, trompeten, trommeln und singen über Geister, Schiffe, Könige und Fantasiegeschöpfe – eben die alltäglichen Dinge, die einem so auf der abgeschiedenen Insel begegnen. Der tanzbare Akustikpop setzt sich zügig in den Ohren der Zuschauer fest und auch wenn das neue Album „Beneath The Skin“ sich im Vergleich zum 2011er Debüt „My Head Is An Animal“ etwas im Tempo zügelt, können auch die neuen Stücke live mithalten. An ihren Über-Hit „Little Talks“ kommt natürlich so schnell nichts ran, das vermittelt die Reaktion des Publikums ganz deutlich. Beschwingt geht es für jene nach dem 90-minütigen Konzert dann noch zur After-Show-Party ins Witthüs, wo ein letztes Mal auf einen gelungenen Weekender angestoßen wird. Prösterchen!
(KB)