Radiohead :: „The Bends“
Radiohead am Scheideweg. Auf "The Bends" deuteten Radiohead ihren Hang zum Artifiziellen bereits an. Und wenn es Britpop-Momente im Schaffen der Band gab, dann fanden sich sich auf diesem Album.
Um „The Bends“ pophistorisch einordnen zu können, muss man sich die Entstehungsgeschichte vor Augen führen. Tatsächlich befanden sich Radiohead am Scheideweg ihrer Karriere. Nachdem sie es mit ihrem Debüt „Pablo Honey“ (1993) nicht geschafft hatten sich ein originäres Profil zuzulegen und stattdessen – trotz des Übersongs „Creep“ – eher auf postpubertäre College-Hymnen wie „Anyone Can Play Guitar“ setzen, drohten die internen Spannungen die Band auseinander zu dividieren.
Vor allem Thom Yorke sah sich immer wieder depressiven Schüben ausgesetzt, in der Rückblende wohl der Nährboden für todtraurige Songs, wie „Fake Plastic Trees“. Er zweifelte zunehmend an den Erfolgsaussichten der Band und sinnierte über Sinn und Unsinn einer Weiterführung. Das ursprüngliche Erscheinungsdatum wurde von EMI auf Ende 1994 angesetzt, Letztlich ein unfreiwilliges Druckmittel. Als offenkundig wurde, dass die Band nicht ansatzweise fertig werden würde, drängte die Plattenfirma auf eine schnelle Single, die weit vor Albumveröffentlichung erscheinen sollte. Doch auch daraus wurde nichts.
Bis November 1994 tüftelten Radiohead, die ihren Standort für das letzte Drittel der Sessions in die legendären Abbey-Road-Studios verlagerten, an den Liedern. Johnny Greenwood avancierte zum Handwerker des Sounds, wechselte wahllos Gitarren, experimentierte mit Amplituden und entwickelte sich zunehmend zum kreativen Ergänzungsmann neben Yorke.
Vielleicht ist es genau die Reizkulisse aus Erfolgsdruck und Zermürbung, die die Band schließlich rettete und „The Bends“ im Gesamtkontext des radiohead’schen Schaffens zur Wendeplatte werden ließ. Der Ruf von Radiohead im popkulturellen Kanon war nach diesem Album nicht mehr derselbe. Auch wenn die kommerziellen Höhepunkte noch bevor standen: Sie hatten sich Rückrat erkämpft und der Genius im Zusammenspiel wurde anders als auf „Pablo Honey“ nicht nur angedeutet. Freilich ist nicht alles Gold auf diesem Werk. Die grobschlächtigen Momente des Debüts konnten sie nicht ganz ablegen, was zu nichtsagenden Augenblicken wie „Bones“ führte.
Bevor Radiohead spätestens mit „Kid A“ zu Pop-Avangardisten wurden, waren sie eben nicht die besten Musiker – und das kann man an einigen Stellen hören. Vielleicht strahlen deshalb die Highlights umso heller. Vor allem bei den melancholischen Balladen wie „Nice Dream“ greifen die losen Enden aus Yorkes Wehklagen und musikalischer Zurückgenommenheit wunderbar ineinander. Seine Texte wurden zunehmend kryptischer – die Grundstimmung ist tiefes Moll.
„The Bends“ ist nicht perfekt, aber es ist vielleicht die Platte, die beweist, dass Radiohead hervorragende Songwriter seien können. Einen Aspekt, den man bei der heutigen Rezeption der Briten gerne vergisst.
In der Folge entfernten sie sich mit „OK Computer“ vom Planeten Erde und schauten von ihrem Raumschiff „Kid A“ in erhabener Überlegenheit für ein paar Jahre auf uns herab.