Joanna Newsom
Divers
Drag City
Wild wuchernde Songkunst der exaltierten Sängerin und Harfenistin
„Die üblichen Glissandi und Arpeggien finde ich abstoßend und geschmacklos“, sagte Joanna Newsom schon vor zehn Jahren über das Klischee der Harfe – und an dieser Haltung zu ihrem Instrument hat sich ganz deutlich nichts geändert. Aber davon abgesehen kann man eigentlich nicht gerade sagen, dass sie auf ihrem vierten Album viel weglässt, ja, im Gegenteil hört sich das wieder bis in die bizarren Sprünge der hohen Stimme so weltvergessen verspielt an, dass „ornamental“ als Kategorie längst nicht hinreicht. Angesichts der nicht ganz sechsjährigen Pause seit dem zweistündigen Triple- und Dekadenzalbum „Have One On Me“ fasst sie sich mit gut 50 Minuten allerdings recht kurz.
Dafür schleppt sie eine noch stattlichere Palette an wunderbar verschrobenen Sounds und skurrilen Arrangements herbei, es klimpert, trillert und zirpt von Harfe, der Marxophone-Zither, Cembali und Klavieren, Geigen fiedeln und Orchester schwelgen, dazu tirilieren auch mal Oboen und Flöten und natürlich Newsoms Stimme, die zuzeiten auch quäkt und zickt, wild wird und zärtlich schmeichelt.
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Die angekündigte Extrabuntheit besteht auch darin, dass Newsom sehr exquisit die Stimmungen wechselt. Sie lässt die Leitinstrumente oft allein stehen, um ihnen dann die weiten, pastoralen Gesten des eröffnenden „Anecdotes“ beizugeben oder sie in einen komisch spacigen Ländler mit Brummton wachsen zu lassen („Same Old Man“). Unter dem Titelstück plinkert die Harfe fake-fernöstlich, anderswo hört man Slidegitarren zu einem Hauch Kate Bush, ein unerwartetes Schlagzeug zu Mellotron und zum Schluss einen fantastischen blasorchestralen Pomprock namens „Time, As A Symptom.“
Worum mag es in den wie stets elaborierten Texten gehen? Wie es scheint, um die Liebe im Angesicht der Vergänglichkeit. Simpel oder platt sind diese meisterhaft fließenden, wild wuchernden, farbenprächtigen Songs jedoch bei aller
überbordenden Romantik nie. Sondern versponnen, sehr fremd und sehr schön.