Randy Newman
Harps And Angels
Am Anfang hört man schweres Atmen, ja Schnaufen, und dann ertönen der vertraute Ragtime-Shuffle am Piano, die bekannte kehlige Stimme, eine Wurlitzer-Orgel, ein Frauenchor: „Harps And Angels“. Randy Newman erblickt – beinahe! – das Paradies: „I caught something that made me so sick/ That I thought I would die/ And I almost did, too.“ Es entspinnt sich eine unfassbar alberne Farce, Randy hört eine Stimme aus dem Jenseits, die ihn vor dem Sündenpfuhl warnt, er hört Harfen und Engelsgesänge, und die Stimme spricht Französisch („Tres bien“), und Randy kräht „Wish I spoke French“, und als der ganze schöne Hollywood-Schmonz verklingt, schlägt er vor: „Let’s go for a drink.“
Randy Newman ist (bei manchen Leuten) berühmt für die kürzesten und bittersten Song-Miniaturen, für „Ghosts“ und „William Brown“, „I’ll Be Home“ und „I Think It’s Going To Rain Today“. Das Stück „Harps And Angels“ nimmt zwei Din-A4-Seiten ein. Und doch ist er mit dieser Technicolor-Satire wieder ganz bei sich, bei Filmen wie „A Wonderful Life“ und „Heaven Can Wait“ und seinem eigenen Musical „Faust“. Anders als beim letzten Album, „Bad Love“ (1999), setzt Newman konsequent Orchester-Arrangements ein. So reich und raffiniert, so illustrierend und kommentierend hat man die Bläser und Streicher seit „Little Criminals“ nicht mehr gehört. Und das war 1977.
Die kleine Ballade „Losing You“ hat Newman schon bei Konzerten vorgetragen. „Laugh And Be Happy“ ist ein kregler, gar nicht boshafter Witz über den Optimismus. „A Few Words In Defense Of Our Country“ (mit Greg Leiszs trügerisch gemütlicher Pedal-Steel-Gitarre) wurde schon im vorigen Jahr im Internet verbreitet – ein sehr ausführlicher Text zur vorgeblichen Verteidigung des Landes. Tatsächlich missrät dem Sprecher sein zunächst großspurig souveräner, historisierender Vortrag (in dem er römische Konsuln, Hitler, Stalin und König Leopold von Belgien als schlechte Beispiele aufruft) zur peinlichen Philippika: „You know it kind of pisses me off/ That this Supreme Court is going to outlive me/ A couple of young Italian fellas and a brother in the court now, too/ But I defy you, anywhere in the world/ To find me two Italians as tightassed as the two Italians we got/ And as for the brother, well/ Pluto’s not a planet anymore either.“ Schließlich verabschiedet er das Amerikanische Imperium wie die Spanische Armada, sentimentalisch die Hymne zitierend wie am Ende von „Sigmund Freud’s Impersonation Of Albert Einstein In America“.
In „A Piece Of The Pie“ spottet Newman über den Gratis-Patriotismus von Oppositionellen wie ,,Johnny Cougar“: „He’ll be singing for Toyota by the fall.“ Zu martialischer Marschmusik, schmetternden Bläsern und zeterndem Chorgesang („That’s not true! John’s a patriot!“) höhnt der selbstgefällige Erzähler: „While we’re going up/ You’re going down/ And no one gives a shit but Jackson Browne.“
„Easy Street“ ist die zweite Ode an Leichtlebigkeit und Sorglosigkeit, instrumentiert als lockerer Ragtime mit Jazz-Bläsern und mehr als einer Reminiszenz an das eigene Stück „Lonely At The Top“. „Korean Parents“ gehört (wie „Yellow Man“, „Spies“ und „The World Isn’t Fair“) zu den Songs Newmans, in denen er die Assimilation von Minderheiten und das Schulsystem persifliert, freilich gefährlich nah an der Denunziation: „Korean parents for sale/ You say you need a little discipline/ Someone to whip you into shape/ They’ll be strict but they’ll be fair.“ Das falsche asiatische Kintopp-Arrangement mit schrillen Frauenstimmen aus dem Off greift einem ebenso ans Herz, wie es einen bei näherer Überlegung zum Lachen bringt. Der amerikanische Geist der „greatest generation“ ist längst in die koreanischen Einwanderer gefahren, und die Musik vollendet diesen Vorgang mit amerikanisierter Restaurant-Muzak -dem grandiosesten unter lauter vorzüglichen Arrangements des Albums.
„Only A Girl“ hat unwiderstehlichen Schwung und wird vollkommen geradlinig erzählt – das Lob einer späten Liebe von einem Geblendeten: „She dresses in black all the time/ Wears an orthopaedic shoe/ It’s some sort of uglification she’s into.“ Erst am Schluss des Liedes erkennt der Erzähler in einer typischen Newmanschen Wendung, wie profan das Mysterium der Liebe in Wahrheit ist. In „Potholes“ preist Newman gallig den Segen der Schlaglöcher in der Straße der Erinnerung – eine so selbstgewisse wie peinsame Predigt über unbewältigte Schrecken der Kindheit, wie wir sie aus „Four Eyes“ kennen. Das letzte Stück ist „Feels Like Home“, das Bonnie Raitt so glühend für „Faust“ (1995) gesungen hatte und das Newman hier ohne Ironie, aber mit Streichern darbietet, ohne es des Sentiments zu berauben.
So endet ein kurzes Album über den Menschen, seine Vergänglichkeit, seine Lächerlichkeit und seine Stellung in der Zeit mit einer tröstlichen Note. Hinter dem Sarkasmus verbirgt sich ein humanistischer Existentialismus, der von Heilsversprechen und Fortschrittsgläubigkeit nichts wissen will, doch nicht blind ist gegen die Ambivalenzen und Verzweiflungen menschlichen Strebens. Und wie immer versteckt sich Randy Newman hinter den billigen Witzen und Trivialtragödien eines blöden Komikers und bösen Clowns. Ohne Träne im Knopfloch. (Nonesuch/Warner)