Kate Bush :: 50 Words For Snow
Es beginnt am Flügel. Drei dunkle Akkorde klingen, eine verschwiegene Kaskade, pianissimo und trotzdem raumgreifend. Dann setzt der Gesang an – doch nicht von Kate Bush, sondern Albert McIntosh, ihrem 13-jährigen Sohn. Überraschung! Der Knabe ist eine Schneeflocke, die aus dem Himmel fällt, der Erde entgegen. Ein verschneiter Wald wird erkennbar, dann eine winterliche Wiese mit Pferden darauf. Sieh nach oben, Mutter, ich komme! Da ist es wieder, das Kopfkino der Kate Bush, die uns ihre inneren Bilder direkt in den Kopf singt. „Snowflake“ ist eher szenische Darstellung als Musik, eine mythische Erzählung über die Geburt, den Tod oder die mütterliche Liebe. Irgendwann beginnt Obertrommler Steve Gadd die meditativen Akkorde mit leisen Schlägen zu streicheln, ein Orchester addiert dezent dramatisches Kolorit.
Im zweiten Movement – denn Lieder sind auf „50 Words For Snow“ keine – singt Bush mit einem Opernsänger und erzählt die sehr viktorianische Gruselgeschichte einer Frau, die einst im Lake Tahoe mit ihrem Hund ertrank. Danach baut Bush sich einen Schneemann und legt sich mit ihm ins Bett. Der leblose Lover schmilzt der Protagonistin zwischen den Händen weg – ein romantisch bleiches Bild für Vergänglichkeit der Liebe. Auch hier ist der Flügel das über alles erhabene Instrument.
Kate Bush schreibt mit „50 Words For Snow“ eine Kontemplation über den Winter und die Unmöglichkeit, dem anderen wirklich nah zu sein. Erstaunlich ist, mit welcher Autorität sie ihre Klangskulpturen aufstellt; meist genügen simple Akkorde und kleine Magien, die bei einem Künstler mit weniger Macht schnell in sich zusammenfielen. Doch nicht bei
Bush, die sich hier zu unerwarteter Größe aufrichtet und Momente von unerhörter Intimität kreiert. Etwa bei „Wild Man“, einer Meditation über den Yeti, den sie vor dem Zugriff der zivilisierten Welt schützen will. Oder geht es doch um den Mann an sich? Und wie der Refrain plötzlich einen harmonischen Haken schlägt und mit seltsamen Gesangsstimmen eine außerweltliche Atmosphäre aufbaut! Das ist meisterlich – genau wie das vollends in den Bereich der bildenden Kunst gehörende Titellied, bei dem Stephen Fry 50 Worte für Schnee aufsagt, jeweils von Bush angefeuert: Du schaffst es! Thirty, twenty, ten to go, let me hear your fifty words for snow.
Wenn man sich diesem anspruchsvollen Album Stück für Stück nähert, ist man fast immer überzeugt. Nur ein Duett mit Elton John gerät etwas prätentiös. Kate Bush tut gut daran, die Konventionen der Popmusik weitestgehend hinter sich zu lassen – und erschafft mit „50 Words“ ein gleichzeitig fremdartiges und tief vertrautes Winterwunderland.
>>>> Hier geht’s zum Albenstream
Beste Songs: „Snowflake“, „Lake Tahoe“