Locas in Love Studiotagebuch IV: You Are Now Entering Glasgow
Die Kölner Indieband Locas In Love auf den Spuren ihrer Helden: Mit Paul Savage (Ex-Delgados) nehmen sie in Glasgow ihr neues Album auf. Für uns berichten sie exklusiv von ihrer Reise und aus den Studios des Chemikal Underground-Labels.
Björn Sonnenberg (Gesang, Gitarre), Stefanie Schrank (Bass, Gesang, Keyboards), Jan Niklas Jansen (Gitarre) und Christian Schneider (Drums, Glockenspiel, Percussion) sind zusammen Locas In Love. Die Kölner fuhren Anfang 2010 nach Glasgow, um mit Paul Savage den Nachfolger ihres letzten Studioalbums „Saurus“ aufzunehmen. Dafür befanden sie sich in den Studios des Labels Chemikal Underground, dem wir neben den Delgados z. B. auch Mogwai und Aereogramme verdanken. Björn Sonnenberg hat exklusiv für uns Tagebuch geführt. Ein wunderbarer, unterhaltsamer Textwust, der auf tragikkomische Weise die Ereignisse erzählt, die zur Entstehung des Albums „Lemming“ führten. (Alle Teile finden Sie in der Spalte „Artikel“ rechts neben dem Text.)
4. Ankunft. You are now entering Glasgow.
Alles ist voller Schnee und die Sonne scheint, es sieht aus als würden wir durch eine Ausgabe GEO fahren oder einen schönen Fotokalender mit Winterlandschaften. Um die Scheibenwischanlage neu zu befüllen und Getränke zu kaufen fahren wir an einer Tankstelle raus, die wie ein Autohof ein paar Meter neben der Abfahrt liegt und zu der ein ca 30 m langer Hügel hinabführt. Beim Versuch, das Gelände nach den Besorgungen zu verlassen drehen unsere Reifen durch, ihr ohnehin kaum vorhandenes Profil wird weiter abgeschliffen, man kann förmlich zusehen, wie sie immer glatter und schwarzer werden. Nach etwa einer sinnlosen und schmutzigen Stunde salzen, mit Besen rumwuseln und anschieben helfen uns drei riesige Menschen in einem riesigen Allradantriebsjeep. Dauernd bleiben wir irgendwo hängen und selbst wenn wir nur an einer Tankstelle anhalten wird daraus wieder so eine Tortur.
Dann wiederum: nur wer sich aufmacht um was zu erleben setzt sich der Gefahr aus, daß etwas passiert, gutes wie schlechtes. Wären wir zuhause geblieben, auf eine Silversterfeier gegangen um danach in einem Kölner Studio aufzunehmen wäre vermutlich nichts schiefgelaufen, aber die Möglichkeit, etwas Aufregendes zu erleben wäre ähnlich niedrig geblieben. Wir versuchen also, es nicht als Strafe zu empfinden, was gerade alles passiert, sondern als logische mögliche Folge unseres Wagemuts und Erlebnishungers. Würden wir annehmen, daß zB Gott uns strafen möchte, wäre es sicherer für uns selber, wenn wir uns wie Geißelmönche selber auspeitschten, nur um weitere unvorhergesehene Bestrafung vorwegzunehmen.
Am frühen Nachmittag schlittern wir in Hamilton vors Studio und laden all unsere Sachen aus. Mit Paul empfangen uns noch seine Frau Emma, die ehemalige Sängerin der Delgados und Ben, ihr kleiner Sohn. Während wir unseren Kram ins Studio tragen und aufbauen macht Emma Tomatensuppe, die wir aus Krautrock-Motivtassen trinken, Kraftwerk, Can usw. Ben spielt mit Stefanie Fußball am Computer und erzählt von einer Idee zur Verbesserung des Menschen, die er hat: in der Lage sein, sich selber wie einen Computer in Ruhezustand zu versetzen um beispielsweise wenn ein langweiliger Film läuft den Körper anzuweisen sich für Zeit x in Standby-Modus zu schalten und dann wieder anzugehen als sei nichts gewesen.
Paul sagt, als Franz Ferdinand herkamen um für ihr letztes Album aufzunehmen, hätten sie 14 Gitarren mitgebracht und er habe nie zuvor eine Band erlebt, die so viel Equipment anschleppt. Wir haben über 30 dabei und hoffen, daß wir demenstsprechend mehr Platten verkaufen werden.
Das Studio sitzt auf einem Hügel, von dem aus man auf Glasgow blickt, Mogwai-Fans kennen das Bild vom Cover der EP 4 Satin von 1997, genau das sehen wir nun als wir zurück in die Stadt fahren um unsere Wohnung zu beziehen. Es ist aufregend an Orten zu sein, wo Dinge geschehen sind oder erschaffen wurden, die im eigenen Leben Bedeutung haben, also sich als Fan irgendwohin zu begeben, wo mal was war, was man gut findet. Manchmal ist es sehr abstrakt, sehr schwer vorzustellen, z.B. waren Stefanie und ich mal am Chelsea Hotel, die Aufregung war aber geringer und bezog sich mehr auf die schöne Architektur, nicht so sehr auf Leonard Cohen oder Sid & Nancy. Daß Norman Blake von Teenage Fanclub gerade erst ein paar Instrumente hier abgestellt hat, weil er nach Kanada gezogen ist und wir auf ihnen spielen können ist greifbarer, man muß nicht die Augen schließen, um den jungen Bob Dylan durchs Chelsea-Portal schreiten zu sehen, das Wurlitzer-Piano steht einfach da, das auf ihren Platten gespielt wurde.
Paul und Emma nehmen uns noch mit zu einem riesigen Supermarkt, wir kaufen alles, was wir sehen, wie man es eben macht, wenn man hungrig einkaufen geht. Dann in den Stadtteil Langside, unsere Adresse ist Millbrae Crescent 2a. Das Apartment ist gleichzeitig herrschaftlich und ramschig, die Vermieterin scheint es als Rumpelkammer für Dinge zu nutzen, die sie zuhause nicht mehr braucht, aber nicht wegwerfen möchte. Es gibt Fernbedienungen ohne passende Geräte und andersrum, Nippes, schwere Vorhänge, Kissen so groß wie Menschen, Zierat, Staub, wir fühlen uns sofort zuhause.
Eigentlich wären wir heute schon den ersten Tag im Studio gewesen, um uns warmzuspielen, zu üben, an unfertigen Songs zu arbeiten. Aber immerhin sind wir überhaupt da. Morgen früh wird Paul uns abholen und wir fahren zusammen zum Studio, weil wir unser Auto stillegen wollen. Ab dann wird nicht mehr in dieser Ausführlichkeit berichtet, so viel darf ich vorwegschicken. Das übermäßig ausholende Erzählen der bisherigen Reise ist der Versuch, Form und Inhalt anzunähern, damit Sie über das Lesen nachleben können, wie unser kleiner Ausflug ausuferte wie ein Bibelfilm aus den 50ern und sich selber so völlig vors Musikmachen geschoben hat. Daß wir gekommen sind, um eine Platte zu machen, fällt uns gerade erst wieder ein. Daß nicht der Weg das Ziel ist, wie in den Bergsteigerfilmen, die ich als Kind gerne angesehen habe sondern wir tatsächlich ein Ziel haben und der Weg uns nur hinführen soll. Ich werde extra NICHT Franz Kafkas Aphorismus über Ziel, Weg und Zögern bemühen (auch wenn ich es durch Ausführen des Gedankens indirekt ja doch getan habe), es würde uns alle nur bedrücken. Das nächste Mal werden wir uns mit erfreulichen Nachrichten melden, mit Musik only. Bevor Ihr Redakteur mich bittet, meinen Bericht doch bitte einem Reisemagazin oder besser noch einem Autobastler-Forum anzubieten.
Björn Sonnenberg