‚Jesus war ein Ire‘ – der Samstag beim ROLLING STONE Weekender 2013
So war der Samstag: Auftritte von Glen Hansard, Travis, Thees Uhlmann, Sophie Hunger, Glasvegas.
Gleich morgen gibt’s Lektüre! Der Samstag startet früh mit der Lesung von Berni Mayer. Um 12 Uhr betritt der selbst noch nicht ganz – wir zitieren ihn lediglich! – ausgenüchterte Autor und Redakteur die Bühne des Witthüs, um seine Bücher „Mandels Büro“ und „Black Mandel“ vorzustellen. Dabei hat er nicht nur Auszüge aus den beiden Kriminalromanen und Anekdoten aus seinem Leben, sondern auch seine Gitarre dabei. Immer wieder durchsetzt Mayer seine Erzählungen mit passenden Songs – mal von Freygang, mal von den Lemonheads, manchmal mit selbst geschriebenem Akustik-Black-Metal – und sorgt so für einen humorvollen Start in den Tag.
Den musikalischen Auftakt bilden am Samstag Get Well Soon, deren emotionaler Pop bereits um 16 Uhr zahlreiche Besucher anlockt. Mastermind Konstantin Gropper betont, wie froh er sei, auf dem Festival spielen zu dürfen und legt mit seiner Band einen entsprechend starken Auftritt hin. Seine Songs leben von der Liebe zum Detail und der vielseitigen Instrumentierung. So kommen auf der Bühne unter anderem Violine, Vibraphon und Trompete zum Einsatz. Mit ihren Songs wärmen Get Well Soon das Publikum bereits gut für den Rest des Tages auf.
Wer noch Schwierigkeiten hatte am Samstag in den Festivaltag zu starten konnte sich bei den Dodos richtig aufwecken lassen. Die Kalifornier haben laut und virtuos den Baltic Festsaal in den Tag gekickt. Dass Meric Long so melodiös und beruhigt über die vertrackten Rhythmen und irren Tempowechsel singen kann, macht ihren punkigen Genremix nur noch interessanter. Eine schöne Überraschung für Freunde von Taktarten jenseits des Vierertaktes.
„Ich gehe jetzt erstmal zurück in mein Haus, wo ich mir morgens meine Eier mach’ und meinen Kaffee trinke“, sagte Kristian Mattson alias The Tallest Man On Earth. Der körperlich gar nicht so große Schwede möchte sich jetzt erstmal wieder vom Musikmachen zurückziehen. Vorher trug er aber dem Baltic Festsaal noch seine Geschichten vor. Nur mit seiner Gitarre schaffte Mattson es den ganzen Saal in seinen Bann zu ziehen. Seine Songs erinnern an den frühen Bob Dylan oder Nick Drake und als größter Mensch der Welt füllt er diese gewaltigen Fußstapfen auch mit Leichtigkeit aus.
Sophie Hunger fing mit einem Knall an. Die energiegeladene Schweizerin verstand es, ihren klugen Pop auf die Bühne zu bringen und dabei nichts an Intensivität der Platten zu verlieren. Sie bewegt sich irgendwo in der Welt zwischen Jazz, Folk, Pop und Klassik, verwendet Trompeten, Geigen und Klavier. Zwischen den Songs zeigte sie Publikumsnähe und scherzte: „Wenn ich mal genug CDs verkauft habe, spiele ich nur noch auf den großen Bühnen.“ Auf die großen Bühnen kommt sie bestimmt, das kann auch ganz ohne Scherz sagen.
„Opposites Attract“ – Gegensätze ziehen sich an, so lautet der Schriftzug auf dem Schlagzeug von Glasvegas in der Zeltbühne. Sänger James Allan ist, auch wenn seine Band als nicht mehr so heiß gilt wie zum Debüt vor sechs Jahren, noch immer der heiße Rockstar, der eine Prise Rock and Roll von Schottland herüber transportiert. Leder, Gel, Haar-Tollen –Wie Rockabillies schaffen sich Glasvegas breitbeinig Platz auf der Bühne. Ihr mit orchestral-dramatischen Momenten aufgepeppter Gitarrenpop des aktuellen Albums „Later … When The TV Turns To Static“ passt perfekt zum Rolling Stone Weekender; sie klingen wie todesmutige Seemänner, die in den Hafen des Weißenhäuser Strands eingekehrt sind. Zeit für Witze bleibt da natürlich auch: „Have You seen Hogs?“, fragt der Bassist das Publikum. „Ich glaube“, führt Allan das Gespräch weiter, „er meint mit ‘hogs’ die Band Hurts, wir sind ja Schotten, sprechen halt so.“ Auch das eine Haltung, die heute vielen Bands abgeht: einfach mal sich über andere Musiker auf der Bühne lustig zu machen.
Wenn es um deutschen Indie-Rock geht, darf ein Musiker wie Thees Uhlmann natürlich nicht fehlen. Gewohnt bodenständig-charmant betritt er am Abend mit seiner Band die Zeltbühne, um das letzte Konzert seiner Tour zu spielen. Anfangs ist der Zuschauerraum noch spärlich gefüllt, spätestens als Uhlmann den Part des Rappers Casper im Song „Und Jay Z singt uns ein Lied“ übernimmt, wird jedoch zum ersten Mal laut gejubelt. „Wer hier kennt den Casper? So viele? Und das in unserem Alter – ich bin stolz!“, scherzt der Sänger. Das Publikum taut schnell auf, und nach wenigen Songs ist das Zelt voll mit Besuchern, die lautstark ihre Begeisterung zeigen, während Uhlmann energisch über die Bühne springt. „… und sei es nur, dass der Rolling Stone Weekender kurz an mich gedacht hat“ – für Abwandlungen seiner Songtexte hat der atemlos schreiende Thees immer Zeit. Danach lobt er seine Band, mit der er 23 Konzerte in 25 Tagen durchgezogen habe. „Tolle Arbeit, und dabei müssen wir lediglich 90 Minuten pro Tag arbeiten. Von daher: Augen auf bei der Berufswahl!“ Uhlmann schwitzte und rackerte natürlich wieder viel. Einen sehr zarten Moment – er setzte sich mit auf den Schemel neben seiner jungen Pianistin – nutzte er dementsprechend nicht nur dafür, Zweisamkeit zu demonstrieren, sondern praktischerweise auch gleich seinen Kopf-Schweiß an der Schulter der unermüdlich lächelnden Dame abzuwischen.
„Selfish Jean“ handelt von einem selbstsüchtigen Mädchen, das einfach abhaut, wenn es ihm passt. „Come On You Leaving Bastards“, singt Fran Healy nun in Richtung Publikum, in Anspielung an die Protagonistin des Lieds. Sorgen machen, dass seine Fans abhauen, muss sich der Travis-Frontmann aber nicht. Das große Zelt ist rappelvoll. Travis-Konzerte in Deutschland sind auch immer Heimspiele, schließlich wohnt Healy seit vielen Jahren in Berlin. Er redet auch ein wenig auf Deutsch. „Soll ich mal einen Song auf Deutsch schreiben?“, fragt er. Tausende schreien: „Jaaaaaa!“. Das Konzert seiner Band lässt nichts zu wünschen übrig; in den 20 Songs verpacken die Schotten alle Hits, die sie haben: „Sing“, „Side“, „Closer“, „Driftwood“ … und mit „Mother“ aus dem aktuellen Album, jener Springsteen-Hommage über verlorene Träume der Eltern und Vagabunden-Hoffnungen der Kinder, den vielleicht besten Opener ihrer Karriere. Und wie gut Gitarrist Andy Dunlop doch drauf ist: Klettert gegen Ende des Sets fünf Meter an Bühnengerüst hoch, wie es sonst nur die Metal-Leute machen. Die Gitarre hat er dabei, schiebt sie in den Gerüst-Turm und veranstaltet Feedbacks; danach klettert Dunlop wieder runter – und im Sprint direkt in den Gurt seiner Gitarre, die der Techniker ihm bereit hält. Sportlich, Andy! „All I Want To Do Is Rock“ wird der vorletzte Song des Travis-Konzerts. Fran Healy widmet ihn ROLLING-STONE-Autor Wolfgang Doebeling, der schon in den Neunzigern das Potential der Band erkannt hatte und heute noch mit den Musikern befreundet ist. Der Song startet jedoch mit einem Fehler, Travis müssen neu ansetzen – ist die Aufregung um Wolfgang schuld?
Trotz starker Konkurrenz von Travis auf der großen Bühne finden einige Besucher den Weg in das Rondell, wo Robert Vincent mit seiner Band spielt. Egal, ob Uptempo-Country-Nummer oder blueslastige Ballade – die Songs von Vincent haben immer etwas Melancholisches und fast schon Fragiles. Mit seiner entspannten und positiven Art strahlt Vincent viel Ruhe aus und macht sein Konzert somit zum idealen Ort für all diejenigen, die sich etwas vom Trubel des Festivals erholen wollen.
Zum großen Finale des Rolling Stone Weekenders werden noch einmal alle Geschütze aufgefahren: Headliner Glen Hansard hat nicht nur seine Band The Frames im Schlepptau, sondern auch Bläser und Streicher, die für die ganz große Inszenierung sorgen. Passend zum kühlen Herbstwetter kommt Hansard zu Beginn seines Auftritts mit Jacke und Wollmütze auf die Bühne, hat sich jedoch schnell so warm getanzt, dass er beides von sich wirft. Neben einfühlsamen Pop-Songs hat der Oscar-Preisträger auch Nummern dabei, die stark vom Jazz und Funk beeinflusst sind.
„Jesus war ein Ire, und das ergibt Sinn. Satan war schließlich Italiener.“ Glen Hansard ist einer jener Leute, über die Sigmund Freud sicher gesagt hätte: „Man kann alle therapieren, nur nicht die Iren, die sind zu stur“ – was nicht heißt, dass Hansard ein Problem hat. Nur, dass der Mann an die Mission seiner eigenen Musik denkt. Und schon sagt er den nächsten Song an: „Eins, zwei, drei – Fire!“ Fire ist ja auch viel schöner als: Vier.
Immer wenn ein Song scheinbar seinen Höhepunkt erreicht hat, setzt Hansard mit seiner Band noch einen drauf. Und sorgt damit für ein überwältigtes Publikum und ein energiegeladenes Ende des Festivals.