Bigger! Better! Benefiz! So war das 12-12-12 in New York
Am Mittwochabend fand in New York City das Benefizkonzert 12-12-12 statt. Dort baten Paul McCartney, Bruce Springsteen, die Stones und viele mehr um Spenden für die Opfer von Hurrikan Sandy. Julia Maehner war für Sie vor Ort.
Eines ist klar: Die Amerikaner lieben die ganz großen Events. Man nehme nur den Super Bowl, oder die jährlichen Oscar und Grammy-Verleihungen. Oder den Präsidentschaftswahlkampf. Hollywood vom Feinsten. Klar ist somit auch, dass nach erschütternden Ereignissen wie dem Hurrikan Sandy, ein bombastisches Event folgen muss – für den guten Zweck und die gute Headline. So fand am Mittwochabend im Madison Square Garden (MSG) das Sandy-Benefizkonzert 12-12-12 statt und selbst, wenn man ungern die abgedroschene Floskel des „hochkarätigen Line-ups“ bemüht – hier passt sie ausnahmsweise mal.
Begonnen hatte der Abend mit dem Boss himself. Nachdem Bruce Springsteen die Songs „Land Of Hopes And Dreams“ und „Wrecking Ball“ aus seinem aktuellen Album gespielt hatte, begrüßte er das Publikum erst einmal mit einem jovialen: „Good evening, New York, New Jersey!“. Es sei schmerzhaft zu sehen, wie sehr sich seine Wahlheimat verändert habe, erklärte Springsteen und appellierte sogleich an die Zuschauer, eifrig zu spenden. Anschließend folgte ein weiterer neuer Song, der tragischerweise gut in die Zeit nach Sandys Wüten passt: „My City of Ruins“. Für „Born To Run“ gesellte sich John Bon Jovi zum Boss und die Jersey-Boys schmetterten den Klassiker gemeinsam.
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Extra über den großen Teich eingeflogen hatte man Pink Floyds Roger Waters. Dieser performte aus gegebenen Anlass Stücke aus dem Album „The Wall“, wie zum Beispiel „Us And Them“. Eddie Vedder ließ es sich danach nicht nehmen, mit Waters ein gelungenes Duett bei „Comfortably Numb“ anzustimmen, während im Hintergrund Fotos projiziert wurden, die einem die Schäden des Hurrikans vor Augen führten.
Ein seltsames Gefühl: Einerseits stand man euphorisiert im Publikum, berauscht von den großen Momenten und den großen Namen, andererseits sah man geisterhafte, verlassene, zerstörte Häuser, während die berühmten Zeilen durch die Halle wehten: „Hello / Is there anybody in there / Just nod if you can hear me / Is there anyone at home /Come on now / I hear you’re feeling down / I can ease your pain / And get you on your feet again / Relax / I’ll need some information first / Just the basic facts / Can you show me where it hurts“.
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Zu diesem Zeitpunkt ahnte man schon: Dieses Konzert wird sämtliche, vorher festgelegten Zeitpläne sprengen. Und man konnte es auf seinem Handy verfolgen: Die werten US-Kollegen vom ROLLING STONE, die hier ein Heimspiel feierten, hatten via Instagram eine Setlist mit den exakten Spielzeiten gepostet – und schon nach Waters war man eine halbe Stunde im Rückstand. Es würde also auf eine Verspätung hinauslaufen, wie sie selbst ein Gottschalk nicht besser hinbekommen hätte.
Dennoch: Im Publikum und auch im Presseraum war die Stimmung ausgezeichnet, vor allem als kurz nach Bon Jovis vorhersehbarem Vier-Song-Set („It’s My Life“, „Wanted Dead Or Alive“, „Who Says You Can’t Go Home“, das er gemeinsam mit Springsteen spielte, und „Livin‘ On A Prayer“) Roger Waters den Journalisten einen kurzen Besuch abstattete und ein paar Fragen beantwortete. „Ich hatte heute eine Scheißangst, hier aufzutreten“, erzählte Waters. „Normalerweise habe ich alles unter Kontrolle. Heute musste ich mich den Konzertleuten beugen.“
Die british invasion sollte damit noch nicht zu Ende sein, denn kurz darauf betrat Eric „Slowhand“ Clapton die Bühne. Gelassen und souverän trug er seine Songs „Nobody Knows When You’re Down“, „Got To Get Better In A Little While“ und „Crossroads“ vor und gehörte somit zu den ruhigeren Künstlern des Abends. Auch hier musste man feststellen: Die Songs, die er aus seinem Oeuvre herausgepickt hatte, hätten nicht besser passen können zu einem Benefiz-Event wie diesem.
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Das Kontrastprogramm dazu gab es dann beim enttäuschend kurzen Set der Rolling Stones. Während Keith Richards bewies, dass man auch im hohen Alter noch ein Piraten-Kopftuch tragen kann und es trotzdem nicht albern wirkt, tänzelte Mick Jagger wie ein Flamingo auf Speed über die MSG-Bühne. Und dann gab’s nur „You Got Me Rockin’“ und „Jumpin‘ Jack Flash“. Aber man muss dann doch zugeben, dass die Herren ihr Handwerk durchaus verstehen und wie schon bei ihren Comeback-Shows bewiesen, dass sie trotz Rentenalter noch immer in Topform sind. Chapeau!
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Die einzige weibliche Darbietung kam dann von einer waschechten New Yorkerin: Alicia Keys. Nur in Begleitung ihres eigenen Klavierspieles trug sie zwei wunderschön getragene Stücke vor – „Brand New Me“ vom neuen Album „Girl On Fire“ und „No One“ aus dem Jahr 2007. Leider trübte Keys selbst die andächtige Stimmung mit ihrer ständigen Aufforderung, die Handys in die Höhe zu heben. Aber man kann ja nicht alles haben – und jammert als Gast dieser einmaligen Veranstaltung ja eh auf hohem Niveau.
Weiter ging es mit einem höchst energiegeladenen (und dennoch ihrem Alter angepassten) Auftritt von The Who. Auf „Who Are You“ folgten „Bell Boy“ und „Pinball Wizzard“. Bei „Baba O’Riley“ sang Pete Townshend statt „teenage wasteland“ dann „Sandy wasteland“, und das ganze Publikum grölte mit.
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Anschließend performte mit Kanye West der einzigen HipHop-Act des Abends. Kurioserweise hatte sich der Rapper dazu entschlossen, im schwarzen Leder-Kilt aufzutreten. Warum bloß? Sein Set begann mit „Clique“ und endete mit seinem internationalen Hit „Stronger“.
Wieder etwas gediegener ging es dann bei Billy Joel zu – doch die New Yorker lieben ihren Billy. Völlig zu Recht. Obwohl der Gute seit Jahren nur noch durch die Klassik mäandert, bot er einen soliden Querschnitt seiner großen Songs dar – von „River Of Dreams“ mal abgesehen, war alles dabei, was man sich wünschen konnte: „Miami 2017“, „Anthony’s Song (Moving Out)“ und „New York State Of Mind“. Sogar ein kleines Weihnachtsständchen trällerte er: „Have Yourself a Merry Little Christmas“.
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Nach Joels letzten Stück „You May Be Right“ übernahm Coldplays Chris Martin das Zepter. Er begann seinen zehnminütigen Auftritt mit einer reduzierten Version von „Viva La Vida“ und lud hinterher R.E.M.’s Michael Stipe auf die Bühne ein, um mit ihm eine wunderbar wehmütige Version „Losing My Religion“ zu singen. „Er hat eine kurze Pause vom Rentnerdasein gemacht, und ist schon wieder weg!“, kommentierte Martin.
Den krönenden Abschluss bildete dann Sir Paul McCartney. Der Ex-Beatle stieg sogleich mit „Helter Skelter“ ein. Nachdem er, in Begleitung von Jazz-Pianistin Diana Krall, seinen neuen Song „My Valentine“ gespielt hatte, widmete er den Song „Blackbird“ den Opfern des Hurrikans.
Anschließend kam es zu einer kleinen Nirvana-Reunion– natürlich sans Kurt Cobain. Macca, Dave Grohl, Krist Novoselic und Pat Smear jammten zusammen einen Song, nachdem McCartney noch einmal erzählt hatte, was bereits gestern durch alle Medien ging: „Recently some guys asked me to jam with them. So I showed up, like you do, you know. Ready to jam. And in the middle of it these guys kept saying: ‚We haven’t played together for years!‘ The penny finally dropped and I understood I was in the middle of a Nirvana reunion!“
Den Abschluss seines halbstündigen Sets und somit der Abschluss des 12-12-12 bildete dann der Wings-Klassiker „Live And Let Die“.
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Während des gesamten Konzerts liefen im MSG die Telefonleitungen heiß. Schon vor dem Abend hatte die Robin Hood Stiftung, die das Geld so bald wie möglich an die Opfer weiterleitet, über 32 Millionen Dollar eingenommen. Geld, das für den Wiederaufbau gut verwendet werden kann. Geld, das beweist, dass diese bombastischen Benefizveranstaltungen ihre Berechtigung haben. Der einzige aber bittere Wermutstropfen ist die Tatsache, dass Sandy nicht nur den USA Zerstörung gebracht hatte. Auch in Kuba und der restlichen Karibik starben Menschen und verloren ihr Zuhause – und die sehen von diesem Geld keinen Cent.