Heute vor 13 Jahren erschien das Opus magnum von Wilco: ‚Yankee Hotel Foxtrot‘
'Yankee Hotel Foxtrot' gilt immer noch als das Meisterwerk von Wilco. Heute feiert das Album seinen 13. Geburtstag.
Am 24. April 2002 veröffentlichten Wilco ihr bis heute vielleicht bedeutendstes Album – nachdem sie die Plattenfirma gewechselt hatten und die Songs kostenlos ins Internet gestellt hatten. ROLLING-STONE-Redakteur Maik Brüggemeyer empfand die LP im Erscheinungsjahr als „Meisterwerk“ und vergab fünf Sterne.
Wilco – Yankee Hotel Foxtrot
(Maik Brüggemeyer – ROLLING STONE 05/2002)
Das waren zwei sehr seltsame Jahre für Wilco: Nach den Aufnahmen mit Billy Bragg verließ Schlagzeuger Ken Coomer die Band, kurz danach Jay Bennett, der sich über die Jahre neben Jeff Tweedy zum kreativen Kopf der Band zu mausern schien. Als Tweedy mit reduzierter Mannschaft schließlich das neue Album „Yankee Hotel Foxtrot“ vorlegte, war die Plattenfirma wenig begeistert „Sie erwarteten von uns ein Album, das klingt wie die Wallflowers“, kommentierte Tweedy spöttisch die Lage und kaufte Warner/Reprise die Bänder für 50 000 Dollar ab.
Doch schon auf dem recht luftigen Vorgänger-Album „Summerteeth“ wurde klar, dass Wilco in eine andere Richtung gingen und von dem pathosgeschwängerten US-Mainstreamrootsrock schon meilenweit entfernt waren, weitaus näher an den Beach Boys als an den Counting Crows. „Summerteeth“ war ein unverschämt cleveres Pop-Album – dachte man damals. Im Gegensatz zu „Yankee Hotel Foxtrot“ klingt es jedoch wie ein unbehauener Klotz, wie eine Zumutung.
Eine Hörprobe: Langsam schält sich aus dem elektronischen Geflimmer ein Schlagzeug heraus, ein verstimmtes Klavier, eine akustische Gitarre, ein Bass und schließlich Tweedys Stimme: „I am an American aquarium drinker/ assassin down the avenue/ I’m hiding out in the big city blinking/ What was I thinking when I let go of you.“ („I Am Trying To Break Your Heart“)
Lyrisch ist das schon fast Van Dyke Parks, und so falsch liegt man nicht, denn „Song Cycle“ ist quasi um die Ecke. Allein: Die Melodien auf „Yankee Hotel Foxtrot“ sind zu verführerisch. Nach der Abkehr vom Alternative Country gelingt Wilco ein Meisterwerktonträger. Die Songs sind so stark, dass sie sich ganz einfach vor die relativ moderat eingesetzten Sound-Effekte stellen müssen.
Sie schälen sich aus der elektronischen Umgebung und entwickeln immer neue Verästelungen, die dank der Schlagarbeit von Glen Kotche manchmal gefährlich nah am Jazz entlang schrammt, ohne jedoch das Gespür für die Melodie zu verlieren. Und die moderate Elektronik, die längst nicht bei allen Songs präsent ist, aber niemals stört, wenn sie unvermittelt auftaucht, wird im Übrigen von Alleskönner Jim O’Rourke generiert.
Man merkt bei jedem richtig gesetzten Fieps, bei jedem Pluckern, dass dieser nicht nur hyperaktiver Avangardist und origineller Produzent, sondern auch ein beachtlicher Songschreiber ist, dem es ein Leichtes war, die Struktur der neuen Wilco-Stücke zu erfassen und effektvoll zu unterstützen. „Kongenial“ sagt man wohl.
Das lässt dann an einigen Stellen an das letzte, ebenfalls semiakustische Gastr Del Sol-Album“ Conoufleur“ denken. Songs wie „War On War“, „I’m The Man Who Loves You“, die vergnügliche, an Pavement erinnernde Reminiszenz „Heavy Metal Drummer“ oder das unverschämt folkige Jesus Etc“ klingen schon jetzt wie Evergreens und haben bei aller Eingängigkeit den Abgrund fest im Visier. „Bitter melodies turning your orbit around.“
Aufwühlende Introspektionen wie „Pot Kettle Black“, das an Leonard Cohens „Avalanche“ erinnernde „Radio Cure“, das reflektierte Drama „Poor Places“ und vor allem „Ashes Of American Flags“ sind wohl das Beste, was Tweedy bisher abgeliefert hat. „I want a good life/ With a nose for things/ A fresh wind and bright sky/ To enjoy my suffering/ A hole without a key/ If I break my tongue/ Speaking of tomorrow/ How will it ever come/ All my lies are always wishes/ I know I would die/ If I could come back new.“
Nach knapp 50 Minuten „Yankee Hotel Foxtrot“ wirkt das bisherige Werk dieser bis dato schon wundervollen Band wie eine Fingerübung, wie eine Vorbereitung auf dieses Meisterwerk. Viele werden diese Einschätzung für übertrieben, ja verfehlt halten. Denn auf den ersten Blick kommt dieses Album fast leicht daher. Um als Meisterwerk zu gelten, bedarf es ja meist wagnerianischen Bombastes oder zumindest einer gewissen Verstörung, die sich hier jedoch nur selten einstellen will. So schön hat bisher noch kaum jemand am Abgrund balanciert.
Nicht auszudenken, was uns entgangen wäre, wenn sich nicht doch noch ein Label für dieses Album gefunden hätte, „Every song’s a comeback/ Every moment’s a little bit later.“