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Die 50 besten Punk-Alben aller Zeiten: die komplette Liste
Eigentlich ist Punk ja eine Kultur der kurzen, schnellen Botschaften, der Single-Platten. In die Welt verbreitet hat er sich trotzdem über LPs – von den Steinzeit-Anfängen in den Sechzigern bis zu den ausdifferenzierten Genres der Gegenwart.
43:Never Mind The
Bollocks … -
Sex Pistols, Virgin, 1977. Ein Rock’n’Roll-Album after all, schmutzig und schnell. Die Sensation ist Johnny Rottens Stimme, sein böse rollendes „Anarrrchyyy“, Drohung und Verheißung. Und der pure Nihilismus. Im Gegensatz zu The Clash wurden die Pistols nie geliebt, aber natürlich waren sie das entscheidende Statement, der revolutionäre Funke, der die gemütliche Hütte namens Rock niederbrannte. Davon abgesehen: ein erstaunlich lebendiges Album, nicht nur ein historisches. (Text: SZ)
50. The Sonics – „Here Are The Sonics!!!“ (Etiquette, 1965)
Um die Mär vom 77er-Punk als völlig neuartigem Genre zu widerlegen, reicht ein Blick auf die Geschichte des US-Garage Rock. So hatten sich die Sonics und andere Bands in den Sixties ursprünglich zusammengetan, um den Beatles nachzueifern. Da ihnen die Brillanz der Fab Four aufgrund mangelhafter Produktionsmittel und instrumentaler Fähigkeiten unerreichbar war, entstand quasi „aus Versehen“ eine weitaus rohere Rock’n’Roll-Variante – der Garage Rock …
Das Debüt der Band aus Tacoma, Washington, ist ein Klassiker eines Genres, das spätere Generationen vor allem durch die „Nuggets“-Compilation wiederentdeckten. Jene 1972 von Lenny Kaye zusammengestellte Kopplung diente nicht zuletzt den Ramones als wichtiger Einfluss.
49. The Velvet Underground – „White Light/White Heat“ (Verve, 1968)
Die Grundlagen ihres zweiten Albums hatten sich The Velvet Underground mittels ausufernd krachiger Improvisationen auf der vorangegangenen Tournee angeeignet. Die Musiker trennten sich von Nico und Andy Warhol, nahmen das Werk in zwei Tagen auf. Den Frust über den ausgebliebenen Erfolg des Debüts und die Streitigkeiten hört man in jeder Note …
Noten? Es war ein einziger Lärm! Aber was für ein herrlicher: Der Titelsong, das Avant-Experiment „Sister Ray“, die Spoken-Word-Kaskaden von „The Gift“. Abermals ging es um Drogen, sexuelle Seltsamkeiten und dergleichen mehr. Erfolgreich konnte so was in jenen Tagen nicht sein, die Naivität der Hippies hatte keinen Platz im Werk dieser Band. Aber was für eine Pioniertat!
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48. MC5 – „Kick Out The Jams“ (Elektra, 1969)
Schon im April 1969 nannte Lester Bangs diese Band aus Detroit in seiner Besprechung zu „Kick Out The Jams“ „a bunch of 16 year old punks on a meth power trip“. Das klingt fast wie ein Kompliment, aber so war es nicht gemeint. „Lächerlich, anmaßend, prätentiös“ fand er dieses Album, und irgendwie hat er damit ja auch recht …
MC5 mischten Beat-Poetry, die Hippie-Lyrik von Sun Ra und linke Agitation und klauten dazu Tunes von John Lee Hooker und den Troggs. Aber es ist die wahnsinnige Energie der auf Free-Jazz getuneten Gitarren von Fred „Sonic“ Smith und Wayne Kramer, die dieses Live-Album so bemerkenswert macht. Die Haltung dahinter war schon Punk, die Musik zog auf dem nächsten MC5-Album „Back In The USA“ nach.
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47. The Stooges – „The Stooges“ (Elektra, 1969)
1969: Vietnam wächst sich zum Trauma aus, die Mondlandung und Woodstock deuten eine Zeitenwende an. Und wovon singt Jim Osterberg alias Iggy Pop in „1969“? „Well, there’s nothing here for me and you/ Another year with nothing to do.“ Es sind diese No-Future-Haltung und die Art, wie der Rock’n’Roll der Stones und Doors hier ad absurdum geführt wird, die das Stooges-Debüt zu einem der wichtigsten Früh-Punk-Album machen …
„I Wanna Be Your Dog“ verhöhnt mit einem simplen Riff die sexuelle Revolution, und die zehnminütige Psychedelic-Ballade „We Will Fall“ zeichnet den Weg der Stooges bereits vor: „And I’ll lay right down/ On my back/ On my bed/ In my hotel/ and I’ll be in love.“ Wenig später ist die Band auf Heroin.
Copyright: Michael Ochs Archives
46. Iggy & The Stooges – „Raw Power“ (Columbia, 1973)
Zeitsprung: Die Ur-Stooges hatten sich aufgelöst, Pop kurierte seine Heroinsucht in London und schrieb mit dem Gitarristen James Williamson neue Songs. Als die fertig waren, holte er doch wieder die Asheton-Brüder hinzu, da er in England keine geeigneten Musiker fand …
Die massive Urgewalt von „Search And Destroy“ oder „Raw Power“ und der nihilistische Aplomb von „Gimme Stranger“ gingen noch einen ganzen Schritt weiter als die Original-Stooges. Mit der Gitarre von Ron Asheton war auch jegliche Psychedelia aus der Musik gewichen. Insofern ist „Raw Power“, koproduziert von David Bowie, das Proto-Punk-Dokument schlechthin. Stooges-Fans und Bowie-Hasser lassen nur die von Iggy selbst angefertigten Mixe gelten.
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45. Ramones – „Ramones“ (Sire, 1976)
Der Beginn der neuen Zeitrechnung: „Hey ho, let’s go!“ Mit dem Ramones-Debüt nimmt Punk seinen Lauf, alles passt: Rhythmus, Songs, Haltung, Look. Benannt nach einem Pseudonym von Paul McCartney, geküsst von der Muse der Beach Boys und angepisst von einer Mittelklassejugend in New York, erfinden die Ramones den Rock’n’Roll noch einmal neu …
Mit drei Akkorden, zur Tür hereinplatzenden Popstücken und dem gebellten Einzählen von Dee Dee Ramone als Trademark: Onetwothreefour! Eine ganze Jugendkultur wird sich am Humor, der Boy-Girl-Romantik und dem infantilen Faible für Cartoons, B-Movies und Nazi-Sprech ausrichten. Da können Joey noch so wilde Gewaltfantasien befallen: Unschuldiger wird Punk nimmer.
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44. The Modern Lovers – „The Modern Lovers“ (Beserkley, 1976)
Nach Dylans Surrealismus, Lennons Seelenschau und Lou Reeds Hard-boiled-Camp, nach Vietnam, Protest und Psychedelia war Anfang der Siebziger nicht mehr viel übrig vom alten Rock’n’Roll. Da kam ein Teenager namens Jonathan Richman auf die irre Idee, die klassischen Topoi des Genres wiederzubeleben …
Nur waren die Boys nicht mehr einfach Boys und die Girls nicht mehr nur Girls: Die Unschuld war verloren, in die naiv vorgetragenen Songs mischt sich ein beunruhigender Unterton, der durch die rohe Simplizität von John Cales Produktion noch verstärkt wird. Als das Album vier Jahre nach den Aufnahmen erschien, hatten sich die Modern Lovers getrennt, und Jonathan Richman verlor sich allmählich in der Putzigkeit.
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43. The Damned – „Damned, Damned, Damned“ (Stiff, 1977)
The Damned gefielen sich als scheußlich-fiese Spaßvögel, aber verdammt schnell waren sie auch: Als erste britische Punkband veröffentlichten sie eine Single, „New Rose“, am 22. Oktober 1976. Und sie waren auch die Ersten mit richtigem Album: Im Februar 1977 erschien „Damned Damned Damned“ …
Hinter dem sarkastisch-überreizten Rabatz, den sie in Nummern wie „Neat Neat Neat“ oder „Mess Up“ veranstalten, schielt immer wieder ungeniert der Pub Rock hervor – was auch daran liegen könnte, dass die Platte von Nick Lowe produziert wurde. Die Sahnetorten, die die Plattenfirma vor dem Covershooting besorgt hatte, waren in Wahrheit übrigens zum Verzehr bestimmt. Angeblich.
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42. The Clash – „The Clash“ (CBS, 1977)
Nein, es ist eben nicht „London Calling“. The Clash waren auf ihrem Debüt am besten – und das nicht nur, weil bei diesen Songs noch niemand auf die Idee gekommen wäre, sie in einer Jeans-Werbung zu verheizen. Der US-Ableger ihrer Plattenfirma fand die Musik sogar zu derbe für eine Veröffentlichung – und verweigerte den Release. Lag es an „I’m So Bored With The USA“?
Egal, die UK-Version wurde der bis dato erfolgreichste LP-Import in die USA. Auch wenn die Reggae-Anleihen und die Affinität zu Popmelodien schon hörbar waren – ungestüm giftend wie in „White Riot“ und „Garageland“ schafften es The Clash, die Widersprüche um die gutbürgerliche Herkunft von Sänger Joe Strummer und den CBS-Majordeal einfach wegzublasen.
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41. Radio Birdman – „Radios Appear“ (Trafalgar, 1977)
Die australische Guerillatruppe, in Uniformen und mit Armbinden, auf denen das Bandlogo so streng wirkte, dass sie gar unter Naziverdacht geriet. Auch wegen „New Race“, dem zackigen Erkennungssong, in dem es darum geht, dass die jungen Leute durch Rock’n’Roll zu fremden Wesen mutieren.
40. Richard Hell & The Voidoids – „Blank Generation“ (Stiff, 1977)
Wenn man nach einer Definition für Punk sucht, wird man keine bessere finden als das Cover dieses Debüts des ehemaligen Television- und Heartbreakers-Mitglieds Hell: der leicht gelangweilte und doch aufmüpfige Blick, die widerspenstig in alle Richtungen stehenden Haare, der hagere Körper mit dem nihilistischen Slogan „You Make Me “ …
Diesen Look – inklusive der ebenfalls von Richard Hell in den Modekontext überführten sprichwörtlichen Sicherheitsnadel – sollte Malcolm McLaren später für seine Sex Pistols adaptieren, und auch der Titelsong von „Blank Generation“ findet Widerhall in „Pretty Vacant“. Für die robuste Drei-Akkord-Dynamik des Punk waren Hell und seine Voidoids allerdings zu feinsinnig.
Copyright: Redferns/Roberta Bayley
39. Dead Boys – „Young Loud And Snotty“ (Sire, 1977)
„Can’t stand up, honey, got my tongue on the floor/ Living out a dream ’bout the third world war!” In „High Tension Wire“ verdingt sich Stiv Bators als Seismograf des Punkzeitalters. Die Dead Boys waren kurz zuvor von Cleveland nach New York gezogen und so etwas wie die CBGB-Hausband geworden …
Der Working-Class-Punk auf dem Debütalbum hat natürlich den Stooges und MC5 viel zu verdanken, ein bisschen auch Alice Cooper. Wenn Bators nicht gerade Hippies Prügel androht („Ain’t Nothin’ To Do“), schneidet er gern mit rabiaten Sexstorys auf („All This And More“, „I Need Lunch“). Empfindlich nahe kommt die Band einer neuen Radikalität dann aber doch – in der antisozial-menschenfeindlichen Hymne „Sonic Reducer“.
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38. Sex Pistols – „Never Mind The Bollocks, Here’s The Sex Pistols“ (Virgin, 1977)
Man muss sich das plastisch vorstellen: Zwei große Plattenfirmen nehmen nacheinander dieselbe Band unter Vertrag – und kriegen solche Angst vor ihr, dass sie sich aus dem Deal wieder herauskaufen. Arbeiter im Presswerk versagen den Dienst, weil das Cover einer Single ihren Nationalstolz kränkt …
Ein Plattenhändler kommt vor Gericht, weil er die Albumhülle ins Fenster gehängt hat. Unvorstellbar, wie viel hektische Verteidigung die Londoner Sex Pistols provozieren konnten. Den Nachhall hört man „Never Mind The Bollocks“ noch heute an, dem einzigen Album, das eher eine Compilation ist. Man sollte sich selbst erinnern, wie einen diese Band beim ersten Hören geschockt hat.
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37. Ramones – „Rocket To Russia“ (Sire, 1977)
Glaubt man Biograf Everett True, dann war Gitarrist Johnny Ramone not amused, als er mit der Pistols-Single „God Save The Queen“ in die Aufnahmesessions platzte: „These guys ripped us off, and I want to sound better than this!“ Vielleicht wurde deshalb die dritte Ramones-Platte die bis dahin teuerste (25.000 Dollar), aber auch die beste …
Eigentlich jede der schlau-abstrusen Zwei-Minuten-Nummern ist heute ein Klassiker – von „Teenage Lobotomy“ bis „Sheena Is A Punk Rocker“. Zwischen Strandbad („Rockaway Beach“) und Tanzparty (Bobby Freemans „Do You Wanna Dance?“), zwischen Surf-Punk und Bubblegum-Pop bringen die Ramones auch noch ernsthafte Scherze wie „We’re A Happy Family“ unter.
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36. Wire – „Pink Flag“ (Harvest, 1977)
Die Mitglieder von Wire waren Kunst- und Grafikstudenten und wären von Sid Vicious sicher furchtbar verprügelt worden. Nicht zuletzt weil sie – im Gegensatz zu den Stones und anderen Immatrikulierten – tatsächlich auch als bildende Künstler arbeiteten. Trotzdem erfüllten sie mindestens ein Punk-Kriterium spielend: Nur drei der 21 Songs auf dem Debüt sind länger als drei Minuten …
Den ebenso schroff-minimalistischen wie in Teilen hochmelodiösen Punkrock schöpften Wire aus dem gleichen methodischen Geist, den sie an der Kunsthochschule verinnerlicht hatten: totale Reduktion. Das Jahr 1977 begann mit der Bandgründung, führte sie sechs Monate später ins Londoner Roxy und endete mit „Pink Flag“. Ein Meilenstein.
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35. Sham 69 – „Tell Us The Truth“ (Polydor, 1978)
„If you’re proud to be a Cockney, clap your hands!“, skandieren die Londoner Zuschauer am Anfang dieser Platte, die eine Live- und eine Studioseite hat – und daher wie keine andere offizielle LP aus der Zeit die Interaktion zwischen Band und Publikum dokumentiert. Schwieriges Thema bei Sham 69:
Der Asphalt-, Pogo- und Prügel-Punk der Band fand auch schnell bei rechten Skindheads und Hooligans Gefallen, die Konzerte wurden zu Schlachten. Neben Zwei-Minuten-Krachern über Bankräuber, Samstagnacht-Radau und Klassenhass gibt es auf dem besten Sham-Album aber auch eine Hymne an die Einsamen und eine kurze Familienkrach-Spielszene, die zeigt, wie viel Humor diese Rattentruppe trotzdem hatte.
Copyright: Redferns/Erica Echenberg
34. Elvis Costello & The Attractions – „This Year’s Model“ (Stiff, 1978)
Er war der Musikologe und Literat der New Wave, doch sein Formwille und seine Eloquenz hinderten Declan Patrick Aloysius McManus alias Elvis Costello nicht daran, wutschnaubende, vitriolische Songs wie „No Action“, „Lip Service“ und „Pump It Up“ zu schreiben …
Seit 1974 hatte sich der Programmierer in Pubs und Clubs an Country, Folk und Rock versucht, 1977 erschien sein Debütalbum „My Aim Is True“, mit den schnodderigen Tiraden von „This Year’s Model“ eroberte Costello sogar Amerika. Von „Rache und Schuld“ handelten seine Songs, so Costello. Das nächste Album war schon fertig und sollte „Emotional Fascism“ heißen – man kennt es heute als „Armed Forces“.
Copyright: Redferns/Estate Of Keith Morris
33. The Jam – „All Mod Cons“ (Polydor, 1978)
Auf einem Außenposten des Punk schrieb Paul Weller seine sentimentalen Songs in der Tradition der Small Faces, der Kinks und des britischen Rhythm’n’Blues. Der sehr junge Mann rüttelte eher empört am Gitter der Gesellschaft, statt ernsthaft zu versuchen, ihre Grundfesten zum Einsturz zu bringen:
„To Be Someone“ und „David Watts“ handeln vom Aufstieg über Klassenschranken hinweg; „English Rose“ und „The Place I Love“ feiern ganz unverstellt die Heimat, und „In The Crowd“ ist der romantische Traum von der Menschenleere und der Menschenliebe zugleich. The Jam waren die wahren Helden der Working Class, zwischen 1977 und 1982 wurde jede ihrer Singles ein Hit, und „All Mod Cons“ ist so englisch wie die weißen Felsen von Dover.
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32. Wipers – „Is This Real?“ (Park Avenue, 1979)
Greg Sage, man kann es nicht oft genug sagen, ist einer der großen, viel zu wenig besungenen Helden des frühen Punkrock – und „Is This Real?“ ein Meisterwerk. „Tragedy“, „D7“, „Wait A Minute“: Die Songs der Wipers hatten eine Sehnsucht, eine melodiöse Brillanz, wie sie ganz und gar untypisch war für die rohe Aggressivität der meisten damaligen Bands. 1977 in Portland gegründet, verband die Gruppe einen Gitarren-Mahlstrom mit polterndem Schlagzeug, zahlreichen Tempowechseln und Sages misanthropischem Gesang zu einer störgeräuschgleichen Wall of Sound. Der Songschreiber bleibt ein wahrer Held des Undergrounds, der später sogar das Angebot von Kurt Cobain ablehnte, im Vorprogramm von Nirvana zu spielen.
31. Stiff Little Fingers – „Inflammable Material“ (Rough Trade, 1979)
Ein Meilenstein der politischen Rockmusik – und weil das so theoretisch klingt, sollte man sich noch einmal „Suspect Device“ und „Alternative Ulster“ anhören, um zu wissen, was das bedeutet. Die Band aus Belfast befasste sich – auf Anraten des Journalisten Gordon Ogilvie – mit der damals explosiven politischen Lage vor ihrer Haustür in Belfast …
Warum das bei ihnen so gut funktionierte: Sie hatten Ahnung, Haltung, Meinung, Wut – und sie litten selbst unter den Umständen. Epic Records war „Inflammable Material“ zu heiß, also wurde es zwangsläufig auf einem Indie-Label veröffentlicht. Es wurde das erste Album, das es auf diesem Weg in die Charts schaffte – und der erste Release im Rough-Trade-Vertrieb.
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30. Buzzcocks – „Singles Going Steady“ (UA, 1979)
Eine Compilation von Singles (zunächst für die USA) dieser typischen 45er-Band, die 1976 als Reaktion auf ein Konzert der Sex Pistols von Pete Shelley und Howard Devoto gegründet wurde. Die Buzzcocks brachten Ironie und Pop-Verständnis in den Punk:
„Orgasm Addict“, „Everybody’s Happy Nowadays“ und „Ever Fallen In Love?“ haben Schmiss und Melodie und ebneten den rotzigen Songs von Joe Jackson den Weg. 1981 arbeitete die Gruppe an ihrem dritten Album, als die Plattenfirma „Singles Going Steady“ wiederveröffentlichen wollte und sich weigerte, einen Vorschuss für die nächste Platte zu zahlen. Pete Shelley löste die Band auf und begann eine wenig beachtete Solokarriere; 1989 fanden die Musiker wieder zusammen.
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29. Gang Of Four – „Entertainment!“ (EMI, 1979)
Die Band um den Gitarristen Andy Gill bekam nach ein paar verheißungsvollen Singles einen Vertrag bei EMI. 1979 erschien dieses höhnische, antikapitalistische Pamphlet mit den typischen eckigen Rhythmen und dem skandierten Sprechgesang, die sich den Talking Heads verdankten. Von der Gang lernten wiederum die Fehlfarben.
28. The Slits – „Cut“ (Island, 1979)
Eigentlich ist „Cut“ vielmehr ein Dub- als ein Punk-Album. Der von Siouxsie & The Banshees geborgte Schlagzeuger Budgie und der Reggae-Produzent Dennis Bowell bauten ein raffiniertes rhythmisches Gerüst, in dem sich die drei Musikerinnen frei und selbstbewusst bewegten …
„Newtown“ besteht überwiegend aus kleinen Geräuschen – aufflammende Streichhölzer, raschelnde Schachteln, klimpernde Münzen. Ari Up, Tessa Pollitt und Viv Albertine spielen die Instrumente minimalistisch, eher mit Spaß als Ambition, aber immer funky – weshalb „Cut“ noch heute so unverbraucht klingt. Die Slits haben vermutlich einen wichtigeren Beitrag zum Feminismus im Pop geleistet als die im gleichen Jahr gegründete Kampfschrift „Emma“.
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27. The Clash – „London Calling“ (CBS, 1979)
1979 hatte die Apokalypse England erreicht: Die Arbeitslosigkeit stieg, Armut und Rassismus waren die Folge, Kokain kam in Mode, und die eiserne Lady Margaret Thatcher trat ihren Dienst an. Niemand fand dafür bessere Bilder als Clash-Sänger Joe Strummer. Der BBC World Service meldet sich wieder wie in dunklen Tagen des Zweiten Weltkriegs:
„This is London calling …“ Doch während in den Texten die Welt untergeht, findet sich in der Musik, im Nebeneinander von Ska, Funk, Pop, 60s-Soul und Rockabilly, eine echte Utopie. Das Cover, das Paul Simonon bei der Zerstörung seines Basses zeigt, ist eine Umkehrung des Motivs vom ersten Elvis-Presley-Album: Die Leidenschaft ist in Frustration umgeschlagen, die Party ist vorbei.
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26, X- „Los Angeles“ (Slash, 1980)
„Yes L.A.“ nannte das Mini-Label Dangerhouse 1979 seine Compilation, „Not Produced By Brian Eno“, als Tritt gegen den vom Ambientmeister produzierten „No New York“-Sampler: Die Köter von der Westküste zeigten den kunstverliebten Avantgardisten aus NY die Zähne, und hier war auch „Los Angeles“ von X zum ersten Mal zu hören. Ein Song, der allerdings von der Flucht aus der Stadt erzählt, im Duett gesungen vom Punkrock- und Poetenpaar Exene Cervenka und John Doe, das ganz sicher keine englischen Vorbilder hatte, sondern neben dem CBGB-Stoff vor allem Rockabilly und alten Rock’n’Roll gehört hatte. Der Zusammenhang zwischen Pogo und Chuck Berry, ausgerechnet von Doors-Orgler Ray Manzarek produziert.
25. Dead Kennedys – „Fresh Fruit For Rotting Vegetables“ (Alternative Tentacles, 1980)
Die Erfindung des US-Agitpunk: Da ist Jello Biafras zynische Welt-Enträumungshymne „Kill The Poor“, die die Neutronenbombe als Lösung vorschlägt, um Arme zu entsorgen. „Holiday In Cambodia“, das zu bedrohlicher Gitarrendramaturgie vom Pol-Pot-Regime in Kambodscha und vom Westen, dem das egal ist, erzählt …
Die Hardcore-Version eines Flamencos namens „California Über Alles“, in der Biafra aus der Sicht des damaligen (und wieder aktuellen!) kalifornischen Gouverneurs Jerry Brown eine hippie-faschistische Zukunft vorhersieht. Das Kennedys-Debüt haut 14 Songs in 33 Minuten raus – und findet noch Zeit, um mit dem Vermieter abzurechnen („Let’s Lynch The Landlord“).
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24. Der KFC – „… letzte Hoffnung“ (Schallmauer, 1981)
Ins Publikum pinkeln oder Zuschauern auf die Fresse hauen: Als das erste Studioalbum der Düsseldorfer um Sänger Tommi Stumpf erschien, galt der KFC („Kriminalitätsförderungsclub“) schon als proletarische Outlaw-Bande. Auf dem Cover ein NSDAP-Plakat, drinnen wurde die Bundeswehr mit der Wehrmacht gleichgesetzt („Bremen 1980“) – es ging um maximale Verachtung („Alle Vollidioten tagein tagaus, sie wissen, für sie ist es längst aus …“) und Aggression, es war eine Kampfansage an den einfühlsamen oder polit-didaktischen Schunkelpogo-Konsens der Zeit: „Diese Welt ist scheiße, das ist nun mal so … Wir schlagen zurück, und alles geht kaputt.“ Das ist ein Wort.
23. The Exploited – „Punk’s Not Dead“ (Secret, 1981)
Niemand hatte einen schärfer geschnittenen Iro oder eine schöner ramponierte Stimme als Exploited-Sänger Wattie Buchan, niemand prügelte erbarmungsloser auf die Instrumente ein als die drei Mitstreiter des Schotten. Ihr Debütalbum war ein Starkstrom-Aufschrei der zweiten Generation gegen die vermeintlichen Auflösungserscheinungen der Punk-Szene, Songs wie „I Believe In Anarchy“ oder „Exploited Barmy Army“ wurden zu Hymnen der Wut und Verzweiflung in den Thatcher-Jahren. Die Band schrie gegen Krieg und Armut an, gegen Dekadenz und die herrschende Ordnung. Dass sich Jahre später National-Front-Anhänger als Fans outeten, war damals nicht absehbar – und schmälert nicht die Bedeutung dieses großen Wurfs.
22. Slime – „Slime 1“ (Raubbau, 1981)
Das Debüt der Hamburger bleibt die wichtigste deutsche Punk-LP – eine Standortbestimmung der neuen linken militanten Szene. Songtexte wie „Deutschland muss sterben“ oder „Wir wollen keine Bullenschweine“ klangen wie Demo-Slogans und wurden zu beliebten Szene-Gassenhauern …
Die – zeitweise – spätere Strafverfolgung mehrte Ruhm und Bedeutung von Slime, Konzerte endeten oft in Schlachten mit der Polizei, später auch in Prügeleien mit Fans, die ihnen aufgrund des Erfolgs den Ausverkauf vorwarfen. Politischer, radikaler und rotziger als die bekennenden St.-Pauli-Fans war hierzulande niemand. Und mit „Karlsquell“ schufen sie eine der schönsten Biersauf-Hymnen überhaupt. So viel Fun braucht auch der Polit-Punk.
Copyright: Moderne Musik
21. Black Flag – „Damaged“ (SST, 1981)
Ein Frontalangriff auf den Billboard-Rock, den Mythos Kalifornien und den American dream unter Reagan. Black Flag, durch ihr ikonografisches Logo längst zur Marke geworden, sägen an den sozial-moralischen Grundfesten der Gesellschaft: Nie zuvor war Punkrock antiautoritärer als in „Rise Above“ gewesen, vulgärer als in „Six Pack“ und „T.V. Party“ und von einem derartigen Egozentrismus durchsetzt wie in „Gimmie Gimmie Gimmie“:
„I need some more/ Gimme gimme gimme/ Don’t ask what for“, keift Henry Rollins. Vom Fan aus dem Moshpit hatte er es bis zum Sänger gebracht, den Spirit der Szene verkörperte er wie kein Zweiter. Drogen, Teenage-Angst, Delinquenz – laut „Damaged“ ist die amerikanische Jugend äußerst schadhaft.
Copyright: Redferns/Martin O'Neill
20. Bad Brains – „Bad Brains“ (Roir, 1982)
Eine Grundidee des Punk – das „Anything goes“, die Liberalisierung der Produktionsmittel, die Möglichkeit für absolut jeden, dabei sein zu können –verkörperte kaum eine Band so sehr wie die Bad Brains. Hoch virtuose Musiker und praktizierende Rastafaris, die sie waren, mischten sie im aggressiven, ultramaskulinen Klima der D.C.-Szene chilligen Roots-Reggae in ihren Hochgeschwindigkeits-Hardcore, abgerundet vom in Patois dargebotenen Schnappatmungs-Gesang von HR …
Die Bad Brains waren aus einer Jazz-Fusion-Band hervorgegangen und lehnten den Begriff Hardcore als Kategorisierung ab. Dennoch: Ihr ursprünglich nur auf Kassette veröffentlichtes unbetiteltes Debüt gehört bis heute zu den besten Alben des Genres.
Copyright: Jim Steinfeldt
19. Crass – „Christ The Album“ (Crass, 1982)
Crass waren die Ultras der Bewegung. Das aus alten Hippies und jungen Punks bestehende Kollektiv verbreitete wie keine andere Band die Botschaft des Anarchismus. Zu den klassischen drei Akkorden und dem hämmernden Schlagzeug rotzt Sänger Steve Ignorant in gut zwei Minuten mehr aufrührerische Parolen heraus als andere Bands auf einem ganzen Album. „Christ – The Album“ ist das ambitionierteste Werk der Kommunarden aus Essex. Keyboarder Paul Ellis spielte vorher bei Hot Chocolate, doch Funk findet man nicht, eher abenteuerlichen Lärm. Zwischen den Stücken gibt es Schnipsel mit Radiomitschnitten, Zen-Gedichten und Zufallsgeräuschen. Das beiliegende Poster zeigte eine unter Kot begrabene Margaret Thatcher.
18. Die Toten Hosen – „Opel-Gang“ (Totenkopf, 1983)
Mit den Hosen von heute hat ihr Debüt wenig zu tun: Wie eine Schülerband rabaukten sie sich durch 15 schlichte Stücke – was kein Wunder ist, da zum Beispiel Sänger Campino ja gerade noch Abitur machte. Die stumpfe Hommage an die „Modestadt Düsseldorf“ und das berüchtigte „Hofgarten“ ließen noch nicht ahnen, wie clever die Band war, aber mit „Bis zum bitteren Ende“ hatten sie eine Hymne, die bis heute im Programm ist …
Die Unbeschwertheit, mit der hier jedes „Whoa-Oh“ geschmettert wird, konnten sie nie wieder erreichen. 20.000 Platten presste man damals auf dem Totenkopf-Label – optimistisch, zumal Punk 1983 schon abgemeldet schien. Bessere Platten folgten, doch ohne den Dampf von „Opel-Gang“ wäre es nie so weit gekommen.
Copyright: Redferns/Bernd Mueller
17. Minor Threat – „Minor Threat“ (Dischord, 1984)
Ian MacKaye aus Washington war 13, als ihm auffiel, was das Kiffen und der Alkohol mit seinen Freunden anstellten. Bei einem Konzert der Cramps spürte er mit 16 die Kraft des Punkrock – und schor sich am nächsten Tag die Haare ab. Der kleine Skater mit der Glatze, der nur Cola soff und wie ein Kampfhund tobte, wenn er auf der Bühne stand: Warum MacKaye zur Symbolfigur des Hardcore wurde, hört man diesen Aufnahmen seiner frühen Band Minor Threat an. Die Platte (eine EP-Compilation) enthält „Straight Edge“ und „Out Of Step“: „Don’t smoke, don’t drink, don’t fuck – at least I can fucking think!“, singt er zur irre rasenden Musik und musste dann doch wieder erklären, dass er kein Dogmatiker sei. Später gründete er Fugazi.
16. Hüsker Dü – „Zen Arcade“ (SST, 1984)
Bisher hatten sie sich vor allem auf Krach verstanden und auf Provokationen wie die, aus dem Vietnamkrieg heimgekehrte Särge auf dem Cover zu zeigen. „Zen Arcade“ ist dagegen eine Explosion des Songwriting: Noch immer sind die Stücke kurz und überwältigend, doch deuten „Chartered Trips“, „Never Talking To You Again“ und „Pink Turns To Blue“ die Pop-Sensibilität von Bob Mould und Grant Hart an …
Agitprop war ihre Sache nicht: Mit Songs über Liebesleid, Depression, Drogensucht und Einsamkeit enstprachen Hüsker Dü durchaus dem Egoismus der Dekade. 1987 scheiterte die Band an der Heroinsucht von Grant Hart, „Zen Arcade“, das Doppelalbum, bleibt die gefühlige Bestie, die den Emocore vorwegnahm.
Copyright: Jim Steinfeldt
15. Minutemen – „Double Nickels On The Dime“ (SST, 1984)
Schon der Start der Band hat das Zeug zum Mythos. D. Boon fällt beim Spielen vom Baum, direkt auf Mike Watt. 1980 gründen sie die Gruppe, 1984 kommt diese Platte. Die Minutemen sehen aus wie Hillbillys und spielen wie Jazzer. Punk lebt zu der Zeit von maximaler Kompression, da nimmt die Band eine Doppel-LP mit 45 Songs auf. Über die Rhythmus-Studien von Bassist Watt und Drummer Hurley tänzelt oder walzt Boon mit Gitarre und losem Mundwerk. Politischer Postpunk, Funk-Rock, Country, spanische Gitarren – was für ein Ritt! „Our band could be your life“, singt Boon in „History Lesson Pt. 2“ – hier fand einer seine Bestimmung. 1985 stirbt er bei einem Autounfall.
14. The Fall – „This Nation’s Saving Grace“ (Beggars Banquet, 1985)
Die Erweiterung des Punk ins Gestern und Heute, in den Pop und die Avantgarde. Auf ihrem vielleicht besten Album (wer hat schon den Überblick?) „This Nation’s Saving Grace“ huldigen The Fall in „I Am Damon Suzuki“ den mittleren Can und machen unter Leitung von Brix Smith dem New Wave Beine – infektiöser, melodiöser, furioser waren sie nie. Und natürlich grantelt Mark E. Smith völlig unbeeindruckt seine Stegreif-Poesie über diese magischen Tracks. Einen Song zerstörte er sogar, als er aus Versehen auf den Aufnahmeknopf drückte und über einen bereits fertigen Song brabbelte – Ergebnis: „Paint Work“, die einzige unprätentiöse Sound-Collage der Popgeschichte.
13. Big Black – „Songs About Fucking“ (Touch&Go, 1987)
1978, bei Kraftwerk, war „The Model“ die dekadente Story vom Champagner-Aufreißer. 1987, in der Version von Big Black, ist der Song der eklige Monolog des Triebtäters, der die Kamera des Modefotografen zum Voyeurswerkzeug macht. Das schien die Mission des Trios aus Illinois zu sein: das vermoderte, wenig spektakuläre Böse ins Blicklicht zu zerren und dazu die metallischste, schleifstärkste Musik zu spielen. Auch Steve Albini, Journalismus-Student, ging es in seinen Stücken um die Außenseiter der Gesellschaft – um die, die sonst wenig Mitleid bekommen, die Mörder, Gestörten, Rassisten. Nicht zu glauben, dass er nebenher für Slint und die Pixies die lebendigsten Platten produzierte, die man sich vorstellen kann.
12. Bad Religion – „Suffer“ (Epitaph, 1988)
Es war vorbei, bevor es richtig losging. Bad Religion hatten sich vor ihrem dritten Album eigentlich schon aufgelöst, wegen Erfolg- und Orientierungslosigkeit. Sänger Greg Graffin wollte aufs College gehen, Brett Gurewitz noch mehr Crack rauchen. Dann fanden sie 1987 wieder zusammen, der eine machte doch erst 2003 seinen Doktor (in Evolutionsbiologie), der andere wurde zum Labelchef …
Aber zuerst nahmen sie ihr Meisterwerk auf: „Suffer“. Das Einzigartige lag gar nicht in der Wucht, mit der sie hier jeden Song runterschrubbten, sondern im gleichzeitigen Gespür für Melodien, das die Stakkato-Sozialkritik überraschend vergnüglich machte. Und kein Amerikaner kennt mehr Fremdwörter als Greg Graffin.
Copyright: Christina Wenig
11. Nirvana – „Bleach“ (Sub Pop, 1989)
Ein Debüt, bei dem alle Voraussetzungen stimmten: von Jack Endino produziert, auf Sub Pop veröffentlicht. Denkt man heute so einfach, aber es war ja 1989 – Milli Vanilli und Madonna regierten die Charts, die größte Rockband waren Guns N’ Roses. Dann kam Grunge, und alles änderte sich. Bei „Bleach“ war es freilich noch nicht so weit, obwohl alles schon da war:
ie rohen Gitarren, Kurt Cobains nörgelnder Gesang, die nihilistischen Texte. Er konnte einem mit „Negative Creep“ jeden Tag versauen, aber wenn er dann verzweifelt „About A Girl“ sang, musste man ihn lieben. Bei „Nevermind“ war die Mischung aus Wut und Melodieseligkeit perfekt, „Bleach“ ist dafür der geliebte kleine Racker, der nicht schuld war an allem, was danach kam.
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10. NOFX – „S&M Airlines“ (Epitaph, 1989)
„Wir wussten noch nicht, wie man mehrstimmig singt“, behauptete Sänger Fat Mike später, „deshalb kam Greg Graffin vorbei und sang bei drei oder vier Nummern mit. Das war ultracool.“ Auch am Mischpult saß ein Bad-Religion-Mann: Brett Gurewitz, der schon das NOFX-Debüt produziert hatte …
Die Kalifornier klingen also nicht zufällig wie lustige Brüder der Band, deren „Suffer“-Ernsthaftigkeit sie nun Albernheit entgegensetzen („You Drink, You Drive, You Spill“). NOFX kommen noch ohne poppige Hooklines aus, wildern beim Skate-Punk, Hardcore und Metal, verpassen „Drug Free America“ ein Zweiminuten-Intro, und Fat Mike hat nicht nur beim Fleetwood-Mac-Cover „Go Your Own Way“ Spaß daran, den Ton nicht zu treffen.
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09. Fugazi – „Repeater“ (Dischord, 1990)
„I’m not playing with you“, schwört Ian MacKaye im Song „Blueprint“: Laut und deutlich warben Fugazi um die Herzen der Punk-Kids, und viele folgten ihnen. MacKaye hatte das patriarchalische Gehabe und die stumpfe Konsumhaltung von Teilen der US-Hardcoreszene hinter sich gelassen – auf „Repeater“ kehrten endgültig die Ernsthaftigkeit und Selbstkontrolle der Straight-Edge-Bewegung in den D.C.-Sound ein…
Fugazi dekonstruieren auf dem Album die Punk-Hymne als solche und setzen sie derart neu zusammen, dass auch hier bald das Genre-Präfix „Post“ nötig wurde. Wegen der explosiven Spannung, der von Pose gänzlich abgelösten Heavyness und der Melodiesplitter gilt „Repeater“ als einer der ersten Vorboten von Emo.
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08. Nation Of Ulysses – „13-Point Program To Destroy America“ (Dischord, 1991)
Klar, dass belesene Bürschchen-Punks irgendwann den alten Style vermissen würden, die Brothers-and-sisters-Schwüre der MC5, die dunkelblaue Coolness von Coltrane. Kleidung sei heute das Einzige, über das man als entmündigter junger Mensch noch Kontrolle habe, schrieben Nation Of Ulysses ins Pamphlet zu diesem Album. Die Mischung aus Mode- und Revolutionsideal, dämonischer Energie und intellektuellem show-off, Punkrock und Free Jazz irritierte – weil keiner recht wusste, ob Ulysses eine radikale Partei oder eher ein Witz sein sollte. Das dürfte aber die Absicht von Mastermind Ian Svenonius gewesen sein, der die Band später in die Garagen-Soul-Gang Make-Up ummodelte.
07. Rancid – „Rancid“ (Epitaph, 1993)
Fast unfair, dass es das einzige Rancid-Album in unsere Liste geschafft hat, bei dem Gitarrist und Sänger Lars Frederiksen noch nicht an Bord war: Er stieß erst während der Tour zu diesem hinzu, bereicherte die Band ungemein …
Noch ohne ihn zelebrieren Tim Armstrong, Matt Freeman und Bret Reed auf „Rancid“ einen rotzigen, durchschlagskräftigen Streetpunk made in Berkeley, dem man die Vorbilder aus der kalifornischen Nachbarschaft deutlich anhört und – in Sachen Tempo – auch die Nähe zum Hardcore. Ska- und Reggae-Einflüsse lagen hier noch in weiter Ferne – manch einer wird sagen: zum Glück! Vor allem Armstrongs nasales Giften macht diese Platte so besonders, perfektioniert in „Outta My Mind“ und „Union Blind“.
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06. Green Day – „Dookie“ (Reprise, 1994)
„Dookie“ wird gern für das Debüt von Green Day gehalten – unter anderem, weil es wie ein klassisches Erstwerk klingt: als habe sich eine Menge Zeug angestaut, das endlich rausmuss. Im Fall von Sänger Billie Joe Armstrong war es jugendlicher Frust und viel Freude am Sich-selbst-Runtermachen …
Er dichtete unverdrossen über Masturbation aus Langeweile („Longview“), Liebe aus Angst vor Einsamkeit („When I Come Around“) und das allgemeine Gefühl, demnächst verrückt zu werden. Weil die Melodien so unwiderstehlich waren, kam er damit durch, und „Basket Case“ wurde ein Hit. Alle hatten plötzlich Zeit, dem „melodramatic fool“ beim Jammern zuzuhören. Lustiger wurde US-Punkrock nicht mehr, von The Offspring mal abgesehen.
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05. Social Distortion – „White Light, White Heat, White Trash“ (Epic, 1996)
Der Titel zitiert natürlich Velvet Underground, doch Mike Ness betonte dann vor allem den „White Trash“-Aspekt – und kam mit „I Was Wrong“ so weit in die Nähe eines Hits, wie ihm das möglich war. „It was me against the world, I was sure that I’d win/ The world fought back, punished me for my sins“, blökt er, und man ahnt:
Social Distortion
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04. Sleater-Kinney – „Dig Me Out“ (Kill Rock Stars, 1997)
Sie begannen als angriffslustige Riot Grrrls an der Seite von Bikini Kill und Team Dresch, spätestens mit „Dig Me Out“ kamen sie einer der wichtigsten Zielprojektionen der feministischen Jugendkultur sehr nahe: der Auflösung der alten Geschlechterhierarchie im Rock …
Sleater-Kinney spielen auf ihrem dritten Album mit zwei Gitarren und ohne Bass einen so leidenschaftlichen, technisch versierten und entfesselt produzierten Punkrock, dass selbst Typen wie Led Zeppelin in Deckung gegangen wären. „Dig Me Out“ ist ein Aufbruch: Corin Tucker, Carrie Brownstein und Janet Weiss gleiten aus der Riot-Schublade, finden den Pop im Punk und feiern im finalen „Jenny“ die Emanzipation: „I am the girl/ I am the ghost/ I am the wife/ I am the one.“
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03. At The Drive-In – „Relationship Of Command“ (Grand Royal, 2000)
Und irgendwann verzweifelten die Geschichtsschreiber an den Begriffen, die sie selbst erfunden hatten: At The Drive-In, die Spargeltypen mit den Afro-Büschen, waren möglicherweise Post-Hardcore, vielleicht auch Emo – oder nur eine extrem aggressive Progrock-Band …
Stilistisch hatten sich alle Punk-Abkömmlinge um 2000 so weit übers Feld verteilt, dass man es einer Platte nicht mehr mit Sicherheit anhören konnte, wo sie hingehörte. At The Drive-In aus El Paso nahmen sich genau diese Freiheit heraus, ließen sich von Wut und künstlerischer Besessenheit treiben. Und traten mit ihrem dritten Album dann plötzlich auch bei Letterman auf. Klar, dass man sich danach trennen musste.
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02. Die Goldenen Zitronen – „Lenin“ (Buback, 2006)
Vom Pogo-Spaß der „Am Tag, als Thomas Anders starb“-Jahre war längst nichts mehr übrig. Ausgerechnet die Goldenen Zitronen aus Hamburg führten exemplarisch vor, in welche unterschiedlichen Maßanzüge eine attitude wie Punk passen kann, wenn die Protagonisten älter warden …
Auf „Lenin“ zelebriert die Band mit Agitpop und Electroclash ihre Narrenfreiheit – und ist dabei subversiver und unbequemer denn je. Und theatertauglicher. Sänger Schorsch Kamerun, selbst an diversen Bühnen tätig, spielt in „Mila“ den manischen Souffleur, der sich selbst die Stichworte gibt: „Die Nummer der Auskunft, die könnt ihr euch selber merken, ihr Wichser!“ Ihr Evergreen „Für immer Punk“ passte nie schlechter und besser zugleich.
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01. Gallows – „Orchestra Of Wolves“ (Epitaph, 2006)
Es gibt ein Video von Sänger Frank Carter, in dem er während eines Konzerts von der Bühne gezogen wird, sich im Graben prügelt, nach zwei Minuten und ein paar direkten Treffern wieder auf die Bühne kriecht, mit Blut im Mund in die Kamera grinst, sich das Mikro schnappt – und weitersingt. Einen Song später springt er dann wieder in die Menge …
Genau diese rohe Live-Energie war es, die das Gallows-Debüt zu einem Bestseller machte. Musikalisch eher Punk als Hardcore, erreichten sie mit durchaus extremen Songs wie dem Titelstück oder „In The Belly Of A Shark“ sogar das „NME“- und Indiepublikum, selbst Metalhörer fanden Berührungspunkte. Eine Konsens-Band? Seltsamerweise ja – obwohl Konsens anders klingt …
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