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Ein Blick in das Buch ‚FAVOURITE 45s‘ von Hermann Anschlag
In dieser Galerie finden Sie Textauszüge des Buches "FAVOURITE 45s", in dem Autor und ROLLING STONE-Forumsmitglied Hermann Anschlag "200 der großartigsten Singles aller Zeiten" vorstellt - dazu gibt's schöne Künstlerfotos aus der Zeit der jeweiligen Veröffentlichung.
Alle Informationen zu "FAVOURITE 45s" von Hermann Anschlang gibt es auf www.otis-verlag.de. In dieser Galerie finden Sie fünf der insgesamt 200 Texte zu den "großartigsten Singles aller Zeiten". Die Texte wurden von uns mit Fotos der Künstler aus der jeweiligen Zeit der Veröffentlichung ergänzt.
Foto:
Otis Verlag.
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Alle Informationen zu „FAVOURITE 45s“ von Hermann Anschlang gibt es auf www.otis-verlag.de. In dieser Galerie finden Sie fünf der insgesamt 200 Texte zu den „großartigsten Singles aller Zeiten“. Die Texte wurden von uns mit Fotos der Künstler aus der jeweiligen Zeit der Veröffentlichung ergänzt.
Copyright: Otis Verlag
PATTI SMITH: Gloria (1976)
Ende 1975, Anfang 1976 kam für mich wieder Leben in die Popmusik. Vorher hatte ich die Lust daran etwas verloren. Klassischer Rock der Sorte Deep Purple oder Led Zeppelin war noch nie mein Ding gewesen, Prog-Rock à la ELP, Pink Floyd, Yes etc. war mir viel zu prätentiös und selbstverliebt, Folk und Country hatte ich damals erst oberflächlich lieben gelernt, und die Charts glänzten mit Nummern, denen ich mich entwachsen fühlte.
Copyright: Cover / Text: Hermann Anschlag
Da kam Horses von Patti Smith. Ganz plötzlich tauchte eine LP auf, auf der ich tatsächlich die Zukunft des Rock’n’Roll zu hören glaubte. Die LP Born To Run (8/75) von Springsteen, dem man dieses Attribut zugeschrieben hatte, mochte ich zwar, aber sie schien eher Abschluss als Neuanfang.
Copyright: Getty Images / Text: Hermann Anschlag
Gloria, die alte Them/Morrison–Nummer, war das erste Stück auf Horses. Patti fand eine sehr eigene Interpretation, voller Wucht, voller Schärfe, voll von erhebender Kraft. Eine Hymne auf das freie Menschsein. Sie begann mit den Zeilen „Jesus died for somebody’s sins but not mine“ und steigerte sich in den nächsten fünf Minuten zu den mitreißendsten musikalischen Erlebnissen, die die 70er mir bis dahin geboten hatten. Großartiger konnte Musik nicht sein, befreiender auch nicht. Punk lag in der Luft und holte zum Gegenschlag aus, er sollte bald die musikalisch hohlen Phrasen allerorten zum Platzen bringen. Die Ohren waren bereit.
Copyright: Getty Images / Text: Hermann Anschlag
Auf der Single ist Gloria um eine Minute gekürzt, die LP-Version ist noch eine Idee besser, da sie etwas formloser, willkürlicher erscheint. Dennoch gehört diese Single selbstverständlich zum Großartigsten, was die 70er musikalisch zu bieten hatten.
Copyright: Getty Images / Text: Hermann Anschlag
THE ROLLING STONES: The Last Time (1965)
Pop-Coming-In, Part II: Hardys Abendwind war Teil 1, The Last Time Teil 2 des Eintritts in das erregende Universum des Pop.
Copyright: Cover / Text: Hermann Anschlag
Mehr als die A-Seite betörte zunächst Play With Fire. Dieser seltsame, ruhige Song, der absolut keinen Zweifel daran ließ, wo es langzugehen hatte. „Don’t play with me, ‚cause you play with fire.“ Das verstanden auch wir bald, das verstand jeder. Kein Fun, keine Fröhlichkeit, aber auch keine Balladen-Zutaten wie Streicher und Cembalo, die wir etwas später bei As Tears Go By und Lady Jane zu hören bekamen und die uns dort zunächst leicht irritierten.
Copyright: Getty Images / Text: Hermann Anschlag
Play With Fire hatte Kraft und Stärke und vor allem Ernsthaftigkeit. Im Vergleich zu Drafis Cindy Lou oder France Galls Poupée de cire, beide zur gleichen Zeit erfolgreich, schien dies hier Musik für die Großen, für die Welt der jugendlichen Erwachsenen. Und so fühlte man sich auch als zwölfjähriger Hörer. Sehr groß, sehr ernst genommen. Es schien sich ein Tor geöffnet zu haben, was dahinter lag war neu und aufregend, aber was genau es sein würde, blieb noch ein Geheimnis.
Copyright: Getty Images / Text: Hermann Anschlag
Über Play With Fire gelang dann auch der Zugang zur A-Seite, welche eine kleine Herausforderung darstellte: wenig Melodie, ein recht gleichförmiges Arrangement, keinerlei Avancen an den Publikumsgeschmack. Für den Pop-Novizen war das zunächst leicht verstörend, kurze Zeit später aber nur noch großartig. Man wuchs und bildete sich am Besonderen, am Sperrigen. Nein, so etwas hatten die Beatles wirklich nicht zu bieten. Und damit waren die Fronten geklärt. Eine Platte für die Ewigkeit. Die Stones waren für mich nie bedeutender auf Single als mit diesen beiden Seiten.
Copyright: Getty Images / Text: Hermann Anschlag
BOB DYLAN: Mixed Up Confusion (1962)
Bob Dylan auf Singles? Der Meister der modernen Song-Lyrik macht Small Talk? Auf 7″? Natürlich hat er Singles veröffentlicht, mag man sich denken. Irgendwelche LP-Tracks, die vermeintlichen Hits halt. Aber nichts da!
Copyright: Cover / Text: Hermann Anschlag
Dylan veröffentlichte in den 60s und frühen 70s – später kaum noch – einige Singles, die sehr wohl non-LP waren. Und das sind für Dylanfans kleine Schätze, denn musikalisch müssen sich diese 45er in keiner Weise verstecken.
Copyright: Getty Images / Text: Hermann Anschlag
Die berühmteste dieser Singles ist die in Fan-Kreisen extrem gesuchte, nur in Holland erschienene Ausgabe von If You Gotta Go, Go Now. Von dem Song gab es damals schon bald diverse Coverversionen, wovon die der Fairport Convention sicherlich die großartigste war: Si Tu Dois Partir. Die Dylan-Platte selbst aber ist sehr, sehr selten und recht teuer. Sie gehörte mit Positively 4th Street und Can You Please Crawl Out Your Window zu einem Trio von non-LP Mid-60s Singles.
Copyright: Getty Images / Text: Hermann Anschlag
Zur gleichen Zeit erschien noch eine vierte 7″, ebenfalls nur in Holland/Benelux, eine Wiederveröffentlichung der ersten(!!!), ebenfalls ausgesprochen raren amerikanischen Single von Ende ’62: Mixed Up Confusion. Der Track ist ganz anders als alles aus den Folgejahren, eher jazzig, und textlich auf den ersten Blick ziemlich banal. Dennoch, er ist einer meiner Faves von ihm. Eine unglaublich frische Platte, musikalisch eine kongeniale Umsetzung der Confusion des Sängers. Es ist eine der Aufnahmen, die mir den Glauben an mein Idol Dylan zurückgegeben hat, als ich die Platte in den frühen 80s endlich in den Händen hielt und die Musik kennenlernte. Auf LP war Mixed Up bis dahin noch nicht erschienen. Dylan ist hier weder der Messias oder sonstwie geartetete Vorbeter einer Generation, noch ein erweckter Evangelikaler, er gibt sich ganz als der konfuse Junge, der er bis heute im Grunde geblieben ist.
Copyright: Getty Images / Text: Hermann Anschlag
LINK WRAY: Rumble (1958)
Punk in Reinkultur? Das Zeugnis eines stümperhaften Gitarreros? Die Quintessenz des Rock’n’Roll in Super-Slow-Motion? Oder doch ein sinister düsterer Trauermarsch, vor dem es kein Entrinnen gibt?
Copyright: Cover / Text: Hermann Anschlag
In jedem Fall begegnet dem Hörer hier ein ganz eigentümliches musikalisches Gebilde, das entweder gefangen nimmt oder auf Ablehnung stößt, mit Eigenschaften, die damals so neu wie archaisch waren. Keine Melodien, nur einfachste Akkorde, die kaum etwas herzugeben scheinen. Morbid. Dumpf marschierende Drums, ein Bass, der melodische Bewegung nur vorgaukelt, und kurze Gitarrenparts, die ein Anfänger schon nach einer Stunde Übens drauf haben mag. Sonst nichts. Irgendwann ein paar Takte lang ein an Bo Diddley erinnerndes Schrammeln, dann aber wieder dieser kompromisslose Todesmarsch, der sich am Ende, elektrisch zerhackt und verzerrt, ins Nichts verliert.
Copyright: Getty Images / Text: Hermann Anschlag
So unglaublich simpel das alles vom Spieltechnischen her ist, so unglaublich groß ist es auch. Offenbart sich doch hinter diesem Wenigen verdammt viel verstörende Wahrheit, unmittelbar, direkt und gnadenlos.
Copyright: Getty Images / Text: Hermann Anschlag
Dichter und prägnanter kenne ich kaum ein anderes Instrumental, und schon gar keines, das emotional immer wieder so berührt. Abgrundtief genial und innovativ.
Copyright: Getty Images / Text: Hermann Anschlag
ELVIS PRESLEY: That’s All Right (1956)
Die erste Single des King. Aufgenommen von Sam Philipps in den Sun-Studios in Memphis. Eine Geburtsstunde. Die Definition des Rockabilly auf der Basis von Arthur Crudups schwarzem Song und einem Country-induzierten Arrangement.
Copyright: Cover / Text: Hermann Anschlag
Am 5. Juli 1954 nahm Elvis diesen Song zusammen mit Scotty Moore und Bill Black auf. Voreilig – noch war keine einzige Platte für den Verkauf gepresst – ließ Philipps sie im Radio spielen. Sie schlug unglaublich ein und provozierte innerhalb kürzester Zeit mehr als eine halbe Million Vorbestellungen. Und immer noch gab es keine fertige Single. Als die Platte dann endlich auf den Markt kam, wurden nur noch relativ geringe Stückzahlen verkauft, so dass ein neuwertiges Original-Exemplar heute im vier- bis fünfstelligen Dollar-Bereich angesiedelt werden muss.
Copyright: Getty Images / Text: Hermann Anschlag
Was war so besonders, was war so neu daran? Arthur Crudups Song war immerhin acht lange Jahre alt, in denen er sich hätte bewähren können. Und so viel anders war das Original gar nicht aufgenommen worden. Es hatte ein ähnliches Arrangement, auch ging es damals rhythmisch schon ganz schön zur Sache, allerdings war es unverkennbar schwarz, sowohl vom Gesang wie von seiner Ungeschliffenheit her. Elvis‘ Aufnahme dagegen bezog ihren Drive aus der Verdichtung und Perfektionierung der Vorgaben und zudem aus dem leichten Hall, der keine Löcher entstehen ließ. Außerdem hatte er die flexiblere und viel geschmeidigere Stimme, die dem Song ausgesprochen angemessen war und für die Weißen möglicherweise auch konsumierbarer machte. Eine grandiose Aufnahme.
Copyright: Getty Images / Text: Hermann Anschlag
Das setzt sich nahtlos auf der Rückseite fort. Bill Monroes Song wird hier in einer atemlosen Unbedingtheit dargeboten, wie sie damals absolut ungehört gewesen sein muss. Die gleichen Ingredienzien wie bei That’s All Right also, aber mit einem weißen Song als Basis. Diese Aufnahmen sind Lehrbeispiele dafür, wie mit minimalem, kaum hörbarem Einsatz von Drums dennoch ein Maximum an rhythmischer Wirkung erzielt werden kann. Das schiere Gegenteil von (Hard-)Rock ist hier Musik geworden. Und es war natürlich lange, lange vorher da.
Copyright: Getty Images / Text: Hermann Anschlag
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