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Die 100 besten Singer/Songwriteralben: Unsere Top 10
Mit den "Besten Singer/Songwriter-Alben" beginnt der ROLLING STONE seine neue Serie mit Best-Of-Listen der wichtigsten Musikgenres - zusammengestellt von einer 60-köpfigen Jury. Hier finden Sie die Plätze 10- 1.
10. "Scott 4" - Scott Walker (Philips/Fontana, 1969)
Einen Wimpernschlag der Geschichte lang, Mitte der 60er-Jahre, ist Noel Scott Engel alias Scott Walker der beliebteste Schnulzenheini der westlichen Welt; mit den Walker Brothers schmettert er dramatische Operettenpopstücke für junge Mädchen und sentimentale Jungs. Dann fällt er in eine ebenso dramatische Schaffenskrise – und kehrt als Operettenpopsänger mit nachtschwarzen Nihilismusstücken zurück.
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10. „Scott 4“ – Scott Walker (Philips/Fontana, 1969)
Einen Wimpernschlag der Geschichte lang, Mitte der 60er-Jahre, ist Noel Scott Engel alias Scott Walker der beliebteste Schnulzenheini der westlichen Welt; mit den Walker Brothers schmettert er dramatische Operettenpopstücke für junge Mädchen und sentimentale Jungs. Dann fällt er in eine ebenso dramatische Schaffenskrise – und kehrt als Operettenpopsänger mit nachtschwarzen Nihilismusstücken zurück.
Vier Soloplatten singt er bis 1969 ein, die tollste von ihnen – und die erste, die er alleine textet und komponiert – ist auch die letzte: „Scott 4“. Zu schwelgerischen Streichern und lieblichem Glöckchengeklingel singt Walker über das siebente Siegel der Apokalypse und die Dialektik des stalinistischen Personenkults. Und das alles mit dem schönsten Bariton, den man sich vorstellen kann.
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9. „Nebraska“ – Bruce Springsteen (Columbia, 1982)
Bruce Springsteen in einem Holzhaus in Colts Neck, New Jersey, und freute sich über ein neues Aufnahmegerät mit vier Spuren. Mit dem kleinen Kasten konnte er sein Gitarren- und Mundharmonikaspiel aufnehmen sowie seinen Gesang und die Skizzen als Demos für die E Street Band verwenden. So entstanden innerhalb eines Monats die Songs von „Nebraska“: Man hört „State Trooper“, „Atlantic City“ und „Open All Night“ an, dass sie als Rocksongs gedacht waren.
Springsteen erzählt von der Einsamkeit der Autobahn vor nächtlicher Industriekulisse, von Verlorenheit und Gottlosigkeit. Und er erzählt von Mördern, die ohne Reue ins Nichts blicken, von der Epiphanie einer erleuchteten Villa und der Erinnerung an das Haus des Vaters.
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8. „Tapestry“ – Carole King (Ode, 1971)
Mit einem drängenden Klavierakkord geht es los: Die eher metaphysische Bewegung, von der Carole King singt, ist klar zu spüren. Über die Jahre wurde „I Feel The Earth Move“ zum beliebten Ausdruckstanzschlager bei Abschlussfesten feministischer Töpferworkshops, ein toller Song ist er trotzdem. Und „Tapestry“, das zweite „eigene“ Album der früheren Fremdschreiberin ein nahezu makelloses Meisterwerk.
Carole Kings warme, geerdete, unprätentiöse Stimme schien befreit von allen Zuschreibungen. Sie klang weder verführerisch, noch schmollend, niedlich oder röhrend, sie klang „natural“. „Tapestry“ setzte den Sound für das, was die kommenden Jahre prägen sollte: Individualistischer Mainstream-Pop, der Manhattan in den Laurel Canyon beamt.
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7. „Five Leaves Left“- Nick Drake (Island, 1969)
Wie „The Catcher In The Rye“, tschechische Märchenfilme und Liebeskummer kann man die Schönheit von Nick Drakes Musik nur im Jugendalter in ihrer ganzen Dimension erfahren. Danach begleitet sie einen fürs Leben. Doch mit den zu oft bemühten Begriffen Melancholie und Transzendenz ist dieser aus der Zeit gefallenen Kunst nicht beizukommen.
Keiner der vielen grandiosen Songwriter der 60er- und 70er-Jahre konnte so direkt aus seinen Träumen schöpfen, keiner derart unbeschwert zum Grund seines Herzens hinabtauchen, um seine Gefühle in unprätentiöse, erhabene Songs wie „Day Is Done“ oder „The Thoughts Of Mary Jane“ zu verwandeln. Und über diese zärtlich versponnenen Oden ranken Robert Kirbys malerische Streicher-Arrangements.
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6. „I See A Darkness“ – Bonnie ‚Prince‘ Billy (Palace/Domino, 1999)
Nach seinen Palace-Alben Will Oldhams erstes Album unter seinem meistbenutzten Namen. Der Titelsong dürfte durch Johnny Cash wohl sein bekanntester sein, aber ausweglose Großwerke wie „Black“ oder „Death To Everyone“ stehen ihm kaum nach. Dabei bekennt sich Oldham hier beinahe freundschaftlich zur betrüblichen Unausweichlichkeit der Dunkelheit, deren Erkenntnis dem Leben und nicht zuletzt auch dem Geschlechtlichen den besonderen Kick verleiht.
Die minimalistische Grundausstattung wird sacht instrumental und sogar mit Bläsern aufgehellt. Die Öffnung der dunklen Horizonte zu existenzialistischer Hoffnung verdankt sich allerdings vor allem der Fallhöhe zwischen Todespathos und der Lächerlichkeit irdischen Treibens.
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5. „Astral Weeks“ – Van Morrison (Warner, 1968)
Genie wird überschätzt. Dass „Astral Weeks“ dieses genresprengende Meisterwerk wurde, das wie kein anderes klingt, war nicht allein Van Morrisons Verdienst. Die Lieder der Platte, mit denen er die straffe Struktur des R&B, seiner Lieblingsmusik, aufbrechen wollte, probte er bereits mit kleiner Besetzung in US-Clubs.
Zwei davon nahm er auch in schwerblütigen Soul-Versionen auf. Ihr betörendes Flair bekamen sie aber erst, als Morrisons Produzent Jazzer engagierte, die Morrison gar nicht kannte, obwohl sie Kapazitäten der Szene waren, und mit denen er kaum redete, sondern ihnen nur das Songmaterial vorspielte und sie dann improvisieren ließ. Und wie oft im Singer/Songwriter-Metier auch hier unterbewertet: die kongenialen Orchester-Arrangements.
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4. „Songs Of Leonard Cohen“ – Leonard Cohen (Columbia, 1967)
Eine seltsame Tages- und Uhrzeit ist es, die Leonard Cohen mit seiner ersten Platte eingeführt hat: ganz kurz nach Sonnenaufgang, aber vor dem Aufwachen. Wenn Frauenhaare noch wie Goldstürme auf den Kissen liegen, aber die Wanderer, Hotelgäste und Schlaflosen schon auf sind, an vergessene Gebete denken, die Machtgefälle der Liebe reflektieren. Mit „Suzanne“, „So Long, Marianne“, „Sisters Of Mercy“…
… bleibt dies Cohens meistgehörte Platte – obwohl „I’m Your Man“ mehr verkauft hat. Und man alles, trotz des milden Lichts, eiskalt klar sieht. Der Gesang des 32-jährigen Debütanten, der als Dichter schon einen gewissen Ruf hatte, klingt beim ersten Hören auch wie eine Stimme, die einen im Halbschlaf erreicht, nicht einladend, umso verbindlicher.
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3. „Blood On The Tracks“ – Bob Dylan (Columbia, 1975)
Klar, dass diese Platte stets als Verarbeitung persönlichen Liebesleids gehört wird. Und natürlich dementiert Dylan. Da glaubt man, der Rätselhafte habe die Maske abgenommen, da behauptet er, allein von Tschechow und seinem Zeichenlehrer Norman Raeben beeinflusst gewesen zu sein. Doch ganz gleich, woher diese Lieder kommen: Lange hatte Dylan nicht mehr so zwingend geklungen.
Verletzt, wütend und höhnisch tönen die Songs – und sind doch so zärtlich wie nichts anderes zum Thema „zerschossene Beziehungen“. Und von faszinierender Virtuosität: Die Erzählperspektiven wechseln innerhalb einer Strophe, es entstehen ganze Filme in diesen Liedern. Alle seither veröffentlichten Schmerzensplatten wundgelittener Liedautoren müssen sich an diesem Werk messen.
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„Harvest“ von Neil Young (Reprise, 1972)
Und die Weisheiten von „A Man Needs A Maid“, „Old Man“ und dem live eingespielten „The Needle And The Damage Done“ haben bis heute Bestand. Dabei waren die Umstände bei den Aufnahmen in Nashville alles andere als vielversprechend: Wegen eines Rückenleidens musste Young meist ein Stützkorsett tragen. Seinem anrührenden Gesang hört man die Einschränkung nicht an.
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1. „Blonde On Blonde“ – Bob Dylan (Columbia, 1966)
Bereits auf „Another Side Of Bob Dylan“ hatte Bob Dylan 1964 die Wandlung vom Folksänger zum Singer/Songwriter vollzogen. Er sang nun vom Ich statt vom Wir, schaute in sich hinein und nicht zurück, glaubte nicht länger an Gut und Böse und war um mindestens 40 Jahre jünger geworden.
Auf „Bringing It All Back Home“ und „Highway 61 Revisited“ erweiterte er sein musikalisches und poetisches Vokabular, eine Band stand ihm zur Seite, die Texte wurden surreal, die Bedeutung ergab sich nicht länger aus den Wörtern, sondern aus der Performance.
Mit dem fünfminütigen „Like A Rolling Stone“ sprengte er 1965 das Popsongformat und mit der Doppel-LP „Blonde On Blonde“ ein Jahr später gar die Grenzen des klassischen Albums nicht, weil das musikalisch notwendig gewesen wäre (die weitaus virtuoseren Beatles und Beach Boys kamen immer noch locker mit zwei Albumseiten aus),…
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… sondern weil die Texte Zeit brauchten, um sich zu entfalten, weil sie in Verbindung mit dem Spiel der Musiker weite Räume öffneten, kurz: weil „Blonde On Blonde“ eigentlich ein existenzialistisches Ambient-Album ist.
Hier ist kein Sänger zu hören, der seine Wörter wie noch auf „Highway 61 Revisited“ gegen eine Bandbegleitung schleudert und hofft, dass einige von ihnen kleben bleiben, …
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… „Blonde On Blonde“ lebt vielmehr von einem Sound, der aus den sprachlichen Bildern herauszufließen scheint. Bob Dylan hat lange nach der Zauberformel für diesen quecksilbrigen Klang gesucht und sie schließlich in der konservativen Countrymetropole Nashville gefunden. Im Zusammenspiel des Pianisten Hargus „Pig“ Robbins mit Al Koopers Orgel, dem federnd treibenden Schlagzeug von Kenny Buttrey, dem pulsierenden Bass von Joe South…
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… und den metallischen Gitarren von Charlie McCoy, Wayne Moss und Robbie Robertson. Man kann in „Visions Of Johanna“ die Heizungsrohre husten und den Countrysender leise im Hintergrund dudeln hören, während ein paar Gestalten in einem dunklen Zimmer des Chelsea Hotel sitzen und wie in einem Beckett-Stück auf Erlösung warten.
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Doch immer wieder werden sie zurückgeworfen auf die Schmerzensmusik des Blues, die „Blonde On Blonde“ bestimmt und deren Struktur und Harmonik nur in den Momenten aufgelöst werden, in denen die Liebe den Raum betritt – im tänzelnden „I Want You“ und der elfminütigen Marienerscheinung der „Sad-Eyed Lady Of The Lowlands“ ganz am Ende.
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Dann ist es vollbracht.
Der Bob Dylan von „Blonde On Blonde“ ist danach nie wieder zurückgekehrt. Mit seiner ersten Auferstehung auf „John Wesley Harding“ ein Jahr später war er bereits ein anderer.
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