Er hatte Respekt, aber war für jedes Experiment offen – Zum Tod von Beatles-Produzent George Martin
Naturgemäß blieb sein Name mit den Beatles verbunden. Aber auch nach dem Ende der Fab Four gelangen ihm Geniestreiche. Zum Tod von George Martin
Als die Beatles das erste Mal die Abbey Road Studios betraten, hatten sie einen ziemlichen Respekt vor George Martin. Nicht, weil er Jazz und Barockmusik produziert hatte natürlich, sondern weil er mit Peter Sellers und Spike Milligan gearbeitet hatte, den größten Komikern ihrer Zeit und Mitschöpfern der „Goon Show“, der die jungen Männer immer montags im BBC Home Service lauschten. Außerdem war Martin anderthalb Jahrzehnte älter als sie, ein richtiger Erwachsener mit schwarz-roter Krawatte und weißem Hemd, stiller Autorität und großem Wissen. Der 36-Jährige war weniger beeindruckt von den vier Jungs aus dem Norden – weder von ihren Songs, noch von ihrer Performance; und der Schlagzeuger konnte nicht mal den Takt halten. Aber irgendwas faszinierte ihn doch – eine Energie, ein Witz.
Im Kontrollraum erklärte er seinen Schützlingen, was es bedeutete, ein Künstler bei Parlophone Records zu sein, und was man von ihnen erwartete. Schließlich spielte er ihnen die ersten Aufnahmen vor, die er von ihnen gemacht hatte. Aber niemand sagte was. „Also gut“, seufzte Martin. „Ich hab euch jetzt einiges eingebläut und ihr habt nicht reagiert. Gibt es irgendetwas, was euch nicht passt?“ Der bis dahin stille, besonders junge und besonders blasse Gitarrist musterte ihn von oben bis unten und murmelte: „Mir passt Ihr Schlips nicht.“ Alle lachten. Das Eis war gebrochen. Obwohl Martin ziemlich stolz auf seinen Schlips war, gefiel ihm der Humor dieser Jungs, und er versprach, ihnen einen Song zu suchen, der ein Hit werden würde.
Martin machte aus „Please Please Me“ den Hit
Er fand den Song, aber die Beatles, die mittlerweile einen neuen Schlagzeuger hatten, mochten ihn nicht. Also half er ihnen, aus einem ihrer eigenen Lieder – einer Roy-Orbison-Hommage mit dem Titel „Please Please Me“ – einen Hit zu machen. Und so war es danach immer. Der Produzent versuchte den Beatles nichts aufzudrängen, begegnete ihnen mit Respekt und half ihnen, ihre musikalischen Ideen umzusetzen, schrieb Arrangements und war zu jedem Experiment bereit. Mit seiner Hilfe wurden aus vier ungeschliffenen nordenglischen Rockern junge Genies.
Mit McCartney, der über die Jahre immer klarere Vorstellungen hatte, wie seine Songs zu klingen hatten, entwickelte sich eine enge musikalische Partnerschaft und schließlich auch Freundschaft, während Lennon, der in seinen musikalischen Instruktionen immer vage blieb, sich später oft unverstanden und vernachlässigt fühlte. Dabei zeigte Martin gerade bei der Produktion von „Strawberry Fields Forever“ seine ganze Könnerschaft. In seinen Händen wuchs das kleine akustische Lied, das Lennon im Studio vorgestellt hatte, unter der Mithilfe aller Beteiligten zu jenem verstiegenen psychedelischen Meisterstück, das wir alle kennen.
Als die Beatles langsam zerfielen, schwand Martins Einfluss, und er kündigte nach dem Weißen Album frustriert seine Dienste. Doch McCartney holte ihn nach dem gescheiterten „Get Back“-Projekt, das Phil Spector später zum „Let It Be“-Album zusammenkitten sollte, für eine letzte Kraftanstrengung zurück. Das Ergebnis, „Abbey Road“, zeigte einmal mehr, dass Lennon, McCartney, Harrison und Starkey nur dann wie die Beatles klangen, wenn George Martin im Kontrollraum saß.
Der Sir am Mischpult
In den Siebzigern eröffnete Martin sein eigenes Tonstudio und produzierte unter anderem Alben von Jeff Beck, Neal Sedaka, America und dem Mahavischnu Orchestra, doch sein Name blieb naturgemäß immer mit den Beatles verbunden. Auch die Geniestreiche späterer Jahre gelangen ihm wiederum mit seinem alten Freund Paul McCartney: so etwa „Live And Let Die“, dem neben dem 1964 ebenfalls von Martin produzierten „Goldfinger“ von Shirley Bassey wohl größten Song, der jemals einen James-Bond-Film eröffnete, und dem geradezu beatleesken „Tug Of War“-Album von 1982.
Mit 72 Jahren ging Martin schließlich, nachdem er von der Königin zum „Sir“ ernannt worden war und mit Elton Johns Lady-Di-Hommage „Cande in The Wind“ die „best-selling single of all time“ produziert hatte, in den Ruhestand. Man sah ihn danach noch oft in Dokumentationen am Mischpult sitzen, Regler mit Beatles-Tracks hoch- und runterschieben und geistreich kommentieren.
So muss es auch 1962 im Studio gewesen sein, als er seinen staunenden Schützlingen die Studiotechnik erklärte. Einen besseren Mentor hätten sie sich nicht wünschen können, und so wie die Beatles immer noch das Idealbild einer Band sind, wird Martin immer das Ideal eines Produzenten sein.