Ein Stern verlischt – So berichtete ROLLING STONE vor einem Jahr zum Tod von David Bowie
David Bowie ist tot. Eine der letzten großen Figuren der Popmusik ist von uns gegangen. Sebastian Zabel über einen Künstler, wie es ihn nie wieder geben wird.
Nachruf auf David Bowie: ROLLING STONE am 10. Januar 2016
David Bowie ist tot. Wie unwahr dieser Satz klingt. Und doch: Er starb am Sonntag, zwei Tage nach seinem 69. Geburtstag, zwei Tage, nachdem sein Album „Blackstar“ veröffentlicht wurde.
Die Platte mit dem schwarzen Stern, die erste Bowie-Platte, die den Künstler nicht auf dem Cover zeigt – und die so anders ist als seine anderen Alben, die sagte: Eine der letzten großen Figuren der Popmusik will sich noch einmal beweisen. Ein letztes Mal, wie wir jetzt wissen.
Als Bowie mit dem Jazz-Trio um den New Yorker Saxofonisten Donny McCaslin vor gut einem Jahr ins Studio ging, kannte er seine Diagnose: Krebs. Bowies Weggefährte und ewiger Produzent Tony Visconti hatte bis zuletzt versichert, dem Künstler ginge es gut, er sei in fantastischer Form. „Blackstar“ ist das anzuhören. Aber das Album erzählt auch eine andere Geschichte.
Im knapp zehnminütigen Titelstück definiert der Mann, dessen Imagewechsel immer auch den Stand der Popkultur reflektierten, was er alles nicht ist: kein Gangstar, kein Filmstar, kein Popstar, sondern ein schwarzer Stern. Auch die Musik ist düster. Ein vertrackter Rhythmus, über dem eine zerbrechliche Melodie anhebt und Bowie mit wimmernder Stimme rätselhafte Zeilen singt. Ein Saxofon dominiert das Soundmonster, das nach wenigen Minuten zusammenzubrechen scheint, verweht, verharrt, bevor sich ein fast schon konventioneller Song herausschält, der bedächtig durch zauberhafte Harmonien schreitet.
Und das ist nur der Anfang.
Von „Major Tom“ bis zurück nach Berlin
David Bowie hat Popgeschichte geschrieben. Er verkaufte 140 Millionen Platten. Er war „Major Tom“ und der „Thin White Duke“, in den frühen 70er-Jahren war er der androgyne Alien in Strickbody und Kimono, mit Make-Up und toupierten Haaren, der mit „Ziggy Stardust“ eine der gültigsten Rockfiguren ihrer Zeit erfand. Mitte der 70er wandte sich Bowie Soul und Funk zu, lebte von Kokain und Milch und in Los Angeles. Ende der 70er entdeckte er Kraftwerk und Berlin, als das grandios kaputte Album „Low“ erschien und er „Heroes“ schrieb, diese gern verklärte Hymne der vergeblich Liebenden.
Anfang der 80er-Jahre schlüpfte Bowie in ein Harlekin-Kostüm, partizipierte an der New Wave und veröffentlichte noch einmal ein großes Album, „Scary Monsters“. Drei Jahre später trug er einen weißen Anzug und schuf mit Nile Rodgers „Let’s Dance“, die finale Disco-Hymne, sein größter kommerzieller Erfolg bis heute. Es folgten Jahre als Rocker, Esoteriker, Elektroniktüftler, Drum’n’Bassaufsauger. Schlimme Platten, interessante Platten, zwei, drei gute.
Sein Herzinfarkt nach dem Auftritt beim „Hurricane“-Festival im niedersächsischen Scheeßel 2004 führte zu Bowies komplettem Rückzug. Keine Konzerte, keine Interviews mehr. Er lebte mit seiner Frau Iman Abdulmajid in New York. Dort habe er sich wie ein König gefühlt, heißt es auf „Blackstar“. Ab und an sah man ihn bei einer Ausstellungseröffnung oder in einem Jazzlokal oder beim Einkaufen im Biomarkt. Es dauerte fast zehn Jahre, bis Bowie mit dem bilanzierenden, recht konventionellen Album „The Next Day“ und dem sentimentalen Berlin-Song „Where Are We Now?“ neue Musik veröffentlichte. Ein Schlusspunkt.
Dachte man.
War es aber nicht.
Das letzte Album – eines wie kein anderes
Vergangenen Freitag erschien dann das schwarze, überladene, irrwitzige, tieftraurige, finale Album, „Blackstar“, sein 27. „Ein enthemmtes Alterswerk“, schrieb Diedrich Diederichsen. Musik, wie Bowie sie zuvor noch nie gemacht hatte. „Improvisiert, spielt Jazz!“ soll eines seiner Kommandos gewesen sein, und: „Vermeidet Rock’n’Roll!“ Die zwölf Stücke, die dabei entstanden, sind lang und sie klingen nach Fusion, nach Jazz und Art-Rock, nach Breakbeat und Scott Walker. Sieben landeten schließlich auf dem Album. Ein Schlüsselsong ist „Lazarus“: Ein warmer Bass, ein einsames Saxofon, eine fies reingrätschende Gitarre. Bowie singt davon, dass er im Himmel ist, nichts mehr zu verlieren hat – und dass er sein Handy auf der Erde zurückließ.
Kontaktaufnahme also ausgeschlossen. Uns bleibt Bowies Musik.
„Seeing more and feeling less / Saying no but meaning yes / This is all I ever meant / That’s the message that I sent“, singt Bowie auf dem letzten Song des Album. Sein Titel: „I Can’t Give Everything Away“.