Echo 2014: Supergeil!
„Echo“-Verleihung in Berlin: Helene Fischer, eine rattenscharfe Pop-Nudel und ein Hamburger Plattenladen
Am meisten freute sich die wonnige Schweizerin Beatrice Egli, der ein gnädiges Schicksal (oder eine großzügige Jury) den Preis für den „Newcomer international“ zugeschanzt hatte. Die junge Frau juchzte, keckerte und frohlockte, dankte allen möglichen Wohltätern und wollte gar nicht mehr von der Bühne gehen. Die coolen Antipoden waren zwei andere Schweizer, Dieter Meier und Boris Blank von Yello, die für ihr Lebenswerk (nicht das „schweizerische Lebenswerk“ ) ausgezeichnet wurden und als ostentative Salonlöwen in eleganten Anzügen und mit pomadigen Haaren die Trophäe entgegennnahmen. Ein Hauch des Mondänen durchströmte plötzlich und gegen Ende die „Echo“ -Verleihung, jenes Bilanztreffen der Musikbranche, bei der einheimische Produkte und deren Erzeuger aufs Schönste obsiegen.
Wobei die Königin des Ganzen, die liebreizende Helene Fischer, nur zwei Preise abholen durfte (einen gewann ihr Produzent Jean Frankfurter): für das „Album des Jahres“ und in der Kategorie „ deutschsprachiger Schlager“ – eine fast schüttere Ausbeute angesichts ihrer Triumphe. Ihre Kollegin Andrea Berg befand sich derweil bei einem Konzert in Dänemark, wie man lesen konnte. Helene moderierte den langen Abend auch sporadisch, turnte eingangs in einem atemraubenden Trikot zu ihrem Song „Atemlos durch die Nacht“ und wurde dann in ein, sagen wir: transparentes, sich nach unten verjüngendes Geh-Negligé gehüllt, das den, na ja: schwarzen Turnschlüpfer luftig umspielte. Sie kann es tragen.
Wechselnde Laudatoren belobigten mal diesen, mal jenen Preisträger: Der drollige Adel Tawil wurde zu seiner eigenen Überraschung als „Erfolgreichster Newcomer national“ ausgezeichnet, obwohl er schon jahrelang mit Ich + Ich erfolgreich war; als „ Künstler/Künstlerin/Gruppe/Kollaboration Rock/Alternative national“ wurden die Sportfreunde Stiller geehrt, die weder Rock noch alternativ sind, und ihre internationale Entsprechung sind die krachledernen Dänen Volbeat – Dänemark ist ja Ausland. „Künstler Rock/Pop international“ ging abermals an den nicht anwesenden Robbie Williams (launige Videobotschaft aus Los Angeles), sein nationaler Zwilling ist der schluffige Troubadour Tim Bendzko. Für Depeche Mode (nicht anwesend) blieb der Gruppenpreis. Die 17-jährige Birdy (anwesend) gewann unvermutet als internationale Künstlerin, Max Herre im Segment „Künstler Hip-Hop/Urban national“ neben seinem internationalen Pendant Eminem (nicht anwesend). Unter den Nominierten in diversen Kategorien tummelten sich Entitäten wie Cro, Alligatoah (Gruß von Adel Tawil!), Oonah, Marteria und Y-Titty, die letzteren gewannen für ein Video. Keinen Preis gewann Bushido – und auch Frei.Wild blieben bloß Nominierte.
Für die Altvorderen gab es nicht viel zu holen: In Nebenkategorien reüssierten die abwesenden Ärzte („ DVD/Blu-ray-Produktion) und die gelangweilt herumsitzenden Toten Hosen („Erfolgreichster Live-Act“), belobhudelt von Sir Bob Geldof. Durch die Nominierungslisten geisterten manchmal Namen wie Joe Cocker, Scorpions und Black Sabbath – wäre sehr, sehr geil gewesen, aber es traten auf: der irgendwo nominierte Romantiker James Blunt (artiges Duett mit Helene Fischer), die Bauchtänzerin Shakira (vom mokanten Max Raabe als „rattenscharfe Pop-Nudel“ angekündigt) und die unverwüstliche Kylie Minogue (neue Platte). Die Fantastischen Vier wirkten sehr gestrig, als sie sich in 250 Sekunden durch ein Potpourri ihrer Lieder hampelten. Ein „Echo“ für die Kastelruther Spatzen oder die Amigos konnte vermieden werden, weil in der Abteilung „Volkstümliche Musik“ zum zweiten Mal die maritimen Brachialschunkler Santiano gewannen, die ihre Danksagung teilweise in dem vom Aussterben bedrohten Idiom Plattdeutsch vortrugen. Die spillerige und angenehm unverstellte Österreicherin Christina Stürmer, immer eine Bank, fand sichtbar Gefallen am „Radio-Echo“ für ihren Song „Millionen Lichter“. Auch der verschrobene Internet-Eintänzer Friedrich Liechtenstein hatte einen enigmatischen Auftritt – supergeil. Und der ernste Gutmann Peter Maffay erfuhr eine „Würdigung für soziales Engagement“; quälend rang er um Worte des Dankes.
Unser Dank gilt dem Hamburger Plattenladen Michelle Records, dem „Handelspartner des Jahres“. Bei Michelle gibt es solche Ablagefächer für Schultaschen und Einkaufstüten neben dem Eingang. Sehr geil, Jungs!
Aber wo war dieser Geiger, der sonst immer in der Kategorie „ Violine urban international/ Dreitagebart/Stiefel“ gewonnen hat?